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Für ein deutsches Oberschlesien

Rede, gehalten in der Philharmonie zu Berlin am 15.Juli 1921.

Von schwerer Sorge, von banger Erwartung erfüllte Landsleute!

Wir wissen, weshalb wir zusammengekommen sind. Wenn wir auch nur einen winzigen Teil der großen, einigen deutschen Nation darstellen, so haben wir doch das Recht und die Pflicht, sozusagen in zwölfter Stunde über diese große, einige deutsche Nation zu reden. Daß sie groß ist, wer wollte das leugnen, trotz allem, was geschehen ist? Daß sie einig ist, einig sein muß, können wir nicht bezweifeln, solange wir uns noch einen Funken von Glauben an ihren Bestand bewahren wollen. Also sage ich: Wir zweifeln nicht, daß die Nation einig und durch die Einigkeit unzerstörbar ist.

Wir stehen also hier für ein ganzes Volk, um vor einer Entscheidung, die über ihm schwebt, noch einmal seine Stimme hörbar zu machen. Ein Oberster Rat zu Paris, bei dem wir Sitz und Stimme nicht haben, wird darüber Beschluß fassen, ob wiederum ein Teil vom deutschen Nationalkörper abgetrennt und einem anderen Staatswesen angeleimt werden soll.

Niemand, Franzose oder Pole, wird, sofern er nur ein halb zurechnungsfähiges Hirn und Herz besitzt, dem Deutschen zumuten, in die Diskussion einer Frage einzutreten, die dahin lautet, ob er auf sein uraltes, angestammtes Eigentum ein größeres Recht besitzt als ein beliebiges anderes Volk. Oberschlesien war bereits ein Teil des alten Römischen Kaiserreichs Deutscher Nation. Es ist alsdann ein Teil Preußens und also ein Teil des neuen Deutschen Reiches gewesen. Wie gesagt, es gibt in dieser Frage für den Deutschen keine Diskussion.

Gewalt ist Gewalt! Wir sind ein besiegtes Volk, ein Volk, das im Kriege, Gewalt gegen Gewalt, unterlegen ist. Also hat man uns meinethalben im Sinne eines irrtümlichen Gedankens der Gerechtigkeit gewaltsam die Verfügung über unseren Landesteil Oberschlesien entzogen. Entzogen, wie man sagen mag, mit dem Rechte der Gewalt. Man hat aber dem Gerechtigkeitsgefühl der schlechthin rechtlichen Welt doch noch das Opfer gebracht, dem in Frage stehenden Landesteil und seinen Bewohnern anheimzugeben, durch Plebiszit zu erklären, ob es bei seinem angestammten Nationalkörper bleiben oder von ihm abfallen will. Da Stimmenmehrheit entscheiden sollte, ist durch Stimmenmehrheit entschieden worden, und zwar, wie zu erwarten war, nicht für den Abfall, sondern für das Verbleiben beim alten Reich.

Wir sind ein besiegtes Volk. Es ist die allerbitterste Wahrheit, die allerbitterste Enttäuschung der Menschheit, daß es im Jahre 1921 überhaupt noch Sieger und besiegte Völker geben kann und insonderheit unter den europäischen Völkern ein so wie wir vom Sieger entmündigtes Volk. Ich sage das nicht als Deutscher, sondern als Europäer, als Europäer, dessen Idee Europa ist. Aber wenn jene Männer, welche diesen Zustand geschaffen, die Idee der edlen europäischen Völkergemeinschaft damit noch so sehr verwundet haben, können sie doch nicht so weit gehen, das von ihnen selbst angeordnete Plebiszit und sein unzweideutiges Resultat zu mißachten, sich über die flammend geäußerte Willensmeinung eines großen Volkes leichtfertig hinwegzusetzen. Dermaßen das Vertrauen von siebzig Millionen Menschen, gutgläubiger Menschen, zu verhöhnen würde meiner bescheidenen Ansicht nach einen Gipfel der Frivolität bedeuten und der europäischen Völkermoral den Todesstoß versetzen.

Wir warnen den Obersten Rat vor einer Politik der in Permanenz erklärten Gewalt. Der große Mensch und Feldherr Helmuth von Moltke hat jeden Krieg unter allen Umständen für ein Unglück erklärt. Krieg mag heroische Kräfte entfesseln, und auch der letzte hat sie entfesselt, aber damit auch andere, ruchlose Kräfte. Und ich komme über die Tatsache nimmermehr hinweg, daß er das fünfte Gebot »Du sollst nicht töten!« durch ein anderes ersetzt: Töte von deinen Mitmenschen, so viele du nur kannst! Aber der Krieg ist fast zu groß in seiner widerspruchslosen, klaren, mit Brand, Mord und Vernichtung jeder Art einherschreitenden Furchtbarkeit, um an ihn, ich möchte sagen, mit den menschlichen Maßen von Gut und Böse heranzutreten. Er ist seinem Wesen nach Gewalt, und Gewalt im Rahmen des Krieges besitzt immer eine gewisse Größe und einen gewissen Adel, die der gleichen Gewalt im Frieden vollständig fehlt. Solche Gewalt, im Friedenszustande geübt, ist etwas, wodurch sich die Menschheit bis ins letzte hinein demoralisiert.

Es würde Gewalt sein, im Frieden geübt, darüber soll sich niemand täuschen, wenn man Oberschlesien von dem Reiche losreißen, uns wegnehmen und einem anderen Verbände angliedern wollte.

Wir warnen also den Obersten Rat vor der Ausübung der Gewalt im Zustand des Friedens. Wir warnen ihn um so mehr, als ihm daran liegt und liegen muß, diesen Frieden friedlicher, segensreicher und dauerhafter zu gestalten, ihn als wirklichen Frieden zu sichern. Nicht nur Europa bedarf des Friedens, sondern die Welt bedarf seiner, da es keinen Fleck auf ihr gibt, der durch den verflossenen unseligen Krieg nicht gelitten hat und an seinen Folgen nicht heute noch leidet. Es handelt sich also darum, die Wunden des Krieges zu heilen und nicht etwa einem friedlich arbeitenden Volk im Frieden neue Wunden zuzufügen. Es geht nicht an, daß einer den Pflug führe, in der heiligen Wehrlosigkeit arbeite, während ein sanktionierter Gewaltmensch mit dem Schwerte in der Hand ihm den Stier vom Pfluge nimmt. Wir warnen den Obersten Rat schließlich und endlich deshalb, weil ihm nicht daran liegen kann, unauslöschliche heimliche Brandherde zu schaffen, die das Werk des Friedens bedrohen und binnen kurz oder lang einen schrecklicheren Weltbrand erzeugen müssen als den, der kaum vorüber ist. Man möge doch ja nicht unterlassen, sich diese Tatsache einzugestehen. Ein neuer Weltbrand würde den letzten Rest menschlichen Wohlstandes und menschlicher Gesittung hinwegraffen, das Gebäude der menschlichen Kultur dem Boden gleichmachen und einen Aschenhaufen zurücklassen. Einen solchen gefährlichen Brandherd aber legt man an, wenn man einen uraltgegebenen und natürlichen Zustand ändert, indem man diesen vitalen Teil vom Reiche reißt und dafür einen neuen, erkünstelten und erzwungenen, also unnatürlichen Zustand schafft. Ein solcher Zustand wird niemals von Dauer sein können und wird so lange den Frieden Europas gefährden, bis er korrigiert ist.

Denkt man etwa daran, die Amputation gefahrloser zu gestalten, indem man sozusagen Teile vom Teil unseres Reiches abschneidet, so gibt man sich einer Täuschung hin. Die brandige Wunde wird immer dieselbe sein, und so groß oder klein sie ist, wird sie hinreichen, das Blut Europas, den Körper Europas weiter zu vergiften.

Wir Hungernden haben eine Stimme gehört – sie klang etwa wie: »Brot!« Wir vor Durst Verschmachtenden haben eine Stimme gehört – sie klang etwa wie: »Wasser!« Wir nach der Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden haben eine Stimme gehört, die klang wie: »Gerechtigkeit!« Es war uns darum ein großer Augenblick, als der mächtige europäische Staatsmann Lloyd George sein Wort vom Fair play in das Chaos warf. Ich sage: Ein Mann – ein Wort, und ich baue darauf.

Und wir nach dem Frieden Hungernden haben von jenseits des Ozeans eine andere Stimme, die des Präsidenten Harding, gehört, die eine Zeitung »Sun«, das heißt die Sonne, »das erste Licht« nannte. Wie finster muß dieser Sonne die Welt erschienen sein, wenn sie selbst so entzückt das erste Licht begrüßte! Diese alte Sonne hat recht: es ist eine finstere Zeit. Aber eine Stimme ruft: »Die Waffen nieder!« von jenseits des Ozeans. Das will bedeuten, daß diese Stimme »Frieden, Frieden!« ruft. Fort mit den Taten der Gewalt!

Und also möge es endlich Licht werden!


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