Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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18. Jonathan Swift.

Widrig ist's, wenn man diesen vielumfassenden, tief eindringenden Geist fast immer nur mit dem Namen eines Satirikers nennen hört, und zwar in dem schlaffen Sinn, nach dem die Satire entweder ein müssiger Spott ist oder zunächst ans Pasquill grenzt. Keine Silbe bei Swift (seine Puns und andre Spielwerke ausgenommen, die sein Spruch: Vive la bagatelle! entschuldigen möge) ist blos der Satire wegen da; er umfaßt jeden seiner Gegenstände und erschöpft ihn mit ebenso treffendem Witz als scharfem Verstande. Vorurtheil oder Laster, Thorheit oder Albernheit sind bei ihm, und zwar in der Einkleidung, die jedem gebührt, von der Wurzel aus untersucht und zum Ideal ihrer Gattung gehoben.

Sehet seine drei Brüder, Lord Peter, Martin und Johann; leset seinen John Bull und Hokus, seine Yahoos und Huynhms:Swift schreibt »Houyhnhums«. Klopstock (Oden, 2. 2. 58) macht daraus »Houyhmeß«. – D. sie leben und werden leben, so lange der Grund, worauf diese Gestalten dastehn, dauert.

Das Verhältniß der Freidenker zur englischen Kirche, des armen Irlands zu England, der Religionsverächter gegen die Menschheit, den armseligen Stolz der Großen, die Grobheit des Hofes, der Kritiker und der Schwärmer, die Tollheit der Philosophen, die Bettelarmuth der schlechten Poeten, den leeren Wind der Projectmacher und Enthusiasten hat kaum Jemand wie er erfaßt und geschildert. Wo es Einkleidung oder Inhalt litt, ist auch das Bessere dem Schlechten, dem Nutzlosen das Nothwendige entgegengestellt, nicht etwa mit lauen Wünschen, sondern mit dringender Thätigkeit, fordernd.

Thätig sind alle Schriften Swift's, nicht massige Declamationen. Wie seine besten Aufsätze aus wirklichen Anlässen hervorgehn und auf wirkliche Personen sich beziehen, so strebt jeder zu einem bestimmten Endzweck. Seine Predigten selbst (von denen er, eben eines fehlenden bestimmten Zwecks wegen, so klein dachte), auch sie sind Reden der thätigen Vernunft und Menschengüte, keines Declamators. Leerer Worte war Swift unfähig bis auf den kleinsten seiner Briefe. Wo aber zu handeln, wo ein bestimmter Zweck zu erreichen war, da kämpft Swift, in den Tuchhändlerbriefen wie in jedem politischen Pamphlet.

Uns gilt es gleich, ob die Sache, die er damals politisch vertheidigte, rein oder unrein gewesen; das Unreine daran, wen schmerzte es am Meisten? Ihn selbst. Warum mußte er unter einem schwachen Minister, einer noch schwächeren Königin und einem unzuverlässigen Bolingbroke, dazu untergeordnet, fast ohne Beruf dienen? Warum überhaupt war er ein Tory? In Allem, was Swift durch sich thun konnte, handelte er nicht nur strenge und rein, sondern war die Ordnung und Gerechtigkeit selber. Unter der Gestalt eines Züchtigers und Censors ein helfender Patriot, mit der Geberde eines Menschenfeindes durch kalte Vernunft, den Reichen und Mächtigen zu Trotz, war er ein thätiger Freund der Menschheit. Das Bittre und Böse, das er voraussah, ist eingetroffen; manches Gute, das er gegen die harte Unvernunft auszurichten nicht vermochte, hat nach einem Jahrhundert, von Umständen erzwungen, geschehen müssen. Die eiserne Noth gebot, was Vernunft und Billigkeit nie hatten erreichen mögen.

Auf seinem Lebenswege war diesem Clergy-man überall ein Genius entgegengetreten, der Addison's vorlaufender Glücksgöttin nicht gleich sah. Arm geboren, hart erzogen, von W. Temple so gut als verlassen, von König Wilhelm wie von seinen Gönnern und Freunden getäuscht, blickte er ernst ins Leben und sah zuletzt von der Höhe seines Geistes und seiner Gesinnungen verächtlich auf die Unwürdigen hinab, die vor und über ihm standen. Noch verächtlicher auf seine dummen Verleumder; er nährte Flammen in sich, die nie verglimmten, die ihn gemach verzehrten. Zuerst wurde er der Welt taub, nachher zu seiner Gemüthserholung dem Verstande entrückt, indeß sein Körper eine Reihe von Jahren hin noch athmete und lebte. Hätten seine Gönner wie seine Gegner ihre Sache verstanden, gemeinschaftlich hätten sie ihn zu dem Stande gehoben, der ihm gebührte. Fröhlicher hätte er dann bewirkt, wozu er da war, Geschäfte, ohne die er nicht leben konnte. Hätte er aber auch in dieser höheren Region das bewirkt, was er jetzt als Mann des Volks bewirken mußte? Den Klagen, dem Druck, dem Elend der Nation näher, vom Haß und Neide unwürdiger Großen, von ihren Thorheiten und Aergernissen gereizt, ward der Dechant von St. Patrick, was er sonst kaum geworden wäre: Rathgeber aller geschäftigen Stände, Vater, Freund, Retter Irlands, so weit hin sein Verstand, weit über seine Macht, weit über sein Amt und seine Pflicht, reichte.

Wie flach und schief dieser thätige Schriftsteller in Deutschland gewöhnlich angesehen wird, ist nur aus der Lage unsrer Nation erklärlich. Sein schweizer UebersetzerSatirische und ernsthafte Schriften von D. Jonathan Swift, Hamburg u. Leipzig (Zürich) 1756 und in den folgenden Jahren, mit Vignetten von Salomo Geßner. – H. fühlte seinen Werth und suchte ihn nach Vermögen der deutschen Lesewelt zu empfehlen; ohne Kenntniß der englischen Verfassung aber, ohne nähere Kenntniß der Angelegenheiten, über welche Swift schrieb, der Zeitumstände und Charaktere, in und mit denen er lebte, wie kann er verstanden und seinem Werth nach geschätzt werden? Seine Bemerkungen und Anspielungen fordern nicht nur Verstand, sondern auch den prüfenden vielseitig freien Blick, das zarte Mitgefühl endlich jenes seltnen Humors, der im leichtesten Scherz eben den strengsten Ernst liebt. Ein solcher war Swifts Genius. Wer das »Märchen von der Tonne«, oder den »Gulliver«, die »Brobdingnags« und »Lilliputs« nur der Geschichte wegen, wer die »Politen Gespräche« und den »Unterricht für Bediente« gar gläubig liest (und sie sind so gelesen worden), der ist ein gar zu deutscher Leser.

Noch alberner sind Swift's Schriften nachgeahmt worden, da doch das erste Gefühl lehren konnte, daß Swift in Deutschland nur durch einen neuen Swift ersetzt werden mag, der, ebenso national und zeitmäßig wie jener, ihn nur dadurch darstellt, daß er ihn durchaus nicht nachahmt. Eher ließe sich Hercules seine Keule nehmen als Swift seinen Stachel, der allenthalben aus der Materie selbst organisch hervorgeht und mit seinem ernstesten Geist eins ist. Die deutsche und englische Verfassung, die englische und deutsche Nation sind in Manchem so verschieden, in Anderm so gerade Antipoden, daß Swift, Deutschland angehörig, gerade das tiefste Mitleid geäußert haben würde, wo er in England Pfeile des Spottes und der Verachtung schoß; in andern Fällen würde er in Deutschland nicht Pfeile, sondern Bolzen geschleudert haben. Die »politen« und »politischen« Gespräche unsrer Nation in allerlei Zirkeln, unsre Titulaturen, unser Curialstil, unser John Bull (eine arme meckernde Ziege), unsre Verhältnisse der Stände in so mancherlei Gegenden und Situationen, der ganze Drol de Corps, le Corps Germanique, Deutschlands Jus publicum genannt, fordern andre Darstellungen, als Swift im damaligen England gegen englische Thorheiten gebrauchte. Ob aber auch ein deutscher Jonathan für seine geleisteten Dienste mit einer Dechanei von einigen tausend Pfund jährlich oder mit den Ehren, die die irländische Nation ihrem Drapier erwies (dies war der Ehrenname, mit dem sie ihn dankbar nannte), wäre belohnt worden, ist die Frage.

»Swift schreibt oft niedrig; die gemeinsten Gleichnisse sind ihm beinah die liebsten.« Allerdings, zumal wo er fürs Volk schrieb. Konnte er dafür, daß dies damals so sprach und am Liebsten also zu sich reden hörte? In Staatsabhandlungen schrieb er mit einer Würde, die dem Inhalt geziemte. Oft sind seine niedrigen Gleichnisse Parodien andrer, sehr erhabner, die er dadurch auf ihren rechten Werth hinabsetzte. Seine Kunst zu sinken zog damit eine andre Kunst zu fliegen lächerlich nieder. Und wo der gesittete, ernste Mann, dem im Umgange das kleinste Unanständige Gräuel war, wo er faule Schäden der Menschheit mit eignen Namen nennt und in ihrer ganzen Häßlichkeit schildert, wer fühlt nicht, daß dies im bittersten Unmuth geschehe? Hätte er auch aus Rache die Yahoos mit einer Art Freude gemalt, die Verräther des Staats, die Verleumder, die Heuchler malte er gewiß nicht also. Oft entwirft er mit zwei Strichen ihr Bild, unvergänglich. Auch in seinen Briefen lebt der Charakter jeder Person, die er kannte, gezeichnet, wie er sie ansah, oft in wenigen Worten aus dem Innersten gehoben. Die Reinigkeit der Diction war ihm ein heiliges Gesetz; eine genaue Sorgfalt für Sprache und Schreibart hielt er der Nation werth, ob er gleich auch hier seinen Zweck nicht erreichte.

»War Swift ein Dichter?« Wenn's in der Dichtkunst auf leere Formen solcher und solcher Gattung ankommt, so hat Niemand diese leeren Formen glücklicher dargestellt als er, nur, wie billig, mit der Schellenkappe geziert. Er haßte jedes Geklingel, wie in Tönen, so auch in Worten, ja das ganze mißbrauchte Brettergerüste.Samuel Johnson, der Allkunstrichter, hält Swift für hell, aber hohl (clear, but shallow). Vielleicht werden ihm Manche das Wort zurückgeben. Johnson's Witz besteht oft in dreisten, aber hohlen Drescherschlägen, wenn Swift mit vollgestopften Sandsäcken still, aber kräftig sein Werk treibt. – H. Ist aber Uebersicht und Zusammenfassung eines Ganzen in allen seinen Theilen, ist eine natürliche Einkleidung jedes Gegenstandes nach seiner Weise, so daß ihm kaum eine andre gegeben werden kann, ist eine inhaltreiche Form, schwer an Gedanken, leicht in der Ausführung nach dem damaligen freilich sehr ungriechischen Geschmack – sind diese Dichtkunst: so ist Swift mehr als hundert Andre, die sich des Namens anmaßen, ein verstandreicher Dichter.

Als Kunstrichter zeigt ihn sein »Anti-Longin«, so manche Anrede an Schriftsteller und Kritiker in Poesie und Prose, ja jedes Urtheil in seinen Briefen. Die Richtigkeit seines Geistes erwies auch dies, daß er seine Schranken kannte und nur selten Wissenschaften oder Kenntnisse verachtete, deren Werth ihm fremd war. Und auch diese setzte er nur in ihrem Uebermaß, in ihren Thorheiten, die Kritiker in ihrem Bauernstolz, in ihrer anmaßenden Grobheit herunter; sonst zeigt er sich gegen jeden vorzüglichen, auch nur hoffnungsvollen Schriftsteller in völliger Selbstvergessenheit, half, wo und wie er konnte, obgleich ihm Niemand half, kannte im Felde des Wissens und Könnens weder Whigs noch Torys, keine Parteien; desto inniger aber haßte er die Cabale.Hier folgte als Beilage: »Ueber den Tod des D. Swift's« (Herder's Werke, III. S. 353–362). – D.



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