Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Zwanzigstes Kapitel

Des Spruches Folgen

Vreneli war von den seltenen Weibern, welche regieren und gehorchen können, beides am rechten Orte, das sind rare Vögel. Es lief nicht umher wie ein Kiebitz, wenn er einen Frosch sieht, mit schrecklichem Geschrei: «Was soll ich machen? Was soll ich machen?» und machte am Ende von allem, was man ihm angab, das Gegenteil, damit die Welt merke, wer da regiere und Meister sei. Es regierte auch nicht von vornenherein in die Kreuz und in die Quer und fuhr nachher, wenn alles krumm kam, herum um Rat wie eine Katze, welcher man Nußschalen an die Tälpchen oder Glöcklein an den Schwanz gebunden. Diese Sorten von Weibern sind weniger rar. Vreneli war es weder um eine törichte Erhebung seiner Person zu tun, noch war es von einer törichten Selbstverblendung besessen, welche so rasch in trostlose Ratlosigkeit übergeht. Vreneli war es um die Sache zu tun; es besaß die Klarheit des Geistes, zu erkennen den besten Rat, die Selbstüberwindung, ihn da mit Dank zu nehmen, wo es ihn fand, und die Kraft, ihn mit Energie, als ob er in ihm selbst entstanden, durchzuführen.

Uli mochte am andern Morgen wirklich nicht aufstehen, lag in einer Abspannung, welcher Vreneli keinen Namen zu geben wußte. Der Doktor ward berufen, sah den Zustand lange an und sagte endlich, er wisse nicht recht, wo das hinaus wolle, er wolle etwas geben und ein oder zwei Tage die Wirkung abwarten. Es war der gleiche Arzt, zu welchem die Base ihr Zutrauen gehabt und es auf Vreneli vererbt hatte. Joggeli konnte ihn aber durchaus nicht leiden, er behauptete immer, derselbe habe seine Frau getötet, aber sie sei selbst schuld gewesen, hätte sie einen andern gebraucht, so hätte sie noch bis zum jüngsten Tag leben können. Sobald der Arzt fort war, kam Joggeli dahergesteckelt und frug, was es gegeben, daß der wieder da sei? Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte ihn nicht mehr sehen müssen. Er erschrak sehr, als er hörte, Uli sei im Bett und gar nicht zweg, der Doktor wisse noch nicht recht, wo die Sache hinaus wolle, die Krankheit habe den entscheidenden Charakter noch nicht angenommen. Das glaube er, sagte Joggeli, das wisse der noch nicht, aber lang könne man warten, bis es ihm in Sinn komme. Man werde doch nicht wollen den brauchen, der verstehe sich auf das Wasser nicht, sehe es kaum einmal an, verstehe sonst nichts; wenn man es begehre, so wolle er es Lürlipeter sagen, daß er komme; wenn man den nur höre, so dünke es einem, es habe schon gebessert, so verstehe der die Sache darzutun und könne exakt sagen, wo es fehle. Joggeli hatte sehr Angst, nicht sowohl wegen Uli, sondern wegem Gelde, plagte daher Vreneli sehr, bald mit dem Gelde und bald mit dem Arzte. Dazu hetzten ihn der Tochtermann und teilweise auch der Sohn auf. Er sehe ja, daß das nicht gehe, er solle machen, daß die Schuld nicht zu groß werde, sonst habe er das leere Nachsehen. Was er dem Bodenbauer versprochen, war vergessen, und was Vreneli jetzt für eine Zeit hatte, das kümmerte ihn nicht, denn Vetter Joggeli hatte sich nie in die Lage eines Andern gedacht, zum Mitleiden war er nicht geschaffen.

Vreneli hatte viel auf den Schultern, sehr viel; eine Menge Arbeiten mußten rasch gemacht werden, um den Boden einigermaßen noch zu benutzen und den Schaden zu verkleinern, dazu schlechtes Gesinde, Uli in einem hülflosen Zustande, zu welchem der Arzt den Kopf schüttelte, ein Nervenfieber hatte ihn erfaßt. Wenn man ihm zuvorkommen möchte, sagte der Arzt zwar, habe er diese Wendung so ungern nicht, viel lieber, als wenn es sich ihm ins Gemüt verschlagen hätte. Bei solchen Krankheiten merke der Arzt, wie alles Wissen Stückwerk sei; gar wundersam seien leibliche und geistige Zustände in einander verflochten; diese Verschlingungen zu verfolgen, gebe es keine Brille, man möge deren nehmen, von welcher Sorte man wolle. Zu diesem allem immer den nachsteckelnden Joggeli mit seinem Gestürm wegen Lürlipeter und wegen dem Gelde. Vreneli ertrug ihn mit großer Geduld, aber endlich wußte es sich nicht mehr zu helfen und schrieb dem Bodenbauer.

Der kam und wusch Joggeli tapfer den Kopf, zahlte ihm zugleich auch den Rückstand. «Aber jetzt plaget mir die Frau nicht mehr, das ist eine, die Hosen anhat und tüchtiger ist als mancher Mann. Wenn unser Herrgott einem Menschen Unglück geordnet hat, so sind die andern Menschen nicht dafür da, daß sie nun auch auf ihn losfahren und ihm vollends den Garaus machen, sondern um Geduld zu haben und nach Kräften zu helfen.» Zugleich suchte er mit Joggeli wegen dem Hagelschaden in Beziehung auf den laufenden Zins zu unterhandeln. Ehe eine Hagelversicherungsanstalt da war, stund in den meisten Pachtakkorden ein Artikel, welcher das Verhältnis bestimmte, nach welchem Pächter und Pachtherr den etwaigen Hagelschaden tragen sollten. Jetzt übergeht man entweder diesen Punkt ganz, der Pachtherr überläßt dem Pächter, zu versichern oder nicht, kümmert sich dann aber um den etwaigen Schaden nicht, oder aber es wird bestimmt, daß man versichern solle, und ein Beitrag des Pachtherrn zu den Versicherungsgeldern bestimmt. So etwas stund auch im Akkord auf der Glungge. Aber nun hatte Joggeli zu Uli gesagt: «Sei doch nicht ein Tropf und versichere, was willst du für die zahlen, welche alle Jahre verhagelt werden? Es hagelt ja nie hier. Wenn du zehn Jahre zusammenlegst, was es dich in die Kasse jährlich kosten würde, so kannst du ruhig im eilften hageln lassen, und vielleicht hagelt es die nächsten fünfzig Jahre noch nicht.» Uli gefiel das, er hatte das Geld nötig, behielt daher gerne den Kreuzer und vergaß den Taler, der dadurch gefährdet war. Er dachte nicht an die Hälfte, welche Joggeli an die Kasse zahlen mußte, und nicht daran, Joggeli zu fragen: «Und wenn es dann hagelt, tragt Ihr mit die Hälfte des Schadens?» Auch der Bodenbauer als Bürge hatte vergessen, darnach zu fragen. Er wußte, was im Akkord stund, und hielt Beide für gescheut genug, den Artikel zu erfüllen. Er war erschrocken, als er hörte, wie es stund, und ging nun hinter Joggeli. Joggeli gab, als er den Rückstand eingestrichen hatte, den besten Bescheid, aber keinen einläßlichen. Das werde sich schon machen, wenn es um das Zahlen zu tun sei, könne man dann sehen, jetzt wüßte man ja noch nicht einmal recht, wie groß der Schade sei. «Wie teuer, Vetter,» frug der Bodenbauer, «wollt Ihr das Übriggebliebene?» «Bin nicht kauflustig,» sagte Joggeli, «was sollte ich damit machen?»

Mit Uli stund es bedenklich, er war tagelang verirret, wie man zu sagen pflegt und was auf dem Lande gewöhnlich als ein sicheres Zeichen eines hoffnungslosen Zustandes angesehen wird. Er lag bewußtlos in Fiebern und sprach gar seltsame Sachen, daß denen, welche es hörten, ganz bange war, denn besonders viel hatte er mit dem Teufel zu tun und den Züchtigungen, welche er ihm antat. Wenn nun Vreneli den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war, sich fast allgegenwärtig gemacht hatte, daß oft ein Knechtlein oder eine Magd sagte: «Die Donners Frau, ist die schon wieder da! Wenn die nicht schon eine Hexe ist, so wird sie eine, zählt darauf!», so saß es des Nachts an Ulis Bett und wachte.

Das sind schwere, bedeutsame Stunden, welche ein Weib am Bette ihres Gatten, der zwischen Leben und Tod in der Schwebe liegt, durchwacht. Das Geräusch des Tages ist verstummt, das Ab- und Zugehen hat aufgehört, das Schaffen und Befehlen hat ein Ende; das wachende Weib ist ungestört und alleine beim kranken Manne, über ihnen ist Gott, wohl ihnen, wenn er auch zwischen ihnen ist. Ist der Mann seiner Lage sich bewußt, so werden es Stunden der Heiligung, sie gleichen den Stunden in den Tagen der ersten Liebe; was das Herz bewegt, geht über die Zunge, man freut sich in weicher Rührung der schönen vergangenen Tage, dankt sich für Liebe und Treue, Geduld und Sanftmut, bespricht die gegenwärtige Lage, und wenn das Weib jammert um die Zukunft, das Schicksal der Witwen und Waisen, die Not einer Mutter mit Kindern ohne Vater, so tröstet der Mann, gibt weise Räte und stärkt des Weibes Gemüte, indem er sie dem Allmächtigen empfiehlt, dem Vater der Witwen und Waisen. Wenn sie betet um sein Leben und daß dieser Kelch an ihr vorübergehen möchte, so sagt er Amen dazu, «doch nicht unser, sondern dein Wille geschehe.» Das sind heilige Nächte, wie auf Engelsflügeln schweben sie vorüber.

Aber anders ists, wenn im Irrsinn der Mann liegt, das Weib alleine ist, seine Gedanken ihm niemand abnimmt als Gott. Auch vor sein Auge stellt sich sein ganzes Leben, das vergangene, das gegenwärtige, das zukünftige, und klarer jede Nacht; immer mehr schwinden die Schatten, es wird ein großes lebendiges Lebensbild. Süße Wehmut, schöne Träume, bitteres Weinen, geduldiges Ergeben, mutvolles Erheben wechseln in des einsamen Weibes Seele. Die Bilder, welche erst regellos durcheinanderfluteten, gestalten sich in immer festeren Zügen und bestimmter Ordnung, immer klarer bildet sich aus der Gegenwart die Zukunft. Auch dieses Weib fleht: «Ists möglich, so gehe der Kelch an mir vorüber, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!» Aber weil des Herrn Wille ihm nicht offenbar ist, bildet sich vor seinem innern Auge die Zukunft in doppelter Weise. Es sieht sich Hand in Hand mit dem Manne durchs Leben gehen, es trägt in den nächsten Tagen ihn zum Grabe, steht alleine mit den Waisen, muß alleine sie führen ins Leben, sie stärken zum Leben. Wie dunkle, schwere Gewitterwolken wälzen sich diese Bilder anfänglich an seinem Auge vorüber; aber allmählich klären sie sich ab, gestalten bestimmter sich, gleichförmiger, nur aber schöner jede Nacht, gestalten zu bestimmten Entschlüssen sich, zu einem Leben, den Gedanken eines Malers ähnlich, in denen er ein Bild feststellt, in großen Umrissen zuerst und allmählich von Gestalt zu Gestalt bis zur Ausprägung der einzelnen Züge, an dessen Ausführung er Jahre, ja sein Leben setzt.

Man hat oft bewundert, mit welcher klaren Umsicht und großen Energie Witwen die Zügel großer Haushaltungen faßten und führten, wie ernst und fest sie ihre Kinder erzogen, wie mächtig sie dem Schmerze geboten, der doch sichtlich ihren Körper schüttelte. Wer dabeigewesen wäre in jenen stillen, langen Nächten, gesehen hätte, wie sie mit ihrem Schmerze, wir möchten fast sagen, mit Gott gerungen hätten, bis sie zu der Kraft und Klarheit gekommen, welche sie üben bis zum Grabe, durch welche sie hineinglänzen in das Andenken der Ihren wie Sterne in die Nacht, der würde sich nicht wundern, woher ihnen das Wesen gekommen, welches niemand in ihnen ahnte, welches so segensvoll wirkte. Doch auch in einer andern Richtung bildet die Seele, schafft eigentliche Lebensbilder: sie denkt in Wehmut, wenn Gott den Geliebten ihr wieder schenke, wie sie Beide ein neues Leben führen wollten in mildem Frieden, treuer Liebe, wie alle Schatten fort müßten aus dem Leben, alles Trübe, alles Zagen, alles Kümmern um Kleines, wie sie schaffen wollten in aller Freudigkeit ihr Tagewerk, absonderlich aber trachten nach dem Einen, das not tut. Heitere Bilder folgen einander in längerer Reihe, glänzen immer heller, je mehr die Krankheit weicht, das Leben aus der Krankheit wieder emporblüht, werden trüber und trüber, wenn die Krankheit steigt; wenn der Tod kömmt, erblassen sie, werden begraben im Gemüte, der wahren Familiengruft, in welcher die geliebten Toten geistig weilen bis zum Wiedersehen.

Manche solche stille, lange Nacht wachte Vreneli an Ulis Bette, war versunken in tiefe Gedanken oder horchte mit blutendem Herzen auf die Irreden des Mannes. Mehr als eine Woche kam es nicht aus den Kleidern, wollte trotz des Doktors Befehl niemanden anders wachen lassen, aus Liebe, aus Bangen, was die Leute denken und sagen würden, wenn sie Ulis Reden hörten. Von Irreden haben die Menschen keinen Begriff, kennen zumeist nur einen Grund derselben, das böse Gewissen, das Aufwachen der Angst über geheime Verbrechen. Was hätten sie gedacht und gesagt von Uli, der immer mit dem Teufel zu tun hatte, am Ort der Qual sich glaubte!


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