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Wenn ein Monarch den Namen des Großen verdient, so ist's Peter Alexejewitsch; und doch wie wenig sagt der Name! Er deutet nichts als ein Verhältniß an, das man nur höher oder tiefer nehmen darf, um zuletzt ihm in unermeßlich großen oder kleinen Größen ganz zu entkommen; eine charakteristische Eigenschaft des Mannes bezeichnet der Name nicht. Selbsthalter nennen sich Rußlands Monarchen; er war dies nicht allein, sondern Selbsteinrichter und Haushälter seines Reichs, ein allenthalben umher wirkender Genius, der hier anordnete, dort schuf und lenkte, dort anregte, lohnte, strafte – überall aus unermüdlichem Triebe er selbst, nie durch ihn ein Andrer. Dieser Trieb, diese Geniuskraft zeigt sich in seiner kleinsten und größten Unternehmung, verbunden mit Klugheit, Entschlossenheit und auch im wilden Zorn mit einer bald rückkehrenden Billigkeit und Menschengüte. Was jener Wilde von einem Engel Raphael's sagte: »Er ist meines Geschlechts!« gölte von diesem erhabenen Wilden.
Schon im Knaben zeigte sich der anordnende Genius, der in Moskau zuerst eine eigne Compagnie errichtete und in ihr selbst von unten auf diente. Dies Dienen von unten auf, der damaligen Denkart seiner Nation ganz entgegen, war, wie sein TagebuchS. Tagebuch Peter's des Großen, übersetzt von Backmeister. Riga. – H. (Zu Berlin war eine Übersetzung 1773 erschienen. – D.) zeigt, zu See und Land, in Handwerken, Künsten und im Kriege, Peter's Einmaleins, seine Regel; er glaubte, man könne nichts, was man nicht von unten auf gelernt habe. So lernte er den Schiffbau, das Drechseln, Eisenschmieden; so diente er militärisch hinauf zu See und Lande. Erst bei der Krönung Katharina's, wenige Zeit vor seinem Tods, wurde er Vice-Admiral; Shout by Nacht mußte er lange bleiben und würde der Admiralität übel begegnet sein, wenn sie ihn auf seine eigne eingereichte Supplik früher befördert hätte, als es ihm gebührte. Dies, wie alle seine Einrichtungen, waren ihm nicht Regentenspiel, sondern Ernst. Früh überwand er in sich seinen Abscheu gegen das Wasser und Wasserfahrten so sehr, daß der Seedienst zeitlebens ihm eine blinde Leidenschaft ward und die Fahrt auf dem Wasser ihm zuletzt sein Leben selbst kürzte.
Schauderliche Empörungen und Lebensgefahren umrangen ihn in der zartesten Kindheit; am Altar einer Kirche, wohin ihn seine Mutter geflüchtet, stand in einem Auflauf das Messer eines wüthenden Strelitzen schon an seiner Kehle, als die Stimme eines andern Aufrührers: »Bruder, halt! nicht am Altar!« ihn rettete. Nach vielen Jahren erkannte er diesen Strelitzen, fuhr, als er sein Gesicht sah, schaudernd vor ihm zurück und entfernte ihn schreckhaft so weit, daß dieser ihm nie vor die Augen mehr kommen konnte. Ohne Zweifel waren die Eindrücke, die er von so früh erlebten Scenen des häuslichen Aufruhrs und der Verrätherei in seinem Gemüth trug, Ursach, daß er bei Regungen dieser Art scharf, hitzig, oft grausam verfuhr, wie die Geschichte seines unglücklichen ältesten Sohns zeigt. »Ich weiß,« sagte er,S. Stählin, »Originalanekdoten von Peter dem Großen« [Leipzig 1785], hie und da. – H. »daß man mich auswärts grausam und einen Tyrannen nennt; ich muß es aber sein; denn ich habe zweierlei Unterthanen, hartnäckige und lenksame, treulose und treue.« Kein andrer als ein gefaßter, kluger und zufahrender Geist, wie Peter, hätte ein so ungeheures Widersprechen und Umgehen der Befehle überwinden, kein Andrer als er den Verschwörungen der Strelitzen, Bojaren, Roskolniken (der Altgläubigen) u. s. w. entgehen mögen. Einige Momente der Art reichen an die höchsten, die man in der Geschichte liest. Auf der See wagte er sich wie Cäsar mit dem Wort: »Der Czar kann nicht ersaufen!« durch alle Gefahren.
Früh, bei der Belagerung Azow's, lernte er den Mangel seines Reichs an Künsten und Kunstverständigen zu Lande und Wasser kennen; fortan war und blieb dieses bis ans Ende seines Lebens sein Hauptgedanke. Hierüber hörte er die Ausländer, vor Allen seinen Le Fort; hierin ließ er sich unterrichten und verwarf ungeprüft keinen neuen Gedanken; hiezu trat er seine zwiefache Reise durch Deutschland nach Holland, Frankreich, England an, sah und nutzte, was in den kleinsten und größten Städten zu nützen war. Unverdrossen zeichnete er auf in seine Schreibtafel, besprach sich mit allen Gewerben und Künsten, lud jedes Vorzügliche nach seinem Rußland und Petersburg ein, legte zu Allem selbst Hand an. Seinem Gesandten zum Nystädter Frieden trug er für sich Kunst-, Künstler-, Gewerb-, Haushaltungsgeschäfte auf; über diese sollte er ihm, über die Friedensunterhandlungen an den Senat berichten. An den Rand des Entwurfs einer Akademie der Wissenschaften bemerkte er Commissionen an seinen General in der Ukraine über Ochsen und Schafe. Sämmtliche wahre Wissenschaften sah er als unentbehrlich in ihrer hohen Nutzbarkeit an; er betrachtete sie sowol als Unterricht und Vervollkommnung zu größerer Tüchtigkeit als auch wie Werkzeuge zu unzähligen praktischen Vortheilen. In Rücksicht beider war ihm keine Wissenschaft gleichgiltig. Mathematik und Mechanik, Sprachen und Alterthümer, Artillerie, Predigten und die Schiffsbaukunst schätzte er jede zu ihrem Zweck, in ihrem Kreise; alle wünschte er bei seiner Nation einzuführen. Einen Vice-Admiral und einen General-Superintendenten, wie Bruinig, pries er gleich brauchbar, auszeichnend. Auf dem Todbette empfahl er seiner Nachfolgerin die Akademie der Wissenschaften unter seinen letzten, dem Reich unentbehrlichen Wünschen.
Sonderbar ist der Gedanke, daß, wenn Peter die Wünsche, die er seinem Reich bei der Bestürmung Azow's nöthig fand, nach dessen Eroberung dort befestigt, und von dort aus seine Plane zu See und zu Lande angelegt hätte: welch eine andre Gestalt hätte Rußland erhalten! Eine Residenz im schönsten Klima, am Ausflusse des Don, in der glücklichsten Mitte des Reichs, von da der Monarch seine europäischen und asiatischen Provinzen wie die rechte und linke Hand gebrauchen, dem türkischen Reich hätte Trotz bieten, dem Handel der drei alten Welttheile, mithin auch des vierten, im Schooß sein mögen! Denn von den ältesten Zeiten an, unter Griechen, Constantinopolitanern, Genuesen, sogar unter Türken, Tataren, Kosacken, blühte diese Gegend durch den Handel.S. die Geschichte Azow's im zweiten Bande der »Sammlung russischer Geschichte«. – H Der Blick irrt wie in einem großen Garten umher, wenn man von hier aus zur Rechten und Linken die Provinzen Rußlands betrachtet. Die Küste Azow's ist ihm ein Schlüssel der Welt, seine gelegenste Ausfuhrt. Von hier aus hätte das ungeheure Reich Europa genutzt, ohne ihm je beschwerlich zu werden; und welche Mühe mit dem Zwange der Nation, mit dem Bau Petersburg's, nach und unter wie blutigen Kriegen und Siegen, hätte Peter sich damit erspart! Seine erste europäische Reise aber, insonderheit die holländische Lebensart, zu der sich Peter in Saardam gewöhnte, richtete seinen Blick westwärts. Europa wollte er näher sein, einen Hafen an der Ostsee und in ihm Holländer, Engländer nachbarlich haben. Also, als August von Polen leider ihn in das Bündniß gegen Schweden zog, war sein Wunsch nach einem Hafen an der Ostsee unaustilgbar.
Zu rechter Zeit, wie leicht hätte Karl XII. auch diesen Wunsch befriedigen können! »Zweimal«, sagte Peter vor dem Nystädter Frieden, »hatte ich meinem lieben Bruder Karl Frieden angeboten, zuerst einen Nothfrieden, sodann einen generösen Frieden, den er mir aber abgeschlagen hat. Nun mögen die Schweden den dritten, einen Zwang- oder Schandfrieden, mit mir eingehen.« Er erfolgte, so daß, wie Peter sagte, er ihn sich selbst nicht besser hätte vorschreiben mögen. Und so kippte sich Rußland, freilich mit allen seinen asiatischen Provinzen, auf diese neue Spitze am europäischen Ende seines Reichs. St. Petersburg, das neue Amsterdam, war gegründet.
In jedem Lande, fast in jeder Stadt, die Peter auf seinen Reisen besucht hat, sind Anekdoten von ihm geblieben, die ihn in den verschiedensten Situationen als Denselben schildern. Eine gute Anzahl solcher Anekdoten aus seinem öffentlichen und häuslichen Leben hat Stählin zusammengetragen, jede mit dem Namen ihres Autors, alle mit dem Siegel der Wahrheit bezeichnet. In allen lebt und webt Peter. Fast keinen Regenten der Vor- und Mitwelt kennen wir so genau als ihn, selbst Friedrich II. von Preußen nicht, weil Peter offener lebte. Bei mancher seiner Rauhheit bewundern und ehren wir immer den Regenten, zuweilen selbst schaudernd. Vor Allem ehren wir seine Gefaßtheit, sich unter Glücksumstände zu fügen und derselben sich nie zu überheben. Seine Briefe nach dem Siege bei Pultawa und in seinem von den Türken eingeschlossenen Lager am Pruth zeigen mehr als alle seine kriegerischen Verwüstungen den Helden. Seinen lieben Bruder Karl bedauerte Peter über seine Unbiegsamkeit auch in Bender und Warnitza; er weinte, da ihm die Nachricht von seinem Tode vor Friedrichshall zukam.
Geister wie Peter sind aus ihren Lebensjahren nicht zu berechnen; für Jahrtausende geschaffen, müssen sie Jahrtausende fortwirken, ehe man reine Erfolge ihres Bestrebens sieht. Billig beurtheilt man sie also nach ihrem Bestreben und nach dessen Maximen; die Grundsätze Peter's waren in Allem treu seinem Vaterlande, groß und praktisch. Seine Politik war offen und wahr, obgleich er nicht wollte, daß selbst ein Papagei in seiner Kathinka Zimmer die gesprochenen Worte: »Nach Persien geht der Zug!« nachplaudern sollte. Was über den Tod seines ältesten Sohnes, dessen Art ihm verschwiegen ward, in seinem Innern vorgegangen, sieht man bei dem Ableben seines zweiten Sohnes, Peter's. Trostlos schloß er sich eine Reihe von Tagen ein, vergessend der ganzen Haushaltung seines Reichs und aller seiner Lieblingsplane. Niemanden ließ er vor sich auf alles Klopfen, Bitten und Rufen, auch nicht die Mutter des verstorbenen Kindes, seine Gemahlin, bis ihn vor seiner geschlossenen Thür der ganze Senat aus seinem traurigen Todesschlaf weckte. Das Verhängniß gönnte ihm die Freude nicht, einen Nachfolger zu sehen, dem er sein mit so vieler Mühe gepflanztes Reich zurückließe; zu rasch hatte er sich diese Hoffnung selbst abgeschnitten; denn auch die Vermählungen seiner Töchter waren, als er starb, noch unbeendigt.
Die letzte Periode seines Lebens, seitdem er Mons hinrichten ließ, obgleich in sie auch die schon vorher festgesetzteSo ist wol statt »vorhergesetzte« zu lesen. – D. Krönung der Katharina trifft, war gewiß in seinem Innern keine friedsame Epoche. Ungeduldig seines Hauses, suchte er sein Element, das Wasser, auch in der von ihm lange verschwiegenen letzten Krankheit durch Fahrten und Gefahren. Er stürzte sich, wie seine Aerzte sagten, selbst in den Tod, aus dem ihn, wie Boerhave meinte, für fünf Kopeken Medicin hätte retten können. »Hätte er es uns nur früher gesagt, und wäre er nicht ausgefahren,« sagen seine Aerzte, »noch 40 Jahr hätte er leben können!« Nun aber starb der große Mann nach Schmerzen und Qualen den 25. Jänner 1725 im dreiundfunfzigsten Jahre seines Alters. Wenn es wahr ist, daß er sich noch in seinen Todesschmerzen habe malen lassen, so zeigt auch dieses die Standhaftigkeit seines warmen Charakters; denn gewiß, unter allen Sterblichen starb in diesen Jahren Niemand unwilliger als er, er, der Schöpfer, Vater, Künstler und leidenschaftliche Liebhaber seines – unvollendeten Reiches.
Unterredungen auf einem Spaziergange
D. Am ersten schönen Frühlingstage finde ich Dich hier? Kein Wunder! Wie schnell und prächtig nach dem gestrigen ersten Gewitter diese weite Hecke blüht! Wie mit Schnee bestreut, glänzt sie. Es ist aber blühender Schnee, die erste Baumblüthe des gekommenen Frühlings.
E. Man sagt: »Wenn der Schwarzdorn blüht, kommen keine Nachtfröste mehr.« Dicht verschlossen hielten sich die Blüthen, bis der Frühling völlig da war. Jetzt ist er da; mit Macht sind sie hervorgedrungen und begrüßen ihn mit halboffenem Auge. Auch wir begrüßen ihn mit der Freude des Schwarzdorns.
D. Man hält sie sehr gesund, diese Blüthen. Aber – wem sannst Du nach, Freund, da Du so betrachtend vor ihnen standest?
E. Weder ihrem Nutzen, noch ihrer Schönheit. Du weißt, wie sonderbar unsre Seele manchmal Ideen paart. Ich kam von einem Buch (wir haben hundert Bücher der Art), das auf die schnelle und schnellste Cultivation der Völker drang; da fielen mir diese blühenden Büsche ins Auge. Ich dachte an das gestrige Ungewitter, das sie, wie man sagt, mit Macht hervortrieb, und träumte dann weiter –
D. Wovon?
E. Von Vielem. Ich dachte daran, daß die Natur gewöhnlich diesen Weg nicht gehe, daß sie ihre Kinder nicht übereile, sondern langsam erziehe. Der Keim, das Gräschen, der Halm, die Blättchen mit ihren Knospen, feiner und feiner; dann erst die Blüthe, und wenn, beschirmt von ihr, diese reif und gesichert ist, dann erst die Frucht. Mit einigen Gewächsen geht sie freilich diesen Weg schneller; treibt sie aber je auf einmal dicht am Boden sogleich die Blume hervor?
D. Erinnerst Du Dich nicht an die Zeitlose, die auf einmal aus der Erde hervorblüht?
E. Es ist auch die letzte Blume des scheidenden Herbstes, die Ankünderin des kommenden Winters. Wir trauern, wenn wir mit Zeitlosen die Wiese überdeckt sehen, und fragen uns sogleich bekümmert: »Wie lang ist's noch hin, ehe wir Blumen des Lenzes, Himmelsschlüssel, Veilchen wiedersehen? Werden wir sie erleben?«
D. Jetzt haben wir sie erlebt, diese fröhliche Zeit; wir freuen uns also auch dieser Blüthe. Aber verzeihe, Freund, Deine Anwendung, wie die Natur ihre Kinder erzieht, und wie Menschen Menschen, ja Völker bilden sollen, scheint mir einer großen Einschränkung zu bedürfen. Die Natur ist so groß und reich –
E. Der Mensch dagegen so klein und arm –
D. Jene hat so viel Hilfsmittel und Kräfte –
E. Der Mensch so wenige –
D. Jene darf sich so lange Zeit nehmen, als es ihr gefällt, sie kommt doch zu ihrem Ziel –
E. Und käme der Mensch je zu dem seinigen, wenn er irgend etwas außer der Zeit thäte? Eben wie die Natur bei jedem Gewächs seine und eben damit ihre Zeit hält (das Jahr, die Jahrszeiten des einen sind nicht der Kalender des andern), sollten die Menschen nicht auch bei dem feinsten Werk, das sie zu treiben haben, indem sie die Natur nicht etwa nur nachahmen, sondern sie veredeln, sollten sie nicht auch mit jedem Gewächs seine Zeit halten, d. i. bei keinem Frucht vor der Blüthe, bei keinem Blüthe im Keim fordern?
D. Doch aber, wo es die Natur des Gewächses will, die Blüthe durch ein befruchtendes Donnerwetter hervortreiben? Ich dachte eben an Peter den Großen, der seine Nation auf einmal, und zwar mit Gewalt in Künsten blühend machte.
E. Ich auch; wir finden uns also auf einem Wege. Lassen wir das Gleichniß und reden von Thatsachen der Geschichte. Es ist wol das wichtigste Thema, wovon in unserm Jahrhundert, in dem Alles aufs Schnellste cultivirt werden soll, geredet werden mag –
D. Und geredet wird, raisonnirend und deraisonnirend. Du glaubst also, Peter der Große habe sich in der zu raschen Bildung seines Volks übereilt?
E. Ich habe zu viel Verehrung gegen das Andenken dieses großen Mannes, als daß ich über den kleinsten seiner Entwürfe urtheilen wollte. Hat jedes Gewächs seinen Kalender in sich, so hatte den seinigen auch er. Er sah ein, wie viel er zu thun habe; ein unermeßliches Werk, die Bildung eines so großen, großen Reichs, so vieler, vieler Nationen lag vor ihm. Dagegen wie kurz ist das längste menschliche Leben! Und da er sich bald, und mit erneuter Wunde zweimal, ohne Nachfolger, ohne Hoffnung der Fortsetzung seines Werkes, in seinem Sinn, zu seiner Absicht sah, mußte er nicht eilen?
D. Und wohin ihn Ueberlegung nicht führte, dazu trieb ihn sein rascher Geist, ohne den er gar an keine neue Schöpfung seines Volks gedacht hätte; er wäre,In der Adrastea stand »wäre er.« – D. seinen Vorfahrern gleich, auf dem alten Czarenthron in Moskau sitzen blieben. Sein Geist aber, die göttliche Unruhe, die ihn anspornte, zuerst sich selbst mit Kenntnissen zu bereichern, Alles zu versuchen, Künste jeder Art zu lernen; die liebenswürdige Voreiligkeit (étourderie), die auf seinen Reisen ihn zwang, an Alles selbst Hand anzulegen –
E. Die zwang ihn auch, seiner Nation dieselbe Schnelligkeit der Begriffe und Fähigkeiten, dieselbe Lust und Liebe zuzutrauen und geben zu wollen, die er in seinem Geist und in seiner Brust fühlte. Da finden wir uns wieder im Urtheil bei einander. Jeder außerordentliche Mensch, der über die Eitelkeit, sich für den Einzigen zu halten, hinaus ist, traut Andern seine Kräfte, und wenn er's mit Begeisterung redlich meint, auch seinen guten Willen zu. So Peter.
D. Was den guten Willen betrifft, da wußte Peter zu gut, was er seiner Nation zuzutrauen habe. Er kannte aber auch das Mittel dagegen, das er in der Hand und an der Seite führte. In der Hand sein berühmtes spanisches Rohr mit dem elfenbeineren Knopf, Dubina genannt; an der Seite den berühmten Hirschfänger, den er im vollen Senat mit einem Schlage vor seine Brust blank auf den Tisch warf: »Seht, das ist Euer Patriarch!« – und zornig hinausging. Seitdem trug Niemand mehr auf einen Patriarchen an; seine Dubina that auch gute Dienste.
E. Doch nicht mehr und andre, als sie thun konnte. Geben wir einer Nation so viel Kaufleute, Schlösser und Eisenschmiede, Fabrikanten, Stückgießer, Artilleristen, Mechaniker u. s. w., als wir wollen: eine kunstlernende, kunsterfahrne, ja, wir setzen sogar kunstreiche, Nation kann sie dadurch geworden sein, aber auch eine gebildete, civilisirte? An der leichten Erlernung der mechanischen Künste, am Nachahmungstalent der Russen in Sprachen, Geschicklichkeiten, Fertigkeiten u. s. w. hat Niemand, der sie kennt, gezweifelt; sie sind hierin vielleicht das erste Volk in Europa. Das erste Volk in Ansehung der Aufklärung und Bildung zu sein, den Ruhm wird sich, auch nach einem Jahrhundert seit Peter, die russische Nation selbst nicht anmaßen.
D. Ein rüstiger, kluger Hausvater, was schafft er sich zuerst an? Was er am Nötigsten braucht. Zu seinen nächsten Absichten bedurfte Peter die Geschicklichkeiten und Künste, die er in Rußland nicht fand. Seine eigne Liebhaberei trieb ihn allerdings, das Werk zu fördern, und so ging er, auch für seine Nation, in Ansehung dieser zuerst und unvermeidlich auf Jagd aus. Er drängte sich näher nach Europa; seine Nation mußte vor Allem ein europäisch Volk, sein Petersburg ein Amsterdam werden.
E. Da finden wir uns wieder zusammen. Er maß die Nation nach sich, nach seinen Neigungen und Planen; welcher Gesetzgeber und Haushalter machte je es anders?
Verlassen wir aber dieses schönbeblümte Gebüsch und gehen weiter. Das offne Feld lockt, der laue Tag weht lieblich.
Siehst Du dort jenen Landmann, wie er seinen väterlichen Boden, der geruht hat, umpflügt, bracht, die darin verborgnen Unkrautwurzeln zerstückt, die Klöße zerklopft, dem Anscheine nach unbarmherzig mit ihm umgeht, dennoch aber höchst geduldig und verständig?
Siehe jenen andern, der da säet! Gemessenes Schrittes schreitet er vor, damit die Saat nirgend zu dünn falle; die vorsichtige Egge fährt ihm nach und begräbt den edlen Samen. Alles in Hoffnung.
Hier nun bemerke das grünende Winterfeld! Unter Schnee und Eis lag es verborgen; der Schnee deckte, wärmte es, er gab ihm erquickende Frische; die Frühlingssonne schmolz die hartgewordne Decke der Eisblumen und führte den Samen aus der Erde hervor. Sage mir, giebt es ein schöneres Grün? giebt's einen erfreuendern Anblick?
D. Und die Anwendung?
E. Der großen Natur können und dürfen Menschen in Allem nicht nachahmen; die läßt Jedes an seinem Ort zu seiner Zeit gedeihen und wachsen, ersterben und ausgehn. Des Menschen, auch des mächtigsten und größten, Fleiß ist ein durch Gesetze engbegrenzter Kunstfleiß. Wie, wenn ein Landmann auf einmal mit und durch einander vorm Pfluge säen, vor Reife des Gesäten ernten wollte, in Furcht, er möchte die rechte Erntezeit nicht erleben? Oder er finge hier, dort und da auf einmal an, und der Befehl seines Herren riefe ihn von seiner an hundert Enden angefangenen Arbeit, der er unermüdlich obgelegen, fort?
D. Widriger Gedanke! So wird werden, was nach des unermüdeten Peter's Tode ward. Manches Werk wird liegen bleiben, manches untergehen, in manchem sein Plan verlassen werden. Läßt er indessen eine tüchtige Haushälterin, die seine Entwürfe kennt, und tüchtige Dienstboten nach, die das Werk, wenn auch mit Aenderungen (denn die Zeit ändert Alles), nur hie und da fortsetzen, so war die Mühe jenes großen ersten Haushalters gewiß nicht vergebens. Mich dünkt, eben dieses war der Fall mit Rußland, wie die Geschichte des fortlaufenden Jahrhunderts zeigt. Für Rußland blieb es Peter's Jahrhundert. Was er, der Mächtige, gepflanzt hatte, konnte Niemand ganz entwurzeln: die Form und Tendenz des von ihm gestellten Reichs blieb, ja von allen Seiten ward sie erweitert.
E. Eben. Und wenn nun Peter das Reich, wie Columbus sein Ei, auf eine Spitze gestellt hätte, auf welcher es sonach stehen bleiben mußte, auf der es aber dennoch nur gezwungen stünde? Denn natürlich steht das Ei doch nicht, wie der große Columbus es stellte.
D. Ich verstehe die Anwendung des Gleichnisses nicht.
E. Siehe die Weltkarte an: wohin gehört Rußland? zu Europa oder zu Asien?
D. Zu beiden. Dem größten Erdstrich nach zwar zu Asien; sein Herz aber liegt in Europa.
E. Wenn dies Herz genau zwischen beiden Welttheilen läge? Gehen wir die Namen der Völker durch, die sich in Rußland angepflanzt haben: Gothen, Alanen, Roxolanen gingen durch; Hunnen und andre mongolische Völker streiften hinein; Slaven, Bulgarn, Avaren, Chazaren, so manche andre asiatische Völker blieben und mischten ihr Blut mit einander –
D. Von einem europäisch-gothischen Stamm indeß, den Warägern, ward der russische Staat gestiftet.
E. An Zahl waren vergleichungsweise diese Ankömmlinge Wenige; sie verloren sich in der Menge andrer Völker wie Tropfen im Meer, obgleich die Namen ihrer Städte und ihre Stiftungen blieben. Dagegen bei dem großen Zuge asiatischer Nationen nach Europa war Rußlands Ebne der Durchgang, und gingen sie zurück, der Rückgang. Es ward ein stehendes Meer der verschiedensten Völker, in Sprache, Bildung, Sitten verschieden. Blättere Georgi's »Beschreibung der Nationen des russischen Reichs« oder die gesammelten Wörterbücher der mancherlei Sprachen durch, die seine Bewohner reden: welch eine Welt von Völkern! Unter diesen Sprachen erhielt sich ursprünglich keine gothische, keine deutsche.
Aber weiter! Heiden und Mohammedaner abgerechnet, woher bekam Rußland seine Religion?
D. Aus Constantinopel, woher es auch das Staatsgepränge des Hofes und seine frühere Bildung in Künsten erhielt. Seine Residenz war Kiew.
E. Wie viel nun in der sogenannt griechischen Religion Asiatisches sei, weißt Du. Es ist die älteste Form des Mönchschristenthums, wie es sich aus Asien in das griechische Reich zog und sich da asiatisch-griechisch organisirte. Betrachten wir die Handelskarte Rußlands; aus welchem Welttheil sind seine meisten Produkte?
D. Aus Asien, ohne Zweifel.
E. Dieses schon jetzt, und welche könnten gewonnen werden, wenn jene ungeheuern Gegenden Rußland, oder Rußland dem productreichen Asien näher läge! Da nun der Berg nicht zum Propheten kommt, wie, wenn der Prophet zum Berge ginge?
D. Was heißt das?
E. Welchen Meeren, den bosnischen Meerbusen abgerechnet, gebietet Ruhland natürlich? Dem Schwarzen, wie dem Weißen und Eismeere, der kaspischen See, dem Meer zwischen Asien und Amerika. In Ansehung des Handels, der Aus- und Einfuhrt, welch ein ungeheurer Weltstrich von Meeren! Bemerken wir nun, daß in den ältesten Zeiten ein so großer Handel, von den Küsten sowol als aus dem Herzen Asiens hinaus, über das Schwarze und kaspische Meer durch Taurien und die Tatarei, durch Rußlands Ströme und Länder ging; bemerken wir, daß Rußland die Schlüssel zu den Dardanellen, zu Constantinopel und dem Archipelagus in seinen Händen habe, daß auf so verschiedenen Wegen die Schätze Asiens und Amerika's ihm friedlich offen stehen; bemerken wir, wie unzugänglich gesichert es von seiner europäischen Seite ist –
D. Petersburg gesichert?
E. Du vergissest, daß wir Peter's Eroberung, den bottnischen Meerbusen, vergessen sollten. Zum leichtern Anblick der Sache (denn über das Vergangne zu reden, ist ebenso langweilig als widrig) denke Dir, daß wir nach einigen Jahrhunderten wiederkämen. Rußland hätte seinen Mittelpunkt am Schwarzen Meer gefunden; seine astatischen sowol als europäischen Provinzen hätte es fruchtbar, nutzbar, urbar gemacht, und alle seine Völker, jedes nach seinem Maß, in seinen Sitten, cultivirt. Aus dem unzugänglichen Herzen Asiens wäre die Aorta aller Handelswege geöffnet; die osmanische Pforte wäre nicht mehr; das mittelländische Meer wäre, was es sein sollte, in allen seinen Küsten und Häfen ein Freihafen der Welt, das Mittelmeer aller Nationen des östlichen Welthandels: welch ein ungeheures, reiches, mächt'ges, arbeitsames, gewerbvolles Reich wäre Rußland! Dabei Europa ebenso unschädlich als unzugänglich. Der unbelohnten Mühe wäre es entnommen, sich in des kleinen westlichen Europa kleinste Händel zu mischen; Völker, deren es für sich so sehr bedarf und dann gewiß besser anwendet, über seine Grenzen europäischer Tracasserien wegen hinaus zu spenden, damit sie, an den Alpen begraben, in Rußland nie wieder aufstehen mögen.Es war vormals der Glaube gemeiner Russen, daß, wenn sie auswärts stürben, sie in Rußland wieder erstünden.– H. In seiner prächtigen Mitte zwischen Europa und Asien geböte es der Welt friedlich.
D. Und die an der Ostsee eroberten Provinzen?
E. Die schwächste und entbehrlichste Seite Rußlands – über die walten Umstände, Gesinnungen, Bündnisse, Verträge, endlich das mächtige Schicksal. Doch gnug von diesem prächtigen Luftbilde eines Reichs, wie es nach einigen Jahrhunderten sein, vielleicht auch nicht sein wird. Die Zeit führt ihre Entwürfe auf ihre Weise aus, der Niemand vorgreifen darf; der bestehenden Convenienz der Dinge indeß, also Naturabtheilungen und Naturgrenzen, muß sich zuletzt Alles fügen. Blicke noch einmal auf diese idealische Traumkarte des schönsten Winkels der Erde, der Küstenscheide zwischen Asien und Europa; denke Dir diese Küsten, wie ehemals durch die ionischen Colonien, alle cultivirt, Griechenland und seine Inseln blühend, Constantinopel und die ganze Levante ein Freihafen europäisch-asiatisch-afrikanischer Völker, das unwirthbare Schwarze Meer (Pontus ἄξενος) zum zweiten Mal gastfreundlich (Pontus euxinus).
D. Ich verliere mich in dem schönen Traum. Die mildesten Provinzen des russischen Reichs, Podolien, Tschirkassien u. s. w., denke ich mir sodann auch cultivirt, als den freundlichen Mittelpunkt der alten Halbkugel. Wenn wir nach Jahrhunderten wiederkommen, besuchen wir diese einst blühenden Küsten oder werden gar dort geboren. Da sehen wir dann Sestos und Abydus, den Ida und die Trojanische Ebne; Griechenland finden wir aufgeräumt, aufgestellt seine schönen Ruinen, seine Tempel, Inschriften und Statuen allenthalben ans Licht gefördert. Was während der Kreuzzüge Venedig und Compagnie zu früh vornahmen, finden wir dann, zu rechter Zeit unternommen, wirklich; allenthalben menschliche Regierungen, in Lacedämon, Athen, auf Lesbos, Delos, in Smyrna, in Epirus. Wäre es nicht eines zweiten größeren Triumphes werth gewesen, wenn Peter sein Werk dort fortgesetzt hätte, wo er es angriff, am Schwarzen Meere?
E. Die Zeit war noch nicht da. Dort war sein erster Feldzug; die Pforte war damals noch zu mächtig. Mit seinen westlichen Lieblingsoperationen erschwerte er sich freilich sein Werk sehr; aber er trieb es mit unzerstörbarer Lust und Liebe, er lebte wie ein Holländer. Die Großen seines Reichs, Knäsen und Bojaren, waren freilich nicht geneigt, so zu leben; asiatisch Blut, Constantinopolitanische Prachtliebe, Tscharsgorod's Lebensweise floß in ihren Adern. In Peter's Reich sollte Alles Dienst sein, und so lange er befahl, diente – und stahl man, wie sein Polizeiminister Jaguschinski ihm Letzteres bei vollem Senat im Namen Aller unverholen sagte. Fremde Künstler und Glaubensgenossen mochte der große Kaiser einführen, sie cultivirten von innen seine Nation nicht. Der Nationalcharakter, die griechische Sitte und Lebensweise, endlich die griechische Kirche standen felsenfest da; sie konnten weder, noch wollten bei einer andern, geschweige der holländisch-deutschen Sitte und Kirche zur Lehre gehen Peter indeß erfüllte seinen Beruf; mit dem übersehendsten Geist diente er auch im Bau seines Staates von unten hinauf, so weit er kommen mochte; den Fortbau überließ er der Nachzeit. »Wenn ich nicht Czar geboren wäre,« sagte er, »möchte ich Admiral von Großbritannien sein.« Wolan! wenn er wiederkommt, wird er vom Schwarzen Meere oder von Constantinopel aus Groß-Admiral der Betriebsamkeit und des Gewerbes gesammter Theile der alten Welt werden; sein Bild, wie des Kolossus zu Rhodus, beschreite am Hellespont beide Welttheile sichernd, friedlich!
D. Kennst Du das Denkmal, das ihm Katharina II. errichtete?
E. Wer sollte es nicht kennen, da Falconet, sein lauter Meister, und auch für oder wider Falconet seine laute Nation, darüber so viel geredet und geschrieben! Bei solcher Gelegenheit ist dem guten Gaul des alten Marc-Aurel's übel begegnet worden.Observations sur la Statue de Marc-Aurèle. Oeuvres de Falconet T. I. p. 157. – H.
D. Was hältst Du von Falconet's felshinansprengendem Reiter und Roß, dem eine Schlange in den Schweif beißt?
E. Es ist ein französisches Kunstwerk. Nur ein toller Reiter jagt den Fels hinan, verständige reiten langsam; und Peter war ein sehr verständiger Reiter. Weder auf dem Felde der Niederlage bei Narva, noch auf dem Siegsfelde bei Pultawa, weder am Fluß Pruth, da er den letzten Brief an sein Reich zu schreiben glaubte, noch da er zum Nystädter Frieden Vollmacht gab, verlor er die Tramontane. Also das Hinansprengen an den Fels ist für Peter wenigstens nicht charakteristisch, wenn es auch die Reitergesetze erlaubten.
D. Aber auf den Fels der Ehre? ohne Ziel?
E. Dahinan sprengt kein Vernünftiger; im Spazierritt ohne Ziel reiten wir ganz gemächlich. Und ritt Peter denn ohne Ziel? Welche menschliche und göttliche Macht dürfte sich's erkühnen, ihn als einen Zwecklosen, der einen nackten Fels hinansprengt, darzustellen? Das Auge will wissen, wohin er so eilt.
D. Wie gefällt Dir aber die ihm beigelegte Handlung selbst, das Reiten? Da Falconet den guten Marc-Aurel über seine Reitkunst so scharf mitgenommen hat, darf man es mit ihm auch scharf nehmen.
E. Nicht schärfer, als es der Zweck der Kunst, die charakterisirende Wahrheit gebietet; und da dürfte man sagen: Peter ritt nicht, sondern er fuhr. Am Liebsten zu Wasser, sodann zu Lande, unabtrennlich von ihm die berühmte Dubina.Sein spanisches Rohr mit dem Elfenbeinknopfe. – H. Kann oder will ihn nun die Kunst nicht fahrend zu Wasser bilden (denn dies war doch das Lieblingsvergnügen seines Lebens), wie er z. B. im heftigsten Sturm das Segel ändert, das Steuer erfaßt und zu dem fremden Gesandten auf seine complimentarische Todesangstrede ruhig erwidert: »Niä boos!« (Seid nicht bange!) und bald darauf gut holländisch: »Myn Heer, wenn Ihr ersauft, so ersaufen wir Alle, und da wird Euer Hof von Niemand Rechenschaft fordern« – wenn nicht so, so weiß ich nicht, wie an der Newa zwischen den von ihm aufgerichteten Gebäuden der Cavallo zu ihm gehört.
Arma virumque»Die Waffen und den Mann«. – H. [Der Anfang der Aeneïs, der auch zur Bezeichnung des ganzen Gedichts steht. – D.]
leidet etwa die Kunst, bei ihm aber nicht
Virum atque caballum.»Den Mann und das Roß«. – H.
Laß Andre heldenmäßig den Felsen hinaufgaloppiren, Peter nicht also, wenn die Statue ein Sinnbild seines Charakters und Lebens sein soll. Vollends die Schlange hinten am Roß? Mich dünkt, Peter bestand alle Gefahren vorwärts. Zum Thron hinauf hatte er zu kämpfen; als er droben war, achtete er den Biß der Otter hinter ihm nie. Vor ihm richtete sich zuweilen die Amphisbäne noch auf, er aber zerhieb sie. Auch diese Allegorie ist also unpassend und nichtssagend. Ueberdem je höher die Statue des Helden steht, desto kleiner wird er; der weit hergeschaffte Fels mußte zersprengt werden u. s. w.
D. Wie würdest Du aber Peter stellen?
E. Auf seine Füße; auf denen stand er!
D. Und würdest ihn bekleiden?
E. Trotz aller Falconet'schen Klügeleien kleidete die Kunst ihn, wie man ihn in Brustbildern gewöhnlich sieht, mit dem Panzer; denn ein gepanzerter Mann war er im Namen seines ganzen Reiches.
D. Und gäbest ihm in die Hand?
E. Nichts als eine Rolle, worauf die Karte seines Reichs und der Riß Petersburgs gezeichnet stünde. Künste, die aus der Zeichnung entspringen, waren seine Lieblingsgeschäfte; die Gründung Petersburgs war das Lieblingswerk seines Lebens. Diesen Riß zeigte er vor, mit seitwärts gewandtem Gesicht, als ob Jemand, sein Freund oder Feind, neben ihm stände und er ihm ruhig ins Antlitz schaute. Sein allbekanntes und allkenntliches Gesicht wünschte ich nicht idealisirt: Peter darf sich seines Gesichts nicht schämen. Eine Art wilder Majestät ist in ihm mit heiterer Bonhommie gemischt; Glanz auf seiner Stirn, denkender Ernst in seinen Augen.
D. Und Du bekränztest sein Haupt nicht?
E. Außer dem Lorbeer verdiente Peter gewiß den Eichenkranz der Bürgerkrone, auch deswegen, weil er die Eiche leidenschaftlich liebte; mit dem Lorbeer hat sein jugendliches Haupt schon die Denkmünze auf die Eroberung Azow's bekränzt. Zu Füßen legte ich ihm den Lorbeer mit Degen, Hirschfänger, der Dubina und allerlei mathematischen Instrumenten, durch die er schuf und wirkte. Auf eben dem Postement, ihm zur Seite, stünde der russische Adler, in der Klaue den Blitzstrahl, in Peter's volles Haar aber schlänge sich das Eichenlaub, die Bürgerkrone.
D. Und auf die Seitenfelder des Postements würde gebildet?
E. Kein Prometheus, wie er Menschen bildet, oder dergleichen allegorische Embleme. Petern gnügt die That, und er ist reich an Thaten. Die vornehmsten derselben stellten sich auf den Seiten des Postements dar, mit dem bloßen Namen, mit dem er sich nennen ließ, Peter Alexejewitsch I.
D. Wo stelltest Du die Statue hin ?
E. Auf keinen freien Platz, wohin, zumal unbedeckt, die Statue nicht gehört, sondern in eine Rotonde. Da stünde Peter, wie in der Vaticanischen Rotonda Apollo unter den Musen, Peter am erhabensten Ort; seine Nachkommenschaft stünde oder säße um ihn, jede Gestalt, wie dort die Musen, charakteristisch gebildet. Katharina II. säße ihm gegenüber. Die Geschichte des Jahrhunderts erfüllte zur Hälfte diese Rotonda, die andere Hälfte bleibt kommenden Zeiten.
D. Höre ich nicht Deinen Apollo sprechen in dieser Versammlung, indem er den Riß seines Reichs und seiner Stadt zeigt: »Sehet her! Ich that, was ich thun konnte, fing an, wo ich anfangen zu müssen glaubte und mich getraute, von unten. Weiter zu kommen, verhinderte mich der Tod und das Schicksal. Allenthalben aber griff ich das Werk redlich an und ließ es zur Fortsetzung meinen Nachfolgern; denn vollendet wird es nie. Wie weit seid Ihr gekommen? woran arbeitet Ihr jetzt?«
E. Hast Du die Ode Klopstock's an Kaiser Alexander I. gelesen?Sie stand im Decemberhefte 1801 der »Minerva« von Archenholz. – D. Die in ihr glückwünschende Hoffnung wird Dich freuen. Da sind wir eben zu Hause.
Ode von Klopstock.
(Im October 1801.)
Erscheinen sah Dich, heilige Menschlichkeit,
Mein wonnetrunknes Auge. Begeisterung
Durchglühte mich, als in dem stillen
Tempel ich sahe der Wohlfahrt Mutter
Zur Zeit der Leugnung Dessen, der schuf! zur Zeit
Der nur verheißnen, neuen Beseligung
Der Nationen, in den stummen
Hallen, ich sahe die Gottbelohnte.
Allein die Stille floh; in dem Tempel scholl's
Von frohen Stimmen. Eine der Stimmen sprach:
»Euch wägt die Menschlichkeit, Gebieter!
Staub ist der Ruhm auf der ernsten Wage.
»Wenn Eure Schale sich nur ein Wenig hebt:
Weh Euch alsdann schon!« »Wie auch die Vorwelt,« sprach
Der Stimmen eine, »wie die spätern
Völker vergötterten Alexander,
»Ist Schmach doch dieser Name den Herrschenden,
Die er uns nennet.« Eine der Stimmen sprach:
»Her von der Ostsee bis gen Sina's
Ocean herrschet ein edler Jüngling.
»Der hat des Namens Flecke vertilgt; der ist
Des Streiters am Granicus, bei Arbela,
Des Streiters in den Wäldern Issos',
Aber im schöneren Kampf, Besieger.
»Der hat gesehn der heiligen Menschlichkeit
Erscheinung.« Thaten folgten dem Blick'. Nun scholl's
Von Melodien, und tausend Stimmen
Feierten Russiens Alexander.