Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Sechzehntes Kapitel

Es kömmt Angst, und über jedes eine andere

Die Base begann stark zu kränkeln und ernsthaft; die Füße liefen ihr auf, der Husten plagte sie, die Nächte waren ohne Schlaf. Das sei eine beginnende Brustwassersucht, sagte der Arzt. Wenn man Fleiß habe, die Mittel gebrauche, hoffe er der Krankheit zuvorzukommen, tröstete er. Die Base schüttelte dazu den Kopf; Mutter und Großmutter seien ungefähr im gleichen Alter an der gleichen Krankheit gestorben, das Gleiche werde ihr auch warten, sagte sie zum ebenfalls Hoffnung machenden Vreneli. «Es ist nicht, daß ich das Sterben scheue; ach Gott, wie vielem bin ich entronnen, wenn ich einmal im Grabe ruhe; aber was soll aus den Meinen werden? Da ist meine Sünde, und da werde ich hart gestraft. Was ist sterbenden Eltern der beste Trost? Wenn sie ihre Familie so hinterlassen können wie einen gesunden Baum, der, gesund in Wurzeln und Ästen, langes Leben und ein hohes Alter verspricht, wenn die Kinder so sind, daß man weiß, man kömmt einst wieder zusammen. Nun weißt, wie ich es habe, habe keine Hoffnung», und gar bitterlich weinte die Base. «Denn,» sagte sie, «ich bin an allem viel selbst schuld. Ich habe gemeint, mit dem Alter komme der Verstand, wo die Kinder dann von selbst einsehen würden, was recht sei. Ich zankte nicht gerne mit Joggeli, der große Freude an ihnen hatte, ihnen alles nachließ, dachte, das werde sich später schon machen. Ich ließ sie beten, aber ob sie in die Kirche gingen oder nicht, darum kümmerte ich mich nicht; konnte ich doch selbst nicht viel gehen, eine Bäurin hat so viel zu tun! Dachte, man könne sonst fromm sein und recht tun, wenn man schon nicht in die Kirche gehe, man sei ja unterwiesen worden und wisse, was man solle und nicht solle, so dachte ich. Später sah ich, daß ich unrecht gedacht, wollte nachbessern und konnte nicht. Ich mochte sagen, was ich wollte, so hörten sie mich nicht oder begriffen mich nicht, lachten mich endlich gar aus, weil so altväterisches Zeug nicht mehr passe in die heutige Zeit. Von der Welt waren ihre Herzen voll, das hatte ich sorglos zugelassen; als ich später den rechten Samen ausstreuen wollte, hatte er nicht Platz darin, fand den guten Boden nicht, Dornen und Disteln hatten bereits ihn bedeckt. Ihr Trachten war auf die Augenlust, Fleischeslust, die Hoffart des Lebens gestellt; ich konnte lange reden, ich predigte tauben Ohren und predige noch heutzutage tauben Ohren. Was soll aus meinen Kindern, was soll erst aus ihren Kindern werden? Bin froh, es nicht erleben zu müssen, und doch graut mir vor dem Sterben, hätte so gerne noch was für sie getan. Denk, wenn sie sterben und am Ende ihnen die Augen aufgehen über ihr Elend und sie dann sagen: Daran ist unsere Mutter auch schuld. Oder wenn sie kommen an den Ort der Qual und ich sie da sehen müßte und denken in alle Ewigkeit: Daran bist du auch schuld, könnte da wohl ein Himmel für mich sein? Was soll aus Joggeli werden? Ist in vielen Sachen ganz wie ein Kind; hat er noch einige Jahre zu leben, so bringen sie ihn rein um seine Sache. Ihr dauert mich auch, denn was sie jetzt Joggeli alles angeben werden, kann man sich denken. Macht ja, daß ihr immer den Zins geben könnt; dein Mann soll sich losmachen von denen beiden Burschen, wo immer mit dem Maul zahlen wollen, sonst geht es nicht gut. So ist, wohin ich sehe, bloß Trübes und Trauriges; ich bin froh, es nicht erleben zu müssen, und sollte es doch gut machen helfen, dieweil ich auch schuld daran bin. Ach, ich kann nicht sagen: Vater, es ist vollbracht; wenn ich nicht die Hoffnung hätte, daß Gott gelinder strafe, als man es verdient, daß bei ihm möglich sei, was Menschen unmöglich scheinet, daß er alles zum Besten leite, sieh, ich verzweifelte noch in meinen letzten Tagen. Härter liegt nichts auf dem Herzen, glaub es mir, als zwei Kinder zu sehen im Rachen der Welt, der Pforte der Hölle, und an den Armen keine Hände zu haben, sie herauszuziehen.»

Vreneli wollte trösten, aufrichten, aber wie schwer ist das nicht, wenn man das Herz selbst voll hat zum Zerspringen und wenn es einem dünkt, die Klagen seien wahr, in gleicher Lage wäre es einem ebenso! Was hatten sie zu erwarten, wenn die Base starb, und wen hatte Vreneli noch auf der Welt, bei dem es Rat und Trost schöpfen, sein Herz ergießen konnte, seit Uli seinen Glauben seinen Götzen zugewandt, ungläubig gegen Vreneli geworden war? Es wußte nichts, als mit der Base zu weinen, sie zu bitten, guten Mutes zu sein, ihr Leben zu fristen so lange als möglich, seinetwegen, denn wenn sie mal im Grabe sei, dann sei ihr Stern erloschen und das Elend vor der Tür. Es hätte nicht umsonst Gotte sein müssen einem armen Fraueli und sich entsetzen über dessen Armütigkeit, es wisse jetzt, daß es sich dazu vorbereiten solle, und dies wolle es tun alle Tage, denn dahin werde es mit ihnen kommen, wenn nicht noch weiter, jammerte Vreneli. «Du guter Tropf,» sagte die Base, «wenn es mir besser drum wäre, fast müßte ich lachen. Ihr habt noch nichts erlebt; wem geht es immer wie gewünscht, ohne Angst und Anstand? Glaubst, ihr wäret die Einzigen, welche nicht Lehrgeld zahlen müssen in der Welt, welche Torheit büßen müssen oder welchen Gott handgreiflich darlegt, daß man sich nicht auf Menschen verlassen müsse noch auf des Menschen Herrlichkeit? Wenn ihr hier schon nichts verdient oder noch dazu um alles kommt, was ihr habt, ich habe doch nicht Kummer um euch wegen Durchschlagen durch die Welt. Du und Uli werden ihr Brot allenthalben finden, solang ihr euern guten Namen habt, dafür wirst du sorgen. Bereite dich, noch viel Härteres zu ertragen! Was kömmt, nimm immer mit Dank auf, daß es nicht härter ist, und mache dich wieder auf Härteres gefaßt. Sorge nur dafür, daß du die Kleinen dem zubringst, der da gesagt hat: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich. Absonders dieses da, mein klein Schätzeli,» sagte die Base und drückte das kleine Vreneli, welches auf ihrem Schoße saß, an ihr Herz.

Das kleine Mädchen war ihre Freude auf der Welt, so gleichsam das einzige Blümlein, welches einem alten Gärtner übrig blieb. Das Kind vergalt diese Liebe treulich. Vom frühen Morgen an war es drüben und mußte abends zumeist schlafend heimgetragen werden. Es war der Base kleine Aufwärterin: trug ihr hin und her, was sie bedurfte; ihre Gesellschafterin: kläpperlete mit ihr, so viel sie wollte; ihr Schulkind: sie lehrte es buchstabieren und zwar mit Sanftmut und Geduld, so daß die Kleine Fortschritte machte wie ein klein Hexelein; dazu erzählte sie ihm schöne Geschichten und redete ihm zu, was es Vater und Mutter sein solle, und das Kindlein nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und bei den Menschen, und alle sagten, und wirklich nicht ohne Grund, es sei weit über sein Alter, sie hätten noch keins so gesehen. Mit dem Kinde gab sich jemand ab, und zwar nicht pedantisch mit Buchstabenzeigen bloß oder sonstiger Schulfuchserei, sondern in warmer Liebe, mit schönen Geschichten und lieblichen Worten, welche einem Kinde sind, was im Frühling den Blumen der Tau. Es verderben gar unendlich viele Kinder am Geiste, weil ihnen eben dieser warme, weiche Tau fehlt; die edelsten Keime vertrocknen, gehen nie auf. Es haben gar unendlich viele Kinder ihrer Großmutter viel mehr zu verdanken als den gelehrtesten Herren Professoren, welche oft nicht viel anders sind als vertrocknete Haarseckel.

Joggeli benahm sich eigen gegen seine Frau; er war böse über sie, zürnte ihr, daß sie krank war. Der alte Mann fühlte wohl, was sie ihm war, seine Stütze, sein Stab im Leben, und was er würde ohne sie; aber eben deswegen hätte sie nicht krank sein sollen, den Ärger darüber ließ er gleich einem unartigen Kinde an ihr aus. Bald sagte er, sie bilde sich nur ein, krank zu sein, bald schonte sie sich zu wenig, brauchte ihm nicht Arznei genug, fuhr zu wenig den Quacksalbern nach; sie hatte ihre liebe Not mit ihm. Er schleppte ihr sogar einmal einen Arzt herbei, sie wußte lange nicht, war es ein alter Bettelmusikant oder ein verkleideter Kapuziner; dem Dreck nach, der rund an ihm herumlag, hätte er am ersten das Letztere sein können, indessen die Tonsur fehlte ihm, statt dessen hatte er altes Haferstroh vom vergangenen Jahre und Bruchstücke von Hanfstengeln in seinen verwilderten Haarzöpfen, deren einige Dutzend ihm um seinen ungewaschenen Kopf hingen. Denselben hatte Joggeli einmal in einem Wirtshause erzählen hören von seiner erstaunenswürdigen Geschicklichkeit, wußte aber nicht, daß seine Frau ihm selten anders sagte als «du Hagels Lügner.» Derselbe erzählte, wie er schrecklich berühmt sei und manchmal gar nicht wisse, wie wehren; von zuhinterst in Deutschland schrieben ihm die berühmtesten Doktoren, wenn sie in Verlegenheit seien, und frügen ihn, was er meine. Er habe schon Manchen aus der Tinte gezogen, der es nicht rühmen werde, aber er habe es aufgeschrieben. So habe ihm einer geschrieben aus einer Stadt, man sage ihr nur Berlin, es sei die Hauptstadt von Rußland, derselbe sei Hofrat und heiße Schüli, und ihn gefragt, was er machen solle wegen der Cholera, die wolle kommen. Das sei eine grausame Krankheit, fange bei den Beinen an, bis zuletzt die Haare auf dem Schädel so feurig würden, daß man Schwefelhölzer daran anzünden könnte; dem habe er geschrieben, was er machen müsse, der Ketzer habe ihm noch nicht gedankt. Aber so machten sie es, die Hagle, sie behielten seine Räte, würden Hofräte, und kein Mensch in Rußland wisse, daß die Sache von ihm komme. Er habe angeraten, jedem Patienten sieben Tage, ehe bei ihm die Krankheit ausbreche, nichts zu geben als Buttermilch mit Saanenkäse, in die Maß Milch ein Pfund Käse geschabt, alle zwei Stunden eine Portion; er sei gut dafür, die Krankheit breche nicht aus. Nun sterbe in ganz Rußland kein Mensch mehr an der Cholera, da sei er gut dafür, aber dem Kaiser werde man nicht sagen, das habe Lürlipeterli angegeben; er glaube seiner Seele nicht, daß er sein Lebtag je Hofrat werde. Es nehme ihn jetzt wunder, wie es ihm mit dem Papste gehe. Es hätten ihm nämlich zwei sonderbar vornehme Herren von Rom – er glaube, sie seien dem Papste verwandt, wenigstens seien sie, nach allem zu schließen, sehr gute Freunde von ihm – geschrieben. Die hätten den Star und schrieben ihm, sie hätten von ihm gehört, wie er berühmt sei im Stechen, Keiner so, und hätten das Vertrauen alleine zu ihm, er solle kommen und sie operieren; wenn er es begehre, wollten sie ihm ihre Kutsche schicken, sechsspännig, sonst solle er kommen, wie es ihm beliebe, sie wollten zahlen, bis er zufrieden sei. Gelänge ihm die Operation, so könne er ein steinreicher Mann werden, denn in Rom sei fast die Hälfte der Menschen blind von wegen dem feuerspeienden Berg, welcher dort sei, der verblende die Menschen und mache ihnen den Star, den Berg nenne man Vulkan. Er wisse nicht, ob er gehen werde, von wegen sie wären imstande und behielten ihn dort mit Gewalt, wenn sie merkten, was er könne, und das wäre ihm doch nicht anständig, er müßte vielleicht gar noch katholisch werden, und das möchte er erst zuletzt; er habe sein Lebtag keiner Religion viel nachgefragt, verschweige der katholischen. So erzählte der Doktor, und je abenteuerlicher er berichtete, desto mehr fand er Glauben und Respekt, denn die meisten Leute sind eben nicht aus der Wahrheit, haben kein Gefühl für die Wahrheit, glauben eher zehn Lügen als einer Wahrheit.

Den schleppte Joggeli seiner Frau zu, wollte, daß sie ihn brauche, denn er müsse mehr können als alle Anderen, weil man so weit herum von ihm wisse, meinte Joggeli.

Als er kam, machte er ein sehr bedenklich Gesicht und sagte: Die Sache sei böse und wohl weit gegangen, wenn einer helfen könne, so sei er es, aber er wisse nicht, gehe es noch oder gehe es nicht; der Brustkasten sei zu eng, Lunge und Leber hätten nicht mehr Platz, das gehe vielen fetten Leuten so; so wie sie dicker würden, würden auch Lunge, Leber und das Herz größer, begreiflich, da werde es ihnen dann zu eng im Kasten, von wegen der wachse nicht, der sei von Knochen, und bekanntlich sei Knochen Knochen! Die Hauptsache sei nun, daß man den Kasten größer mache, damit es wieder Platz gebe; er hätte schon lange eine Maschine ersinnet, um solch zu eng gewordenen Kasten auszudehnen, aber er hätte noch keinen Schmied gefunden, welcher sie ihm zu Dank gemacht, von wegen die müsse aparte fein gemacht sein wegen des Hineinbringens, dasselbe sei nicht leicht. Einstweilen sei das Beste, die Brust alle Tage zweimal mit heißem Hundsschmalz einzureiben, das bringe sie auch auseinander, aber nur langsam. Dessentwegen müsse man auch etwas machen, um Lunge und Leber zusammenzuziehen und Platz zu machen inwendig; da sei nichts besser als alle Abend vor dem zu Bette Gehen ein Glas Branntewein und brav abführen. So hätte er einstweilen, bis er die Maschine in Gang hätte, schon Manchem geholfen, an welchem die geschicktesten Ärzte nichts hätten machen können. So schwatzte Herr Lürlipeterli, und Joggeli sperrte Maul und Nase auf über solche Weisheit, welche in Israel noch nie erhört worden. Seine Frau aber schüttelte den Kopf, wollte keinen Glauben fassen; als der Arzt fort war, sagte sie, eine solche Kuh sei ihr noch nie vor die Augen gekommen, mit dem solle er sie ruhig lassen.

Joggeli war böse darüber, klagte sehr, es wäre seiner Frau noch gut zu helfen, aber sie mache sich so köpfig, daß nichts mit ihr anzufangen sei. Die gute Mutter wußte wohl, daß ihr Übel nicht zu heben, bloß der Verlauf desselben zu erleichtern sei; dafür hatte sie einen Arzt, der freilich weder Hundsschmalz noch Branntwein verordnete. Ihren Kindern hätte sie gerne geholfen, ihnen die Augen aufgetan fürs Zeitliche und Leibliche, auf bessere Wege sie geführt, aber alle ihre Mühe war vergeblich. Die Juden meinten, als Jesus ihnen einmal die Wahrheit sagte: «Das sind harte Worte, wer mag sie hören?» und gingen hinter sich. Nun gibt es viele Naturen, welche christliche Worte nicht mehr vertragen mögen, so wenig wie verdorbene Magen tüchtige Speise; Widerwillen und Ekel läuft ihnen im Munde zusammen und schüttelt den ganzen Körper. Soll man das Christentum diesen verdorbenen Magen zu lieb akkommodieren und verdünnern, bis sie es ertragen mögen, oder soll man diese hinter sich gehen lassen in Gottes Namen? Was versteht Paulus unter der Milch, welche er für Kinder bereite, und darunter, daß er allen alles werde, damit er sie Christo gewinne? Sicherlich nicht ein Verkümmern oder Verleugnen der Wahrheit, denn wer redet Menschen schärfer ins Gewissen als Paulus den Korinthern, und frägt er nicht: «Oder suche ich den Menschen gefällig zu sein? Zwar wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht, und so jemand euch ein anderes Evangelium predigt, als ihr es empfangen habt, der sei verflucht»? Mit der Akkommodation wird ein gar schmählich Spiel getrieben. Christus wird aus dem Christentum herausakkommodiert, das Christentum aus den Kirchen, uns dagegen eine Moral eingewässert, in welche jede Regierung, jeder Polizeiminister das Beliebige rührt. Eine Moral in Juristenhänden ist ein Stücklein Wachs in Schneidershänden! Bald rund, bald viereckig, bald so, bald anders wird es geknetet; es ist eine Moral, daß Gott erbarm, ob welcher die Menschen nicht bloß des Teufels werden möchten, sondern wirklich auch des Teufels werden. Es ist eine Staatsmoral, ob welcher sogenannte Staatsmänner leiblich den Hals brechen, und was dann aus ihren armen Seelen wird, ist Gott bekannt.

Dem Baumwollenhändler sagte die Mutter nichts, an dem hatte sie nichts erzogen und wußte wohl, daß man Perlen nicht vor die Säue werfen soll. So einem geschliffenen Schliffel von Religion zu reden, dazu braucht es wirklich schon einen großen Mut. Selbst mit Johannes redete die Mutter nur leise und mit Zagen: Was er auch denke und wo das hinaus solle? Er und seine ganze Familie machten ihr so großen Kummer. Johannes war nicht ohne Gefühl, die Mutter war ihm immer lieb gewesen; er sagte oft, wenn sein Babi wäre wie die Mutter, er würde einen Finger von der rechten Hand geben. Aber geistige Zusprüche mochte er doch nicht, sie machten ihn wunderlich, sie krabbelten ihm in den Gliedern, er wurde ungeduldig, kriegte einen seltsamen Kitzel im Halse, daß er lachen mußte, wenn es ihm schon nicht ums Lachen war. «Mutter, habt nicht Kummer,» sagte er dann, «die Sache ist nicht halb so gefährlich, so bös gehen wird es nicht. Braucht das Doktorzeug nur gut, so wird es Euch schon bessern. Es ist schon mancher Mensch krank gewesen und ist wieder besser geworden», und unter irgend einem Vorwande machte er sich von der Mutter weg. Mit Elisi war es aber anders, das war, als ob es ein Herz von Blech hätte; die Mutter mochte sagen, was sie wollte, es machte ihm weder kalt noch warm, es nahm weder Anteil daran noch Notiz davon, schimpfte über seinen Mann, hässelte mit den Kindern, plagte die Mutter fürchterlich mit Eifersucht gegen das große und das kleine Vreneli, sagte höchstens, sie solle doch aufhören mit ihrem Gestürm, sie mache ihm so Langeweile; dann konnte es wieder angesichts der Mutter die kindlichste Freude haben an einem Kleidungsstück, sich vor dem Spiegel hin- und herwenden, und mitten in Hustenanfällen sollte die Mutter ihm sagen, ob es ihm nicht gut stehe, ob es ihr nicht bsonderbar gefalle? So eine Tochter zu haben, die schon Mutter mehrerer Kinder ist, das ist wirklich ein hartes Kreuz auf dem Totenbette. O Mütter, bedenkts! Und zu der Tochter eine Schwiegertochter, um kein Haar besser und auch wieder mit mehreren Kindern behaftet, das war ein zweites Kreuz und ein nicht minder schweres. Trinette zwar zeigte sich nicht, Kranke besuchen war nicht ihre Liebhaberei, alte Leute verachtete sie in Bausch und Bogen. Es sei doch nichts wüster, sagte sie, als so eine alte Frau, die nichts mehr von neuen Moden wissen wolle und am liebsten ihre fünfzigjährigen Hochzeitskleider trüge. Pfi Tüfel! Einmal sie begehre nicht, so alt zu werden, oder wenn es sein müsse, denn expreß jung hängen möge sie sich doch nicht, so wolle sie dafür sorgen, daß kein Mensch wisse, wie alt sie sei; sie wisse, wie man das mache, eine alte Hebamme habe es ihr einmal gesagt; diese hätte lange in der Stadt gedient und gewußt, wie die Stadtfrauen das machten. Trinette und Elisi waren Beide ungefähr gleich blechern ums Herz. Trinette hatte vielleicht etwas mehr Energie und Elisi mehr Bosheit; sie waren wie zwei Kutschenpferde von gleichem Schlag und gleicher Farbe, von denen das eine lieber schlägt, das andere lieber beißt, eines besser ausgreift im Trott, das andere sich aber hütet, die Stricke anzuziehen. Die gute Mutter konnte nichts abbringen an ihren Kindern, konnte nichts als für sie beten, sie hatte nicht einmal den Trost, daß Joggeli aufnehmen werde, was sie umsonst versucht.


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