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Dank an Bunzlau

Rede, gehalten im Rathaussaal zu Bunzlau am 4. Oktober 1922.

Als ich durch den Herrn Ersten Bürgermeister die Mitteilung erhielt, daß Magistrat und Stadtverordnete der Stadt Bunzlau mir die Ehre erweisen wollten, einer Straße meinen Namen zu geben, war ich davon tief gerührt, und ich habe es als eine freudig zu erfüllende Pflicht ansehen müssen, Ihrer gütigen Einladung für den heutigen Tag zu folgen. Der Name Bunzlau ist durch seine besonderen Industrien weltbekannt. Aber dieser Umstand würde die ganz besondere innere Bewegung nicht bewirkt haben, in die mich die Nachricht meiner Ehrung durch diese Stadt versetzte. Vielmehr wurden durch sie Saiten meiner Seele angeschlagen, die seit meiner frühesten Jugend nicht mehr geklungen hatten. Fünf, sechs und sieben Jahre kann ich gewesen sein, als mir der Name Bunzlau vertraut wurde und sich mir in einer Weise einprägte, wie eben ein Name sich nur in der Jugend einprägen kann. Mein ältester Bruder, heut längst verstorben, hat nämlich einen Teil seiner Schulzeit hier auf der höheren Schule verbracht, und man kann sich denken, wie oft im Familienkreise, am Familientische, besonders vor, nach und in der Ferienzeit der Name Bunzlau gefallen ist. Die unbestimmte mystische Aura, die ihn umgab, enthielt, mehr gefühlt als erkannt, Elemente des Wachsens und Werdens, des pflichtmäßigen Fortschreitens, der zwangsweisen Belehrung und freiwilligen Belehrbarkeit für mich, und indem ich diese Elemente, beim Klange des Namens, immer wieder ahnend empfand und mir halb und halb ihrer, als Bedingung des Aufstiegs zu höherem Leben, bewußt wurde, ward durch ihn, diesen Namen, schon ein hoher pädagogischer Anfangsgrund in mich gelegt.

Ein solcher Umstand darf im Leben eines einzelnen Menschen nicht als geringfügig angesehen werden. In dem ideellen Aufbau einer Persönlichkeit, wie sie sich im Raume der menschlichen Seele vollzieht, gibt es unzählige Bausteine, unter denen jedoch, wie bei jedem Bau, die Werkstücke des Fundamentes am wichtigsten sind, da das Ganze nur besteht, weil es auf ihnen ruht. Sie werden mir also zugute halten, wenn ich den für die Stadt Bunzlau so belanglosen, für mich so bedeutungsvollen, an sich kleinen Umstand erwähne. Ich bin sicher, daß Sie nicht der Abstraktion »Dichter« die Ehre Ihrer Einladung haben angedeihen lassen, sondern daß Sie den einfachen Menschen, den schlesischen Landsmann, das Kind unserer gemeinsamen Provinz zu sehen erwarten, der, wie Sie, jede kleinste Phase seines Werdens und Wachsens aus schlesischer Heimaterde wichtig nimmt. Traulich und wichtig also ist mir der Name dieser Stadt, und darum stehe ich hier, um Ihnen persönlich zu sagen, wie herzlich meine Freude über die mir erwiesene Ehre ist.

Sollte jemand der Ansicht sein, daß der Tatbestand eines Bausteins der Persönlichkeit an sich zu geringfügig ist, so bleibe ich trotzdem entgegengesetzter Meinung. Wo das Individuum sich nicht wichtig nimmt, nimmt sich auch das Volk nicht wichtig. Das sich im höchsten Grade wichtignehmende Individuum ist die lebendige Zelle und also wieder der lebendige Baustein, den man im Raume der Volksseele millionenfach als Kulturträger vorfindet, das Korpus der Kultur ausmachend. Von dieser Auffassung kann mich nichts abbringen, um so weniger, da die Beispiele für ihre Richtigkeit naheliegende sind. Oder hätte nicht das Christentum das Dogma, wonach der Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen ist, sich zu eigen gemacht? Sieht es nicht die Kirche aller Konfessionen als ihre höchste Aufgabe an, menschliche Seelen zu retten für die himmlische ewige Seligkeit, zu der sie jegliche Menschenseele, auch die Seele des allergeringsten Menschen, für fähig, ja für berufen erklärt? Aber nehmen wir auch flugs den Menschen nicht nur als Bürger des Himmels, sondern als einfachen Staatsbürger. Es existiert kein Staat, wenn nicht der einzelne Bürger sich wichtig nimmt. Wer zweifelt daran, daß eine große Schafherde, die ein Schäfer und ein Hund betreuen, aus sehr verschiedenen Gründen ein schöner Anblick ist? Wir finden dieses Bild als Symbol für die höchsten Dinge gebraucht: einen Staat jedoch bilden diese Herde, dieser Hirte, dieser Hund zusammengenommen nicht.

Meine erste Beziehung zu Bunzlau hat mich auf einen Punkt meines persönlichen geistigen Werdens geführt. Ich bin damit gleichsam selbst in einen kleinen pädagogischen Strudel geraten. Vergeben Sie mir, wenn ich mich durch ihn zu dieser Betrachtung über das Wichtignehmen habe fortreißen lassen. Ich wollte zunächst vielleicht nur den Vorwurf abwehren, ich stellte meine Persönlichkeit zu sehr in den Vordergrund. Damit sei es nun, wie es mag. In der Frage des Wichtignehmens muß ich festbleiben. Wir können nicht weiterkommen, und überdies, wir belügen uns, wenn wir uns etwa als Ameisenhaufen sehen, dem einzelnen Menschen keine größere Wichtigkeit zugestehen, als sie eine Ameise in unseren Augen besitzt. Hoffentlich wird man auch nicht dem Herdenbeispiel schon einen suspekten politischen Sinn beimessen. Es ist so zahm, wie nur je zahmes politisches Denken selbst in der wilhelminischen Epoche eines geboren hat. Einige Worte, die ich neulich zu sagen Gelegenheit fand, sind als politische Rede bezeichnet worden. Nun, meine Herren, es ist politisch, wenn ich sage: ich liebe mein Vaterland, ich wünsche die Einigkeit und dadurch das Gedeihen meines großen Vaterlandes, und ich bin nichtswürdig, wenn ich es nicht sage. Wer, wenn er den Mund auftut, um zu reden, sollte heut, in den Zeiten von Deutschlands großer Not, das umgehen können, was uns allen am nächsten liegt?! Der kann kein deutsches Herz im Leibe haben, dem es gelingt, von Deutschland zu schweigen, nur weil er fürchtet, daß er sich etwa in die bekannte Linie der Politik begibt. Gewiß, ich bin kein Politiker, das heißt, ich habe kein Spezialfach daraus gemacht. Aber: Civis Germanus sum. Und als solcher nehme ich mich wichtig, wenn ich auch über das Wirkungsgebiet eines solchen hinaus in keiner Weise dringen will. Nein, ein Bekenntnis zur deutschen Seele und ihrer Wichtigkeit, ein Bekenntnis zur Heimatseele und ihrer Wichtigkeit, ein Bekenntnis zur Volksseele und ihrer Wichtigkeit, ein Bekenntnis zum einzelnen Deutschen, zu Volk, Land und Staat ist nicht Politik, sondern es ist einem Deutschen das Selbstverständliche: aber doch wiederum nicht so selbstverständlich, daß man von einem lauten Glaubensbekenntnis überall und immer, gerade in unseren Tagen, entbunden sein könnte. Und wir dürfen auch nicht dem, was verloren ist, tatenlos nachhängen und nachtrauern. Fassen wir mutig das ins Auge, was uns geblieben ist! Und da ist uns nicht wenig geblieben. Nach einer bestimmten Richtung leistete Deutschland seine Kraftprobe in der wilhelminischen Zeit. Die Muskulatur ist nicht schwächer geworden. Fragen wir uns nun, ob es nicht möglich sein könnte, daneben mit einer ähnlichen Energie den großen Dom einer deutschen Bildung, einer wahren deutschen Sozialkultur im Raume der Volksseele und des Volkskörpers aufzubauen. Erwecken und pflegen wir zunächst den Glauben daran, und verfolgen wir dieses größte Ziel, das uns allein an Haupt und Gliedern erneuern kann!

Indem ich Sie schließlich bitte, meinen ganz persönlichen innigen Dank entgegenzunehmen, fordere ich Sie auf, mit mir ein dreifaches Hoch auszubringen: Unser großes Vaterland, unsere herrliche Provinz, die deutsche Stadt Bunzlau, sie leben hoch!


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