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Abschied von Paul Schlenther

Rede, gehalten am Sarge Paul Schlenthers im Krematorium Berlin-Wedding am 2. Mai 1916.

Vor allzu kurzer Zeit haben viele von uns, wie jetzt, in diesem tiefernsten Raume gestanden um den Sarg eines geliebten Freundes. Einer der damaligen Leidtragenden ist der, dessen Hingang wir heute betrauern und der nun selbst unter Blumen im Sarge liegt. Wo ich jetzt stehe, dort stand damals er, mühsam gegen die eigene Rührung ankämpfend.

Lieber Schlenther: ich kannte dich immer als einen sein allzeit warmes Gefühl beherrschenden Mann. Damals warst du fast unbeherrscht, beinahe gebrochen in deinem Schmerze.

Indem du hierhergetreten bist, so nahe an das Tor des Todes, sahst du vielleicht jemand, der dich hineinwinkte. Vielleicht flüsterte er dir zu, daß du von der berührten Schwelle nicht mehr weit und nicht auf lange zurücktreten würdest.

In Paul Schlenther ist einer der besten Deutschen aus dem Leben geschieden.

Mit welchem Recht ich dies sage, wissen alle, die das Glück hatten, ihn zu kennen, und viele der besten Stimmen haben in schmerzlichen Nachrufen laut ausgesprochen, was er war. Man vermag dieser allgemeinen, gerechten Würdigung kaum etwas hinzuzufügen.

Schlenther war zunächst eine glänzende Feder. Aber obgleich Tagesschriftsteller im besten Sinne, der seine Feuilletons in genialer Mühelosigkeit schrieb, richtete sich das Augenmerk seiner Seele stets auf das Bleibende. Diesem Zug seines Wesens folgend, ward er auch über den Rahmen des Tages hinaus zum Autor von Rang.

Wer diesen stämmigen, prachtvollen Ostpreußen zuerst kennenlernte, dessen Art schwerblütig, nüchtern, karg, verschlossen und eher für die Praxis des bürgerlichen Lebens geeignet erschien, mußte erstaunt sein über die ein für allemal entschiedene, restlose Hingabe gerade dieser Natur an die besondere Welt des Theaters.

Aber, nun waren es gerade diese Eigenschaften des tüchtigsten Bürgertums, die seine leidenschaftliche Neigung dem Theater so wertvoll machen sollten.

Wir wissen, wie er sich sehr bald nach seinen journalistischen Anfängen aus dem Nur-Negativen ins Positive hinauf entwickelte. Er wollte nicht nur Unkraut ausreuten, er wollte auch Pflanzer und Gärtner sein.

Mit den geistigen Wurzeln selbst tief und warm gebettet in der goldenen Erde des deutschen Nationalbesitzes an dichterischem Gut, schritt er dazu, neue Reben zu pflanzen und in neuen Weinbergen neue Ernten vorzubereiten.

Er sah wohl ein, daß die köstlichste literarische Vergangenheit einzig und allein durch eine starke literarische Gegenwart lebendig wird. Nur das Lebende weckt Lebendiges.

So ward von Paul Schlenther und Otto Brahm in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten jene Freie Bühne errichtet, die der Keim unseres ganzen dramaturgischen Gegenwartslebens geworden ist.

Wer der Entstehung des Baues nahestand, weiß, wie viele praktische Klugheit aufzuwenden war, um ihn unter Dach zu bringen. Die Bauleute bauten mit Kelle und Schwert unter ständigen Angriffen und Bedrohungen durch den herrschenden Geist der Zeit.

Aber mit der Vollendung, mit dem Siege des Instituts bekamen Paul Schlenther und Otto Brahm das Steuer der versandeten Karavelle des allgemeinen deutschen Theaters für lange Zeit in die Hand. Das Schiff wurde flott, bekam Fahrt und übergab sich dem großen Weltmeer, das es hoffentlich, durch gutes und schlechtes Wetter, noch an viele unentdeckte Küsten tragen wird. Denn seit der Zeit hat es Fahrt behalten.

Das deutsche Theater ist eine ernste Macht geworden. Es bleibt dabei, trotzdem eine dramatische Schundliteratur ohnegleichen gerade während des Krieges wuchert und es zu bedrohen scheint. Die alten, lebendig ernsten Tendenzen wirken an den ersten Theatern Berlins, Wiens, wirken in Dresden, in München, in Stuttgart, in Hamburg und anderen Orten fort und werden nach vollendetem Sieg der deutschen Waffen noch gesünder aufblühen.

Freilich müssen wir immer wieder auf Männer hoffen, wie Schlenther einer gewesen ist. Ohne den moralischen Halt, den solche Naturen geben, verfällt das korruptibelste aller Institute rettungslos.

Lieber Schlenther! ich habe hier an deinem Sarg vom deutschen Theater geredet, und ich denke mit gleichem Recht, wie man an dem Grabe des Sokrates von den letzten Fragen der Philosophie reden würde. Die Bühne war mehr als dein Thema, dein Objekt, sie ist dein echtestes Leben gewesen.

Und wir werden zwar auch an die Bühne denken, die nichts als ein Brettergerüst und bemalte Leinwand ist, halten uns aber gegenwärtig, daß auf diesem altehrwürdigen Institut seit grauen Zeiten, immer und immer wieder, im Symbol Teile des großen Weltdramas abgehandelt worden sind. Dieses Gerüst hatte Himmel, Erde und Hölle, hatte, je nachdem, das diesseitige und das Leben nach dem Tode zu tragen. Die Namen der erlauchtesten Geister aller Zeiten und mehr noch die Geister selbst haben es weltweit gemacht und sind mit ihm unlöslich verknüpft. Und wir erfahren von ihm herab, wie jeder von ihnen, als Demiurg, sich, vom Geiste des höchsten Weltenkünstlers berührt, seine eigene Welt erschuf.

Eins der frühesten Dramen findet sich in einem ägyptischen Totenritual oder Totenbuch. Seine Handlung beginnt mit dem Austritt aus der irdischen Welt und setzt sich fort durch die Ankunft in den himmlischen Wohnungen und in der Verklärung der Seele im Lichte der Sonne.

Lieber Schlenther, das sei auch dein Weg.

Ade!


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