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Wenn nächst Ludwig eine Tugendhaft-Ehrsüchtige diesen Fehler edler Seelen strenge gebüßt hat, war's Maintenon, eine arme Amerikanerin, die, im Gefängniß geboren, als eine Verlassene an die französische Küste geworfen, zuerst eines lebendigen Z, des scherzhaften Scarron's Frau, endlich Ludwig's XIV. Gemahlin wurde, sie, die vorher seine entschiedne Antipathie war. Ihre ganze Geschichte ist ein wunderbarer Roman, der traurig endet. Merkwürdig ist's, daß die Widerrufung des Edicts von Nantes und die Hugenotten-Bekehrung mit der Zeit ihrer Aufnahme zur nächsten Vertraulichkeit des Königes zusammentrifft; sie selbst war eine Hugenotten-Bekehrte, die in Gewissensfesseln des Katholicismus strenge einherging. Hätte sie die Bekehrung ihrer ehemaligen Glaubensgenossen befördert, weh ihrem Namen! Aber auch schon ihr Glück strafte sie; ihre Lebensart mit dem alten Monarchen machte sie zur Märtrerin und Sclavin. Aus dem Fegefeuer können kaum ängstigere Seufzer emporsteigen, als im Zwange politischer Verhältnisse und Uebel, unter dem Druck der Andacht und Langeweile so oft ihrer Brust entfuhren.S. ihre Briefe, T. VII–XIV der Mémoires de Mad. de Maintenon, auch den Esprit de Mad. de Maintenon (Par. 1771), am Meisten aber ihr Leben. – H. Die Gesellschafterin eines gesättigten, leeren, unlenkbaren Despoten, war sie es dennoch, die ihn einige dreißig Jahre hindurch lenkte. Wie sie dies gethan, darüber möge sie sich vor dem obersten Richterstuhl rechtfertigen. Die Stimmen des Klerus, so viel andre Insinuationen bestürmten sie, denen sie mit ihrem hellen Verstande, mit all ihrer Rechtschaffenheit und Selbstertödtung in manchen Fällen doch nicht gnug entgegenzusetzen wußte. Ihre Briefe sind merkwürdige Documente, Denkmale des feinsten Geistes und eines trocknen Herzens; ihre Fehler hat Niemand, und zwar ihr selbst, besser geschildert als Fénélon,Sur mes défauts. Mém. de Mad. de Maintenon, T. XI. 211 ff. – H. den sie verehrte und – mit Schmerz verließ, wenigstens für ihn nicht zu sprechen wagte.
Denn in der Vorstellungsart Ludwig's war eben Fénélon sein abgesagter Feind. Er, der sein wahrster Freund war. »Votre homme parle bien, Madame,« sagte der König zur Maintenon nach dem ersten Gespräch mit ihm, »mais je Vous avoue, qu'il ne sera jamais le mien«; dies Wort hielt Ludwig redlich. Wohlanständig verwies er ihn als Erzbischof nach Cambray, ob er ihn gleich zu eben der Zeit, wie unentbehrlich er seinen Enkeln und dem Staat sei, versicherte und es damals glaubte; denn Ludwig hielt sich zu groß, jemals zu lügen. Seit seine Feinde und Neider ihm den Quietismus Schuld gaben, nahm der König starke Partei gegen ihn, verbot seinem Enkel, dessen Herz an Fénélon hing, allen Briefwechsel mit ihm; Maintenon mußte seiner nicht mehr gedenken. Und als vollends der vor vielen Jahren zur Unterweisung des Prinzen, nicht aber zum Druck geschriebene »Telemach« zu Fénélon's Verdruß erschien, galt sein Verfasser dem Könige für den Undankbarsten der Menschen.»Je saivais bien par le livre des Maximes, que M. l'Archevêque de Cambray était un maivais esprit, mais je ne savais pas, qu'il fut un mauvais coeur. Je viens de l'apprendre en lisant Télémaque. On ne peut pousser l'ingratitude plus loin. Il a entrepris de décrier éternellement mon règne.« Als ob sich dies nicht selbst laut gnug aussprach. – H. Erst als er nach dem Tode seines Enkels dessen Papiere, unter ihnen auch Fénélon's Briefe, in die Hand bekam, lernte er ihn anders kennen und verbrannte eigenhändig die Briefe.
Wenn ein Sterblicher Gaben des Herzens und des Verstandes in Einfalt, Würde und Lieblichkeit zu vereinigen und alle unter das strenge Gesetz der reinen Hingabe sein selbst zu bringen wußte, war's Fénélon. So erscheint er in seinen Schriften; der war er, nach dem einstimmigen Zeugniß seiner Feinde selbst, im Leben: Docteur, Evêque et Grand Seigneur in der liebenswürdigsten Verleugnung aller Hoheit seines Standes und Charakters. Lese man von ihm Ramsay,Vie de Fénélon par Ramsay. – H. höre man hie und daMémoires de Mad. de Maintenon, de St. Simon, Vie du Duc de Bourgogne, Eloge de Fénélon par d'Alembert etc. – H. nur einzelne Worte von ihm und lese seine Briefe; es spricht, es schreibt ein Himmelsgenius unter den Menschen, der von seinem Erdengeschlecht weder Dank noch Ruhm begehrt. Desto tiefer lebte er im Herzen seiner Freunde, die ihn, aller Verbote ungeachtet, bis an den Tod liebten, denen auch er nachstarb, weil, wie er sagte, mit ihnen sein Herz von allem Irdischen frei sei.
Aber auch er war durch die Geschichte der Guyon und seinen geheimen Neider Bossuet scharf geläutert; edler kann man sich kaum betragen, als er sich bei jedem Schritte betrug. Die tiefste Demüthigung, die ihm vor den Augen seiner ganzen Kirche geschah, ward ihm indeß zur größten Ehre, so wie ihm die Jahre der Demüthigung Ludwig's zum edelsten Siege gereichten, ohne daß er an Sieg auch nur dachte. Er gab, was er hatte und vermochte, der kranken nothleidenden Armee und genoß ebenso viel Verehrung von den Feldherren des feindlichen Heers als eine grenzenlose Liebe von Allen, die ihn umgaben. Nicht seine Kirche, aber die Menschheit hat ihn kanonisirt.
Schade, daß Fénélon's Schriften für so Wenige in unsrer Zeit sind, da sie alle zu einzelnen, bestimmten Zwecken geschrieben, immer nur seinem Amt, seiner Pflicht dienten. Bei seinem Telemach dachte er nicht daran, mit Homer oder Virgil zu wetteifern. Seinem Zöglinge, einem künftigen Könige Frankreichs, dem die Regierung Ludwig's vor Augen war, sollten, statt der Märchen, die er sonst gehört hatte, und statt der Begebenheiten, die er täglich sah, in Sitten und Gesinnungen andre Muster, Personen des Alterthums sollten ihm vortreten, zu seiner Lehre, zu seiner Warnung. Anspielungen auf seines Königes Regierung, sofern sie irgend vermeidlich waren, verschmähte seine reine Seele, wie schon der Anstand, der ihn in Allem begleitete, und sein großer Verstand sie verschmäht haben würde. Ein gleicher Zweck leitete ihn bei seinen Gesprächen, bei seinen wenigen Fabeln; nichts ist für das Publicum, Alles ist für den ihm Anvertrauten, persönlich, zeitmäßig. So seine Gewissensrathschläge, seine geistlichen Aufsätze, seine Briefe; reine Unterhaltungen mit sich oder mit Andern, aus Geist und Herz, zu Herz und Geist, ohne Rücksicht auf Stil und Machwerk. Gedacht und gesprochen ist Alles, nicht geschrieben. Daher die Einfalt, daher die Lieblichkeit, in der vielleicht Franz von Sales sein Vorbild war; er übertraf ihn weit an politischem Verstande, an seiner Herzens- und Weltkenntniß. Aeußerst mißbraucht wird sein »Telemach«, wenn Knaben an ihm sollen Französisch lernen.
Mehrere haben den Verdacht geäußert, als ob Fénélon, wenn sein Zögling zum Thron gelangt wäre, auf die Staatsverwaltung ein Auge gehabt habe. Ohne ein Auge darauf zu haben, hätte er sich dieser Last schwerlich entziehen mögen; gewiß aber dankte er der Vorsehung, daß sie ihm und dem Prinzen den schweren Versuch erließ. Statt seiner sollte der ruchloseste der Menschen, Du Bois, Erzbischof in Cambray und Frankreichs erster Minister werden.
»Da sie also Gelegenheits- und einem Theil nach gar Schulaufsätze sind, was sollen uns Fénélon's Schriften? Wir sind ihnen entwachsen.« Den Zwecken und Regeln, nach und zu denen sie verfaßt wurden, sind wir nicht entwachsen; zur Bildung des Herzens und Geistes bleiben sie ewige Regeln.
Z. B. seinem Prinzen, da er den Märchen der Weiber entnommen war, hatte man Mézeray's »Geschichte von Frankreich« in die Hand gegeben; was sollte der Knabe daraus lernen? Was können wir, was sollen unsre Kinder aus der Geschichte lernen, aus diesem wilden Märchen seltsamer, unvollendeter, oft abscheulicher Charaktere, aberwitzig handelnder Personen, nie geendeter Begebenheiten und Ränke? Eine endlose Schraube, ein böser Wirrwarr ist die Geschichte, wenn Vernunft sie nicht aufklärt, wenn Sittlichkeit sie nicht ordnet. Fénélon's Gespräche der Todten sollten dies bei dem Lehrlinge thun; man nehme sie sich also zum Beispiele, wie die Personen der Geschichte auch zu uns sprechen, wie sie vor uns handeln. Aus jeder gelesenen Geschichte mache Jeder sich selbst Gespräche der Todten. Denn sind sie nicht todt, die gelebt haben? ist ihre Vergangenheit für uns nicht ein Traum? Dennoch aber sprechen sie zu uns; liebenswürdig oder häßlich handeln sie gegen einander. Beide Adrasteen also, Recht und Wahrheit, treten vor dies ungeheure Bild und beleben die Figuren. Nicht Figuren; sie wecken die Todten auf aus den Gräbern und messen an ihrem Stabe Unvernunft und Zweck, Recht und Unrecht, mit ernstem Blick in den Busen. Je ernster sie blicken, desto tiefer regt sich das Mitgefühl der Sittlichkeit im Lesenden; so wird die Geschichte für ihn vernünftig und sittlich. – Alle große und gute Menschen haben die Geschichte so gelesen; mehrere Todtengespräche, gute und schlechte, sind diesen nachgefolgt. Erbarmt Euch der Jugend und gebt ihr keine andre als eine vernünftig organisirte Geschichte! Genealogien und Chronologien, Kriegs-, Staats-, Eroberungs-, Pracht-, Helden- und Narrenscenen sind für sie einschläfernd-langweilige, den Verstand erdrückende oder gar verführende, verrückende Märchen. Vom ersten griechischen Geschichtschreiber, Herodot, an steht die Geschichte unter keinem andern als unter der Nemesis-Adrastea Maß und Scepter.
Mit der Fabel des Alterthums ist es nicht anders, denn was soll eine Fabel, die keinen Sinn giebt? Statt also zu fragen, wie Fénélon zu Homer stehe (obwol auch dies nicht nutzlos sein mag), gewöhne man sich, das gesammte Alterthum als eine lehrreich warnende oder aufmunternde Epopöe zu denken. Ganze Zeiträume hin ist ja die alte und älteste Zeit ohnedies Dichtung; im politischen Sinn der Griechen und Römer ist sie für uns oft eine parteiliche, menschenfeindliche Dichtung. Adrastea also ordne sie, der Sinn des Wahren und Guten bringe Licht, Haltung, Zweck und Farbe für unser Auge in diese Massen, in diese Figuren, d. i. Jeder schaffe sich, kurz oder lang, eine vernünftige Epopöe selbst aus diesen Religions- und Staatseinrichtungen voll Weiser und Helden, aus ihren Sitten und Gebräuchen. Fénélon »Telemach« sind mehrere Dichtungen solcher Art nachgefolgt,»Sethos«, »die Reisen des Cyrus« u. s. w. – H. [Weiter unten, in der Abhandlung über Märchen und Romane, kommt Herder ausführlich darauf zu sprechen. – D.] wenige in seiner Reinheit gedacht und vollendet; denn jene Zwittergeschöpfe neuerer Geschichte und Fabel, bei denen man nie weiß, auf welchem Grunde man steht, gehören nicht hieher.
Ueber die geistliche Beredsamkeit hat Fénélon einige Gespräche geschrieben, die ein Gegengift gegen den Kanzelwitz und die Hofrednerei sind, die nicht nur damals galten; denn wie lange hat ein Theil der sogenannt heiligen Beredsamkeit, die unter Ludwig XIV. galt, dies tönende Erz, diese wohlklingende Schelle noch nachgeklingelt? Nur gehört zu Fénélon's Art zu predigen auch seine Art zu denken, sein Geist und sein Herz, seine Bildung und Uebung; sonst dürften auch auf diesem Wege nur Schwärmer oder Schwätzer werden.
Bei seinen geistlichen Schriften endlich lasse man alles seiner Kirche Angehörige, Mystische weg und betrachte seine Anweisungen als eine reine Form menschlicher Gesinnungen und Gedanken; wie hoch werden sie uns dann erscheinen! Regeln für den Verstand wie für den Geschmack und das Leben. Allein durch Hingabe seiner selbst unter das Regelmaß der höchsten Güte, Weisheit und Ordnung werden wir vom Egoismus befreit, dem bittersten Feinde unserer wahren Thätigkeit und Ruhe, unsers Genusses und unsrer Pflicht. Fénélon's Denkart, die er thätig erwies, ist, zur Philosophie erhoben, mit der Philosophie aller edlen, reinen Gemüther eins und dasselbe. Das Ein und Alles, aus dem sie entspringt, in welchem sie wirkt, in welches sie sich senkt, war mit andern Namen die höchste Idee aller denkenden Geister. Auch Fénélon's Grundsätze des Geschmacks flossen aus dieser Quelle, dem entschlossensten, kräftigsten Anti- Egoismus.