Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Dreizehntes Kapitel

Von Haushaltungsnöten und daherigen Stimmungen

Vreneli ward das Leben wirklich schwer. Sie hatten zu allem Verdruß im Inwendigen auch nach außen nicht Glück gehabt. Es war nicht eigentlich Mißwachs, aber ein mager Jahr, wo es wenig zu verkaufen gab. Das sogenannte Beiwerk fiel größtenteils weg; der Lewat geriet nicht, der Flachs war nicht gut, Obst gab es keins, hinter den Kartoffeln waren die Käfer, das Gras war nicht melchig, das heißt die Kühe gaben wenig Milch dabei, es hatte zu viel geregnet, das Korn war gefallen, brandig, gab wenig aus in der Tenne; das Geld im Schranke wollte sich nicht mehren, die Kasten im Speicher sich nicht füllen, es füllte sich nichts als Ulis Seele mit Ungeduld und Mißmut und Vrenelis Seele mit Wehmut.

Vreneli hatte, wie wir wissen, aristokratisches Blut in seinen Adern und einen nobeln Sinn, wie er einer wahren Bäuerin so wohl ansteht und ihr eine Bedeutung im Volksleben gibt, welche selten ein Mann erringt. Drei Dinge hat so eine Bäuerin: einen verständigen Sinn, einen goldenen Mund und eine offene Hand. Ein gut, mild Wort tut einem armen Weibe, welches nur an Schelten und harte Worte gewöhnt ist, viel besser als eine schöne Gabe, und ein verständiger Rat ist oft weit nötiger als ein reiches Almosen. So ein «Chumm mr zHülf» in aller Not ist ein Posten, der weder erschlichen noch ererbt werden kann, er wird aus freier Wahl nach Verdienst vergeben. So war es auch Vreneli allmählich gegangen. Die Weiber der Tagelöhner, anderer Arbeiter usw. hatten sich ihm allmählich zugewandt, da es häufiger mit ihnen in Verkehr kam als die Mutter, auch rüstiger Hand bieten konnte an einem Krankenlager oder wenn eine Kindbetterin in Nöten war. Begreiflich nahm dieses Amt etwas Zeit hinweg und noch allerlei anderes, wenn man zum Beispiel im Küchenschrank einer Wöchnerin nicht so viel fand, um eine stockblinde Suppe zu machen, und im ganzen Häuschen kein Hüdelchen groß genug, den kleinen Staatsbürger darein zu wickeln.

Seit der ersten Ernte hatte Uli nicht viel mehr gesagt. Vreneli nahm sich in acht, tat verständig, das heißt nicht reicher, als sie waren, schonte Uli bestmöglichst und suchte ihm doch wirklich nichts geflissentlich zu verbergen. Es gibt nicht leicht was Schlimmeres, als wenn die Weiber sich gewöhnen, des Mannes Rücken lieber zu sehen als sein Gesicht, als ihren besten Freund, der ihnen nichts ausplaudert. Nun aber, da das Jahr ein mageres war, wenn auch kein eigentlich Fehljahr, die Brünnlein alle versiegt schienen oder spärlich flossen, ward Uli ängstlich. Wird einer aber ängstlich, spitzt er Augen und Ohren, und was er fürchtet, sieht und hört er allüberall. Fürchtet einer das Feuer, so riecht er allenthalben Rauch, hört Flammengeknister, träumt vom Verbrennen. Fürchtet einer Gespenster, so kriechen ihm solche aus allen Gräbern nach, gucken durch alle Zäune, reißen ihm regelmäßig alle Nächte das Deckbett vom Leibe. Wird einer mit der Eifersucht behaftet, fürchtet, seine Frau kriege die Untreue, so wird ihm alles gefährlich, Katzen, Spatzen und Zaunstecken, und sieht er eine Mannsperson durchs Fernrohr, greift er nach Säbel und Pistolen und schreit: «Jetzt weiß ichs und habs endlich klar, und jetzt muß mir der Donner erschossen sein; hilft es dann nicht, so schlage ich ihm mit dem Säbel Kopf und Beine ab, und wenn das noch nicht hilft, vergrabe ich den Hund schließlich lebendig». Nun ward es Uli nicht angst ums Reichwerden, sondern angst vor dem Armwerden, und da ward es ihm, als helfe alles dazu, als habe die ganze Welt sich verschworen, ihn um alles zu bringen. Auf alles guckte er und allem sah er nach, alles, was gebraucht wurde, biß ihn, und was fortgetragen wurde, ging durch seine Seele. Uli hatte ein nicht ganz so beschränktes Hirn als Mädi, aber wenn ihn was recht erfaßte, ward er immer so eintönig, nur eines und immer das Gleiche klang in ihm nach.

Jetzt fiel ihm Vrenelis Ehrenamt spitzig in die Augen. «Du kannst geben, bis wir selbst nichts mehr haben, sieh dann zu, wer dir geben wird. Die und die ist abermal eine ganze Stunde bei dir gestanden, hat nichts getan und dich versäumt. Wundern muß man sich nicht, daß es so arme Leute gibt. Wie sollte es anders kommen, wenn die Weiber ganze Tage herumstehn und nichts tun! Lieber wäre es mir, es ginge uns nicht auch so. Was doch das für eine verfluchte Unvernunft ist, wenn eine sieht, daß man alle Hände voll zu tun hat, und dann einem vor der Nase steht, daß man nicht vom Platz kann. Ich begreife nicht, wie du ihnen zuhören magst. Es dünkt mich, es sollte dir dabei himmelangst werden. Den Verstand könntest du ihnen machen, wenn sie ihn nicht selbst haben: du hättest nicht Zeit, ihrem Geklatsch zuzuhören, du hättest Schweine, welche gefüttert werden, und Menschen, welche arbeiten müßten und essen wollten zu rechter Zeit.» Umsonst entschuldigte sich Vreneli, es hätte dabei nichts versäumt, sondern immer zugeschafft und aufs Essen hätte niemand warten müssen, weder Menschen noch Schweine. Umsonst entschuldigte Vreneli die armen Weiber damit, sie hätten ihns um Rat gefragt oder es tue ihnen so wohl, ihr Elend klagen zu können. Wenn jemand ihnen freundlich zuhöre, so leichtere es ihnen wenigstens um die Hälfte. Umsonst entschuldigte Vreneli die Gaben, dieweil sie nur so klein seien; wenn sie es ohne die nicht machen könnten, so sei es bös bestellt mit ihnen, und wenn sie Gottes Gnade und Hilfe so nötig hätten, so seien sie doch um so mehr schuldig, zu tun nach seinem Wort und Befehl. Er solle doch nur denken an der armen Witwen Scherflein im Gotteskasten. Umsonst war das alles, Ulis Augen wurden immer spitziger, sein Ärger beim kleinsten Anlasse größer.

Vreneli hielt seine Kinder sorgfältig, wie ein Mädchen seine Blumen, reinlich mußten sie ihm sein um und um. Narrenzeug mochte es für sein Leben nichts an ihnen leiden. Es hatte nicht Augen wie so manche Mutter, welche nicht Farben genug an ihrem Kinde anbringen kann und es am schönsten findet, wenn dasselbe Dinger am Leibe hat, wie sie niemand hat, und grelle, glitzernde, die in allen Gassen schreien und haben doch keine Zunge im Munde. Nun hatte zum Beispiel der Wirt oder dessen Frau dem Johannesli ein Ungeheuer von Turban geschenkt, hochrot von Farbe, mit blauem Borde, eine Elle hoch, oben eine Elle breit, mit Ohrenlappen, groß wie die Blatten an einem Pferdekommet, und einem handbreiten gelben Bande, ihn unter dem Kinn zu binden. Das arme Kind sah darin aus wie ein Zwerg in einer Grenadiermütze oder ein klein Spätzlein, welchem man einen großen Hahnenkamm aufs Köpflein gepflanzt. Vreneli konnte es nicht übers Herz bringen, das Bübchen in das Ungetüm zu stecken. Aus einem Kinde eine Vogelscheuche zu machen, sei eine Sünde, sagte es, so was könne einem Kinde sein Lebtag nachgehen. Wer ein Kind so spöttisch verpuppt gesehen, der erinnere sich daran, wenn das Kind ihm längst erwachsen vor die Augen komme, nehme es für dumm und lächerlich und gewöhne sich mit Mühe daran, die Sünden der Eltern zu vergessen und das verständig gewordene Kind als verständig anzunehmen. Vreneli kaufte dem Bürschchen ein klein Käpplein, wohlfeil und doch schön, und was will man mehr? Darüber ward Uli auch wieder sehr böse. Unnütz Geld auszugeben sollte man sich hüten in solchen Umständen, sagte er. Es werde sehen, wie weit man komme damit, aber dann werde es zu spät sein. Die Hoffart habe reichere Leute auf die Gasse gebracht, und dümmer sei nichts, als vorstellen zu wollen, was man nicht sei, was man erst mit Mühe und Not werden könne. Übrigens begreife er nicht, was ihm an der Kappe nicht recht sei, ihm gefalle sie und zwar besser als die, für welche es Geld verschleudert. Es sei aber nur Weiberwunderlichkeit; weil es die Wirtin hasse, so gefalle ihm nichts, was von ihr komme. So eine Wirtin, welche an einer Straße wohne, wo alle Tage Herrschaften vorbeiführen, Engeländer und Huttwyler, werde doch wohl besser wissen, was schön sei und Mode, als so eine Pächtersfrau, welche jahraus jahrein niemand sehe als die Eierfrau, den Hühnerträger und zuweilen einen Lumpensammler. Und daß es das Bübli nur den – er wußte selbst nicht, wie er dem roten Turm sagen sollte – tragen lasse! Wenn die Wirtin mal käme und das Kind hätte ihn nicht auf dem Kopfe, so hätte sie es ungern und meinte, man schätzte ihn nicht.

Uli hatte für derlei Dinge durchaus keinen Sinn. Was nichts kostete, gefiel ihm am besten, daneben dann, was so recht buntscheckigt war, so recht himmelschreiend. Er meinte auch, für Kinder sei gleich alles gut, und je weniger man an sie wende an Zeit und Kleidern, desto besser kämen sie fort, desto weniger ungezogen würden sie, an desto weniger gewöhnten sie sich. Uli dachte nicht daran, daß keine Zeit kostbarer angewendet wird als die, welche man an das Reinigen der Kinder wendet, und daß keine versäumte Zeit sich schwerer rächt als die, welche man zu wenig dazu braucht. Der Landmann mistet fleißig, wäscht den Schweinen den ganzen Leib, den Pferden Schwänze und Füße usw., und der gleiche Landmann läßt seine Kinder in nassen Betten liegen und tut, als ob jeder Tropfen Wasser Champagner wäre, den man bekanntlich nicht alle Tage braucht. Ja es gibt Leute, welche ihr Lebtag nie am ganzen Leibe gewaschen wurden als am Tage ihrer Geburt, diese Waschung hielts dann bis zum Tage des Todes, war eine währschafte. Er dachte ferner nicht daran, daß die Art, wie ein Kind gekleidet wird in der Jugend, ihm gerne nachgeht im Leben, und Kleider machen ja Leute. Es gibt nicht bloß Familien, sondern ganze Geschlechter bis ins dritte und vierte Glied, welche ihr Lebtag ungewaschen scheinen, alle Kleider an ihnen schmutzig, ja Leib und Seele schmutzig, sie mögen sich gebärden, kleiden, so kostbar sie wollen. Wir glauben, Demanten würden auf ihren Personen den Glanz verlieren und Farbe kriegen wie abgestandener Froschlaich. Wenn sie auch vornehm werden, diese abgestandenen Gesichter, und nach Seife und Pomade langen, erst im dritten und vierten Glied fängt man an zu merken, daß da was Ungewöhnliches in Gebrauch gekommen. Uli gehörte nicht zu diesem Schmutzgüggelgeschlecht, er war im Gegenteil, er mochte machen was er wollte, immer sauber anzusehen, aber er war von Natur so und wußte nicht, wie schnell man in die Familie der Schmutzgüggel geraten kann.

Je mehr Mädi aus dem Häuschen kam, desto mehr kam an Vreneli. Viel machen macht sich noch, aber viel machen und nicht das Rechte machen und daher nicht genug schaffen können, das ist hart und drückt schwer aufs Herz, besonders wenn man noch was unter dem Herzen hat. Auch am Essen mäkelte er, es war ihm nicht mehr recht. Es klagen gar viele Weiber, sie könnten es ihren Männern nicht gut genug geben; das ist von den Weibern dumm, sobald ihnen die Männer Geld genug geben und Geld dafür da ist. Lernen sie halt besser kochen, nehmen sie sich die Mühe nachzusehen, ob was in der Küche ist, und nachzudenken zu rechter Zeit und nicht erst, wenn es auf den Tisch sollte, was sie in die Küche geben, so wird das Ding sich wohl machen, der Mann müßte denn gar ein Unflat sein. Aber wenn die Frau es zu gut gibt, schlechter geben soll, als es sich mit ihrem Gewissen verträgt, weil sie denkt, Dienstboten seien doch eigentlich, genau genommen, keine Hunde, wenn sie zehn und mehr Jahre gekocht mit Verstand und zur Zufriedenheit, und auf einmal ists nicht mehr recht, sie sollte es mit dem Halben machen und hat doch gleich viel Mäuler zu sättigen oder noch mehr (denn je schlechtere Arbeiter man hat, desto mehr muß man ihrer haben, und schlechte Arbeiter essen zumeist mehr als gute), dann ists böse, denn es ist nichts böser, als wenn man mit Bewußtsein und wider Willen unverständig handeln soll. Es ist wohl nichts dümmer auf der Welt, als wenn man zu schlecht zu essen gibt und es besser geben könnte. Es ist dumm und schlecht, wenn man es der eigenen Familie zu schlecht gibt, da wachsen keine Kräfte nach, die Kinder müssen es oft büßen lebenslang, hat ähnliche Folgen, wie wenn man das Land, den Boden ermagern läßt. Es ist aber noch viel dümmer, wenn man fremde Leute zu schlecht hält; erstlich wird man tapfer verbrüllet, und zweitens stehlen sie wieder an der Arbeit ab, was man ihnen am Essen abstiehlt, das fehlt nicht. Das Sprüchwort «Eine Hand wäscht die andere» erwahrt sich wohl nirgends unfehlbarer als hier.

Es ist sonderbar, wie Menschen in einfachen Dingen so wunderliche Augen oder Gedanken haben können. Uli wollte es nicht schlecht geben, aber minder gut. Ihm möge es eine große Summe bringen im Jahr, die Andern merkten es nicht oder hätten jedenfalls nicht weniger, meinte er. Der gute Uli hatte vergessen, wie feine Nasen die dümmsten Dienstboten in dieser Beziehung haben und wie hoch sie den geringsten Abbruch anschlagen, er dachte jetzt so wenig daran als früher an der Ernte, denn es sind gar viele Leute, welche meinen, sie alleine hätten ein Hirn zum Merken und eine Nase zum Riechen.


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