Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Daran hatte eben Uli nicht gedacht und mußte es erfahren, hatte nur eines im Auge gehabt; mußte erfahren, wie es einem geht, der nur nach den Sternen am Himmel guckt und nicht auch auf die Steine im Wege. Uli hatte den Karrer fortgejagt, den Melker einmal geprügelt, er hatte die Ruhe eines altaristokratischen, gewiegten Bauern noch lange nicht. Kaum ein Bauer verstund die Arbeit besser als er, war befähigter zu befehlen, und das machte ihn am zornigsten, daß sein Gesindel dieses nicht einsehen wollte, sondern ihn immer betrachtete als seinesgleichen, daß wenn er was befahl, mit groben Zügen auf ihren Gesichtern zu lesen war: Du bist nicht mehr als wir, warum solltest du das besser wissen?, daß sie so gar keinen Respekt vor ihm hatten, mit seiner Sache umgingen, als wäre sie die ihre, als hätte er gar nichts darnach zu fragen. Er erfuhr, was es heißt, Knechte und Mägde dressieren; der Faden seiner Geduld riß, und nach jedem Riß war es schwerer, ihn zusammenzuknüpfen. Immer weniger Komplimente machte er mit seinem Gesindel, wie er es nannte. Es seien deren wie Sand am Meere, welche froh seien über solchen Dienst und gerne was lernten; er wolle besser auslesen, da habe er gefehlt, sagte er. Aber der fortgejagte Karrer, der geprügelte Melker, Andere, welche fort sollten, Tagelöhner, welche es mit den Dienstboten gehalten und die Uli entlassen, alle kriegten Mäuler wie Trompeten und verschrien Uli zehn Stunden in der Runde, als ob er Hörner hätte auf dem Kopfe, Krallen an den Fingern und Klauen an den Füßen, und logen nebenbei noch klafterhoch, daß man eigentlich darüber hätte stolpern können. Aber es glaubten dieses die Bauern gerne, denn Uli gehörte nicht zu ihnen, hätte aber gerne werden mögen, was sie; es glaubten es die Dienstboten gerne, weil er einer war, der sich über sie erheben wollte, und weil es alle gerne glaubten, so glaubten sie es um so fester.

So war der Zudrang zu Ulis Dienst nicht halb so groß, als er gedacht. Die Besten kamen nicht, weil er nur Pächter war. Man sage, was man will, im Grunde des Herzens sind alle Menschen Aristokraten, denn so hat sie unser Herrgott geschaffen. Bei einem Bauer dient der Knecht, der sich für einen Pächter zu gut glaubt, bei einer Herrschaft eine Magd, welche für ihr Leben nicht eine Bauernmagd gewesen wäre, und wenn ein Dienstbote sich was Gutes zu Gemüte führen oder sich recht rühmen will, so sagt er: Er habe in lauter vornehmen Häusern gedient, nur so zu gemeinen Bürgersleuten hätte man ihn mit keiner Gewalt gebracht. Die Zweitbesten schreckte der böse Ruf ab. Man sage, ein Jahr sei bald um, meinten sie, aber wenn man es in der Hölle zubringen müsse, so strecke es sich, daß man verzweifeln müsse, das Ende zu erleben; einmal hätten sie es schon erfahren, probierten es ferner nicht.

Bloß unter den Drittbesten hatte Uli auszulesen. Ja, da ists schwer auslesen und was Gutes treffen! Diese Drittbesten zerfallen zumeist in zwei Abteilungen: die erste besteht aus angehendem Volke, undisziplinierter Miliz; zu vergessen ist dabei nicht, daß die besten Angehenden nicht unter diese Klasse gehören. Die besten machen ungefähr den Kurs durch, den Uli machte. Die zweite Abteilung der dritten Klasse wird aus denen geschaffen, welche was Unrichtiges haben, daher in nächster Nähe nicht Dienst finden, sondern ihr Heil weiter suchen müssen. Sie kennen mehr oder weniger den Dienst, wissen sich als Gediente darzustellen, haben aber was an sich, welches nicht jedermann liebt: die Einen haben zu lange Finger, Andere zu weiten Schluck, zu langen Durst, Andere zu langsame Beine, Andere ein zu geläufig Maul, Andere zu heißen Zorn, Andere zu heiße Liebe, kurz was, welches nicht paßt und namentlich für einen Meister sehr unbequem ist. Das Ding, welches nicht jedermanns Sache ist, ist in der Nähe bekannt geworden, sie müssen daher ihre Plätze in der Ferne suchen, wohin ihr Ruf noch nicht gedrungen ist, müssen vorlieb nehmen mit allem, was sie finden. Solche unbeliebige Eigentümlichkeiten sollten von Rechtswegen in Zeugnissen bemerkt oder wenigstens angedeutet sein, denn wofür hat man eigentlich Zeugnisse? Aber gerade hier ist ein fauler Fleck im ganzen Verhältnis, und eine Meisterschaft schmiert die andere auf das schmählichste an.

Ein solches Zeugnis soll enthalten den Ausdruck der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit einem Dienstboten; die Gründe von beiden sollen, wenn auch nicht ausdrücklich bemerkt, so doch angedeutet sein. Denn ein Zeugnis soll Wahrheit enthalten, es wird als Wahrheit bezeugt durch Namensunterschrift, man soll dazu stehen können mit einem Eide. Diese Zeugnisse wurden eingeführt um der Meister und der Dienstboten willen. Einem Hausvater darf und soll es nicht gleichgültig sein, wen er in sein Haus aufnimmt. Jeder Mensch hat seine Bedeutung in einem Hause, trägt mehr oder weniger zur Stimmung des Hauses bei, kann vergiftend und verpestend des Hauses größtes Unglück sein, ein Laster einschleppen wie ein Pestkranker die Pest. Darum will ein Hausvater wissen, wen er in sein Haus aufnimmt. Wenn derselbe Fehler hat, so kann er vor denselben sich in acht nehmen, aufpassen, bessern, Bedingungen stellen usw. Die Zeugnisse sind aber noch wichtiger für die Dienstboten selbst. Wenn ein Knecht weiß: Ich verdiene in diesem Jahre nicht bloß den Lohn, sondern auch ein Zeugnis, und zwar eines nach der Wahrheit, akkurat wie ich mich aufführe, ein gutes oder ein böses, so kommt dieses seiner Schwachheit zu Hülfe, lehrt ihn aufpassen, stärkt seine Kräfte. Sie sind, was dem Studenten seine Examen, Promotionen und daherige Testimonien sind. Ach, wir sind gar armselige, schwache Geschöpfe! Mit allen möglichen Mitteln muß man unserer Schwachheit aufhelfen, uns aufklepfen aus unserer Faulheit und Selbstvergnüglichkeit und dahin bringen, daß wir unsere Tage mit Weisheit zählen, damit wir Erfahrungen ins Herz bringen. Dienstboten haben solche Stärkungen wohl so nötig als Studenten. Leichtsinn und Gedankenlosigkeit kömmt über das rohere Gesindel wohl so häufig als über gebildete Jünglinge, welche denn doch täglich geistige Speise zu sich nehmen. Und wie oft schleicht sich die Bosheit ein, welche die Herrschaft absichtlich plagt, mit Vorbedacht allen möglichen Schabernack ihr antut und weder durch Bitten noch Drohungen sich abwendig machen läßt! Wenn nun rechte, wahrhafte Zeugnisse wären, wenn jeder Dienstbote wüßte: was er treibt, kömmt in die Rechnung, ins Zeugnis, und da steht es geschrieben und bleibt geschrieben, bei jedem neuen Meister muß ich mich ihretwegen entschuldigen und kann den Fleck nicht tilgen, sondern bloß durch gute spätere Zeugnisse bedecken, so gleichsam annullieren: es würde gar Mancher größere Aufmerksamkeit auf Tun und Dienst verwenden, würde allmählich zu einem tüchtigen Wesen heranwachsen, zu selbsteigenem Nutz und Frommen. Es würde wirklich ganz anders aussehen in der Gesindewelt.

Nun aber ist das Ding verpfuscht, die meisten Zeugnisse sind untreu, lügen an, wer sie liest, und warum? Vor allen Dingen wahrscheinlich aus einem gewissen Mitleiden, einer falschen Barmherzigkeit. Das Mensch weinte, flehte, bat, man möchte ihm doch verzeihn, es nicht unglücklich machen, seine Sünden ihm nicht im Zeugnis verewigen, es wolle sich gewiß und wahrhaftig bessern. Die weichen Meisterherzen ließen sich bewegen, dachten, es wäre doch wirklich hart, das Mensch unglücklich zu machen, ihm sein Lebtag mit ein paar Buchstaben so schwer zu schaden, und bedecken die Menge der Sünden mit dem Mantel der Liebe. Und das Mensch geht triumphierend mit dem schönen Zeugnis ins neue Jahr hinein, treibt sein wüstes Wesen fort, denkt, mit einer Stunde Heulens erpresse es zuletzt doch wiederum ein gut Zeugnis, und eine Stunde zu heulen gehe ihm doch allweg viel leichter, als ein ganzes langes Jahr hindurch gut zu tun. Es lebt sein schlecht Leben wohlgemut und trotzig fort, verschanzt sich keck hinter seine guten Zeugnisse, macht die Schanze alle Jahre um ein Zeugnis stärker und höher. Sagt ihm eine Meisterfrau was, so brüllt es ihr ins Gesicht, wie manch gut Zeugnis es habe, wie es allenthalben wohl angewesen, es allen habe treffen können, nur ihr alleine nicht! Aber man kenne sie wohl, sie sei bekannt von Spandau bis Magdeburg, und wenn ein Engel vom Himmel käme, keine Stunde könnte er es ihr recht machen! Die Meisterfrau gibt wiederum ein prächtig Zeugnis, sie denkt, sie wolle doch nicht allein die Böse sein; hätten die Andern die schönen Worte über das Gewissen gebracht, so werden sie ihr das ihrige auch nicht abdrücken; besser sei es, sie bringe das Mensch im Frieden fort als unter Donner und Blitz, der ihr zündend in Galle oder Nerven fahre, oder daß sie gar noch mit ihm vor den Richter müsse. Das Mensch aber hebt triumphierend das Stück Papier empor und sagt: «Es kömmt Euch wohl, daß Ihr Verstand gebraucht und mir ein Zeugnis gegeben, wie ich es verdient und mit den andern Zeugnissen beweisen kann. Das waren brave Leute, welche sie ausgestellt, es wäre wohl gut, es würde keine schlimmern geben. Es kömmt Euch wohl, sonst hätte ich es probieren wollen, ob noch Gerechtigkeit sei auf der Welt, es gibt Gottlob noch Richter, welche wissen, was Recht ist.» Das Mensch wußte wohl, worauf es pochte, denn es gibt wirklich viele Richter, welche aus Grundsätzen der Humanität allen Mägden recht geben gegen ihre Meisterleute, und es gibt Richter, welche ganz besondere Vorliebe zu schlechten Menschern haben und streng an den christlichen Grundsatz, wie sie sagen, sich halten: Wer viel liebt, dem wird viel vergeben werden. So kommt das Mensch denn endlich dahin, daß es sich selbst für ein Tugendmuster hält, denn es hat es ja schriftlich und mehr als ein dutzendmal, und wenn es endlich in Laster und Not untergeht, so schreit es über die schlechte Welt, und wenn es so schlecht hätte sein wollen wie die Andern, so wäre es ihm auch besser ergangen. Was für eine Gerechtigkeit auf Erden sei, habe es erfahren, wenn im Himmel keine bessere sei, so –. So geht es mit falschen Zeugnissen, und so wirken sie.

Aber, wird man schreien, soll man Menschen zeitlebens unglücklich machen? Was, sind nicht ebenso viele oder mehr schlechte, boshafte, niederträchtige Meisterleute als Dienstboten? Soll es dann in Willkür stehen, arme Unschuldige, welche vom Schicksal ohnehin so hart geschlagen sind, daß sie dienen müssen, zeitlebens um ihr einzig Eigentum zu bringen, um den guten Ruf, sie zeitlebens unglücklich zu machen? usw. usw. Es ist eine so herrliche Teilnahme für alle Armen, Unterdrückten, Geplagten, Gestraften aufgetaucht, daß es uns gar nicht wundern würde, wenn man nächstens auf den Richtstätten Altäre errichten, die Gebeine der Gefangenen als Reliquien verehren und Galeerensklaven und andere Zuchthäusler als Priester bei diesem neuen Dienste anstellen würde. Wir geben gerne zu, daß es schlechte Meisterschaften gibt, aber deswegen soll man mit dem Bade nicht das Kind ausschütten wollen. Es ist akkurat das gleiche Humanitätsgeschrei, welches, weil mal einer unschuldig gestraft worden, nun niemand mehr gestraft wissen will. Entweder keine Zeugnisse oder wahre, entweder oder, und das Weitere Gott überlassen. Das ist auch eins von den vielen Dingen, worüber die Weisen dieser Welt hundert Jahre disputieren und prozedieren können, ohne klug zu werden darüber, und welches den Unmündigen geoffenbaret ist, welche da recht zu tun suchen in kindlicher Treue und niemanden scheuen als Gott.

Bei Uli meldete sich also die dritte Klasse in beiden Abteilungen. Der Buben hatte er satt, er wandte sich mehr der zweiten Abteilung zu. Freilich wußte er, daß es in dieser oft nicht sauber sei. Er inquirierte streng, besonders warum man so weit herkomme und nicht lieber in der Nähe des früheren Wohnortes bleibe? Da erzählte ihm dann Einer, er sei vor seiner Meisterfrau niemals sicher, er habe siebenmal Strengeres ausgehalten als Joseph, und wenn er in der Nähe sich aufhalte, so laufe er Gefahr, daß sie am hellen Tage ihm nachlaufe. Ein Anderer erzählte von Verwandten, welche an ihm saugen, denen er den ganzen Lohn opfern müsse. Wenn er in die Welt gehe, hoffe er Ruhe zu finden vor ihnen. Ein Dritter hatte seinem Meister ein Schelmenstücklein ausgebracht oder ihn daran verhindert, jetzt sage er nicht bloß alles Schlechte von ihm, sondern er sei selbst seines Lebens nicht sicher. Eine Magd weinte bitterlich, welche Nachstellungen sie erleiden müsse wegen ihrer Schönheit. Vor keinem Manne sei sie sicher, selbst der Ammann, der siebenzig Jahre alt sei und dreizehn erwachsene Kinder habe, laure ihr auf, deretwegen haßten sie alle Mädchen und die Weiber noch viel verfluchter. Darum wolle sie fort, so weit die Beine sie tragen möchten, vielleicht daß an einem anderen Orte brävere Leute angetroffen würden. Daß unser Herrgott sie so schön erschaffen und nicht wüster, dessen vermöge sie sich nichts.

So viele dieser Tugendbilder kamen, die um ihrer Gerechtigkeit willen verfolget wurden. Uli dachte, alles könne doch nicht erlogen sein, er wisse ja selbst am besten, wie es gehe, wenn man dienen müsse. Aus dieser Klasse wählte er sich sein Volk, mit der größten Vorsicht, aber auch mit Sparsamkeit, mit dem Lohne hielt er nieder. Er dachte, wenn es ihnen so daran gelegen sei, weiter zu können, so werde der Lohn ihnen nicht die Hauptsache sein. Das sagten sie denn auch, ein paar Taler täten sie nicht ansehen, es sei ihnen nur darum zu tun, weiterzukommen, und er sei ihnen besonders angerühmt; da könnte man was lernen, und es heiße auch, er habe Verstand. Das tat Uli wohl, dem guten Uli! Wäre der dreißig Schritte von seinem Hause hinter einem Kirschbaume gestanden oder im nächsten Wirtshause gesessen, so hätte er was ganz anderes gehört. Er hätte gehört, wie so ein Knechtlein gesagt hätte, er hätte Unglück gehabt, sein Meister habe ihn versäumt; so sei er dienstlos geworden und es sei ihm, wenn er nur wieder mal abstellen könnte für einstweilen. So sei er zum Pächter in die Glungge gekommen, derselbe hätte von ihm gehört und ihm Bescheid machen lassen. Gedinget hätte er endlich, aber gefallen habe es ihm nicht, dort sei sein Bleiben nicht. Es sei ein hoffärtig Wesen, man sollte meinen, wer sie seien, und doch sei er nur Knecht gewesen und sie eine Uneheliche. Nun, einige Wochen könne er schon dort sein, derweilen könne er dem Mannli den Hochmut vertreiben.

Worte sind Münzen. Wie es Kinder gibt, welche das Geld nicht kennen und unterscheiden lernen können, denen man fast ihr Lebtag Zahlpfennige anhängen kann, so gibt es noch viel mehr Menschen, welche ihr Lebtag nie dahin kommen, die Worte richtig zu würdigen. Das gilt namentlich mit dem Renommieren und Aufweisen, Großsprechen und Schmeicheln oder mit dem Rühmen seiner selbst oder Anderer. In dieser Beziehung klebt ein unheilbarer Unverstand den Menschen an, halt eine Familienkrankheit von Mutter Eva her. Der Ruhmredige macht schnellen Eindruck, der Demütige findet erst in die Länge Gnade.


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