Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Wie der Knäuel entwirrt wird

Ein harter Schlag war dieser Tod für Johannes. Wenn er früher auch Joggeli die Seligkeit, wie er sagte, gerne gegönnt hätte, weil es dem Vater wohl und ihm nicht übel gegangen wäre, jetzt war dieser Tod für ihn ein großes Unglück. Jetzt kam die Vermögensmasse in unparteiische Hände, ihr Bestand mußte ausgemittelt werden so wie Schuldner und Gläubiger. Er war nicht gerührt, aber tobte gewaltiglich, daß das hätte geschehen müssen; es sei gerade, als ob das ihm absichtlich zuleid getan sei, um ihn zugrunde zu richten. Noch acht Tage, so hätte der Vater geflucht (Eid geleistet) gehabt; dann hätte er seinethalben gehen können, wohin er gewollt, die Sache wäre gewonnen gewesen.

Über solche Reden schalt Vreneli den Johannes fürchterlich. Er solle doch an die Mutter im Grabe denken, wenn er auch den Vater nicht achte. Es nehme ihns doch auch wunder, wo er so gottlos und frevelhaft geworden sei, als Junge sei er anders gewesen. Wäre er Bauer geblieben auf der Glungge, so wäre es nicht so gegangen, er wäre ein Anderer inwendig und auswendig. Jetzt sei es froh, daß es bald von ihm komme und hoffentlich ihn nicht mehr sehen werde. Es sei ihm immer angst in seiner Nähe, vom Himmel komme ein Blitz und schlage ein in sein gottlos Maul. «So wäre es für mich,» sagte Johannes, «und dich ginge es nichts an. Vielleicht daß es gut wäre, wenn es so ginge, dann wäre ich draus und weg und allem los. Jetzt schweige mir aber mit dem Gestürm und mache, was zur Sache gehört. Ich mag viel von dir ertragen, aber genug ist genug; ich will meinen Zorn auslassen, wie ich will, magst es nicht hören, so geh weiter!»

Vreneli ging und fiel Elisi und Trinette in die Hände, die gar jämmerlich hintereinander waren. Beide wollten geschwind von des Vaters Sachen nun erben, was da war, dann zum Krämer, dann zu Schneider und Näherinnen und sich neu kleiden lassen für das Leichenbegleit. Da tat Pressieren not, innerhalb drei Tagen mußte alles geschehen sein und in der Nähe wohnten keine Pariser Künstler, weder Schneider noch Näherin (ein Geschöpf, welches auf dem Lande auch die Putzmacherin vorstellt). Trinette wollte jetzt alleine erben, wie Elisi bei der Mutter auch alleine geerbt, was in ihrem Sinne so dumm nicht war. Aber Elisi begehrte schrecklich auf, dieweil Vater und Mutter ganz verschiedene Kreaturen seien. Es wäre so was für Lumpenhunde von Söhnen und deren Schleipfen (Weiber), wenn sie den Vater, welcher das Vermögen in Händen hätte, alleine beerben könnten. Potz Schieß, wie spitzte Trinette die Nägel, akkurat wie ein Kater, dem ein anderer in sein Revier kommt.

So kamen die Gerichtspersonen und teilten den Kuchen, sie versiegelten alles. Bekanntlich hatte Achilles eine Ferse, welche verwundbar war, bekanntlich war sogar der hörnerne Siegfried zwischen den Achselbeinen so empfindlich, daß der wilde Hagen ihn von dorther erstechen konnte; die beiden Gerichtspersonen aber, welche kamen, waren mehr als Achill, mehr als der hörnerne Siegfried, sie hatten keine verwundbare Stelle, sie waren ledern, hörnern, eisern über und über. Die Weiber mochten lieblich oder grimmig tun, Johannes blitzen oder donnern, sie versiegelten kaltblütig alles gut und währschaft; es waren nicht bloß Halbgötter wie Achill zum Beispiel, es schienen wirklich ganze Götter. Es waren nämlich Männer, welche Nasen hatten, die den Braten rochen, kaltblütig ihre Pflicht taten, die Weiber auslachten, den Johannes kurz abfertigten. Wo die Mehrzahl der Erben zahm sind und nicht viel verstehen oder jung, daher blind wie Katzen vor dem neunten Tag, oder alles unter einer Decke liegt, ja da läßt sich schon was machen, da können Gerichtspersonen human, liberal, halb oder ganz blind sein, das läßt sich schon machen und ist manchmal noch was zu verdienen dabei. Aber wo es heißt «Feinde ringsum», das Erbe mit Luchsaugen bewacht, gleichsam umstellt ist wie der Bau eines eingejagten Fuchses, da läßt es sich aufpassen, wenn man nicht Schmutz an Ärmel kriegen will statt Geld in die Tasche. Ja, felsenfest und unerbittlich wird man, hat nicht einmal an der Ferse einen blessierlichen Fleck, wenn in solchen Fällen nicht eine Hand die andere waschen muß, das heißt wenn der Versucher nicht zum Andern sagen kann: «Weißt nicht mehr, was dort und dort gegangen? Jetzt mach was du willst, aber machst es nicht, wie ich will, so rede ich.»

Unglücklicherweise für Johannes und die Weiber hatten sie eine solche Handhabe an diesen Männern nicht; Johannes hatte seit langem nicht hier gewohnt, war hier nie in Geschäften gewesen, die Männer kamen daher nicht in Verlegenheit, und scharf ward nach Pflicht und Vorschrift gehandelt. Heulend legte sich Trinette auf ein Bett, da stellte sich Elisi lachend davor und schabte Rübchen, bis Johannes dem armen Tropf eine Ohrfeige gab, daß es blutend und schreiend zu Vreneli lief, welches ihnen vergeblich vorstellte, welch eine Schande es für alle sei, so zu tun, während ein Toter im Hause liege. Selbst die geringsten Leute täten leise während dieser Zeit, als ob sie die Ruhe nicht stören wollten, und hätten Respekt vor der Leiche, und sie, die vornehm und gebildet sein wollten, täten wie betrunkene Menschen! Aber es half nichts. Es ist gar wunderlich mit der sogenannten Bildung, sie ist gar oft nichts als ein simpler Kleister über eine rohe Natur. Bekanntlich aber mag der Kleister das Wetter nicht ertragen, die Sonne nicht, den Regen nicht, den Frost nicht, so daß, wie man auch kleistert und frisiert, alle Augenblicke die Nase der alten Natur wieder hervorguckt.

So schied der alte Mann von der Welt, wie er in der Welt gelebt hatte, in Mißvergnügen und Uneinigkeit. Es war ein großer Leichenzug, man sah wohl, daß man einen großen Bauer zu Grabe trug; den Gesichtern dagegen sah man an, daß im Sarge weder ein bedeutender noch geliebter Mann lag, denn nicht nur weinte niemand als Vreneli und wahrscheinlich dieses auch mehr der Base zu Lieb und Ehr als dem Vetter, sondern es war ein Geschnatter, selbst ein Lachen oft im langen Zuge, wie man es sonst hinter einem Sarge her nicht für anständig hält.

Die Hinterlassenen konnten sich kaum des Streites unter einander enthalten; sobald sie ein geneigtes Ohr fanden, schimpften sie über einander, und Johannes, sobald er ein Glas Wein im Kopfe hatte, pülverte dem Vater seinen Mißmut noch ins Grab nach. Der Vater sollte jetzt an allem schuld sein, er, der Johannes, hatte keinen Fehler. Die Andern, welche außerhalb der Hörweite der sogenannten Erben saßen, ergingen sich in Mutmaßungen, ob wohl etwas Vermögen übrig bleiben werde; daß das Gut verkauft werden müsse, darüber waren sie einig.

Sie hatten aber auch recht, die Umstände waren noch viel schlechter, als man es sich vorgestellt hatte. Auch hier wollen wir die Formen, in welchen eine solche Erbschaft ermittelt, gesichtet, so gleichsam bis zu ihren reinen Bestandteilen abgeklärt wird, nicht näher bezeichnen. Jedermann in aller Herren Ländern wird daran hauptsächlich das begreifen, daß bei einem solchen Läuterungs- oder Aufklärungsprozeß ein großer Abgang sein muß. Ja manchmal ist die Masse so konfus und seltsam, daß wenn man sie aus den chemischen Apothekertiegeln herausnehmen will, man ein Erkleckliches weniger als nichts darin findet. Die Destillation mußte um so genauer vor sich gehen, da über die eine Hälfte der Erbschaft der Konkurs verhängt, jeder Gläubiger ein natürlicher und berechtigter Wächter war.

Joggeli hatte keine Art von Verfügung hinterlassen. Im Gewirre der Prozesse hatte man weder daran noch an Joggelis Tod gedacht. Es fiel Manchem auf, daß Johannes sich den Hof nicht um halb nichts vom Vater habe abtreten lassen. Wir wissen nicht, warum es nicht geschah. Wollte Joggeli nicht, weil er mißtrauisch geworden auch gegen den Sohn, oder wollte Johannes nicht, weil er dachte, einstweilen sei der Hof sicherer in des Vaters Händen als in den seinen, und wenn des Schwagers Angelegenheiten beseitigt seien, lasse dies sich besser und sicherer machen als jetzt?

Als die Angelegenheit vom Gericht zu Handen genommen wurde, tat Johannes anfangs wie ein angeschossener Eber. Aber da der Gemeinde in solchen Fällen eine gewisse Verantwortlichkeit aufgelegt ist, da sie zunächst die damit beauftragten Personen erwählt, so hatte sie Männer erwählt, von denen sie sagen konnte: «Die werden das Bürschli schon ebha (in Schranken halten), da haben wir keinen Kummer.» Es fanden sich so wenige Zinsschriften und Geld vor und so viele Anforderungen häuften sich, daß es sich bald herausstellte, das Gut müsse verkauft werden. Begreiflich wollte Johannes nicht und sagte, er sei der Sohn und tue es nicht. «An eine Steigerung es bringen ist gesetzlich, da kannst du bieten wie ein Anderer. Oder wenn du einen Preis zahlst, mit welchem man kann zufrieden sein, und Geld schaffest, so viel man nötig hat, so kann man beraten, was zu machen,» sagte ihm ein Vorgesetzter. Aber da eben lag der Haken, wo er möglicherweise noch an andern Orten liegen mag: wo Geld nehmen und nicht stehlen?

Johannes hatte also ein Wirtshaus mit bedeutender Landwirtschaft. Je größer das Geschäft ist, welchem Menschen wie Johannes vorstehen, desto rascher geht es dem Kuckuck zu. Es ist bekanntlich wegen Wasserverbrauch ein Unterschied, ob man an eine Feuerspritze ein oder zwei oder ein halb Dutzend Röhren schraubt. Die Landwirtschaft will von allen Wirtschaften den nachhaltendsten Fleiß und eine stetige Behandlung, sonst verzehrt sie nicht bloß mehr, als sie gibt, sondern das Kapital wird alle Tage geringer, das heißt das Land schlechter. Die Gastwirtschaft von Johannes wurde alle Tage schlechter in dem Maße, als der Wirt und die Wirtin die besten Gäste wurden, wenn das nämlich die besten Gäste sind, welche am meisten brauchen und nichts zahlen. Je schlechter ihre Wirtschaft wurde, desto mehr neue Wirtschaften entstanden um sie herum, desto weniger trug die ihre also ein, desto mehr verringerte sie sich in ihrem Werte. Des Johannes Besitzung war also eigentlich eine fressende, nicht eine nährende, keine einträgliche, sondern eine austrägliche. Doch konnte Johannes nicht von ihr lassen; das Leben eines Wirtes, der alle Tage frisches Brot, Fische und Fleisch von allen Sorten haben kann, war seiner Natur zu zuträglich, um es lassen zu können, auch hätte er für unsittlich gehalten, es zu lassen, denn auf der heutigen Kulturhöhe hält man für die höchste Sittlichkeit ein Leben der Natur gemäß. Er sagte, wenn er sie jetzt verkaufen wollte, so würde er fast die Hälfte daran verlieren. Beide Besitzungen vermochte er nicht zu behalten, besonders da sein Schwiegervater ihm nicht helfen wollte, sondern grobe Worte gab statt Geld, er hatte sie wahrscheinlich auch besser. Den Vater hätte er gemolken, gab derselbe zum Bescheid, jetzt werde er auch den Schwäher melken wollen, aber ohä, das sei ein anderer Knebel. Wenn noch was da sei, wenn er sterbe, so komme es allweg den Kindern kommod, es sei Zeit, daß einmal auch jemand an die denke. Er war einer von denen, dieser Schwäher, welche immer die schönsten Fürwörter haben, mit den Hauptwörtern dagegen desto schlechter bestellt sind. Er war einer von denen, welche gerne viel vorstellen. Er hatte ein großes Haus und das Haus voll hoffärtiger Töchter, von denen jede die Schönere sein und am wenigsten tun wollte. Dies ist freilich auch eine strebsame Richtung, führt aber selten an ein glänzendes Ziel, sondern zumeist an ein lumpichtes. Des Vaters Betragen mußte begreiflich Trinette entgelten, dadurch wurde sie nicht liebenswürdiger. Johannes sagte: Man solle sie nur ansehen, was er mit einem solchen Storch als Bäurin anfangen solle; für Wirtin, um unter der Türe zu sitzen und die Hände zu reiben, möge sie noch gehen, wenn man es nicht zu genau nehme. Aber wenn er auch nicht selbst bauern könne wegen dem Storch, so lasse er doch des Vaters Hof nicht, der käme einst seinen Kindern kommod; er müßte sich ja vor ihnen noch im Grabe schämen, wenn er denselben verkaufen ließe, den schönsten im ganzen Bernbiet! Das war auch ein schönes Fürwort, denn hätte er ihn wohlfeil erhaschen können, so würde er sich keinen Augenblick besonnen haben, ihn zu verkaufen, wenn der Profit ihm aus seinen Verlegenheiten geholfen hätte.

Wir wollen jedoch nicht in Abrede stellen, daß es Johannes hart hielt, den väterlichen Hof zu verkaufen, das adeliche Element war noch nicht ganz in ihm verflüchtigt. Kurios, daß Kinder so oft als Fürwörter gebraucht werden von Verschwendern und Geizigen, wobei jedoch zwischen beiden zumeist ein bedeutender Unterschied im Gemüte ist. Der Verschwender, der nicht ganz zum Vieh geworden, denkt wirklich an seine Kinder, aber leider zumeist hintendrein, wenn es zu spät ist, der Geizige aber wirklich selten. Ein Geiziger ward einmal um einen Beitrag zur Erziehung armer Kinder angesprochen. Das sei doch Verstand, ihm so was zuzumuten, antwortete er. Wie er es im Grabe verantworten wollte, wenn er den eigenen Kindern entzöge, um es fremden zuzuwenden. Der gleiche Geizige plagte jedoch ganz getrost durch unverständige Arbeit die eigenen Kinder bis in den Tod, so viel dachte er an sie.

Aber wenn einer weder Geld hat noch Kredit, so wird er da, wo es auf Geld ankömmt, wenig geästimiert, mag er noch so laut brüllen. Da Johannes keine annehmbaren Bedingungen weder stellen wollte noch konnte, mußte der Hof an eine Steigerung kommen. Das tat auch Uli und seiner Frau sehr weh. Vreneli war da aufgewachsen, wußte kaum, wie es anderwärts war. Uli hatte schöne Träume gehabt.


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