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Dem Andenken Carl Hauptmanns

Brief, bestimmt für die Carl-Hauptmann-Feier am 29. April 1928 in der »Tribüne« zu Berlin, veröffentlicht im »Berliner Tageblatt« am 28. April 1928.

Sie feiern den siebzigsten Geburtstag meines Bruders Carl, meines älteren Bruders, der nun mein jüngerer Bruder geworden ist, da ich sein Lebensalter überholt habe. Ich glaube nicht, daß er mit irgend jemand in der Welt schicksalhafter verbunden gewesen ist als mit mir, womit etwas gesagt ist, das viel weniger ausspricht, als es verbirgt.

Kein Kultus der Lebenden ohne einen Kultus der Toten: der Totenkultus über dem Grabe meines Bruders ist ein Teil meines Wesens geworden. Wenn mir der Lebende während langer Jahrzehnte, vermöge seines Selbstbestimmungsrechtes und der strengen Forderungen seines intelligiblen Charakters, absichtlich ferne stand, so ist dies nicht mehr der Fall mit dem Geiste des Verstorbenen. Und er war ein Geist, viel weniger ein geistvoller Mensch als ein Geist.

Der große Miguel de Unamuno hat ein tiefes und finsteres Buch geschrieben: »Die Agonie des Christentums«. Unter die einsamen Kämpfer oder Agoniker, zu denen er unter anderen Pascal zählt, ist auch mein Bruder Carl einzureihen: in dieser Beziehung hat er viel weniger von sich ausgesprochen und aussprechen können, als andere von ihm wissen.

Seine Erscheinung, seine Agonie, ist vielleicht eine der tiefsten und seltsamsten unter unseren Zeitgenossen gewesen, vornehmlich in diesem Sinne, der vielleicht einmal erschlossen werden wird. Friede seiner Asche!


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