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Eröffnungsrede, gehalten in Breslau am 3. September 1932.
Als der Grundstein des Museums für bildende Kunst gelegt wurde, wußte ich, der ich, ein Knabe, entlang dem Stadtgraben zur Zwingerschule ging, nicht, was daraus werden sollte. Aber der werdende Bau erregte mich irgendwie. Als ich dann nach einigen Landwirtsjahren Breslau wiedersah und das vollendete Museum betreten durfte, fand ich hier jene Quellen des Guten, Wahren und Schönen springen, nach denen ich unbewußt in meiner Schulzeit geschmachtet hatte. Damit wurde mir die fremde Stadt eine heimische Stadt, die ernste Stadt eine heitere Stadt, die drohende Stadt eine lockende, die verschlossene Stadt eine offene.
Wenige ahnen die beglückende Wirkung, die von solchen der Kunst gewidmeten Heiligtümern sich verbreiten kann. Das graue Wesen des Alltags wirkt auf den Menschen wie das trübe, lange nicht erneuerte Wasser auf die Goldfische eines Aquariums. Nun wird ein perlender, klarer, frischer Zustrom hineingeführt, um den sich sogleich die Fische, Kiemen und Flossen wohlig bewegend, sammeln. Hier saugen sie frisches Leben ein. Ein solcher Vergleich paßt genau auf uns, die wir damals als junge Menschen in dem trübetümpligen Wasser unseres Aquariums vergessen oder überhaupt nie gewußt hatten, daß es klares, prickelndes, belebendes Quellwasser geben kann.
Also es wurde uns, die wir manchmal der geistigen Erstickungsgefahr recht nahe kamen, frisches Wasser zugeführt, man könnte auch sagen, frische Luft, und dann würde dies Haus einem offenen Fenster in den weiten Himmelsraum vergleichbar sein. Dieser zweite Vergleich ist, mehr noch als der erste, zutreffend. Ich wenigstens atmete hier zum ersten Male Höhenluft und Meeresluft. Der Gesichtskreis befreite und erweiterte sich. Ich sah die Kuppel des Sankt Petersdomes, die Türme der deutschen Kathedralen und Münster auftauchen. Der Meister und Übermensch Michelangelo stand neben unserem Albrecht Dürer, die blauen und grellen Farbengluten Böcklins erfüllten uns mit südlichem Rausch und stillten unseren ersten Hunger nach Schönheit. Ein Wort der Upanischaden sagt: Ja, die Weite, das ist die Freude, und die Freude, das ist die Weite!
Wer sollte bei einem solchen Seelenerlebnis der Jugend nicht an Phaidros denken und derer, die »den Musen und der Liebe dienen«?! Es heißt, daß sie sich, beim Anblick irdischer Schönheit, göttlicher Schönheit und ihrer göttlichen Herkunft erinnern. Dorthin, sagt Sokrates, woher jede Seele komme, kehre sie vor Ablauf von zehntausend Jahren nicht zurück. Wer aber, heißt es ungefähr weiter, hier unten ein gottähnliches Angesicht erblickt oder eine Gestalt des Körpers, welche die Schönheit vollkommen darstellt, so betet er sie an, beinahe wie einen Gott. Und diese, die Schönheit, wird weiter gesagt, überflutet ihn wie Regen das Gras, das unter ihm wächst, und darunter, dem Einfluß der Schönheit nämlich, wächst jenes verlorene Gefieder, inbegriffen zwei Flügel, neu heran, angekündigt durch Jucken und Kitzel, das ihn wiederum dereinst in die verlassenen Bereiche der Seligen emportragen wird. Es war mir nicht möglich, nicht auch noch diesen Schritt aus der irdischen Realität der Kunst in ihr transzendentes Wesen zu tun, ohne das ihr unwiderstehlicher Reiz nicht verständlich wäre.
Ja, meine Freunde und ich erhielten hier gleichsam unsere Weihen und spürten das Keimen erster göttlicher Befiederung. Die meisten von ihnen sind dahin. Wer wollte bestimmen, ob sie das außerirdische Reich der Schönheit, danach sie zeit ihres Lebens suchten, wiedergefunden haben oder nicht! –
Sie haben hier um die von mir zurückgelegten siebzig Lebensjahre Ereignisse, Menschen und Dinge aus diesen sieben Jahrzehnten gruppiert, aus denen, mich inbegriffen, das Leben in der Tat als ein Suchen nach dem Letzten und Schönen allein verständlich wird. Wenn ich auch heute nicht das Gefühl habe, mehr gefunden zu haben und zu besitzen, als ich in meiner Jugend besaß, und von einer größeren Nähe des Ideals nicht reden kann, so ist doch gewiß, daß ich den Hunger und Durst danach noch in mir trage – ein Umstand, der mir genügen muß. Leben summiert sich ja eigentlich nicht. Deshalb bin ich wohl nur – das Leben ist ja stets nur der Augenblick – in meinem Augenblicksbewußtsein reicher geworden.
Es ist das Interesse für sich selbst in jedem, der diesem hier gegenständlich gemachten Lebensgang Interesse entgegenbringt. Es gibt darum niemand, der ihm das gleiche Interesse wie ich entgegenbringen könnte. Und so bin ich unter Ihren Beschauern nicht nur der dankbarste, sondern auch der beschenkteste!