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Mädi glich einer lebendigen Schlüsselbüchse, pfupfte den ganzen Tag, tat aber niemand weh als ihm selbst. Auf seiner Heldentat hielt ihm niemand viel als Vreneli, welches aber doch oft über das ewige Pfupfen sich beklagte und Mädi schweigen hieß, was Mädi begreiflich sehr übel nahm, über unsern guten Herrgott böse ward, daß er die Welt so schlecht werden ließe und keine Dankbarkeit mehr sei auf Erden. Es wollte den Leuten zeigen, wer Mädi sei und was es könne, legte sich nun dem Melker an die Fersen und lauerte ihm auf Tag und Nacht. Aber das gute Mädi fing nichts mehr, der Fisch war fort. Es trug ihm nichts ein als einige Kübel verdammt kalten Wassers, mit welchen es auf seinen nächtlichen Gängen begossen wurde, es wußte nicht woher und von wem. Der Melker habe es getan, winselte es. Es wolle keine gesunde Stunde mehr haben, wenn es nicht so sei, darum solle Uli ihn fortjagen, er treffe sicher den Rechten, und wenn auch nicht der Milch oder der Eier wegen, so habe derselbe es doch ob ihm verdient. «Wärst im Bette geblieben,» antwortete Uli endlich unwillig, «es hieß dich niemand herumstreichen. Wenn es gemacht sein muß, so laß es an die, denen es zukömmt, willst aber den Haushund machen, so mußt auch nehmen, was ein Hund.» Uli hatte das nicht böse gemeint, sondern es im bittern Unmute ausgestoßen. Von Mädis Entdeckung hatte er keinen Nutzen gehabt, aber ein andauernder Verdruß schien ihm daraus erwachsen zu wollen. Mädi aber gingen diese Worte tief und eiterten. Das ist das schlimmste aller Übel, wenn Worte eitern, und doch wissen so viele Menschen nichts von dieser Krankheit. Mädi hatte einen Schwung genommen, es hatte sich ihm der Himmel aufgetan zu einer großen Tat, aber nur von ferne hatte es das gelobte Land gesehen; als es über die Schwelle wollte, entschwand die ganze Herrlichkeit gleich der Fata Morgana in den Wüsten Afrikas, es sollte bloß das wüste, böse Mädi sein, recht in keinen Schuh. Das schlug ihm ins Gemüt, machte es unwirsch, mißtrauisch, böse gegen alle. Nie dachte es daran, daß in ihm eine Schuld des ganzen Elends liege, statt Vrenelis Hülfe ward es Vrenelis Plage. Der dümmste Junge kann ein Glas Wasser färben mit einigen dunkeln Tropfen, aber getrübtes Wasser klar machen, gesalzenes Wasser wieder süß, eine überpfefferte Suppe genießbar, das kann kein dummer Junge, das kann mancher Gelehrte nicht, es ist Arbeit für eine höhere Hand. Es ist gar wunderbar, wie die Mischungen in den Gemütern sich machen, und wer achtet auf die Tropfen alle, welche in die Gemüter fallen, sie zuckern oder pfeffern, säuren oder salzen, und wer verstehts, Salz und Pfeffer zu tun ans rechte Ort, wieder wegzubringen vom unrechten und zu passender Zeit?
Mädi hatte einen von den Köpfen, für welche man im Bernerland ein prächtig Wort hat, das Wort «eitönig», einen Kopf, in welchem nur ein Ton Platz hat, und klingt der einmal, weder mit Liebe noch Gewalt ein anderer Ton hervorzubringen ist, im Gegenteil, je mehr man es anders tönen machen will, desto stärker tönet der gleiche alte Ton.
Indessen der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Den Melker ertappte man freilich nicht als Dieb, fand weder Eier noch Milch mehr, aber die Kühe bekamen kranke Euter, die Milch ward ziegerig. Uli, der sich auf Kühe verstund, suchte alsbald die Schuld beim Melker. Er sah ihm zu, er visitierte einige Male die Kühe, ob der Melker etwa nicht gehörig ausmelke, Milch in den Eutern lasse, was höchst verderblich ist, aber er fand alles in der Ordnung. Er ging zu einem Vieharzt, der war ein schlauer Kundius und half ihm auf die Spur. «Sieh,» sagte dieser, «das ist von den Feinern einer, dem kannst lange aufpassen, der riecht hinten und vornen, nimmt nicht die leere Guttere zur gewohnten Zeit zum Melken und stellt sie neben sich, als hätte sie das Recht dazu, oder läßt einzelne Kühe oder Striche an den Eutern ungemolken; der rupft dir an den Kühen, wenn er sich ganz sicher weiß, um Mitternacht, um Mittag, kurz wenn nichts zu fürchten ist. Der treibt das nicht zum erstenmal und nicht zum letzten. Was willst du dich plagen, dich auf die Lauer legen, bis du halbtot bist? Mach daß du von ihm kömmst so bald als möglich. Begehre mit ihm auf aus dem ff wegen den kranken Kühen, sage ihm, er sei ein Bub, kein Melker; vielleicht wirft er dir den Bündel dar, und magst du ihn nur mit dem kleinen Finger erreichen, so hebe ihn auf und mach Weihnacht. Der Lumpenkerl verpfuscht dir in einem Jahr zehnmal mehr, als sein Lohn beträgt.»
Das begriff Uli, aber der Melker biß nicht in den Apfel, der wollte nicht töricht sein und um seinen Platz kommen, ehe das Jahr um war; er nahm seinen Worten gehörig das Maß und sagte höchstens, er sei schon an manchem Orte Melker gewesen, noch habe ihm niemand gesagt, er könne nicht melken, man solle doch seine Zeugnisse nachsehen, ob was darin stehe, daß er nicht melken könne, den Kühen die Euter verderbe. Aber was für ein Meister er sei, sei zu Stadt und Land bekannt, und wenn er ihm nicht recht sei, könne er ihn senden, er gehe auf sein Geheiß die erste Stunde, aber dann wolle er auch den Lohn für das ganze Jahr nach Brauch und Gesetz. Das war Uli auch nicht anständig, er marterte sich lieber mit Zorn, Angst und Aufpassen, ward immer saurer und übler im Gemüte; es war nichts mehr da, welches die Wolken zersetzte, den Nebel auflöste, die finstern Stimmungen abklärte in milde und freundliche. Sonst tut dieses das Auge Gottes oder das Licht von oben, wenn eine Seele sich ihm aufschließt, hinein die hellen Strahlen leuchten, oder es tuts der Hauch der Liebe, wenn er leise säuselt um die düstere Stirne, oder es tuts eines Kindes Lächeln, wenn es dem beängstigten Vater aufgeht wie dem Verzagten der Regenbogen, das Zeichen der Gnade und Verheißung am Himmel. In die Dornen und Disteln des Lebens drangen die hellen Strahlen nicht mehr, die Nebel der Welt waren zu dick, Lächeln und Liebe vermochten nichts mehr über sie. Nichts drang mehr durch und gab lichtere Stimmungen als der Gewinn an einem Roß, welches schlecht war und für gut hatte verkauft werden können, das Rühmen des Müllers, wenn er Uli Korn abdrang, oder Späße des Wirtes, wenn er Uli für eine Kuh zehn Taler mehr versprach, als irgend ein Metzger geboten, indessen einstweilen nicht bar zahlte. «Sieh,» sagte er gewöhnlich, «du kannst das Geld haben, welche Stunde du willst, aber du hast es nicht nötig, ich weiß es, willst es ja nur beiseitelegen, um im Frühjahr den Zins zu machen. Bis dahin verdient mir das Geld viel, jetzt ist mit bar Geld viel zu machen; dein Schade solls nicht sein, und einem Freund wirst doch einen Gefallen tun. Hör, Uli, ich habe es meiner Frau schon manchmal gesagt, lieber ist mir auf der ganzen Welt niemand als du, man kann das Land auf- und ablaufen, ehe man dir einen Gespan findet. Unter Tausenden kömmt Keiner so weit, in ein paar Jahren bist ein Mann, und wenn du nicht noch Ammann wirst, so verstehe ich mich auf nichts mehr. Ja Uli, so ists! Frau, hol eine Flasche vom Bessern.» Von Geld war keine Rede mehr, denn Uli lebte wohl an den Worten und dachte an den Ammann.
Aber übel steht es doch in dem Gemüte, in welchem ein Wirt und ein Müller und ein Roßhandel Sonne, Mond und Sterne vorstellen, und wie viel tausend Menschen haben kein ander Licht in ihren Gemütern als das, welches von solchen Lichtern kömmt oder noch viel schlechtern! Man muß sich immer wundern, daß die Menschen, deren eine so große Zahl nur von solchen Talglichtern und stinkenden Öllämpchen erleuchtet werden, nicht noch unendlich schlechter sind und mit rasender Schnelligkeit noch schlechter werden, wie Krebse auch um so schneller gesotten werden, je heißer das Wasser wird und je schneller man es zum Sieden bringt. Aber eben daraus sieht man, daß Gott die Welt regiert und nicht der Teufel, noch viel weniger ein Seminardirektor, sie wäre sonst seit vielen Jahren schon unheilbar verpfuscht. Doch muß man sich durchaus nicht vorstellen, Uli sei, was man zu sagen pflegt, gottlos geworden. Die Menschen machen das Kreuz vor dem Worte gottlos, und doch ist kein Mensch, der nicht gottlos ist. Bei jeglicher Sünde und namentlich, wenn jemand sein Handeln nicht durch Gott und sein Wort bestimmen läßt, sondern durch sein eigen Fleisch und Blut oder andere Kreaturen, ist der Mensch immer gottlos, und in dem Sinn war es Uli auch oft, und je länger je öfter. Aber Uli merkte es nicht, sein Entfernen von Gott merkte er nicht, und von einem Lossagen von Gott war keine Rede. Der eigentliche Gottlose ist eben ganz los von Gott, sowohl im Erkennen als Bekennen, sowohl in Worten als Taten, der eigentliche Gottlose wird ein Rekrut des Teufels und versucht zu lernen den Kampf gegen Gott und sein Reich, den unseligen Kampf, wo nichts zu lernen ist als Gottes Macht und des Teufels Ohnmacht und nichts zu gewinnen als der eigene Untergang und die Überzeugung, daß Gott der Wahrhaftige sei und des Reiches Feinde zu des Herrn Füßen lege, wie er es verheißen hat.
Daß es so ist, zeigte Gott. Es war gegen Herbst, als man mitten in der Nacht ein mörderlich Geschrei vernahm, das durch das ganze Haus drang und selbst die Kinder weckte. Uli fuhr auf, zündete alsbald, wie es einem guten Hausvater ziemt, die Laterne an, um zu sehen, was es für ein Unglück gegeben. Uli hielt dafür, es seien Kiltbuben aneinandergekommen und einer schwer getroffen oder gestochen worden. Als er vor das Haus kam, war es stille draußen. Von den Knechten, welche herbeikamen, wollte der eine es dort vernommen haben, ein anderer in entgegengesetzter Richtung. Man suchte hier, man suchte dort und allerwärts umsonst, Man horchte in die stille Nacht hinein, man vernahm weder Fußtritte Fliehender noch Seufzen oder Röcheln eines Verwundeten. Das Ding ward unheimlich, den Meisten rieselte es kalt den Rücken auf, doch nur einer sprach es aus und sagte: Er möchte zu Bette gehen, das Ding gefalle ihm nicht, es sei nicht ein Schrei gewesen wie ein anderer, und wer zu neugierig sei, lese leicht eine geschwollene Nase auf oder gar ein böses Bein sein Lebtag. Man habe der Beispiele viele und man sollte sich ihrer achten, was nützen sie sonst? Die Worte fanden Anklang. Sie müßten doch noch einmal sehen und etwas weiter gehen, der Schrei sei gar zu nötlich gewesen; der, welcher ihn getan, sei nicht weit mehr gelaufen, und daß es ein Gespenst sei oder sonst der Art was, könne er nicht glauben, man hätte sonst wohl schon was gehört, sagte Uli. «Das erstemal ist eins (einmal), hat Hamglaus gesagt», sagte einer. Er möchte doch nachsehen, sagte Uli, wer sich fürchte, solle ins Bett. Uli ging und alle kamen nach, Einer dicht am Andern, aber nicht wegen Heldenmut und Nächstenliebe, sondern weil Keiner alleine heim ins Bett durfte. Sie gingen und fanden in einer wilden Ecke hinten bei einem Schopf einen Menschen bewußtlos liegen. Als man zündete, war es der Melker, dessen Abwesenheit aufgefallen war. Er schlafe gar hart, hatte darauf der Karrer gesagt, und sei nicht zu erwecken. Neben ihm lag eine nagelneue blecherne Flasche, und zerbrochene Eierschalen knatterten unter den Füßen. «Da wäre also doch der Dieb, hat es ihn einmal! So wäre es recht, so wüßte man doch bestimmt, ob ein gerechter Gott im Himmel sei oder gar keiner», hieß es von allen Seiten. Der Melker war hinaufgestiegen gewesen unters Dach in sein Versteck, im Herabsteigen hatte ihm ein Tritt gefehlt, er stürzte hinab, brach ein Bein, beschädigte sich sonst übel, blieb sein Lebtag ein Krüppel.
Einige Tage lang war auf der Glungge stark die Rede vom Melker und von Gott, man ging sogar in die Kirche, die Einen, weil sie wirklich dachten, es könne nicht schaden, und wenn ein gerechter Gott im Himmel sei, so möchten sie es wirklich nötig haben, Andere in der Hoffnung, der Pfarrer ziehe den Melker in der Predigt an, und wenn er schon nicht alle nenne, welche ihn gesucht und gefunden, könnten sie doch hintendrein sagen: «War auch dabei! So sollte es allen gehen, welche es so machen und damit ihre ehrlichen Nebendiensten in Verdacht bringen. Daneben dünkt es mich doch, der Pfarrer habe es wohl stark gemacht. Nicht, daß ich mich mit dem Melker zusammenzähle, bewahre mich davor, aber wir sind alle arme Sünder und der Pfarrer wird nicht besser sein als Andere.» In diesen Tagen ließ Uli manchen Zuspruch fahren, worin er auf den deutete, der an die Sonne bringe, was im Verborgenen geschehe, und den rechten Meisterleuten beistehe, wenn sie mit schlechten Dienstboten nicht auskommen könnten. «Was fängt er dann mit schlechten Meisterleuten an, wenn es einen gerechten Gott gibt, denn er wird doch nicht bloß für Dienstboten da sein wie Käsmilch und Mehlsuppen ohne Mehl, sondern auch für schlechte Meisterleute?» frug ein naseweises Bürschchen, welches eine Zeitlang in einer Schenke gedient hatte und nichts glaubte. Das sei ein leer Gerede, daß Gott dem Melker das Bein gebrochen. Sei er gerecht, so müßten alle Diebe die Beine brechen, da hätte er wohl viel zu tun, und er möchte wissen, wieviele auf ganzen Beinen herumliefen. Am übelsten ginge es dabei den Geigern, denn das Tanzen ließen wohl die Meisten sein. Das habe niemand anders getan als Mädi, das habe dem Melker leise die Leiter weggestellt, und als der darauf treten wollte, sei er hinuntergestürzt, das sei der ganze Handel. Mädi verdiente Kettenstrafe, wenn nicht den Galgen, denn auf diese Weise könne ein Mensch den Hals brechen, nicht bloß ein Bein, und Mörder solle man hängen, heiße es. Wenigstens müßte es ihm den Melker heiraten und ihn ernähren, und billiger als dieses sei nichts und besser könne es selbst Gott nicht machen, wenn einer sei nämlich.
Mädi begehrte schrecklich auf über diese Zumutung, aber nicht weil es sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, die Tat zu tun, sondern weil es sie nicht getan und doch jetzt schuld sein sollte. Es sei nur da, um Sündenbock zu sein, und das sei ihm erleidet, und jetzt sollte es noch den Melker erhalten. Je böser Mädi wurde, desto mehr hatten die Andern Freude daran; da half alles Zureden nichts, nichts bei Mädi, nichts bei den Andern, ein täglicher Krieg war los, so daß wenn der Melker schon fort war, das Leben um nichts freundlicher wurde.