Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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14. Shaftesbury. Geist und Frohsinn.

Die erste Schrift, die Shaftesbury selbst herausgab, war ein Brief über den EnthusiasmusLetter concerning Enthusiasm, September 1707 – H. in wohltätiger Absicht geschrieben. In den Cevennen Frankreichs hatten die fortwährenden Verfolgungen Ludwig's den süßen Wein zu Essig gemacht; über den Gräbern der Märtyrer standen himmlische Propheten, um gleiche Kronen sich zu erwerben. Angesteckt von diesem Geist, kamen Flüchtlinge nach England, richteten Unordnungen an; die rohe Macht wollte auch hier verfolgen. Da traten mit weiserm Rath billigere Männer auf und hielten zurück; Strafen der Schande, die Pillory, setzte man groben Ausschweifungen dieses hitzigen Fiebers entgegen, und seine Wuth ward gedämpft. Ein schöner Triumph der billigen Vernunft über Aberglauben sowol als über den Geist der Verfolgung; denn wenn man dem Uebel Uebel, der Schwärmerei nur eine härtere Schwärmerei entgegenzustellen weiß, wohin kommt man? Shaftesbury war Locke's Schüler, dessen großes Wort Duldung endlich das Jahrhundert lernte.

Weil aber in gefährlichen Krisen eine gleichgiltige Allduldung nicht hinreicht, eindringende Uebel zu heben, und jene ernsthaften Krampfgesichter, ans Verfolgen gewöhnt, mit so linden Abführungen nicht zufrieden waren, so schlug auch ihnen Shaftesbury ein fünftes Mittel zum heilsamsten Zweck vor, ein Glas stärkend-kaltes Wasser und einige schmerzstillende Tropfen, d. i. heitre Vernunft und etwas von jenem muntern Frohsinn, der die angestrengten Gesichtsfalten sowol als die alten Hirnkrämpfe angenehm löst, wit and humour. Daß er bei dieser linden Arznei eine verständige Behandlung voraussetze, zeigt sein Brief über den Enthusiasmus; nur Rohheit des Verstandes oder Hartnäckigkeit der Krankheit konnte ihm so vernunftlose Grundsätze als: »Spott sei das Kriterium der Wahrheit; im Zustande des Lachens lasse sich das Ernsthafteste am Geschicktesten untersuchen« u. s. w. zur Last legen. Lese man darüber seine eigne Vertheidigung, den Versuch über die Freiheit des Witzes und Frohsinns,Sensus communis, Essai on the Freedom of Wit and Humour 1709. – H. mit klarem Auge, um sich von den Luftstreichen seiner Gegner zu überzeugen. Ueber Witz und Frohsinn sollte Niemand urtheilen, als der selbst Witz und Frohsinn hat. In einem fremden Lande, über eine unbekannte Sache, in einer unbekannten Sprache, wie will er richten?

Begeisterung (Enthusiasmus) für alles Große, Wahre, Schöne und Edle ist ein so treffliches Vermögen, eine so unentbehrliche Disposition der menschlichen Seelenkräfte, daß sie sich nicht etwa nur durch ihre Wirkungen, sondern ihrer Natur nach selbst rechtfertigt und vertheidigt. Unwillkürlich zieht die Begeisterung an und theilt sich mit und reißt fort mit unwiderstehlichen Reizen; Mitbegeisterung, Bewunderung, Liebe, Nacheiferung folgen ihr. Den kalten Spott stößt sie hinweg, die schärfsten Pfeile des Witzes fallen vor ihr nieder. Wer wußte dies besser als Shaftesbury? Die Ader der reinsten Begeisterung für Wahrheit und Tugend schlägt in allen seinen Schriften; und giebt's einen schöneren Enthusiasten als seinen Theokles?The Moralists, a Rhapsody, T. 2 in seinen Characteristics. – H.

Der Thorheit, und nur der unverbesserlichen, feinen oder groben Thorheit gebührt Spott; welcher Mensch von seinen Sinnen wird ihn, der immer an Verachtung grenzt, aufs Heilige, Ehrwürdige, auf das wirklich Große und Schöne anwenden? Gesundes Lachen ist ein körperlicher Zustand des Wohlbehagens; die mit ihm verbundne Disposition der Seele ist eine Mischung, ein Uebergang, in dem sich ohne Gefahr und Schaden Contraste, die man nicht zusammenzufinden glaubte, angenehm verbinden, angenehm lösen. Daß Scherz und Spott also nicht einerlei, daß beim Gebrauch beider Beurtheilung nöthig sei, wo und in welchem Maß jedes seine Stelle finde, daß ein unzeitig angebrachter Scherz, ein ungesalzner Spott das Widrigste, das Abgeschmackteste sei, das im Umgange der Geister mit einander je stattfinde: dies Alles sind so gemeine Erfahrungen, daß über sie eine stumpfe Belehrung lieber schweigt.

Daß aber auch jede Ueberstrengung nur gehoben werden kann, wenn man die Saite nachläßt, daß man Ideenverbindungen, die in Krämpfe des Gehirns übergegangen, nur durch ein Spiel andrer benachbarten Fibern sanft löst, daß man dem eingeschlossenen Kranken frische Luft, dem über einen Gegenstand Hinbrütenden andre Gegenstände, dem Blinden nach und nach Licht, dem Betrübten Töne und Situationen des Frohsinns zu ihrer Heilung oder Aufheitrung gebe, dies wollen Aerzte nicht nur, sondern der gesunde Verstand selbst, in Krankheiten dieser Art der beste Arzt der Seele. Mit Recht nannte Shaftesbury seinen Versuch über die Freiheit des Witzes und Frohsinns Sensus communis. Wie dem Erasmus, so ist manchem Andern sein gefährliches Geschwür zu rechter Stunde durch ein wohlthätiges Lachen aufgegangen; dies Lachen machte eine ernst-schmerzhaftere Operation unnöthig. Da Lachen und Scherz, Witz und Humor Uebergänge sind und mehr nicht als solche sein wollen, wer wollte diese frohen Internuncien zwischen Wahrheit und Albernheit oder Thorheit verrufen oder lästern? Wer wollte sie aber auch zu letzten, höchsten Endurtheilern erwählen?

Daß Mißverständnisse dieser Art nur möglich sind, zeigt, wie selten die Gabe des feinen Scherzes sei,Ein Theil der Mißverständnisse hatte wol in dem von Shaftesbury gebrauchten Wort test, »das Lächerliche sei ein test des Wahren«, seinen Ursprung. Man weiß, welche sonderbare Gewährleistung (test) die englische Kirche gegen das Papstthum einführte, nämlich den Genuß des Abendmahls in ihrer Weise. Hoadly erklärte sich offen darüber, daß er diesen Empfang des Sacraments als politischen test für einen Mißbrauch dieser Stiftung halte. Scherzend schlug Shaftesbury den ernsten Männern einen andern test vor, das Lachen, den Frohsinn. – H. wie häßliche Krämpfe es gebe, die immer in Furcht stehn, aus ihrer steifen Fassung wider Willen herausgescherzt zu werden. Die Sokratische Ironie, das attische Salz, Horazischer Scherz, Cervantes' ehrbare Lustigkeit, von der er am Ende des Lebens als von seiner liebsten Freundin schied: diese Genien, Sylphen und Sylphiden sind nicht gemeine Gäste. Wen sie besuchen, wem sie gefällig folgen, er wird sie nicht verschwärzen, sondern mit ihnen Andre erfreuen und seinen Umgang durch sie beleben. Denn wie sollen wir mit einander umgehn? Unverständig, geistlos, schwerfällig, sclavisch? oder verständig, frohsinnig, geistig, artig?

Nicht blos durch Lehre, zur Verjagung jenes schwerfälligen, bösen Humors wollte Shaftesbury thätig beitragen; seine Schriften sind voll Witzes und guter Laune. Locke schon liebte den Spruch Rochefoucault's: »Die Gravität ist ein Geheimniß des Körpers, die Mängel der Seele zu decken!« Thätig angehn gegen diese sich deckende Gravität konnte Locke nicht, wie es in seinem Stande, in seiner Unabhängigkeit Shaftesbury konnte. Wäre auch etwas Lordschaft hie und da in seinen Scherzen, die beleidigte, insonderheit geistliche Gravität hat jedes kleine Uebermaß in ihnen gnugsam gerügt. Welche Rügen indeß ihrem Verfasser nichts anhaben konnten; denn die letzten Jahre seines Lebens lebte der Lord in Neapel, wo er auch, für die Musen zu früh, gestorben.

Mit der Freiheit des Verstandes und Witzes gab Shaftesbury seine Moralisten heraus,The Moralists, a Rhapsody. 1708 – H. eine Composition, des griechischen Alterthums beinahe werth, ihrem Inhalt nach demselben fast überlegen. Jedem Jünglinge von Fassungskraft des Schönen und Edeln werde sie eine Form der Seele, da sie vielleicht die schönste Metaphysik ist, die je gedacht wurde. Ohne sie hätte Pope, auch bei Bolingbroke's Papieren, die besten Verse seines Essay on Man schwerlich geschrieben; auch Thomson's Muse hatte den edel begeisterten Theokles zu ihrem Führer. In Frankreich weckten Baco und Shaftesbury den sinnvollen Diderot, daß er, unbekümmert um Andre, seine Bahn ging. Und in Deutschland? Shaftesbury selbst schickte Leibniz seine gesammelten Werke, die Diesen sehr vergnügten,Mylord Shaftesbury a publié des ouvrages sur la Philosphie et la Morale, où il y a bien des choses, qui me contenent extrêmement. Il y a aussi des Avis aux auteurs du tems. Il m'a envoyé ouvrages etc. Leibnitz, Lettre à Grimarest, Vol. III Collect Kortholt., p. 330 – H. über die er sehr beifällig urtheilte, ja sogar – sein eignes System in ihnen fand, jedoch frei von Einkleidungen und Modewörtern, denen Leibniz, um Eingang zu finden, sich hie und da bequemte. In allen freien und hellen menschlichen Seelen ist die Wahrheit, die den Menschen gegeben ist, nur eine.

Weiterhin gab Shaftesbury sein Selbstgespräch oder guter Rath an einen Autor,Soliloquy or Advise to an Author. – H. endlich die MiscellaneenMiscellaneous Reflections. – H. heraus, die, großentheils ein Commentar seiner eignen Arbeiten, Werke voll wahrer Horazischer Kritik sind, bedeutender als Gravina's, Boileau's, Pope's u. A. berühmte Regelngebäude. Diese sind nämlich Spiegel der Seele, ernste Prüfungen des Verstandes und Geschmacks, ja der Grundsätze des Lebens selbst, mit seinen Vorschriften für Wissenschaft und Kunst begleitet, dazu in der Methode des Frohsinns verfaßt, die unsers Autors eigne, ernste Gedankenform, seine Muse und Grazie war.

Wie spät durften diese Schriften Deutschland bekannt werden! Nach mehr als einem mißrathnen Versuch übertrug die ersten, gegen die so manches Ungeistige geschrieben war, ein ehrwürdiger Geistlicher selbst in unsre Sprache;Spalding, »Die Sittenlehrer«; 1745; »Untersuchung über die Tugend«. 1747. – H. die andern mußten noch dreißig Jahre hin warten.Shaftesbury's philosophische Werke, aus dem Englischen (von Hölty und Benzler). 1776–1779. – H. [Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 141. – D.]

Und wie Wenige, zumal Standespersonen in Deutschland, haben diese Standesperson, der die Philosophie Kunst des Umganges und Lebens war, gelesen!

Und doch sind verstandreicher Witz und Frohsinn, wie Shaftesbury sie will,Wieland's Commentar über des Horaz von ihm übersetzte Briefe und Satiren, in Shaftesbury's Geist gedacht und geschrieben, wird nebst andern dem Briten und Römer congenialischen Schriften dieses philosophischen Dichters an seinem Ort genannt werden. – H. nicht nur das Salz des gesellschaftlichen Umgangs und Bücherlesens, sondern Würze und Blüthe des Lebens selbst, der Bildung jedes edleren Jünglinges unentbehrlich.Hier folgte als Beilage »Horaz' dritter Brief (in Wirklichkeit ist es der zweite des ersten Buchs) an einen jungen edlen Römer« (Herder's Werke, VIII. S. 63–65). – D.



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