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Otto Brahm

Rede am Sarge Otto Brahms, gehalten am 1. Dezember 1912.

Der hier liegt, ist nicht der erste Freund, den ich verloren habe, nicht der erste ausgezeichnete Mensch, den die Welt verliert. Aber solche Verluste sind für die Zurückbleibenden Ereignisse von mysteriöser Tiefe, immer gleich überraschend, verwirrend und schmerzlich.

Indem ich hier rede, in Gegenwart eines Toten, der noch vor ganz kurzer Zeit eine volle und ganz lebendige Gegenwart war, bin ich wie jemand, dem ein Teil seines Wesens abgerissen wurde und dessen Wunde noch offen ist. Davon gebe ich Zeugnis. Ich sage es ganz einfach, ein wie wichtiger Teil meiner Seele mit diesem Manne verbunden war und durch sein Scheiden versehrt wurde. Wir waren verbunden durch eine verwandte Innerlichkeit und durch äußere Umstände. Das Werk dieses Mannes war zum Teil mein Werk, und mein Werk war zum Teil das Werk dieses Mannes.

Durch nahezu fünfundzwanzig Jahre hielten wir innerlich und äußerlich in dem wunderlichen Kriege dieses Lebens zusammen und kämpften für eine Sache, in der wir Schritt für Schritt Boden gewannen. Andere gleichwertige Kämpfer mit uns. Im Kampf verbunden, gab es etwas, das uns noch tiefer verband. Ich darf es nennen: das Ideal. Dieser Mensch, Mann und Freund war deutscher Idealist im reinsten Sinne. Wenn wir ein Bild für das Wesen einsetzen, so kann man von einer Standarte des Ideals sprechen, die er hochhielt. Ein solches Feldzeichen kann schwanken, ja sinken, ohne Unehre, sofern ihr Träger es festhält, das heißt nicht wegwirft. Der hier liegt, hat die Standarte festgehalten und niemals weggeworfen.

Die hier Versammelten kennen ihn. Ich habe nicht nötig, Beweis für mein Zeugnis beizubringen. Wir wissen, daß diesen tief wertvollen Mann die besondere deutsche Eigenschaft des Idealismus auszeichnete. Nicht eines vagen Idealismus, sondern eines festbegründeten, von Überlegung und Umsicht getragenen, eines mit Mut und Zähigkeit gepaarten Idealismus. Ich glaube nicht, daß in der Geschichte des deutschen Theaters eine solche Verbindung von praktischer Kraft und ideeller Kraft jemals vor ihm dagewesen ist. Er zwang das Theater zu einer ernsten, echten und lebendigen Kunst. Er brachte es dem Leben und ihm das Leben nahe in einer Weise, wie es bis dahin niemals geschehen ist. Und in Brahm verkörperte sich eine andere deutsche Eigenschaft: die oft gerühmte, weniger oft wirklich anzutreffende deutsche Treue. Nicht nur, daß er sie der Sache hielt, er hielt sie auch der Person. Das wissen alle, die ihn gekannt haben. Er nahm Schwächen in Kauf um der Treue willen, und er stützte Schwankende, Strauchelnde und Mutlose.

Sein Leben war kein leichter Dienst. Sein Beruf war schwer. Es mag Leute geben, die einen Kampf für die Würde des deutschen Theaters nicht für wichtig genug ansehen, um an seinen Ernst zu glauben. Es ist sein Verdienst, seine Wichtigkeit erkannt und seine Person dafür eingesetzt zu haben. Er belud sich deshalb mit Sorgen, Mühen und Aufgaben aller Art, unternahm Feldzüge, erlebte Siege und Niederlagen, Erfüllungen und Enttäuschungen, weit ab von dem Dasein, wie es der ruhige Bürger in Bequemlichkeit führen kann. Das Verantwortlichkeitsgefühl eines bedeutenden Staatsmannes, dem das Geschick seines Vaterlandes in die Hand gegeben ist, kann nicht größer sein. Er bedarf einer größeren Summe von Arbeit, Ausdauer, Umsicht und Tapferkeit.

Der Mann, der hier liegt, hat einen wahren Kulturkampf ritterlich durchgefochten. Er ehrte sich selbst durch diesen Kampf. Er mehrte den deutschen Kulturbesitz, und dieses Bewußtsein genügte ihm. Rücksicht auf andere, äußere Ehren kannte er nicht. Aber der König von Norwegen hat gerade darum diesen Ritter vom Geist, diesen Ritter vom deutschen Geist, zum Ritter des Sankt-Olaf-Ordens geschlagen.

Wir aber, wie ehren wir diesen Mann? Indem wir sein lebendiges Werk erhalten und fortsetzen: das Werk, dessen Bedeutsamkeit sich dem Betrachter immer tiefer und tiefer erschließt. Es hat auf einer gewissen Ebene die Einheit von Kunst und Volk zum Ereignis gemacht. Das Theater ist in ihm gleichsam zum Atmungsorgan der Volksseele geworden. Er gab dem Abseitigen, eigentlich Volks- und Weltfremden die schlichte Kraft einer naturnotwendigen Funktion.

Wir danken dir, lieber Brahm, für alles, was du so hingebungsvoll für deutsche Art und Kunst geleistet hast. Und ich danke dir für deine niemals schwankende Freundestreue. Ich sage dir ade, ade, du ausgezeichneter, treuer Mensch, Mann und Freund!


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