Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Nun setzte sich Joggeli zurecht zu einem behaglichen, flotten Privatvergnügen; beide Brillen legte er neben sich, Bleistift und ein Stücklein weißes Papier ebenfalls, schüttete den Sack aus, reihete das Bild recht auseinander und begann nun eine vergnügliche Musterung, welche bei der speziellen Inspektion der einzelnen Stücke anfing. Wo sie geendet hätte, wissen wir nicht, denn wie Joggeli am besten daran war, erschien unter der Türe die breite Gestalt von Sohn Johannes. «Ho, da komme ich gerade recht,» tönte es wie aus einem mächtigen Weintrichter hervor.

Wenn ein Blitz ins Stübchen gefahren wäre, Joggeli hätte nicht ärger zusammenfahren können; die bessere Brille fiel auf den Boden und zertrümmerte, mit beiden Händen fuhr Joggeli über den Haufen her als wie zum Schutze. «Gerade recht, beim –, komme ich, nie hätte es mir anständiger sein können, einen so großen Haufen Geld beisammen zu sehen,» sagte Johannes, «den kann ich brauchen, mit dem läßt sich was machen.» «Ja, ja,» sagte Joggeli, «glaubs; es weiß ein jeder was zu machen, einen guten Schick hier, einen guten Schick dort, wenn ich auch nur mal was davon hätte! Aber ob den guten Schicken komme ich am Ende um meine Sache, darum will ich nichts mehr von guten Schicken hören, diesmal brauche ich das Geld selbst; aber eine feine Nase mußt haben, daß du so manche Stunde weit es gerochen hast, daß ich einen Kreuzer Geld im Hause habe.» «Nicht wahr, Vater?» sagte Johannes, «die Nase ist noch gut, die habe ich noch nicht versoffen, die muß erst zuletzt an den Tanz. Aber Scherz beiseite, Vater, die Sache ist die, ich muß Geld haben, um mit Wein zu spekulieren; jetzt ist was zu machen, gerade jetzt, beim Abzug. Wenn einer jetzt mit Geld ins Welschland kömmt, so kann er einen prächtigen Schnitt machen, fünfzig Prozente hat er so gut als einen Kreuzer; ich habe mit einigen Wirten es abgeredet, hineinzufahren, sie sind gut bekannt, kennen die besten Plätze, aber mit dem Gelde steht es bei ihnen schlecht; da dachte ich an Euch und komme eben recht, so mit tausend Talern bar läßt sich schon was machen.»

Potz Kuckuck, wie speite Joggeli Feuer über diesen Vorschlag! «Meinst, ich solle einen Geldseckel halten für das ganze Vaterland und mit demselben jedem Hudelwirte zu Gevatter stehn? Das Geld habe ich schon lange selbst nötig gehabt, brauche es selbst, habe es verheißen, mußte ein ganzes Jahr mit Bangen darauf warten; es ist der Pachtzins, und kaum habe ich ihn im Hause, so führt dich der Kuckuck daher, als ob das Geld ein Aas wäre und du ein Fleischvogel. Aber da wird nichts daraus, gehe zu deinem Schwäher, der tut immer so groß, hat das Maul voll Gold, soll mal auch die Hand in Sack stoßen und dir helfen, es ist an ihm so gut als an mir; er soll mal zeigen, daß er Geld noch wo anders hat als nur im Maul.»

Während der langen Rede strich Joggeli unwillkürlich den Haufen zusammen und suchte nach dem Sacke, er wähnte wahrscheinlich, wenn es mal darin sei, so sei es geborgen. Aber Johannes kannte den Vater und die eigene Macht. Potz Himmeltürke, wie ließ er eine Rede fahren, was das von einem Vater gemacht sei, wenn er dem Sohne vor seinem Glück sein wolle! Was er mit seinem Reichtum anfangen wolle, mit in den Boden werde er ihn doch nicht nehmen wollen? Der Schwäher sei nur der Schwäher, einstweilen ein Unflat; tue er aber mal die Augen zu, so werde er im Ausmetzgen desto besser ausfallen. Dann sei es ja nicht, daß er das Geld um Gottes willen begehre, er wolle Papier dafür ausstellen, es genügend verzinsen, wenn es sein müsse. Ja, ja, sagte Joggeli, Papiere hätte er viele, er könnte drei Jahre die Pfeife damit anzünden, etwas anders würde er damit wohl nicht anfangen können; jetzt habe er mal Geld, und zu demselben wolle er jetzt Sorge tragen, und während er sprach, packte er so unmerklich als nur möglich Geld in den Sack. «Nun,» sagte Johannes kaltblütig und klopfte seine Pfeife aus, «wenn das so gemeint ist und Ihr mir nicht helfen wollt, Wirt zu sein, wie es sich gehört, so kann ich es anders machen; ich gebe mein Wirtshaus in Pacht oder verkaufe es, wie es sich besser schickt, komme her und will da Bauer sein.»

Das war ein Kernschuß! Joggeli hörte alsbald mit Einpacken auf und sagte: «Bist doch gleich so aufbegehrisch, man kann nicht mehr vernünftig mit dir reden; habe ja nie gesagt, daß ich dir nicht helfen wolle, aber alles Geld fortgeben kann ich doch auch nicht, ich und meine Alte müssen auch leben. Du glaubst nicht, welch weit Maul eine Haushaltung hat, was man alles kaufen muß.» «He,» sagte Johannes, «wenn Ihr die Zinse von dem Kapital braucht, welches Euer Herr Tochtermann Euch eingehändigt hat für verkaufte Vorräte, so kommt Ihr schon weit damit.» «Schweig mir von dem Lumpenhund, wegen ihm wollte ich dir schreiben, er bringt mich noch vor der Zeit ins Grab; der Lumpenhund prügelt Elisi, Elisi läuft fort, ist jetzt hier, verpestet uns das Leben, und er tut kein Lebenszeichen, läßt das Mensch uns auf dem Halse.» «Warum gabet Ihr es ihm?» sagte Johannes. «Bin nicht schuld daran,» antwortete Joggeli, «wollen lieber nicht davon reden. Aber wahrhaftig, das Geld kann ich dir nicht alles geben, wieviel mußt haben?» «He, mit sechshundert Talern ließe sich schon was machen,» antwortete Johannes. Endlich marktete Joggeli bis auf fünfhundert Taler hinunter, leerte den Sack wieder aus, zählte sie langsam mit bedenklichen Seufzern zweg. Johannes sah mit behaglichem Lächeln zu, seit langem hatte er nicht mit solcher Freude an einer Pfeife gezogen als an der, welche er eben im Maul hatte. Als Joggeli endlich fertig war, betrachtete er wehmütig den Rest, es war, als dünke es ihm, es lohne sich kaum der Mühe, denselben wieder in den Sack zu tun.

Da ging die Tür auf, und unter derselben stand der Lumpenhund, der Tochtermann. Wohl, da kam Leben in Joggelis Hände: hui, wie die fuhren nach dem Gelde und es bergen wollten im Sacke! Aber allzu große Eile tut nicht gut, unter den Tisch, statt in den Sack, rollten die Taler mit großem Gepolter, und mit schlauem Lächeln sagte der Baumwollenhändler: «Da treffe ich es doch gut, der Vater wird was zu teilen geben wollen und ich komme wie gerufen.» Johannes sah ihn an mit dem Blicke eines Stiers, der einstweilen noch an der Kette liegt. Joggeli aber sagte, sie hätten zusammen gerechnet und er käme gerade recht, auch mit ihm hätte er noch zu rechnen, wenn es ihm recht im Kopfe sei. Das sei ihm ganz recht, sagte der Baumwollenhändler, Besseres wünsche er nicht, gleiche Kinder, gleiche Rechnung, der Herr Schwager werde selbst es billig finden so. Es hätte ihn schon lange gelüstet, mit ihm abzurechnen, sagte Johannes, besser treffen hätte er es nicht können. Mit ihm hätte er einstweilen keine Rechnung, sagte der Baumwollenhändler, es könnte eine Zeit kommen, wo es freilich noch eine muntere absetzen werde; jetzt wolle er davon nichts sagen, sondern sich an den lieben Vater halten, der habe dem Herrn Schwager Geld zurechtgelegt, er wolle sich jetzt auch rekommandiert haben, es sei ein Kind wie das andere.

Nun gab es einen wüsten Lärm, der mehr als einmal in Handgemenge überzugehen drohte, daß mehr als einmal man Uli zu Hülfe zu rufen drohte, der endlich damit endete, daß Johannes mit fünfhundert Talern, der Tochtermann mit vierhunderten davonfuhren, Joggeli nichts übrig blieb als der leere Sack, an dem er seinen Zorn ausließ, ihn mit seinem Stecken in der Stube herumtrieb, bis derselbe unter das Bett fuhr, wo er einstweilen in Sicherheit war. Der Tochtermann hatte eine so gute Handhabe am Geldseckel als Johannes. Er drohte Elisi dazulassen, selbst nachzukommen, da eine kleine Fabrik einzurichten, kurz Dinge, ob welchen dem Vater und der Mutter die Haare zu Berge stunden und vierhundert Taler ihnen als ein sehr billig Lösegeld aus so großen Plagen erschienen, wenigstens solange Elisi und sein Mann noch da waren. Aber als die Plagegeister abgefahren waren, nichts da war als der leere Sack unterm Bette, da kam großes Elend über Joggelis Gemüt. Aus den Händen hatte er den Hof gegeben, aus den Händen rissen ihm die Kinder das Geld, nahmen ihm wie mit Gewalt den Löffel, ehe er gegessen hatte! Das hatte er also vom Verleihen, welches man ihm so herrlich vorgestellt hatte! Aus dem Regen war er unter die Traufe gekommen. Er hatte nun Ruhe, aber eine Ruhe vom Teufel, wie er sagte, ob welcher er verhungern konnte, und wer war daran schuld als seine Frau, welche auch zum Verleihen geraten, dasselbe ihm so dringlich geraten und gleichsam mit Gewalt erzwungen hatte? Die gute Frau hatte einen schweren Abend und wußte nicht, sollte sie wirklich bereuen, ein Wort zur Sache gesprochen zu haben; denn erzwungen hatte sie dieselbe nicht, erzwingen tat sie ja nie was, nur reden, wie es sie dünkte und wo sie es in ihrer Pflicht glaubte. Auch das wird dem Menschen oft erleidet und verkümmert, so daß ihm die Vorsätze kommen, fürderhin zu schweigen und zu keiner Sache mehr was zu sagen. Wenn solche Vorsätze stichhaltig wären, so hätten die Pfarrer in den Kirchen für nichts anderes zu bitten als für plötzlich stumm gewordene Weibspersonen, nach dem Beispiele, welches einst ein Pfarrer gab. Seine Frau war auch zum Vorsatze des Schweigens gekommen, der Pfarrer, darüber wahrscheinlich geängstigt, da die verstummte Zunge sonst nicht zu den schweigsamen gehörte, führte am nächsten Sonntage, wo seine Frau in der Kirche saß, unter den Kranken, welche der Fürbitte der Gemeinde empfohlen wurden, eine plötzlich stumm gewordene Weibsperson an. Man sagt, der Erfolg soll wirklich so auffallend gewesen sein, daß der Pfarrer darüber erstaunt und in großen Schrecken gefallen. Es ist allerdings sehr schwer, abzugrenzen zwischen Reden und Schweigen, und unmöglich, wenn man die Grenze bestimmen möchte nach den Reden eines Joggeli, der in seiner Schwäche das Beste verkehrte, die besten Ratschläge zunichte machte und dann die Schuld, daß er wirklich Dornen las von Weinstöcken, Andern zuschob, Schweigen und Reden beides gleich zum Vorwurf machte. Bei solchen Gemütern entrinnt man Vorwürfen nimmer, darum muß man tun nach seiner Pflicht und nach dem Maße seiner Stellung. Ein Mann darf gebieten, ein Weib darf sagen, mahnen, warnen.

Joggeli gehörte zu den unglücklichen Menschen, welche weder was Gutes ausführen können noch was Gutes ausführen lassen. Wollte er, was recht war, so lähmten ihn böse Einflüsse, welche stärker waren als seine Kraft, wollte jemand anders was Gutes, so stach ihn der alte böse Mensch in der eigenen Seele, daß er diesem Willen hemmend in den Weg trat und ihn, wenn nicht ganz hinderte, so doch lähmte. Das sind unglückliche Menschen, ihnen geht alles schief; sie selbst sind immer Klagens voll, aber sie erkennen nun und nimmer, wie ihr Charakter ein Gemisch von Schwäche und Bosheit ist, ein bitterer Kelch, aus dem sie und Andere trinken müssen und der nie leer wird, sondern stets neu sich füllt, weil eben im Kelch eine lebendige bittere Quelle ist, das dem Eigentümer unbekannte Gemüt. Alle Leute können nicht Helden sein, aber alle Leute sollten doch zu der Erkenntnis gebracht werden, daß zwischen unglücklichen Verhältnissen und Gemütskrankheiten ein wunderbarer Zusammenhang ist, und zu dem ernstlichen Bestreben, diesen Zusammenhang zu fassen, um namentlich zu der Weisheit zu kommen, welche nie Ursache mit Wirkung, nie Wirkung mit Ursache verwechselt, nie die Quelle des Unglücks in der Luft sucht, während sie tief im eigenen Ich sprudelt.


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