Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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10. Französischer Klerus.

Klerus heißt ein durch Loos oder Erbschaft gewonnener Antheil; die Geistlichkeit nannte sich so, weil sie und ihr Besitzthum unter Menschen das Antheil Gottes, die ihm geweihte Portion waren. Sie sahen sich daher in dieser Erbnahme wol vor, nach dem Psalmausspruch:16, 6. – D. »Das Loos ist mir gefallen ins Liebliche; mir ist ein schönes Erbtheil worden«.

Der französische Klerus genoß seines Guten mit Ansehn; dieses hatte ihn schon in rohen Zeiten ausgezeichnet. Mehrere Geistliche haben am Steuerruder des französischen Staats nicht nur das Reich, sondern, so viel an ihnen lag, Europa umgewälzt. Auf Ruf und Antrieb französischer Geistlichen brachen die Kreuzzüge nach Orient auf; später, auch auf Concilien, hielt die gallicanische Kirche immer auf sich; ihre theologischen Facultäten, ihre Priester des Oratoriums, insonderheit von der Congregation des h. Maurus, auch ihre Bischöfe und Aebte leisteten Mancherlei. Die Hirtenbriefe der ersten haben etwas sehr Gefälliges an sich; überhaupt hatte die Kirchensprache Frankreichs sich einen eignen Ton der Spiritualität gegeben, der mit den Jahrhunderten feiner und feiner ward. Sogar der Roman war nicht unter der bischöflichen Würde; Camus, Bischof zu Bellay, ein strenger und wohlthätiger Mann, hat deren zweiundfünfzig geschrieben.

Als Ludwig regierte, hob er die hohe Geistlichkeit zu seinem Anstande empor, da sie ihm dann als öffentliche Stimme in Manchem sogar vorging. Zu Unterweisung des Dauphins wurden ausgezeichnete Männer gewählt, Bossuet, Huet u. s. w.; zu Erziehung des Herzogs von Bourgogne Fénélon, Fleury. Beichtvater des Königes bis zu seiner Todesstunde im achtzigsten Jahr war La Chaise, ein Mann von Billigkeit und Weltkenntniß. Zu den obern geistlichen Stellen wurden Männer von Geburt oder von Talent und Sitten durch ihn befördert. Die Bischöfe kannte der König oder lernte sie kennen und begegnete ihnen nach ihrem Stande. Wo und wann haben sich so gebildete Männer im Klerus zusammengefunden als unter ihm? Außer den genannten sind Harlay, Fléchier, Massillon, der Cardinal von Noailles und so viele andre weltbekannte Namen.

Wie indessen der Anstand nirgend Alles ist, so ist er's am Wenigsten in dem Stande, der schon seinem Namen nach Geist und Wahrheit sein soll. Wer mag es sich leugnen, daß hinter dieser geistlichen Beredsamkeit, Weltklugheit und Prälatenwürde sich auch hohle Leere versteckte? Bossuet's Weltgeschichte z. B. ist bei schönen Tiraden ein declamatorisches Luftgebäude, auf das unhaltbare Principium eines erwählten Volks Gottes gebaut. Einem jungen Regenten verrückt diese Ansicht alle Begebenheiten der Völker und Menschen, so daß er zuletzt dies Volk Gottes, worauf die Vorsehung ihren Plan der Weltregierung gestellt haben soll, im winkenden Finger des Klerus findet. Bossuet's berühmter Katechism, der selbst Turenne hinterging, ist ein glänzendes Blendwerk, wie denn auch seine Geschichte der Veränderungen des Lehrbegriffs der Protestanten nicht beweist, was sie beweisen wollte. Ist Freiheit der Schriftauslegung nach wachsender Erkenntniß Principium des Protestantismus, so mag sich der Lehrbegriff, ein Haufe zusammengetragener Meinungen, ändern, die Religion aus dem Munde und Leben Christi ändert sich nie. Und wie vornehm betrug sich dieser sogenannt apostolische Kirchenvater, als Protestanten die Schwachheit hatten, über eine Vereinigung mit der römischen Kirche zu unterhandeln! Wie unapostolisch gegen Fénélon, obgleich in das Gewand eines Eifers für die Reinheit der Kirche gekleidet! Gegen Ludwig endlich wie fein, in dem, was er tadelte und nachließ! Dem Freunde der Maintenon rechnete man es hoch an, das Aergerniß der Montespan, deren man satt war, von Hofe entfernt zu haben. Geistlichen Verdiensten dieser Art, mit noch so viel schlauer Kunst betrieben, ist nichts als ein éloge funèbre in Bossuet's oder Fléchier's Art zu wünschen.

Wäre der französischen hohen Geistlichkeit außer schönen Reden und Hofkünsten die Sach- und Sprachkenntniß eigen gewesen, die in den Streitigkeiten über den Jansenismus, Quietismus u. s. w. erfordert ward, hätten wol zur Zerrüttung Frankreichs diese Zänkereien über ein Jahrhundert gedauert? hätte der Doctor der Sorbonne, Arnaud, seine hundertundvier Bücher geschrieben? Bei apostolischer Reinheit in ihren Versammlungen würde sie weder cabalirt, noch sich zwischen Rom und den Hof zeitmäßig getheilt haben; keine Constitutio Unigenitus wäre erfolgt, die das Reich so lange verwirrte. »Wenn man mich betrog«, sagte der sterbende König zu zweien Cardinälen, Rohan und Bissy, »wenn man mich betrog, so hat man viel zu verantworten.«Si l'on m'a trompé, on est bien coupable. – H. Er war betrogen und fühlte es sterbend.

Greift man hinter den Anstand der damaligen gallicanischen Kirche noch ernster und bemerkt die Aristokratie der Hofgeistlichkeit, die ihre geringeren Brüder um so mehr von sich entfernte, je mehr sie bei Hofe galt und vermochte, so daß unter den Papieren Bossuet's nach seinem Tode auch eine Anzahl fertiger Lettres de cachet gefunden wurden; bemerkt man, daß dieser Anstand nothwendig auch einen kostbaren Aufwand mit sich führte, der mehrere Pfründen zu suchen zwang und dennoch oft auch diesen zur Last fiel; fügt man hinzu, daß bei den immer höher steigenden Dons gratuits, die Ludwig zu seinen Kriegen und Festen begehrte, die Schulden der Geistlichkeit immer zunahmen; daß, als man einmal auf dem Schuldenwege war, man sich nur durch größere Belastung oder Aussaugung der Kirchengüter, durch offen gelassene Stellen, versäumte Pflege der Armen u. s. w. zu retten wußte; erwägt man dies und noch so manches Andre: welch ein Schlund thut sich auf hinter dem schönen Anstande des Klerus! ein Abgrund, den artige Reden nicht füllen konnten.S. Mémoires anecdotes de la Cour et du Clergé de France par Denis, ci-devant Secrétaire de l'Evêque de Meaux. Londres 1712. Eine Schrift, die, obgleich nicht ohne Übertreibung, den Abgrund, dem man entgegenging, schildert. – H.

Wenn nun die Geistlichkeit, der auf eine oder die andre Weise eine Reform unentbehrlich ward, dadurch ihrer Sache als der Sache Gottes zu helfen suchte, daß sie die Aufhebung des Edicts von Nantes nicht nur lautdankend billigte, sondern auf feinen Wegen längst und langsam betrieben hatte: welchen unermeßlichen, unverwindbaren Schaden that sie sich hiedurch! Als die Kirchen der Reformirten geschleift, als ihre Hirten und Heerden, diese in vielen Tausenden, aus dem Lande gedrängt wurden, so daß in wenigen Jahren keine reformirte Kirche, die einst in allen Provinzen so blühend gewesen war, vom Staat anerkannt ward: wie viel hatte der katholische Klerus an dieser blühenden Kirche verloren! Ihre Lehrer, wahre Seelsorger, die den katholischen an Gelehrsamkeit sowol als an Amtsfleiß vorgingen, hatten diese wenigstens in Athem erhalten. Ihre Schulen und Universitäten zu Sedan, Saumur u. s. w. hatten ausgezeichnete Männer gehabt; ihre Synoden, zu Charenton z. B., waren von Eifer sowol als von linder Vorsicht beseelt, weil sie eine eingeschränkte Kirche waren; in dem Allen waren sie der herrschenden Kirche sittliches Vorbild. Nehmt diesem Gewölbe sein Gegengewicht, es trägt sich nicht mehr; es sinkt und sinkt, bis der Sturz folgt.

Der Sturz ist erfolgt am Ende des Jahrhunderts; denn das ganze Säculum hindurch sank die französische Klerisei tiefer und tiefer. Sie hatte kein Gegengewicht, keine Vor- und Miteifrer, die ihr das wahre Ziel der Geistlichkeit, die Seelenpflege der Nation, mit protestantischem Blick und Muth vor die Stirn rückten. Die reformirte Geistlichkeit, mit dem sogenannten dritten Stande oder vielmehr mit beiden eins, konnte sich nie als den ersten Stand des Reichs geberden; vielmehr, seit sie vom zweiten Stande, der nach Ehren und Hofämtern strebte, immer mehr verlassen ward und keine Heinrichs, keine Colignys sich zu ihr bekannten, schlang sie sich an den dritten Stand fester. Dagegen schlummerte unter und auf seinen Bischofshüten der hohe französische Klerus unter schwachen Regierungen ein Jahrhundert hin sorglos, mehrte Decenz, Laster und Schulden, bis die gemeinsame Meinung, die er so lange grausam-albern unterdrücken wollen, laut gegen ihn ausbrach. Zum Widerstande fand sie ihn, ohngeachtet es da und dort wackre Geistliche gab, unfähig, von Ruhe erschlafft, in Anstand und Ueppigkeit versunken. Weder schreiben noch sprechen konnten sie mehr, wie es jetzt erfordert ward; ein Maury war ihr Redner. So zogen sie denn auch die guten Landgeistlichen mit ins Verderben.

Jeder privilegirte Stand, der über das Gesetz erhaben zu sein glaubt, verbannt sich eben dadurch als gesetzlos (hors du loi); selbst die Majestät zerbricht ihren Thron, wenn sie ihn auf Willkür gründet. Nur Wirklichkeit (Realität), Wesen, Gesetz, nicht schöner Anstand, hält die Stände und bindet Menschen an einander.

Als die Hugenotten bekehrt werden sollten, schrieb der wackre Herzog von Noailles: »Conferenzen zwischen katholischen Priestern und protestantischen Geistlichen fänden nicht statt, weil man keine katholischen Lehrer fände, die gelehrt gnug wären. die Sache Gottes zu führen. Der Eifer der Bekehrer, der in der Provinz weder durch Wissenschaft noch durch die Sitten des Klerus unterstützt würde, gliche weniger einem wahren Eifer als dem Geist des Hasses und der Rache. Die Bischöfe und Priester versäumten ganz die Mittel der Bekehrung, indem die Laster des Klerus die größten Verweise verdienten, und eine Kathedralkirche mit Collegialen, Priestern, Communitäten den Katholiken monatlich kaum eine Predigt gäbe, indeß die Calvinisten täglich eine Predigt und nicht mehr als zwei oder drei Geistliche hätten.« Er fügt hinzu, daß »obgleich die französische Kirche gelehrte Theologen, große Bischöfe, berühmte Prediger, lumières und respectable Sitten hätte, in der Provinz demohngeachtet dieselben Ursachen, die dem Fortgange der neuen Secten einst günstig gewesen, fortwährten«; worüber sich Fénélon in seinem Missionsbericht noch klarer und stärker ausdrückt.Eclaircissemens historiques sur les causes de la révocation de l'Edit de Nantes. Vol. I. p. 130–136. – H.

So wenig ist Schimmer am Hofe wahre Erleuchtung eines Standes in allen seinen Gliedern. Keinen größern Nachtheil aber kann sich der schimmernde Stand geben, als wenn er seinen Gegner, ein Muster zu thätiger Nacheiferung, hinwegräumt. Er hat sich damit des letzten Mittels der Besserung selbst beraubt.Das Büchelchen: La Politique du Clergé de France, ou entretiens curieux sur les moyens, dont on se sert aujourd' hui pour détruire la religion Protestante, ist verständig geschrieben, hat aber jenen Punkt, wie verderblich die Politik des Klerus ihm selbst gewesen, nicht berührt. – H.


Beilage.
Wozu ist der Klerus?

Im Christenthum giebt's keinen Klerus; die Menschheit ist der erwählte Theil Gottes, kein ausschließender Stand. Vertilgt sollte der Name wie der Unbegriff werden; denn beide sind Reste der Barbarei, den nützlichsten Ständen verächtlich. Einen Lehrstand giebt's; dieser soll lehren, nicht glänzen.

St. Pierre schrieb einen Vorschlag zu Verbesserung des Klerus in Frankreich, der natürlich nicht befolgt ward. Wäre er's, so hätte Niemand auch nur den Gedanken fassen können, einen so eingerichteten Lehrstand zu vertilgen.

Das Wesen der Religion setzt St. Pierre in wohlthätige Güte. »Nur zwei Pflichten schreibt sie vor, 1) gerecht zu sein, d. i. Niemanden Unrecht zu thun, ohne das Unrecht zu vergüten; 2) wohlzuthun; denn der Wohlthätigen sei das Paradies.«

»Einer Unterweisung hiezu,« meint er, »hätten die Menschen zeitlebens nöthig: die Jugend, um die Beweggründe beider Pflichten zu lernen, der reifere Mensch, um im Einzelnen aufmerksam gemacht zu werden auf die Arten von Unrecht, die man täglich sich anthut, und auf die Uebel, die daher folgen, damit man bestimmt diese vermeiden, jene vergüten lerne. Auch zu allen den Dienstfertigkeiten willig gemacht zu werden, die Menschen einander erweisen und sich dadurch ein Paradies in dieser und jener Welt bereiten, bedürfe man des Lehrstandes; denn nach seinem Alter müsse Jeder diesen Unterricht empfangen und in seiner Ausübung fortleben. So allein lebe man glücklich.«

»Hiezu müßten,« meint St. Pierre, »die Seminarien eingerichtet werden, damit in ihnen die künftigen Lehrer selbst das Wesentliche der Religion lernen, gerecht und gütig zu sein. Auch die Lehrart müßten sie lernen, den Menschen gegen jede Ungerechtigkeit Abscheu, zu jeder wohlthätigen Liebe Neigung und Lust einzuflößen. Jenen Abscheu erwecke die Geschichte, indem sie die strafenden Folgen der Ungerechtigkeit darstellt; Neigung zur Wohlthätigkeit erwecke sie gleichfalls, indem sie die Folgen derselben, Ruhe, Freude, Vergnügen in dieser und jener Welt, zeigt.

»Seminarien, in denen man Cerimonien für das Wesentliche der Religion ansieht, für sie eine fanatische Hochachtung einflößt und einsaugt, sei der Religion Dessen gerade zuwider, der Gutthätigkeit gegen Andre zum Wesen der Religion machte, in dem Maß, wie wir von ihnen Gutes wünschten, Christus. Ohne Bescheinigung eines erwiesenen guten Charakters sollte Niemand in diese Seminarien aufgenommen werden.«

Zu diesem Zweck organisirt er Geistliche als Lehrer der Erwachsenen, Schullehrer als Erzieher der Jugend, und weist beiden ihre Pflichten und Belohnungen an. Er organisirt ihre Wahlen und Beförderungen, ihre Sprengel und Einkünfte, ihre Versammlungen, Berathschlagungen, ihre Aufsicht und Oberaufsicht. Den Augen des Publicums müsse die ganze Anstalt vorliegen, weil sie Angelegenheit des Publicums sei. Nach dem damaligen Zustande der Seminarien erwartete er so etwas nur nach Jahrhunderten; aber auch die Zeit ist gerecht und gütig. Sie hat seinen Plan gefördert.

»Der Lehrstand für das Land,« meint St. Pierre, »müßte auch Unterricht in den gemeinsten Hilfsmitteln gegen Krankheiten des Landvolks erhalten, so mache er sich nicht nur beliebter und geachteter bei den ihm Anvertrauten, sondern würde ihnen selbst auch wohlthätig. Glauben, daß, wenn ein Geistlicher dem Kranken eine geprüfte, heilsame Arznei giebt, er aus seiner Pflicht schreite, sei ein Aberglaube, ebenso lächerlich als verdammungswürdig.

»Auch einige Kenntnisse des Rechts müsse der Landgeistliche haben, um Streitigkeiten in Güte beizulegen; denn es sei die Pflicht jedes Rechtschaffenen, unter seinen Mitbrüdern die Uebel zu mindern, Wohlgefälligkeit und Freude an einander zu mehren.«

Dies waren St. Pierre's Gedanken, die selbst der ruchlose Cardinal Dubois »Träume eines honneten Mannes« nannte. St. Pierre war überzeugt, daß seine Träume dereinst zur Wirklichkeit gelangen müßten. Auf den Fortgang der allgemeinen Vernunft (de la raison universelle) rechnete er als auf ein Naturgesetz, das, über jede einzelne Willkür erhoben, im Stillen fortwirke.Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 575 ff. – D.

Ist dem nicht also? Kann ein Böses existiren, dessen Folgen sich nicht früher oder später zeigen müßten? ein Gutes, das nicht seine Folgen auch offenbarte? Ein welkes Blatt und ein welker Stand entfallen dem Zweige.

Auch in dieser Rücksicht wird klar, daß kein Religionscultus ein Monopolium sein dürfe, ohne daß er sich selbst schade. Ohne Nach- und Miteifer versauert jede Lehranstalt auf ihren Hefen; verfolgt sie gar, so ist's in der Natur geschrieben, daß sie dereinst auch verfolgt werde.

Ein Gleiches ist's mit Gesellschaften und Orden. Die Gesellschaft z. B., die unter Ludwig Alles leitete und verwirrte, die ihn in den letzten Jahren auf zehn geheimen Wegen lenkte und ihm sein Ende so leicht machte, da er mit Reliquien und Scapulier gleichsam in ihren Armen starb, sie hat ihre Vergeltung gefunden.

Taugt der Klerus zu nichts, als daß er Missethätern des Staats und der Menschheit, nachdem er ihre Ausschweifungen zu seinem Vortheil geschont und geleitet hat, durch Sacramente die Worte in den Mund legt:Worte Ludwig's XIV. – H. »Je suis en paix: je me suis bien confessé! Je me trouve le plus heureux du monde, j'espère, que Dieu m'accordera mon salut. Qu'il est aisé de mourir!« so sei er von der Erde verbannt, der Klerus!


Erläuterungen mit und ohne Anekdoten

Einen Schatz von Erläuterungen zu den vorstehenden Artikeln enthalten eine Reihe Mémoires, die der Revolution Frankreichs ihre Bekanntmachung zu danken haben.Mémoires de St. Simon. Londres 1788. 3 Bände Mémoires, 4 Bände Supplemente. Mémoires secrets sur les règnes de Louis XIV. et Louis XV., par Duclos. Paris 1791. 2 Bände. Mémoires du Maréchal de Richelieu. Paris 1793. 9 Bände. – H. In merkwürdigen Anekdoten tritt hier die hundert Jahr begraben gewesene Wahrheit ans Licht offen; wie leise sprach von ihr, auch wo er ein Mehreres wußte, Voltaire.

Es ist nichts verborgen, das nicht an den Tag komme; auch was zu unsrer Zeit geschah, wird aus den dunkelsten Kammern ans Licht treten.

Mit Wundern, Staunen, oft mit herzbeklemmenden Empfindungen, dann auch zuweilen mit Freude und Trost liest man diese Denkwürdigkeiten. Mit Staunen, wenn man erfährt, von wem die Welt regiert ward und regiert werde, an wie kleinen Umständen die größten Begebenheiten und Erfolge hangen. Mit Schmerz, wenn man sieht, wie das Schicksal ganzer Völker an die Thorheit, den Neid, den Unverstand, oft an den Wahnsinn selbst Eines oder Weniger geknüpft ist, durch welche Tausende und Millionen, so lange sie da sind, leiden. Wohin könnte dieser Schmerz führen, wenn uns nicht hie und da auch bessere, d. i. verständige, gute Menschen begegneten, die, so viel an ihnen ist, den Uebeln der Zeit steuern!

Am Reichsten indeß tröstet die in der Geschichte hell hervorleuchtende Wahrheit, daß in der Hand der Vorsehung Alles zum Bessern wirke, daß Uebel vorhergehen müssen, damit die träge Menschheit zu Verbannung der Uebel gereizt werde, daß endlich der größte Theil von dem, was wir Glück und Unglück nennen, an uns selbst, am Willen und der Einrichtung menschlicher Gesellschaften und Autoritäten sowol als an unsrer Denkart und Thätigkeit, diese aber an unsrer Erziehung und Uebung liegen. Je deutlicher uns dieser Gedanke wird, desto heller wird uns, wie dort durch einen Lichtstrahl aus dem Chaos Schöpfung ward, das Chaos der Geschichte.

Ein guter Anfang ist's also schon, wenn Mängel aufgedeckt oder nur wahrgenommen werden. Oft theilt sich auch schweigend die Wahrnehmung mit, und da die Zeiten auf einander bauen, da eine Nation der andern oft von den Lippen das Wort nimmt, o, so ist allenthalben auf unsrer Erde der Menschengeist auch in seiner Mittheilung nur einer, das Menschenherz nur eines.

Bloße Anekdoten aus dem Buch der Vergangenheit zu geben, d. i. Blumen aus dem Füllhorn der Zeit zu schütten ohne Zweck und Anwendung, ist eine kindische Ergetzung. Und mit welchem Herzen sollen wir Anekdoten der Tollheit, des Wahnsinns, ungerechter Leiden und Qualen, vergeblicher Hoffnungen, falscher Bestrebungen u. s. w. erzählen, wenn wir von ihnen keinen Gebrauch zu machen wissen? Zum Spott zu ernst, zum Lachen zu traurig, zur Gemüthsfreude zu abgeschmackt, zu alltäglich, werde nur die Anekdote erzählt, die zur Aufklärung oder Aufheiterung, zum Nutzen oder zur Erläuterung dient. Hier also nur wenige zur Erläuterung Einiges in den vorstehenden Artikeln; wem sie bekannt sind, möge sie überschlagen.


Das Fenster zu Trianon.Mémoires de St. Simon, I. 22 ff. – H.

»Der Krieg von 1688 entsprang sonderbar. Nach Colbert's Tode hatte Louvois die Aufsicht über die Gebäude. Klein-Trianon, das für die Montespan gebaut war, machte dem Könige Langeweile; er wollte überall Paläste. Das Bauen amüsirte ihn sehr; er hatte auch ein sehr richtiges Auge für Proportion, Symmetrie und dergleichen, bei einem nicht ebenso richtigen Geschmack.

»Kaum war der neue Bau von Trianon über der Erde, als der König einen Fehler an einer Fensteröffnung im untersten Stockwerk gewahr ward: sie war schief. Louvois, der von Natur brutal und dazu noch verwöhnt war, sich von Niemanden widersprechen zu lassen, stritt lang und heftig, daß das Fenster gerad sei; der König kehrte ihm den Rücken und spazierte weiter.

»Tages drauf begegnete er dem Le Nôtre, der durch die Gartenkunst berühmt ist, die er in Frankreich einführte, einem guten Architekten. Er fragte ihn, ob er zu Trianon gewesen sei. »Nein!« sagte dieser. Der König gab ihm Auftrag, dahin zu gehen und das Fenster zu besehen. Ein Tag, zwei Tage; dieselbe Frage, dieselbe Antwort. Der König sah wohl, daß Le Nôtre sich nicht zwischen ihn und den Minister stecken wollte, da Einer von Beiden Unrecht haben müsse. Unwillig sagte er: morgen solle er in Trianon sein; er und Louvois würden auch da sein.

»Sie kamen. Louvois disputirte, Le Nôtre schwieg. Der König befahl ihm, zu messen. Louvois in Furie murrte laut: das Fenster sei gerade und gleich den andern. Der König fragte Le Nôtre, was er gefunden habe. Dieser stammelte, wollte nicht mit der Sprache heraus; der König in Zorn befahl, er sollte rein herausreden, was er gefunden. Der König habe Recht, sagte Le Nôtre und zeigte den Fehler.

»Nun wandte der König sich gegen Louvois und verwies ihm seinen Starrsinn. Ohne seine Bemerkung würde man schief gebaut haben; das Gebäude würde man haben niederreißen müssen. Er wusch ihm den Kopf recht.

»Louvois, außer sich, daß Hofleute, Werkleute und Bediente Zeugen des Auftritts gewesen, kommt in Furie nach Hause, wo er seine Getreuen findet. Sie sind erschrocken, ihn so zu sehen.

»»Es ist vorbei,« spricht er, »ich bin verloren! So hat er mir über ein Fenster begegnet. Ich kann mir nicht anders helfen als durch einen Krieg, der ihn vom Bauen abbringt und mich nothwendig macht. Er soll ihn haben.«

»Louvois hielt Wort. Einige Monate nachher entbrannte wider Willen des Königes und der andern Mächte ein allgemeiner Krieg, der Frankreich im Innern ruinirte, außerhalb, ohngeachtet des Glücks seiner Waffen, nicht erweiterte, vielmehr ihm ehrenrührige Auftritte zuzog. Das machte ein schiefes Fenster!«

Die vorigen Kriege hatten Louvois und Le Tellier, sein Vater, aus Eifersucht gegen Colbert, diesen zum Guten thätigen, vernünftigen Minister, entzündet. Durch Kriege machten sie sich nicht nur selbst nothwendig, sondern legten Jenem auch die traurige Pflicht auf, das Volk mit Auflagen zu beschweren. Dadurch machten sie ihn verhaßt und wandten ihn ab, die gewöhnlichen Einkünfte des Staats ruhig zum Besten zu verwenden.


Die Feuerzange

»Louvois, nicht zufrieden mit jener traurigen Verwüstung der Pfalz, die er anbefohlen hatte, wollte auch Trier abbrennen. Er schlug es dem Könige als ein nothwendiges Kriegsmittel vor, nothwendiger noch, als was zu Worms und Speier geschehen sei; denn wenn die Feinde Trier zu ihrem Waffenplatz machten, so sei die Position noch gefährlicher. Die Unterredung ward warm, der König aber nicht überzeugt.

»Louvois, der immer auf seinem Kopf bestand und nie gern zurücknahm, was er vorgeschlagen hatte, kam einige Tage nachher, wie gewöhnlich, mit dem Könige im Zimmer der Maintenon zu arbeiten. Nach geschlossener Arbeit sagte er dem Könige: er habe wohl gefühlt, daß Gewissensscrupel allein ihn abgehalten hätten, in die Abbrennung Trier's zu willigen. Er glaube ihm einen wesentlichen Dienst zu leisten, wenn er diesen Scrupel auf sich nähme, und habe also, ohne ihm davon etwas zu sagen, einen Courier abgefertigt, Trier abzubrennen, sobald der Courier ankäme.

»Der König, ganz wider seine Gewohnheit, sprang auf im Zorn, ergriff die Kaminzange und ging damit auf Louvois los. »Ah, Sire, qu'allez-Vous faire?« rief Maintenon aus und warf sich zwischen Beide. Louvois gewann die Thür, der König rief ihm nach mit zornfunkelnden Augen: »Sogleich fertigt einen Courier ab mit Gegenordre; ist ein Haus abgebrannt, so steht Ihr mir dafür mit Eurem Kopf!«

»Louvois, mehr todt als lebendig, durfte, als er nach Hause kam, keinen Courier abfertigen, nur dem Courier, der abgehen sollte, sobald er den König gestimmt hätte, das Felleisen abnehmen lassen und den Befehl zurücknehmen; denn ihn ohne Wissen des Königes abgehen zu lassen, hatte Louvois sich doch nicht getraut. Bei Ludwig indeß galt er immer für abgegangen, und daß nur auf seinen Betrieb die Gegenordre erfolgt sei.«

Hätte Ludwig doch auch die Feuerzange ergriffen, als Louvois ihm die Verheerung der Pfalz rieth, oder wenn er irgend ein Kriegsfeuer anbrannte!


Louvois' Ungnade.

»Im Winter von 1690 bis 1691 sollte Mons eingenommen werden; Louvois schlug dem Könige eine Reise dahin vor doch ohne Damen. Louvois ging mit ihm.

»Der König, der sich piquirte, den Kriegsdienst besser als Jemand zu verstehen, spazierte um sein Lager und fand eine Schildwache übel gestellt; er stellte sie anders. Nachmittags machte er denselben Spaziergang und fand unglücklicherweise die Schildwache wieder, wie sie vorhin gestellt gewesen war. »Wer hat sie so gestellt?« fragte er den Hauptmann. »Mr. de Louvois,« sagte der Capitain; »eben ging er der Wache vorbei.« »Sagtet Ihr ihm nicht, daß ich sie so gestellt hatte?« »Ja wohl, Sire!« Der König wandte sich zu seinem Gefolg: »Ist das nicht Louvois' Metier? Er hält sich für einen großen Kriegsmann; er weiß Alles!« Damit stellte er Hauptmann und Wache wie des Morgens. Noch nach Louvois' Tode vergaß ihm Ludwig nicht die Geschichte.

»Seitdem vermehrte sich des Königes Entfernung von Louvois; und er, dieser von sich so sehr eingenommene Minister, der sich für ganz unentbehrlich hielt, fing an zu fürchten. Einmal, als er die Mareschalle von Rochefort spazieren fuhr, hörte man ihn im tiefen Selbstgespräch zu sich reden: »Sollte er wol? Sollte man ihn wol dazu vermögen? Aber nein! das wagt er nicht!« u. s. w. Mutter und Tochter stießen sich einander an; indeß gingen die Pferde fort, und die Mareschalle mußte ihm in die Zügel greifen, sonst hätte er sie Alle ertränkt.«


Louvois' Tod.

»Um vier Uhr nach Mittag hörte ich bei der Madame de Chateauneuf, daß Louvois sich bei der Madame de Maintenon etwas übel befunden, daß ihn der König fortgehen geheißen, daß er zu Fuße nach Hause gegangen sei, wo sich das Uebel vermehrt habe. Man habe Mittel an ihn gewandt, die er aber von sich gegeben; er sei gestorben. Und so schnell gestorben, daß sein Sohn Barbesieux, den er zu sehen verlangt habe, indeß er aus seinem Zimmer geeilt sei, ihn nicht mehr habe sprechen können.

»Man kann sich die Ueberraschung des Hofes denken. Ich, damals kaum 15 Jahr alt, wollte die Fassung des Königes bei einem Vorfall solcher Art sehen, eilte nach Hofe und folgte ihm auf seinem Spaziergange bemerkend. Er schien mir ganz in seiner gewohnten Majestät; nur hatte er, ich weiß nicht was Leichtes und Freies,Je ne sais quoi de leste et de délibéré. – H. das mich um so mehr überraschte, weil ich damals und lange nachher die Dinge noch nicht wußte, die ich eben gemeldet habe. Ich bemerkte, daß, statt daß er sonst seine Fontainen besuchte und die Spaziergänge im Garten wechselte, er jetzt längs der Balustrade der Orangerie auf- und niederging, wo er die Aussicht auf die Surintendance hatte, wo eben Louvois gestorben war. Wenn er gegen das Schloß kam, sah er immer dahinaus. Der Name Louvois wurde nicht ausgesprochen, noch sein Tod erwähnt, bis ein Officier des Königes von England aus St. Germain ankam, der ihn noch auf dieser Terrasse fand und ihm im Namen seines Herrn über diesen Verlust condolirte. »Meine Empfehlung,« sagte der König mit einem mehr als ungezwungenen Ton und Anstande, »meine Empfehlung und Danksagung an den König und an die Königin von England, mit dem Vermelden, daß meine und seine Geschäfte darum nicht weniger gut gehen werden.« Der Officier verbeugte sich und ging, das Erstaunen auf seinem Gesicht und in seiner Geberde gemalt. Man sah sich einander fragend an und schwieg.

»Barbesieux hatte die Anwartschaft auf das Staatssecretariat seit 1685, da er kaum 18 Jahr alt gewesen; als sein Vater Louvois starb, war er 24 Jahre alt; unter seinem Vater hatte er die Stelle seit Courtenvaux' Abgang sechs Jahre als apprentif commis verwaltet.

»Louvois' Tod kam einem großen Ausbruch (éclat) zuvor; denn den Tag darauf sollte er verhaftet und in die Bastille gebracht werden. Was wären die Folgen davon gewesen? Eben sie hat sein zuvorkommender Tod ins Dunkel gehüllt; aber genommen war der Entschluß, wie der König es nachher dem Chamillard selbst sagte. Daher, glaube ich, die zufriedne Miene des Königes bei seinem Tode, der sich damit der Ausführung seines gefaßten Entschlusses und seiner Folgen überhoben fühlte.«Daß Louvois durch ein Glas Wasser in seinem Hause, ehe er zum Könige ging, vergiftet worden, ist gewiß; wer die Veranstaltung getroffen habe, ihn wegzuräumen, ehe es zur Aufhellung käme, ist im Dunkel geblieben, gesetzt, daß es auch durch seinen Hausarzt geschehen wäre. – H. So endete Louvois.


Maintenon.

»Ihr seid natürlich,« sagt Fénélon zu ihr; »Ihr handelt gut, auch ohne daran zu denken, gegen Die, für die Ihr Geschmack und Achtung habt, aber zu kalt, wenn dieser Geschmack fehlt. Seid Ihr trocken, so geht Eure Trockenheit weit. Was Euch beleidigt, beleidigt Euch sehr. Ihr habt viel Ehrliebe, Liebe zur sogenannt guten, wohlverstandnen Ehre, die aber um so viel schlimmer ist, weil man sie für gut hält; eine dumme Eitelkeit würde man eher an sich heilen. Ihr seid von Natur zutrauend, vielleicht ein Wenig zu sehr gegen Menschen, deren Klugheit Ihr nicht gnugsam geprüft habt; sobald Ihr aber mißtrauisch werdet, kommt mir's vor, daß Euer Herz sich zu sehr zuschließt.«Mémoires de Mad. de Maintenon, T. XI, p. 211. –H. So sondirt der Arzt weiter.

Dem Fegefeuer ihrer Kirche ist diese Kaltverständige, Tugendhaft -Rechtgläubige wol entgangen, da sie es lange Jahre bei Hofe ausgestanden hatte und auch nach Ludwig's Tode bei ihren fehlgeschlagnen Hoffnungen bis an ihren Tod duldend ausstand. »Ach,« schrieb sie an eine junge Freundin, »warum kann ich Euch nicht meine Erfahrung geben? Euch den Ueberdruß sehen lassen, der die Großen verzehrt, die Mühe, die sie haben, ihre Tage auszufüllen! Sehet Ihr nicht, daß ich in einem fast undenkbaren Glück für Traurigkeit sterbe? Ich war jung und artig; ich kostete das Vergnügen und ward allenthalben geliebt; in reiferem Alter brachte ich Jahre in geistigem Umgang hin; ich kam in Gunst, und (ich versichre Euch, mein Kind) alle Stände lassen zurück – eine schreckliche Leere.« An ihren Bruder schreibt sie: »Montag reisen wir nach Fontainebleau; da bringe ich die Tage damit zu, daß ich weine, ersticke, mich zwinge und – mich als die unglücklichste Person in der Welt fühle.« Fast sollte man die wunderbare Frau für eine wiedergekommene Fee halten, der das Schicksal zusprach, die eine Hälfte ihres Lebens in gnügsamer Armuth weiß, die zweite Hälfte in abgelegner Hoheit schwarz zu erscheinen.

Die Schwachheiten des großen Königes in Anekdoten zur Schau zu führen, wäre ebenso altväterisch als kindisch; lese man sie in ihrer Ursprache. Wenn St. Simon sich Mühe giebt, die Gelassenheit des Königes auf seinem Sterbebett aus seinem Blut oder dem Scapulier der Jesuiten herzuleiten, warum schließt er, der Hofmann, dabei ein Drittes, die Seele des Königes, aus, nämlich seine von Jugend auf gemachte Königsseele? Vivre et mourir en Roi, ist ein königliches Glaubensbekenntnis zu Deutsch: »als Herr gelebt, als Herr gestorben«. Wenn einst im Schattenreiche Ludwig mit seinem Gefolge uns vorbeizieht: wir kennen ihn. Er geht aus der Maintenon Zimmer in die Tribüne, hört uns höflich an und spricht: »Je verrai.« Das Schattenreich hat ihn nicht verändert.Hier folgten als Schluß des ersten Heftes die Allegorie »Aeon und Aeonis« (Herder's Werke, II. S. 159–170) und das Gedicht »Hoffnungen eines Sehers vor dreitausend Jahren« (daselbst, I. S. 143–146). – D.



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