Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel

Ein Gericht und zwei Sprüche

Unterdessen war Ulis Prozeßlein fortgelaufen, hatte sich ausgesponnen auf wunderbare Weise zu einem langen, langen Faden. Wenn er meinte, er packe das Ende, husch, war es ihm entronnen und weit weg wie dem Kinde das Fischlein, nach welchem es hastig gegriffen. Schon tüchtig war Uli durch seinen Agenten angepumpt worden, als es endlich hieß, an dem und dem Tage werde, wenn nichts dazwischenkomme, abgesprochen, Uli müsse dabei sein, müsse auch einmal wissen, wie dies gehe, und sehen, wie der Gegner ein Gesicht mache, wenn er verspiele, er werde sich verwundern. Es machte indessen Uli doch angst auf diesen Tag, es fiel ihm ein, es wäre noch immer möglich, daß er verliere, dann könnte es ihn ärgern und der Andere zusehen; er habe schon gehört, es gehe bei den Abstimmungen oft verflucht ungerecht zu und der beste Handel könne verloren gehen, denn die meisten Richter verständen nichts vom Recht und die übrigen seien sonst nicht sauber im Nierenstück, dachte er. Bekanntlich müssen die Richter immer als Sündenböcke der Advokaten vor dem Volke paradieren.

Die Nacht vor dem Abspruch konnte er wenig schlafen, er wäre zu einem ziemlichen Opfer bereit gewesen, wenn er den Prozeß hätte ungeschehen machen können. «Das soll mir eine Warnung sein,» sagte er mehr als einmal halblaut, «ist der mal aus, fange ich mein Lebtag keinen neuen an, wenn es nicht sein muß.» Er war früh auf, und Vreneli versäumte ihn nicht mit dem Frühstück, war freundlich, aber vom Prozeß redete es nicht. Da war ein wunder Fleck in seinem Herzen, der nicht heilen wollte und schmerzte, so oft er berührt ward. Es war ein heißer, schwüler Sommertag, kurz vor der Ernte; der Roggen beugte bereits seinen philisterhaften Rücken und neigte sein Haupt wie ein alter Professor, wenn er sich der Höflichkeit befleißt. Das Korn hatte verblüht, stand keck gradauf wie junge Fähndriche, welche Generale werden möchten. Uli dachte, in acht Tagen muß der Roggen ab, in drei Wochen das Korn, überschlug seinen Ertrag, machte Preise, handelte, daß er darüber fast den Prozeß vergaß und an Ort und Stelle war, ehe er es sich versah.

Es war noch ziemlich stille, die Stunde des Gerichts noch nicht da, und bekanntlich gehören die Advokaten, welche früh zur Stelle sind, entweder zu den Ausnahmen oder zu den Anfängern. Wer des Abends zu viel Wein im Munde hat, frägt dem Golde, welches die Morgenstunde im Munde hat, nicht mehr viel nach.

Nach und nach trappeten die Parteien an oder fuhren wohl auch, stunden ums Schloß, wo das Gericht saß oder sitzen sollte, oder bewegten sich der Gaststube des Wirtshauses zu, um an einem Schnaps oder einem halben Schoppen Wein sich für die Operationen der Gerechtigkeit zu stärken. Auch seinen Gegner sah Uli herantrappen an einem langen Stock, gelb und mager sah unter dem breiten Rande des schwarzen niedern Wollhutes das Gesicht hervor. Der ging nicht dem Wirtshause zu, sondern dem Schlosse, sah sich erst lange bedächtig um, lehnte sich dann noch lange an seinen Stock, endlich saß er auf eine Bank ab, nachdem er sich sorgfältigst überzeugt hatte, daß er am rechten Orte sei und sich nicht verfehle, wenn er sich da setze.

Endlich, als das Volk sich gehäuft hatte, die übliche Stunde längst geschlagen, kamen sie daher, die Helden des Tages, die Agenten und Fürsprecher, wie Divisionärs und Brigadiers auch erst kommen, wenn die Bataillone aufmarschiert sind und oft schon lange stehn. In wunderlichen Kleidungen, in Kopfbedeckungen von allen Sorten kamen sie dahergefahren, drei kamen sogar geritten. Eben ritterlich sahen sie nicht aus, einer von ihnen saß auf seiner Rosinante wie eine junge Laus auf einem alten Spittler. Wenige Agenten kamen zu Fuß; was ihnen dadurch an Ansehen abging, suchten sie zu ersetzen durch die Majestät, mit welcher sie ihre Pfeife hielten, den Stock handhabten oder den Kopf trugen. Sie alle gingen der innern Stube des Wirtshauses zu, sammelten da ihre Gedanken bei einem Glase Roten oder stärkten ihre Stimme mit Schinken oder Braten, stellten sich zuweilen in die Mitteltüre groß und breit und schauten hinaus in des niedern Volkes, welches sich in der Gaststube gesammelt hatte, lautes Gesumme. Mit Schauer und Respekt sah das Volk auf die Helden hin, welche die Gerechtigkeit in den Händen hatten wie der Töpfer den Lehm, um sie zu drehen nach Belieben. «Sieh, dort ist der Meine,» sagte einer und wies mit seinem langen Stock auf eine Figur, welche unter offenem Fenster stund. «Dort der Meine,» sagte ein Anderer, zog seinen Hut und machte dem Seinen einen tiefen Bückling mit langem Scharwenzel, doch umsonst, derselbe hatte ein kurzes Gesicht und eben seine Brille in den Händen, um ihr den Morgentau auszuwischen. Ganz verblüfft und verwundert über dieses kalte Benehmen, sagte der Klient: «Das letztemal, als ich bei ihm war, war er nicht daheim, und hat ihm vielleicht seine Frau vergessen zu sagen, die Fische seien von mir. Ich sagte ihr meinen Namen dreimal, vergessen wird sie ihn doch nicht haben.» «Ich bringe nichts mehr,» sagte ein Anderer, «sie führen einem die Sache zu stark aus, man weiß nicht mehr, was ihnen recht ist. Letzthin brachte ich meinem Fürsprecher zwei Hasen, verflucht brave, da sagte die Frau, sie wolle nur einen, der andere stinke. Sonst hat man geschenkten Rossen nicht ins Maul gesehen.»

«Warte hier, muß doch noch ein Wörtlein mit dem Meinen reden,» sagte ein Anderer, «und ihn mahnen, daß er nur ja den und den Punkt nicht vergesse und die Satzung, welche darauf sich schickt, es ist die und die. Solche Herren sind oft gar schrecklich vergeßlich, besonders wenn sie vom Dischinieren (Frühstücken) kommen. So einer hat so viel Händel, daß er um den einen oder den andern nicht die Hand umdreht; verliere ich den, he nun so dann, so gewinne ich einen andern, spekuliert er. Unsereiner, der nur einen Handel hat, kann es minder leicht nehmen, gewinnt oder verliert er ihn.»

So sieht man Manchen an der Tür sich drehen, um seinem Fürsprecher abzupassen, ihm noch ein vertraut Wort zu sagen, vielleicht mitzuteilen, was man selbst Schlagendes gedacht oder gesinnt. Der Eine oder der Andere flucht in einer Ecke, wenn er seinen Advokaten mit dem des Gegners vertraut unter einem Fenster reden sieht, denn er hatte geglaubt, sie Beide sollten sich mit dem gleichen Hasse hassen, mit welchem er und sein Gegner einander hassen. «Da werden sie mit einander abreden, wer gewinnen und wer verlieren soll, wie die Schwinger am Ostermontage in Bern. Es ist doch von denen Hagle keinem was zu trauen, es ist ein Schelm wie der andere, wenn man es sagen dürfte, und Unterschied ist keiner, weder daß der eine um etwas der Schlimmere und der andere um etwas der Dümmere ist,» so wird geurteilt.

Endlich wird das Publikum ungeduldig, Einige steigen voran, Einige schimpfen über das Zögern, sie hätten weit heim und seien nicht zweispännig hergefahren, und es dünke sie, die Herren sollten an Hunger und Durst auch etwas sparen für den Mittag, sonst möchten sie da nichts mehr. Endlich kömmt der Gerichtsweibel und sagt den Herren des Tages: Die Richter säßen schon lange und verlangten nach den Herren, wenn man erst mittags anfange, so finde man den Feierabend nie. Indessen ist der Herr Gerichtsweibel nicht halb so pressiert, daß er nicht mit einem oder zwei Gläsern Wein Bescheid tun kann. Hätten sie drüben schon so lange gewartet, so würden sie noch um einer kleinen Weile willen nicht aus der Haut fahren, kalkuliert er, und gewöhnlich ganz richtig, denn sein Kalkul gründet sich auf Erfahrung. Endlich muß doch aufgebrochen werden, denn unter all den Helden ist denn doch kein Josua, der die Sonne stellen kann, und nach Sonnenuntergang sind Gerichtshandlungen nicht mehr gültig. Vor Gericht beginnt die Schlacht mit Plädieren und Replizieren und endlichem Judizieren. Partei um Partei treten vor und treten ab, und reiche Studien macht, wer die Wirkungen beobachtet, welche Gewinnen und Verlieren auf den Gesichtern hervorbringen, und bemerkt manch Gesicht, dem man es durchaus nicht anzusehen vermag, ob ihns ein günstig oder ungünstig Urteil getroffen.

Uli war einer der Letzten, welche vorkamen, ihm war ungefähr wie einem, der gehängt werden soll, aber erst noch einige Andere zu seiner Stärkung und Erquickung muß hängen sehen; wer dies erlebt hat, weiß, wie es ihm war. Endlich wurden sie vorkommandiert. Seines Gegners Agent eröffnete das Feuer, und zwar so scharf, daß es Uli fast schwarz ward vor den Augen. Der wusch ihm den Pelz, daß er glaubte, er könne sein Lebtag keinem Menschen mehr ins Gesicht sehen, daß er viel Geld gegeben hätte, nicht bloß, wenn er den Handel nie angefangen, sondern wenn er nur nie hergekommen wäre, denn fortan werde jedes Kind, wo er sich zeige, mit Fingern auf ihn weisen und sagen: «Seht da den Betrüger, den verlogenen Kuhhändler!», und daß was an dem Gerede wäre, das sagte Uli was unter dem Brustlatz. He nun, so ists, dachte er, gut für einmal! Ich merke jetzt, wie es die Leute meinen; hätte ich der Frau geglaubt, so wäre es mir nicht so gegangen.

Nun trat auch sein Anwalt auf. Wenn der nur schweigen oder die Sache ganz kurz machen würde, daß sie bald vorbei wäre, dachte Uli, aber dem Lumpenhund wolle er es doch einmal sagen, wie er ihn hineingeführt, denn mit Schein laute das Gesetz ganz das Gegenteil, als der Hagel es ihm angegeben. So gehe es, wenn man von der Sache nichts verstehe, sich bloß müsse brichten lassen und noch dazu von solchen Beinschabern. Nun aber kam sein Anwalt nach einigen Präliminarien auch in Fluß der Rede. Potz Himmel, wie tat Uli erst das Maul auf und wie fing es ihm dann zu wohlen an, das Ding kam heraus wie ein umgekehrter Handschuh und Uli mußte immer denken: Persche, ja so! Kuh, was ich bin, daß ich das nicht gedacht! Er fing an zu wachsen, mit souveräner Verachtung auf den andern Anwalt und das Lumpenmannli, das heißt seinen Gegner, herabzusehen, der zuweilen das Maul auftat, als ob er reden, eine Bewegung machte, als ob er auf den Redner einspringen wolle und ihn traktieren mit seiner Faust, die er immer geballt hatte und mehr oder weniger vorstreckte, je nach dem Siedpunkte seines Zorns.

Uli kam sich fast vor, als sei er eins von den Gespenstern, von denen man erzählt, daß sie sichtlich wachsen und wachsen, bis ihr Kopf in den Wolken ist, während sie mit den Beinen noch auf Erden stehen. Man hätte glauben sollen, im ganzen Bernbiet sei kein ehrlicherer Mann und noblerer Staatsbürger als Uli. Und wirklich hatte selbst Uli nie daran gedacht, daß er so einer sei, und fürchtete fast, er könne künftig vor lauter Rechtschaffenheit, Tugend, Vaterlandsliebe und entschiedenem Fortschritt sich nicht vor den Leuten sehen lassen, dieweil die Einen aus Neid zerspringen, die Andern aus Begierde, so einen zu sehen, ihn erdrücken könnten; recht hätte er, und ohne Laterne sehe man es, und wenn die Richter nicht Schelme seien, so müsse er gewinnen, und daß sein Agent so reden könne, als wäre er schon im Himmel gewesen, das hätte er ihm sein Lebtag nie angesehen, weder hinten noch vornen, weder im Wirtshaus, wenn er die Andern im Spiel betrog, noch daheim, wenn er die Frau prügelte. Das Gewinnen hätte er bar, so dachte Uli, und so war es auch.

Als sie nach kurzer Beratung des Gerichtes wieder hineingerufen wurden, war sein Gegner mit seiner Klage abgewiesen und in die Kosten verurteilt. Das Mannli ward blaß, sein langer Stab tanzte auf dem Boden, und weit, weit streckte er seine Faust vor, und es war, als wolle er sich ducken zum Sprunge auf die Richter; dumpfe Laute quollen über seine Lippen, wahrscheinlich drückten sie nicht den größten Respekt aus, denn sein Agent, welcher ihm am nächsten stund, fand sich veranlaßt, ihn mit möglichster Schnelligkeit vor sich her aus dem Gerichtssaale zu schieben.

Uli wars wie einem, der, in eine Dornenhecke gefallen, gefürchtet hatte, er komme nur zerfetzt und wie ein gerupftes Schaf mit Hinterlassung aller Wolle daraus, plötzlich auf freien Füßen steht mit heiler Haut, oder wie dem Daniel, als er ungefressen aus der Löwengrube kam, die Bestien ihn nicht angetastet, und waren doch im Gerichtshofe acht Anwälte, sechs Agenten und Geschäftsmänner in ungezählter Menge und alle trotz asiatischen und afrikanischen Bestien (amerikanische sollen weniger wild und grausam sein) mit Hunger und Durst behaftet. Also gewonnen, gewonnen! Was wird die Frau sagen? Es ist doch gut, daß man andern Leuten auch glaubt als nur den Weibern, aber so leichtlich bringt mich nicht mehr jeder zu einem Prozeß. Es ist allweg eine verteufelte Plag, man wäre leichter eine kleine Weile gichtisch oder sonst krank, so dachte Uli.


 << zurück weiter >>