Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Der Alte war seit Jahren nicht gewohnt, daß jemand ihm widersprach; was er wollte, das wurde ausgeführt, und um so unerbittlicher, wenn er sah, daß jemand ein schief Gesicht dazu machte, das hatte sein Gesinde oft erfahren. Der fremde Wille von Vreneli würgte ihn im Halse wie ungewohnte, seltsame Kost, und doch würgte er ihn herunter mit manch seltsamem Gesicht und ergab sich darein, aber nicht wie Joggeli es getan hatte, unter Knurren und Murren und beständigem Widerstreben, sondern als er ihn endlich hinunter hatte, sagte er: «Nun, dir zu Gefallen, daß du es nur weißt. Aber darauf zähle ich dann auch, daß wenn ich finde, der Hof habe seinen Teil und die Sache sei beisammen, du kein Wort mehr sagst. Hasse nichts mehr als das beständige Wiederkauen.»

Vreneli zögerte noch, seine Hand in die dargebotene zu schlagen und das Versprechen abzulegen, denn das alte Haus war ihm ans Herz gewachsen; aber da tat Hagelhans seine großen Augen auf, und Vreneli schlug ein.

Über einen andern Punkt kamen sie dagegen nie zum Einschlagen, da war beständiger Streit, doch nie ein feindseliger. Hagelhans haßte den Johannes, aber mehr noch Elisi; wenn er es sah, ward es ihm wie Andern, wenn sie Mäuse oder Kröten sehen. Johannes ließ sich auf der Glungge nicht mehr sehen, seiner Väter Gut hatte er den Rücken gewendet auf immer. Elisi hingegen hatte es wie die Katzen, welche nicht an den Personen, sondern an den Häusern hängen sollen, es konnte nicht von der Glungge lassen. Obgleich einige Stunden davon entfernt, erschien es doch alle Augenblicke auf derselben als wie vom Himmel herab, gebärdete sich daselbst als des Hauses Tochter und behandelte Vreneli auf die alte Weise, als ob dasselbe um Gottes willen da sei, sagte ihm das Unverschämteste und forderte von ihm, was ihm beliebte. Man wußte nicht recht, war es Dummheit, war es Bosheit, war es eingefleischter Hochmut oder war es die Art von Anhänglichkeit, die sich bloß durch Kratzen, Beißen, Klemmen zu äußern vermag. Vreneli ertrug dieses mit klarem Gemüte wie die Eiche die Fledermaus, welche in ihr nistet, der Berg den Morast, der an seinen Fuß sich schmiegt. Hingegen Hagelhans vermochte das nicht, gerne hätte er es, gleich einer Made im Käs, mit dem Fuße zertreten. Er befahl Vreneli, mit Elisi abzubrechen, es einmal vom Hofe wegzujagen wie einen Hund, daß es das Wiederkommen bleiben lasse, das Mensch wolle er nicht mehr antreffen. Es könnte ihn ankommen, er stecke ihm eine, daß es mehr als genug daran hätte für immer. Aber Vreneli wollte das nicht. Der Base Kind jage es nicht vom Hofe weg. Lieb sei ihm Elisi nicht und werde es nicht, aber es erbarme ihns, an allem sei es nicht schuld und sollte jetzt nirgends mehr sein in der Welt. Die Base drehte sich noch im Grabe um, wenn sie wüßte, wie es ihren Kindern erginge. «So drehe sie sich meinethalb,» sagte Hagelhans, «aber das Mensch lässest du mir nicht mehr ins Haus und jagst es mit dem Besen vom Hofe, das tust.» «Und das tue ich nicht,» antwortete Vreneli. «Und das tust du,» sagte Hagelhans, und seine Augen glühten lichter und wurden rund wie Pflugräder. «Und das tue ich nicht,» sagte Vreneli, und seine Augen wurden rund und flammten, «und das tue ich nicht, und risset Ihr mir den Kopf vom Halse. Recht ist recht und schlecht ist schlecht, und da hat mir niemand was zu befehlen als mein Gewissen und Gott.» So hatte zu Hans noch niemand gesprochen. Erstaunt sah er die glühende Frau an, sagte endlich: «Sollte ich wohl vor dir mich fürchten müssen?», ging, sagte von Stunde an nichts mehr von Elisi, aber wo er Vreneli einen Wunsch anmerkte, ward er erfüllt.

Es klopfte einmal an einem recht wüsten, windigen Regentage, wo Vreneli die Küchentüre zugemacht hatte, damit der Wind ihm nicht ins Feuer komme, an der Türe. Vreneli öffnete, draußen stand seine Freundin, welcher es zu Gevatter gestanden, pudelnaß, mit einem ebenso pudelnassen Kinde auf den Armen. «Mein Gott, bist du es,» sagte Vreneli, «bei solchem Wetter; was denkst doch, daß du bei solcher Zeit zur Türe aus gehst und noch dazu mit einem Kinde?» Nun begann die Frau sich weitläufig zu entschuldigen, daß sie nicht früher gekommen, aber bei gutem Wetter habe sie Arbeit gehabt und diese nicht versäumen wollen. Vreneli dachte dazwischen, ihns zu mahnen an das Gutjahr (Neujahrsgeschenk der Paten) hätte es nicht gebraucht; es sei ihm leid, daß die Freundin so unverschämt geworden, aber die Armut werde dies machen. Aber, fuhr die Frau fort, sie hätte nicht länger warten wollen, ihm zu danken, es hätte sonst glauben können, es sei ihr nichts daran gelegen, und doch könne sie nicht sagen, wie schrecklich es sie gefreut, daß es so an sie gedacht, sie hätte einen ganzen Tag das Wasser in den Augen gehabt.

«Weiß nichts,» sagte Vreneli, «was meinst?» «Vexiere nicht,» sagte die Frau, «du oder der Bauer, wird ja auf eins herauskommen, haben uns ja Bescheid machen lassen, es sei hier eine Behausung leer. Wenn wir keine hätten oder noch nicht zugesagt, so sollten wir kommen; sie sei gut, wohlfeil und das ganze Jahr Arbeit. Ich kann dir nicht sagen, wie das mich freute, daß du an mich dachtest und daß ich in Zukunft doch auch jemanden haben soll, dem ich klagen darf, was mich drückt, und Rat holen, wenn ich nicht mehr weiß wo ein und aus.» «Daran bin ich wahrhaftig unschuldig,» sagte Vreneli, «weiß kein Wort davon.» «Verschäm dich dessen nicht,» sagte die Frau, «sonst dauert es mich. Für einen Narren gehalten wird mich doch niemand haben,» setzte sie erschrocken hinzu, «das wäre doch schlecht, mein Gott!»

«Habe nicht Kummer,» sagte Vreneli, «und wäre es so, so läßt sich aus Spaß Ernst machen. Aber mir fällt ein, was es sein könnte. Ich erzählte einmal unserm Bauer von dir, wie du mich erbarmet, wie ich gedacht, wenn es zu machen wäre, so möchte ich dich in die Nähe; dein Mann sei gut zur Arbeit, und eine vertraute Person käme mir in hundert Fällen so kommod. Jetzt ist ein Häuschen, welches der Bauer zu vermieten hat, leer; was gilts, er hat dran gedacht, was ich ihm gesagt, und er ists, der dir Bescheid gemacht hat.» «Ists noch ein Junger?» fragte die Frau. «Fragst wegen mir oder fragst wegen dir?» frug Vreneli mit einer Miene, von welcher man nicht recht wußte, ob Zorn oder Spott in ihr stach. Die Frau erschrak und wußte nicht, was sie sagen sollte. «Sieh,» sagte Vreneli, «das macht mich am bösten, daß wenn ein Mensch tut, was recht ist, Andern zulieb zu leben sucht, so sucht man gleich was Schlechtes dahinter, und fast ohne daß man es weiß. Es ist ein alter Mann, ein Bölimann, ein Kindlifresser von außen, hat aber ein gutes Herz, und wenn er mal weiß, daß man treu ist und es gut mit ihm meint, so tut er einem zu Gefallen, was er kann und mag. Er ist darin ganz das Gegenteil vom frühern Bauer. Doch das kannst am besten selbst erfahren. Er ist da, dort drüben im Stock, gehe hin und machs mit ihm ab.» Vreneli zeigte der Frau den Weg zum Bauer, «unterdessen mache ich dein Kind trocken und lege es ins Bett.»

Die Frau wollte nicht gerne gehen, meinte dies, meinte das, aber Mutter Vreneli konnte auch befehlen, besonders wenn wunde Flecken berührt worden waren. Es ging nicht lange, so kam die Frau wieder daher mit gröblich langen Schritten, platzte fast zur Türe herein und schrie: «Wenn ich geschwollen werde am ganzen Leibe, so bist du schuld; mein Lebtag hab ich noch kein Ungeheuer gesehen als heute, es zittern mir alle Glieder.» Hagelhans war wahrscheinlich im Négligé gewesen, hatte langen Bart gehabt und die Stimme tief unten herauf genommen, als er den kurzen Bescheid gegeben, sie solle die Sache mit Vreneli machen, wie es sie mache, sei es ihm recht, daneben machen daß sie fortkomme, sie sei eine Stürme. Das habe ihr doch noch niemand gesagt, und das habe er in einem Ton gesagt, daß es gerade gemacht, als ob es donnere. Es sei ihr gewesen, als zittere der Boden unter ihren Füßen, sie hätte gemacht daß sie fortkomme, und ihr sei immer gewesen, als sei hinter ihr eine Hand, fasse sie am Hals und wolle ihn umdrehen.

«Und was dünkte dich,» frug Vreneli boshaft, «ists ein Junger oder ein Alter?» «Verzeih mir Gott meine Sünde,» sagte die Frau. «Ich bin eine arme Sünderin, aber die schlechteste doch nicht, aber wenn ich den sehe, wäre es mir immer, der Leibhaftige wäre da und wolle mich nehmen.» Vreneli hatte Mühe, die gute Frau zu beruhigen und sie zu bewegen, das Anerbieten anzunehmen. Wer weiß, wenn ihr die Behausung nicht so anständig gewesen, die Bedingungen nicht so eingeleuchtet hätten und Vreneli nicht so lieb, ob sie sich hätte bewegen lassen, so hatte der Alte ihr das Herz wackeln gemacht. Sie freute sich endlich doch der Sache, ging reich beschenkt weg. Aber sobald sie Vreneli nicht mehr sah, kam ihr die Angst wieder, sie lief, als ob der Leibhaftige ihr auf der Ferse sei.

Vreneli war äußerst dankbar für des Vetters zuvorkommende Güte. Einer vertrauten Person bedurfte es. Eine solche Person bildet die Brücke, welche die Meisterfrau mit der ihr untergeordneten oder sie umgebenden Welt verbindet, so wie der König mit sämtlichem Gesindel in Zusammenhang steht durch seinen Justiz- und Polizeiminister. Nun kömmt es immer darauf an, daß der König genau die Beschaffenheit der Brücke kenne. Zwischen einer faulen und einer soliden ist bekanntlich ein bedenklicher Unterschied. Mit Bedauern bemerkte es freilich, wie weit, wenn auch die Herzen eins bleiben, die Wogen des Lebens die Menschen in ihren Anschauungen des Lebens auseinandertragen können. Die Einen werden in Niederungen abgesetzt, wo sie keinen freien Blick haben, sondern nur anschauen und auffassen, was die Fluten an ihnen vorüberführen, während Andere auf Hügel getragen werden, wo sie weite Umschau haben, schauen können, was sie wollen, und ein sicher Urteil sich bilden in dem Vergleichen des Vielerlei über jedes Einzelne. Oft geschieht es, daß dabei die Herzen auseinandergerissen werden, oft bleiben sie in Liebe eins, wenn die Treue über dem Dünkel steht, das Gefühl über der Meinung. Vreneli fühlte mit Schmerz diese Verschiedenheit des Standpunktes, doch tröstete ihns das Bewußtsein der Überlegenheit, welche es von je auf die Freundin geübt. Die wolle es anders machen, dachte es, die müsse es lernen, wie es gute Leute gebe, welche das Gute wollten und das Rechte übten, weil sie es liebten und nicht aus Hinterlist und als Deckmantel der Sünde.

Zum Vetter ging es hinüber, um ihm zu danken für seine Güte. Dieser frug nach Uli, er habe ihn heute nicht gesehen und möchte mit ihm reden. Er sei fort, sagte Vreneli, wahrscheinlich komme er heute wieder, doch wisse es es nicht bestimmt. «Wo ist er hin?» frug Hagelhans, «ist doch heute kein Markt hier herum?» «Darf es Euch, Vetter, fast nicht sagen,» antwortete Vreneli. «So laß es bleiben,» sagte der Vetter, «werde gleichwohl schlafen können.»

«Vetter, es ist nichts Böses,» sagte Vreneli. «Damit Ihr nicht böse werdet, kann ich es Euch wohl sagen jetzt, da die Sache abgetan sein wird. Vorher wollten wir nichts davon sagen, dieweil, je mehr man von solchen Dingen redet, man um so weniger sie tut von wegen all den Wenn und Aber, welche dazwischengesprochen werden. Schon lange drückte uns was und besonders Uli. Ihr wißt, wie er einen Prozeß gewonnen, der im Grunde ungerecht war, und was das Mannli ihm gesagt. Wir durften nie nach ihm fragen, wie es ihm ging, und Uli ging immer mit Angst auf einen Markt hierherum und nur, wenn es sein mußte; er mußte immer fürchten, dem Manne zu begegnen. Er sagte oft, er wollte fast lieber einen Stich in den Leib als das Mannli vors Gesicht. Was hätte es uns geholfen, wenn wir seine Armut vernommen, während wir nicht helfen konnten? Wir fürchteten nur noch unglücklicher zu werden. Jetzt geht es uns Gottlob wieder gut, wir haben Geld mehr als wir brauchen, aber keine rechte Freude daran gehabt. Es drückte uns immer das Gefühl, es sei ungerechtes Geld, und zwar so lange, als jemand unschuldig durch uns um seine Sache gebracht worden. Nun wißt Ihr, wie letzthin Uli so viel Geld aus dem Lewat gelöst. Als er es versorge, sagte er mir: Was meinst, wenn ich es probierte und abmachte mit dem Mannli? Das war ein Wort wie aus dem Himmel; was ich sagte, könnt Ihr denken. Aber wir wurden rätig, es im Stillen zu machen, niemanden davon zu reden. Vor der Welt sind wir es nicht schuldig, darum hätten die Einen uns ausgelacht, Andere abgeraten, und die Dritten wären böse darüber geworden.»


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