Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Zwölftes Kapitel

Dienstbotenelend

Anfangs war Uli mit seinem Dienstbotenpersonal so übel nicht zufrieden gewesen. Er glaube, er habe es getroffen, es gehe besser als im letzten Jahre, sagte er zu Vreneli. «Rühme nicht zu früh,» sagte Vreneli, «neue Besen kehren gut.» Natürlich plumpst so ein neuer Knecht oder eine neue Magd, welche zur zweiten Abteilung der dritten Klasse gehören, nicht so mit allen Lastern zur Türe herein. Der Knecht macht ein Sonntagsgesicht und stellt sich gut nach Vermögen, teils will er ein gutes Vorurteil für sich erwerben, teils muß er doch erst die Gelegenheit erkundschaften, die Faden suchen, sein alt Leben am neuen Orte anzuknüpfen. Zudem mag in Manchem wirklich der Sinn sich regen, anders tun wäre besser, so komme es am Ende doch nicht gut. An einem neuen Orte, wo die alten Gefährten, die alten Gelegenheiten fehlten, er das Auslachen nicht zu fürchten hätte, ließe es sich schon tun. Er nimmt sich zusammen, tut gut einige Wochen, bis der Teufel ihm nachgeschlichen ist, ihn wieder gefunden, neue Gelegenheit bereitet hat, die Begierden im Leibe recht gierig und hungrig geworden sind; da geht es wieder los, und der neue Besen ist handkehrum zum alten geworden.

Das erfuhr Uli allgemach. Uli haßte das Rauchen in der Scheuer und bei der Arbeit. Auf die Mahnung des Bodenbauers hatte er es sich nach und nach abgewöhnt und sich sehr wohl dabei befunden; jetzt, da er Meister war, begriff er erst recht, wie lästig und unangenehm dasselbe einem Meister ist. Wenn man alle Hände voll zu tun hat, jeder versäumte Schritt von so großem Nachteil ist, und gelassen klopfen Knechte und Tagelöhner die Pfeifen aus, stopfen ein, reichen sich gegenseitig den Tabak, versuchen Feuer zu machen, erst mit Zündhölzchen, welche sie in offener Tasche tragen, endlich, wenn das nicht gehen will, mit abgenutztem Feuerzeug, und wenn endlich alle Feuer erhalten, einer wieder spricht: «Du, gib mir wieder Feuer, es ist mir erloschen,» und wenn der endlich hat, ein Zweiter, ein Dritter sagt: «Du, gib mir Feuer, es ist mir erloschen,» was da für angenehme Empfindungen dem Meister in alle Glieder fahren, erfuhr er. Wenn er dazu rauchen sieht um das Heu herum, ins Stroh die Pfeifen ausklopfen, die Zündhölzchen hinwerfen sieht, wo es sich eben trifft, da kömmt zum Ärger die Angst, was aus solchem Leichtsinn werden solle. Wie unendlich viele Häuser sind durch diese Ursachen abgebrannt, von denen man hintendrein sagte, sie seien angezündet worden! Bei einer allfälligen Untersuchung ergeben sich keine Ursachen des Brandes, man nimmt also einfach Brandstiftung an, das ist wirklich das Simpelste. Ein Knecht wird natürlich nicht sagen, er habe beim Heurüsten geraucht, habe Zündhölzchen verloren, er wisse nicht wo, habe die Laterne mit den Fingern geputzt und den glimmenden Docht in den Mist geworfen, der möglicherweise trocken habe sein können. Das alles und noch viel anderes, woraus ein Brand entstehen kann, vernimmt man nicht. Da nun die dickköpfigen Juristen dieses nicht begreifen, auf der andern Seite an keine Wunder glauben, so finden sie, in Erwägung, daß sie sonst nichts wissen, sich veranlaßt, Brandstiftung anzunehmen. Uli haßte also jetzt das Rauchen mehr, als er es früher geliebt, fragte die Knechte, wenn es ums Dingen zu tun war, ob sie rauchten. Wenn einer sagte: Ja, aber nicht daß es ihn zwinge und er meine, es müsse sein; so am Feierabend habe er gerne sein Pfeifchen oder am Sonntage statt eines Schoppens, so sagte Uli: Dawider könne er nichts haben, lieber wärs ihm freilich, es würde gar nicht geschehen. Aber bei der Arbeit und in der Scheune wolle er es durchaus nicht haben, das sage er rundweg. Begreiflich, sagte der Knecht, das verstehe sich von selbst, hatte aber natürlich keinen Augenblick im Sinn, auch also zu tun.

So hatte er es auch mit dem Karrer gehabt und der auch gesagt: «Das versteht sich von selbst.» Nun aber merkte Uli, daß derselbe sein Wort nicht hielt, sondern mehr und mehr bei der Arbeit rauchte, und starken Verdacht hatte er, er rauche auch abends oder morgens, wenn er glaube, der Meister komme nicht dazu, im Stalle. Wenn Uli kam unversehens, sah er natürlich keine Pfeife mehr, und wenn er fragte, wer geraucht habe, er rieche Tabak, so erhielt er zur Antwort, man wisse es nicht, es sei vielleicht jemand rauchend vorübergegangen. Sah er ihn rauchen und mahnte, es wäre ihm lieber, es geschehe nicht, so steckte der Karrer anfangs schweigend die Pfeife in die Tasche, später sagte er, sie sei bald ausgebrannt, endlich meinte er: Oh, ein Pfeifchen werde doch wohl erlaubt sein, er hätte noch keinen Meister angetroffen, der so unvernünftig in der Sache gewesen. Der gute Karrer war durchaus ungebildet, aber er kannte aus Instinkt die Art und Weise, wie man in Gesetz und Ordnung einbricht und am Ende sie mit Füßen tritt. In Friesland dem Meere nach, im Emmental der Emme nach sind Deiche oder Dämme; läßt man in einem solchen Damm ein Mauseloch unverstopft und unverstampft, so kann man darauf zählen, es geht nicht lange, so bricht durch das kleine Löchlein die gewaltige Flut, reißt es auf zu weitem Bruch, bringt Graus und Zerstörung über das dahinter liegende Land.

Es ist wirklich sehr schön, wie es zugeht in der Welt! Erst kommen Mörder, Diebe und sonstige Spitzbuben von allen Sorten und machen in Gesetz und Ordnung die Mauselöcher, dann kommen Richter mit blöden Augen, blödem Verstand und blödem Gewissen und übersehen die Mauselöcher, und hintendrein kommt die Springflut sturmköpfiger Juristen, reißt Gesetz und Ordnung ein, beweist aus der Vernunft, klar wie eine Wurstsuppe, daß Gesetz und Ordnung unvernünftig seien, Hemmschuhe der Humanität und des entschiedenen Fortschrittes, und machen Platz der aufgewühlten Grundsuppe des menschlichen Herzens, der tierischen Begehrlichkeit, welche dem reinen Lichte, welches in schwarzen Wolken den Regenbogen bildet und in der trüben Welt ein tausendfältig Farbenspiel, ähnlich ist. Denn das Tierische im Menschen ist überall im Herzen das gleiche, während es die Welt berührend in hundert und abermal hundert Brechungen schillert, eine schmutziger als die andere. Von der allerschmutzigsten jedoch würde so ein rechter Jurist von der wahren Sorte aus der reinen Vernunft auf das Klarste beweisen, daß sie der reinste Ausdruck des wahren Menschlichen sei, rein wie das reinste ungebrochene Sonnenlicht. Es ist merkwürdig, wie die Resultate der hochgebildetsten Juristen mit dem einfältigen Instinkt eines ungebildeten, rohen Karrers zusammentreffen. Die Extreme berühren sich, sagt ein Sprüchwort; könnte man vielleicht nicht auch sagen, sie fielen in eins zusammen und deckten sich wie gleichschenklige Dreiecke?

Uli verstund das Ding noch nicht so recht, was ihm nicht zu verübeln ist, verstehen es doch dato mancher König und manches Volk nicht. Er wollte nicht der Wüstest sein, nicht noch mehr verbrüllet werden, als er bereits war; er hielt den Karrer nicht einfach an seinem Versprechen, sprach nicht: «Entweder oder, folg oder marsch;» er fürchtete, das könnte inhuman, illiberal geheißen werden. Er verschluckte schrecklichen Zorn, drückte nur hie und da und noch dazu halb verbissen ein zornig Wort hervor, kriegte dazu noch Angst und Bangen. Uli merkte nach und nach auch, daß der Karrer ein förmlicher Trinker war. Im Wirtshause saß er nicht viel, die Glungge stund abhanden, und die gnädige Obrigkeit war noch nicht so ungnädig gewesen, dem Glunggenbauer gegen seinen Willen eine obrigkeitliche Zersittlichungsanstalt vor die Fenster zu setzen. Freilich, wenn er mit dem Zug auf der Straße war, kam er selten nüchtern heim. Merkwürdig war, wie er allemal, wenn er einen Stich hatte, mit der Peitsche ganz eigen knallte, so daß Uli von weitem hörte, was Trumpf war, und nachsehen konnte. Aber besonders daheim war er angestochen, roch nach Branntenwein auf Schussesweite, setzte die Beine auseinander und verstellte zu beiden Seiten wie ein Matrose, der drei Jahre hintereinander ununterbrochen zur See gewesen. Uli stellte ihn zur Rede, er möchte doch wissen, was das zu bedeuten hätte. Da begann der Karrer gar wehlich zu wimmern, wie er einer grausamen Krankheit unterworfen sei, Magenkrämpfe sage man ihr. Es sei akkurat die gleiche, an welcher der Bonaparte gestorben. Er hätte gemeint, er müsse sich totkrümmen, kein Doktor habe ihm helfen können. Da sei einmal einer zu ihm gekommen, ganz ungefähr, und habe gesehen, wie er tun müsse, wenn die Krämpfe ihn ankämen. Der habe gesagt, er wolle ihm schon helfen, das seien eben akkurat die gleichen Krämpfe, welche der Bonaparte gehabt, Magenkrebs sage man ihnen. Hätte er es zu rechter Zeit vernommen, so hätte er Roß und Wägeli genommen und wäre zu ihm gefahren; dem hätte er helfen wollen, da wäre er ein reicher Mann geworden. Als er es vernommen, sei er schon tot gewesen, da hätte er begreiflich nichts mehr machen können. «Aber wenn er jemanden helfen könne, so helfe er, und wenn ich wolle, so wolle er mir auch helfen. Was habe ich anders wollen? Wenn ein Mann wie der Bonaparte dran hat sterben müssen, was hatte ich zu erwarten? Ihr, Meister, wißt nicht, was solche Krämpfe bedeuten, wo es einem ist, als hätten zwei Wäschweiber den Magen in den Händen und drehten ihn und drehten ihn, und wenn sie mit den Händen nicht mehr mögen, mit Stöcken, daß man meint, die Seele fahre zum Hirn aus. Ich nahm also das Mittel, es ist starkes Zeug, es gleicht dem Wacholderbranntwein; wenn ich davon nehmen muß, weiß ich oft lange nicht, stehe ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen. Aber was sein muß, muß sein, und Ihr werdet es mir nicht verbieten wollen, so unvernünftig war noch kein Meister, bei welchem ich gewesen.» Was sollte Uli machen? Sollte er so unvernünftig sein, wie der Karrer noch Keinen getroffen? Er konnte unter Angst und Bangen Tag und Nacht nachsehen, damit kein Unglück geschehe und er eine Gelegenheit finde, den Kerl fortzujagen, ohne ihm den ganzen Jahrlohn bezahlen zu müssen.

Während Uli mit dem Karrer seine Nöten hatte und sie seiner Frau nicht merken lassen durfte in zusammenhängender Rede, höchstens in einzelnen Ausrufungen, stund Vreneli andere Qualen aus und mochte sie Uli auch nicht klagen; es fürchtete, nicht Glauben zu finden, weil es nicht Beweise hatte. Es suchte welche. Vreneli merkte nämlich, daß etwas geschehen müsse im Stalle mit der Milch. Es schien ihm, es werde nicht gemolken wie sonst. Es wollten ferner im angehenden Frühjahr die Hühner nicht legen, wie man es sonst gewohnt war. Es konnte nicht recht glauben, daß sie ihre Natur geändert und zu dem Korps sich geschlagen, welches nur fressen will und nichts dafür tun.

Vreneli war eine von den Hausfrauen, welche nicht mißtrauisch sind, aber es im Gefühl haben, wenn etwas nebenausgeht. Sie haben die zweite Art von Instinkt, welcher nicht sowohl angeboren als von Jugend auf angewöhnt wird, eben wenn man von Jugend auf bei einer Sache ist. Es warf natürlich sein Auge auf den Melker, Mädi, seine Adjutantin, unterstützte es getreulich, aber sie konnten nichts erkunden. Der Melker war eine bequeme Natur, machte nicht mehr, als er mußte, und tat so liederlich er durfte, ohne ausgescholten zu werden. Aber er war nicht undienstfertig, brauchte gute Worte, kurz er hatte etwas, welches namentlich dem Weibervolk gar nicht unangenehm ist. Er war oft nachts nicht daheim, doch am Morgen zumeist zu rechter Zeit da, so daß weiter nicht viel gesagt werden konnte. Man mußte es als eine Unart betrachten, welche leider noch Viele haben. Da der Melker unschuldig schien, die Hühner aber wie verhexet, begann Vreneli Verdacht auf Marder oder auf Katzen, welche zuweilen auch Eierliebhaber sind, zu werfen, obschon man keine Schalen fand. Es war stark die Rede von Beizen, Fallenstellen usw. Da solche Maßregeln zumeist lange in Rede stehen, ehe sie zur Ausführung kommen, werden sie oft durch etwas Unvorhergesehenes ganz überflüssig gemacht.


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