Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Es war an einem wüsten Apriltage, sie hatten ackern wollen, aber Sturm, Schnee und Regen hatten sie heimgejagt, denn draußen war es nicht zum Aushalten. Sie hatten alten Grasboden auffahren, die Furchen gründlich hacken wollen, denn bei schwerem Schweizer Lande muß man gründlich bis auf den Boden die Furche hacken, wenn ein zahm Gewächs gesund wachsen soll, sie ist zäh und schwerfällig, eben wahrhaft die Schweizer Natur. Sie wird auch krank, tut, als ob sie am Sterben wäre, zu nichts mehr tauglich als zu Schling- und Schmarotzerpflanzen; aber dann kömmt sie ein Winden und Drehen an, wilde Wehen rühren alles durcheinander wie die Köchin eine Krautsuppe, dann kriegt sie ein schrecklich Erbrechen, gibt von sich zum Grauen und Erstaunen ganze Knäuel Ungeziefer von allen Sorten, die wir nicht nennen mögen, kleines, großes, und ist das mal aus dem Leibe und da, wo es hingehört, da stillen sich die Wehen, das Grimmen, Winden, Krümmen hört auf und frisch und gesund ist wieder die alte Natur, den hohen Alpen gleich, wenn die wilden Stürme verrauscht sind, der holde Frühling, der immer junge Frühling vom Himmel wieder auf die hohen Alpen steigt.

Je nach der Länge der Furche steigt die Zahl der Hacker, steigt wohl auch auf großen Gütern bis auf ein volles Dutzend an, vielleicht noch darüber. Jagt nun der liebe Gott die hackende Truppe mit scharfem Geschütz vom Acker dem Bauer heim über den Hals, so muß der sehen, was er mit den Leuten anfängt. So ein harthölziger Bauer, mit Schweinsleder überzogen, macht es kurz, er schickt die Taglöhner nach Hause, unbekümmert darum, haben sie dort was zu beißen und zu brechen, berechnet ihnen den Lohn nach den Stunden, welche sie gearbeitet, und da nicht er, sondern Gott das Wetter gemacht, so überläßt er auch diesem die allfällige Entschädigung. Warum nicht machen, was man kann, und dümmer sein als nötig? Sorge der Vater im Himmel für die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels, so werde er um so viel mehr für einen Taglöhner mit Weib und einem halben Dutzend Kinder sorgen, wenn der Bauer ihm statt zwölf Kreuzer Taglohn bloß die Hälfte oder ein Drittel gibt, und werde seinen Segen der Mahlzeit geben, welche eigentlich für die Kinder bereitet war, an welcher jetzt aber auch der Vater, der bei dem Bauer sich hungrig gearbeitet hat, teilnehmen will.

Nun, Andere machen es auch nicht so; wenn unser Herrgott die Leute heimschneit oder heimhagelt, überlassen sie ihm dieselben nicht, daß er sie jetzt auch speise und tränke, dieweil er sie angehagelt oder angeschneit, sondern tun dies selbst und geben ihnen was zu tun, bis der Tag ganz um ist. Es gibt Zeiten, wo das geht, man sogar froh ist über einen wilden Nachmittag, um Arbeiten zu verrichten, die man des schönen Wetters wegen immer verschoben hatte. Es gibt andere Zeiten, wo man wirklich nicht recht weiß, was mit machen, und fürs Zähnetrocknen im Winde gibt man doch nicht gerne den Taglohn.

In solcher Zeit eben war Uli mit seinem Volke nach Hause gejagt worden; er sandte die Taglöhner nicht fort, wußte für sie aber auch nichts zu tun, welches viel abtrug, rechnete, wie manchen Batzen er ausgeben müsse um nichts und wieder nichts, und ging gegen das Haus, um Vreneli mit Brummen und Klönen zu unterhalten. Dort stund Vreneli im Gespräch mit einem Mannli, der einen Hut auf dem Kopfe hatte. «Es ist gut, daß du kommst,» sagte Vreneli, «da ist einer, er will mich zur Gotte, seine Frau ging mit mir in die Unterweisung, wir saßen neben einander und waren bsunderbar wohl für einander. Ich sagte ihm zu, doch behielt ich dich vor. Was sagst dazu?» «Ho,» sagte Uli, «wenn du zugesagt hast, so wird wenig mehr zu sagen sein,» und ging weiter.

Vreneli zuckte zusammen, aber mit angeborner adeliger Art begabt, faßte es sich alsbald, hieß das Mannli hineinkommen, wartete ihm nach üblicher Sitte mit Speise und Trank auf. Eine schöne Sitte, die aber manchem ausgehungerten Kindbettmannli gefährlich wird, besonders wenn er dazu noch das Reden liebt. Man denke, was das kann, wenn so ein arm Mannli, der selten einmal im Tag sich satt ißt, nun in einem Tage dreimal genötigt wird, zu essen und zu trinken, bis er genug hat. Das bringt Manchem die Beine in Verlegenheit, wenn er vom dritten Gevatter wegstolpert. Aber noch in viel größere kömmt schließlich der Kopf, wenn er endlich zum Pfarrer stolpert und dort die Namen der Gevattersleute angeben soll. Da wird manchmal das Denken bedenklich, und je länger einer denkt, desto weniger kann er an einen Namen kommen, und doch hätte er ihn noch gewußt, als er zur Türe hereingekommen, sagt er. Es ist bedenklich, wie Fleisch und Geist in die seltsamsten Kollisionen kommen bei den ernsthaftesten Gelegenheiten. Wo Gott ein Zeichen seiner Huld gibt, legt der Teufel einen Stein des Anstoßes.

Das Mannli war bereits am dritten Orte und glücklich innen und außen. Er hatte nirgends eine Abfertigung erhalten, sondern guten Bescheid und tapfer zu essen und zu trinken. Solchen glücklichen Menschen wächst ein eigenes Redwerk im Munde, und dieses liefert Lob, Ruhm und Preis für sich und seine Frau und all das Seine in einer Stunde mehr als manche St. Galler Baumwollenspinnerei Garn in einer Woche. Die St. Galler sollten, wären sie gescheut, mit dem Maul zu spinnen anfangen; in diesem Gliede sind sie stark, ganz verflucht, ja brauchen nicht einmal Most, geschweige Wein, um ganze Ballen Eigenlob, -ruhm, -preis tschuren zu lassen in die Welt hinaus, siehe Tagsatzungsprotokolle. Vom schmählichsten Renommage wollen wir nicht einmal reden. Das Männlein war nun freilich kein St. Galler, aber es konnte doch nicht fertig werden mit Rühmen, wer er sei und was sein Fraueli sei und wie er Kinder habe und was sie täten und wie sie sich erzeigen wollten in der Welt, daß man weit und breit von ihnen reden müsse, man möge wollen oder nicht.

Vreneli ward wind und bange, aber es konnte nicht von ihm kommen, und gehen heißen mochte es ihn auch nicht. So viel Mitgefühl hatte es, daß es niemand einen Kübel kalt Wasser über den Kopf goß, wenn er in süßen Träumen befangen lag. Solch Glück ist gar zu selten in der Welt, und wer ein gut Herz hat, jagt sicherlich niemanden, der in solcher Wonne liegt, süßer als in einem warmen Bette, daraus auf. Vreneli wußte, daß ihm ein Gewitter wartete, und je länger eine schwarze Wolke stocket, das heißt mit Elektrizität sich aufbläht, desto härter kracht es, wenn es mal losbricht. Der Mann aß nicht mehr, dann trank er auch nicht mehr, endlich gab er selbst das Sitzen auf und stund, so gut er konnte, aber das Reden wollte kein Ende finden; es war akkurat, als ob er auch so ein auf ein Pfäfflein gepfropfter St. Galler Diplomat sei, und doch war er nur ein ganz gemein Knechtlein, schwatzte nicht einmal um den Taglohn, nicht einmal, um dann daheim sagen zu können: «Dunder, denen hab ichs gesagt, habt ihrs gelesen?», sondern wirklich von Herzen, und schwatzte und stund, und ging und stund und schwatzte, daß es Vreneli den Schweiß austrieb und es ihm, als es endlich dessen Rücken sah, leichtete, als hätte es wenigstens eine halbe Kindbetti glücklich überstanden.

Nun mußte es ans Zweite hin, mußte die geschwollene Wolke sich entladen lassen. Das Ding ging aber nicht halb so leicht als eine andere elektrische Flasche, welche man nur mit einem Finger zu berühren braucht, um sie in allen Gliedern zu fühlen. Uli schmollte eine Weile, indessen endlich brachs doch los und wüst. Es habe sich alles gegen ihn verschworen, um ihn zu Boden zu machen, polterte er, sogar den Herrn des Regens und des Sonnenscheins rechnete er darunter. Der heutige Tag koste ihn wenigstens drei Gulden, nicht gerechnet, was die verspätete Arbeit schade. Wenn er genug hätte bis obenaus, so stehe noch so ein Hagel vor dem Hause und bitte zu Gevatter. Das sei sonst nicht erhört gewesen, daß man fremde Leute, welche ihr Brot mit Mühe verdienen müßten, zu Gevatter genommen, sondern reiche Leute, welche es hätten und vermöchten. Das käme aber nur daher, weil Vreneli die vornehme Frau spiele; da meinten die Leute, was dahinterstecke, und wüßten nicht, daß sie bald fertig seien. Das sei wieder so ein Spaß von zehn Gulden, nicht gerechnet, was später ausgerichtet werden müsse. Er hätte geglaubt, Vreneli hätte so viel Verstand, den Lümmel mit ein paar Batzen und einer langen Nase weiterzuschicken. Aber nein, da müsse das Gebettel angenommen sein; die vornehme Frau habe es gemacht, werde gedacht haben, welche schöne Gotte es vorstellen werde. Nun könne es aber sehen, wie es es mache, er gebe keinen Kreuzer dazu, es wisse dann ein andermal, ob es zusagen solle oder nicht. Er hätte nie geglaubt, daß es es ihm so machen würde, aber wenn es nicht gute, so wolle er stoßen, wo es ziehe; je eher der Karren über Bord fahre, desto lieber sei es ihm.

Vreneli kam diese Rede über den Magen, die Augen blitzten, doch vergaß es die Manieren nicht. «Weißt du, wie die Base dem Vetter sagt, wenn er so wüst tut wie du jetzt?» frug Vreneli. «Er sei der wüsteste Unflat unter der Sonne, und gute Lust hätte ich, dir auch so zu sagen. Ganz unbegründet fährst du über mich aus, und wenn was geht, das dir nicht recht ist, dreschest du es auf meinem Rücken aus. Daß du kein Geld hast, dafür kann ich nichts, ich habe weder Wirt noch Müller was verkauft, und wenn du mit ihnen zur Rechnung kämest, so würdest du sehen, wo dein Vermögen steckt. Heute habe ich weder hageln noch schneien lassen, und daß ich zu Gevatter gebeten wurde, ist nicht meine Schuld, und wenn du wieder bei dir selbst bist, so wirst du einsehen, wie wüst es gewesen wäre, wenn ich es ausgeschlagen hätte. Du weißt, wie es einem ist, wenn man zu Gevatter bitten muß, aber erfahren hast noch nicht, wie es einem tut, wenn man grob abgefertigt wird, und was meinst, wie hätte es dem armen Fraueli getan, wenn der Mann ihr den abschlägigen Bescheid heimgebracht? Da hätte es geheißen, ich sei vornehm geworden und schäme mich seiner, und es hätte geweint, weil seine letzte Freundin ihm untreu geworden; denn je weniger Leute man hat auf der Welt, desto weher tut es einem, wenn diese abfallen, und wenn man endlich niemanden mehr hat, dann sollte einem das Herz brechen, mir wenigstens würde es. Merke dir das! Das gute Weibchen freut sich sicher, mich zu sehen, denn manch Jahr ist verflossen, seit wir als die besten Freundinnen uns getrennt, und wird auch nicht viele gute Freunde haben auf der Welt. Denk, Uli, wenn wir so wüst sein wollten, was müßten wir von andern Leuten erwarten, und wenn wir diesen Augenblick nicht im Überflusse sitzen, hören deswegen unsere Pflichten auf? Sollen wir deswegen nicht mehr Christen sein? Denk auch, wenn wir später wieder zu Geld kommen sollten, so könnten wir das doch nicht mehr gut machen, was wir den Leuten weh getan, und was man uns deshalb nachgeredet hätte, wäre an unserm Namen kleben geblieben unabänderlich. Kosten soll es dich nichts. Ich habe auch noch Geld, welches mein ist, womit ich machen kann, was mir beliebt, dir geben oder andern Leuten, je nachdem ich es nötig finde, und habe ich keines mehr, so will ich schon zu Gelde kommen, das sage ich dir frank und frei. Betrügen will ich dich nicht, obgleich es mir ein sehr Leichtes wäre, des Jahrs viele viele Gulden in meine Tasche zu machen, ohne daß du das Geringste merken solltest. Aber weißt, das Geld, welches wir haben, sei es viel oder wenig, ist mein so gut als dein, ich verdiene daran so viel als du; ich regiere die Haushaltung, du das Feld, stehe mit dir auf, gehe mit dir zu Bette, bin nicht deine Magd, sondern deine Frau. Zu billigen Dingen nehme ich Geld, frage oder frage nicht, nach meinem Belieben. Hältst du mir dieses vor, so rechne ich mit dir und will dir zeigen, wer daran schuld ist, daß wir kein Geld haben, du oder ich.»

Uli war noch Keiner von denen, auf welche eine feste Sprache keinen Eindruck macht. Er besaß noch das Gerechtigkeitsgefühl, welches die Streitsucht dämpft, sobald das Recht des Andern klar ist. «Tue nur nicht so,» sagte er, «wie eine Katze am Strick. Es hat dir noch niemand gesagt, du sollest kein Geld haben oder du vergeudest, du tuest nichts. Daß du mit den Leuten bekannt bist, das wußte ich nicht, und wenn es einem zuweilen wunderlich in den Kopf schießt, das soll dich nicht wundern. Da sollte ich eigentlich Kühe kaufen, mit Pferden wäre auch was zu machen. Schweine müssen auch gekauft sein, du redest ja alle Tage davon, und kein Geld! Ich liege da wie ein Hungriger, dem die Hände gebunden, das Maul verstopft ist, mitten unter Brot und Würsten.»

Dieses Einlenken von Uli führte zu einer ehelichen anständigen Ratssitzung, in welcher man in reiflicher Erwägung, daß man kein Geld habe und solches bedürfe, beschloß: es solle das Nötige von Ulis Ersparnissen aus der Kasse erhoben werden. Vreneli schlug als zweiten Artikel vor, daß die übrigen ausstehenden Gelder mit allen Mitteln eingetrieben, die Schuldner zur Rechnung angehalten würden. Auf die Versicherung von Uli, das verstehe sich von selbst und bedürfe keines weitern Beschlusses, ließ Vreneli den Artikel fallen, und es wurde zur Tagesordnung geschritten.


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