Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus dem kirchlichen Leben.

Heilige Orte.

I.

«Heil’ger Tempel ist der Wald» — z. B. des Jolimont, um dessen Chanzelbueche die hohe Buchensäulenhalle am Tschu̦ggerwääg wie als Vorbild eines echt gotischen Domes 1 sich schließt und zu den neulich 2 eingeführten Sommersonntags- Bredige einladet. Helgebäüm (1662), Heligi Stụụde (1675 auf dem Müntschemierfäld), Haine und Höhlen wie die Täïfferhëhli hinter dem Täïfferstäi der Twannbachschlucht, der über letztere wi n e Gëtz anzuschauende Tootestäi (die Ankeballe) erwecken «frommen Schauder» wie die Häidehëhli ( S. 147) und der Hohlestäi ( S. 148).

Die Heiligkeit von Quellen wie der dem keltischen Belenus ( S. 105) geweihten Römerquelle zu Biel 3 würdigte vormals auch der Seebutz. Um Malehụụs­brï̦nneli des Tüscherzwaldes ( S. 131) kniete der Rebarbeiter auf seinem Wege nach Vingelz einen Augenblick nieder, oder er sprach stän͜dlige ein kurzes Bätt. 4 Eine Feldkapelle mit beweglichem Altar am häilige Brunne zu Brüttelen unweit der Freistatt Gäserz, soll an den Mord des Lausanner Bischofs David (850) erinnern. 5

«Hiedisent» ( hienooche) dem Siechehụụs zu Biel stand noch 1520 ein Bildstock, welcher einen der Wege zeigt, wie man zur Errichtung von Kapellen gekommen ist. Die seit den Kreuzzügen errichteten Kapellen zum häilige Chrị̈tz 6 z. B. zu Neuetstadt (1377 7 ) und Ligerz 8 helfen mit dem Namen nach. Es galt, das Kreuzesbild und seine Anbeter 572 mittelst Wand und Dach vor Unbill zu schützen. Der erste Bau solcher Art aber barg den mit dem Bettler geteilten Mantel des heiligen Martin (wie zu Großaffoltern). Ein solches langes Überkleid mit der zugleich den Kopf bedeckenden Kaputze (des Kapuziner) hieß ml. und von da her altdeutsch cappa, Kappe, 9 Chappe iSv. Găpuschung ( capuchon) oder Kabụ̆́tze. Der Name ging aber später auf das den Mantel bergende Gebäude selbst und jedes nach seinem Muster errichtete Bethaus über. So «Ligendt» noch 1533 «3 Mannwerk Reben by der Cappen zu Tüscherz vnder dem Biellwäg», 10 und Erlach hat einen Chappenacher. In der Regel jedoch hieß das immerhin kleine Bauwerk capella, chapelle, Kapelle, Kapälle. So z. B. die 1681 gegründete, durch Lage und Anlage reizende chapelle des Combes über Landeron. Schon mhd. betonte man auch «die Káppel» 11 und formte daraus die neue Verkleinerung: das Chappeli. Ein solches steht seit 1894 auch wieder am Friedhof zu Gals. Und wie mhd. das Überkleid auch das Käppelin und das Käppel heißen konnte, so gleicherweise die Kapelle. Ein Vinelzer Allmendteil am Seestrand gegen Erlach heißt noch heute d’s Chäppeli, uf em Chäppeli, und Chäppelis­achchere liegen bei Siselen. In der Regel wurde jedoch die Lokativfügung «ze der Kapéllen» umakzentuiert: (zu der) Kappelen; und in dieser Form Cháppe̥le begegnet uns auch im Seeland eine große Zahl von Stätten einstiger Bethäuser, die entweder laut bernisch obrigkeitlicher Verordnung von 1530 auf dem Lande «abgeschafft», oder aber zu Kirchen (mit Seitenkapellen) umgebaut wurden.

Auf heidnische Altertumsstätten zurückreichend, 12 begegnen uns eine Reihe Kapellen aus sehr alter Zeit, andere aber aus dem spätern Mittelalter. Mit dem Erdbeben und Bergsturz von 1356 bringt man in Beziehung die Twanner Chappele bei Engelberg, von deren Dasein allerdings bloß noch die vier Chappele (-Rääbe) und die Chappele- (oder Tomegásse-) länti Kunde geben. Von der einstigen Tüscherzer «Kappen» (s. o.) reden noch die Rebstücke Chappelemátte, Cháppelebode und Chappeleschläif. Denen von Alframe (Alfermé, Hälffermé) gab Biel 1440 1 Mütt Kalch ze Stür an ir Kapellen. 13 Die Ligerzer Kapelle s. u. Denen von Mörigen gab Biel 1450 1 H 5 ß an ir Capellen. 14 Belmŭ́nd behielt noch nach 1107 (vgl. S. 13) seine Kapelle. 15 — Eine früh abgegangene Kapelle Tschu̦gg 573 wird «die ursprüngliche Kirche von Erlach» sein. 16 Eine Kapelle in Erlach selbst, von welcher 1197 die Rede ist, gehörte der Abtei St. Jobannsen. 17 Neben der 1880 in ihren Resten abgebrochenen St. Immer Kapelle zu Erlach wird öfters 18 die Bläuers- oder Blääierskapelle namhaft gemacht. Sie stand nördlich der Straße Erlach-Ins auf der Höhe, wo man die römische Poststation von Mullen ( S. 566) sucht, auf dem Boden Adolf Hämmerlis. Den Zunamen Blääier trugen nach 1400 Herren von Altorf bei Delsberg, welche bei Erlach Besitz hatten. 19 Reben bei den Cappeln und am Kapellenweg gibt es zu Ins. Ein Hof mit Kapelle zu Brüttelen bei Ins gehörte 1183 dem Priorat Peterlingen. Zu Vinelz liegen, wie d’s Chäppeli (s. o.) und der Chappelenacher (1810), auch der Platz Vibaneiche. Chappelenachchere liegen ferner zu Feisterhenne, Chäppelisachchere (s. o.) zu Si̦sele. — Von den Kapellen zu Nugerol sprachen wir im « Ins», von der Neuenstadter Seekapelle, welche jetzt die französische Pfarrkirche 574 ist, S. 113. — Eine nach 1400 gegründete und 1810 abgebrochene Siechekapälle stand an der Straße Biel-Bözingen, wo noch das Landhaus La Maladière steht. Zu Falbringen (1143: Valmuris, 1511: Vaulmery, Balmeringen) besaß Bellelay Reben und eine Kapelle. 20 — Während die Kapelle zu Werd (1231) 21 eingegangen ist, erhob sich das 1226 erstmals genannte Chappele bei Aarberg zum eigenen Kirchort. — Ein Ort Chäppeli liegt zu Golaten. Eine nüwe capell baute 1479 Murten. 22

Blick auf die Kirche von Twann und den Kapf

«Den» oder ehnder einen Martinsmantel trug im Krieg ein Priester als capellanus, chapelain, Kaplan den fränkischen Heeren voran. 23 Zwischen ịịne verwahrte er ihn in der königlichen Hauskapelle. Der Titel übertrug sich nachmals auf Kapellenpriester, wie z. B. den zu Falbringen (1437), 24 sowie auf Hilfsgeistliche jeder Art; mit dem Bedeutungswandel allerdings, daß «Kaplan» nunmehr den Verwalter der Kapelle mit deren Kleinodien, ihrem Urkundenschatz (Archiv) usw. g’mäint het. — Wenn nicht von Kapellen, so doch von (Altar-) Tafelen ist zuweilen die Rede. Biel steuerte 1492 an solche zu «Töuffelen» 1  H, zu Bargen 5 ß. — 1361 ist die Rede von der Bäihuuskapälle auf dem Friedhof Biel. Am Platz der dortigen französischen Kirche stand bis 1810 das Siechehụụs mit der Kapelle, deren hölzige Becher 1623 eine Bielerin mit dem silberige ersetzte. 25 Die Bieler Zunftgenossen zum Wald, die Metzger und die Gerber hatten ein eigenes Kapälleli, die Fischer, die Wäber, Schnịịder (1441) und Schuhmacher (1486) doch je es Chrị̈tz. Es silberigs Chrị̈tz kam 1520 als St. Benedikts Arm in die Bieler Kirche. 26

 
1  «Ich glaube, der Künstler, der die Gotik erfunden hat, ist einmal an einem schönen Abend in einem Buchenwalde auf dem Rücken gelegen und hat geträumt, er sei in einer Kirche, darin es ihm so gut gefalle, daß er sich eine nach dem Muster erbaut hat.» Karl Stauger.   2  Vom Erlacher Pfarrer Arnold Knellwolf. Wir erinnern an die Gottesdienste im Berner Dählhölzli uaO.   3   Meiners 1, 223; vgl. Hoops 2, 580 f.   4  Albert Krebs.   5   Stauffer 68 f.   6   Benzerath 31 ff.   7   Font. 9, 522.   8   Mül. 826.   9   Du Cange 2, 127; M-L. WB. 1642; Seil. 2, 14 f.; Kluge 229. Vgl. la chape und le chaperon; bei Graff 4, 355 die Kappa als Regenmantel; im mhd. WB. 1, 787 ff. die reise-, münch-, mèsse-kappe, die lîn- und scharlach-kappe, die unsichtbar machende tarn-, hël-, nebel-kappe. S. a. schwz. Id. 3, 834.   10   PuTw.   11   Du (Maria) bist ein lebende cappel. (In Konrad von Würzburgs Goldener Schmiede.) Mhd. WB. 1, 786.   12   Jahn KB. 79.   13   Taschb. 1908, 170,   14  Ebd.   15   Jahn KB. 36.   16   Mül. 535.   17   Font. 1, 494.   18   Jahn KB. 20; SDS. 1914, 18.   19  aRR. Scheurer.   20   Mül. HS. 1, 205.   21   Font. 2, 113.   22   RM. 13. Okt.   23   Benz. 104.   24   Taschb. 1907, 285.   25   Taschb. 1903, 186.   26  Ebd. 187 f.  
 

II.

Gleich der ursprünglichen Kapelle nur zur Not Schatten u Schäärm bietend, war das kleinere Zelt und der größere Tempel zunächst ein überspannter 1 Unterstand, und erst antike Baukunst gestaltete den letztern zu dem feierlich schönen Gebäude, das auch der Franzose gern temple nennt. Vgl. die place du Temple zu Nv. Das Berndeutsche dagegen braucht das Lehnwort bloß im übergetragenen Sinn, indem es z. B. das «pack dich!» übersetzt mit: mach di zum Thämpel ụụs! 2 Den Hausfriedensbrecher jagt mḁ zum Thämpel ụụs. Aus der Einsiedlerklause, gr. monastérion, der spätern Klosterkirche, gestaltete sich das 575 noch großartigere Münster, 3 dessen Verkleinerungsform Montreux 4 im Namen dieses Fremdenorts launig auf das ähnlich bergan steigende Oberdorf Tüscherz als d’s chlịin Móntree übertragen wird. Das an der Seestraße ( S. 545) neu entstandene Unterdorf Tüscherz heißt dementsprechend d’s neï Montree. Ecclesia, église findet im Berndeutschen gar keinen Widerklang, so wenig wie basilica. 5 Einzig das durch die 576 arianischen Goten im vierten Jahrhundert ins Deutsche gekommene gr. 6 kyriakón wurde als ahd. chiricha, oberdeutsch chilicha, Chilche die auch berndeutsche Bezeichnung für Gotteshaus. 7

Eingang zur Kirche in Twann

Dieser so ausschließlich gebrauchte Name kommt dafür schon in Orts- und Flurbezeichnungen um so häufiger vor; am meisten natürlich dort, wo es schon buchstäblich ausgeschlossen ist, daß D’Chilche mitts im Dorf blịbt. (Übertragen heißt das: daß bei Erledigung einer Angelegenheit niemand sich in seinen Rechten oder Gefühlen verletzt glaubt.)

Wit i de Räben obe, gute fünf Minuten über dem Dorf und etliche mehr unter dem alten Herrschaftssitz der Festi, schaut über See und Seeland die einstige Kapelle und die nunmehrige Kirche von Ligerz. Für den steilen Anstieg entschädigt den Besucher die von einer Platanenbaumreihe beschattete, prachtvolle Terrasse. Von einer ebensolchen, mittels der Chilchestääge von der Straße her ersteigbaren, schaut der Besucher der Twanner Kirche über den See und dessen Südgehänge, da ihm das ganze Dorf zur Rechten ausweicht. Z’oberist im Dorf liegt die Kirche von Ins, und eine Strecke über ihm der Chilcheflue zustrebend, erhebt sich das Gotteshaus Pieterlen. So isoliert gelegene Gebäude dienen drum auch zur Orientierung für Flurstücke. Hin͜der, vor, ob, un͜der der Chilche zu Ligerz liegen die und die Rebgüter. So die Chi̦lchrääbe zu Twann, auf deren Kosten der Chi̦lchhof sich ausdehnt. Äcker liegen am Inser Chilchbäärg oder Chilchräin; andere an der Chilchstra̦a̦ß zu Mü. (1757), am Chilchwääg zu Mü. und Br. (1809), am Kilchwäg gen Sutz (1533); oder es gibt Chilchwääg­achchere (den Gü̦ggeler) zu Br., einen Acker auf dem Chilchefäld zu Port (1769, vgl. S. 99). Dies, wie der Chilch- oder Chilchenacher zu Gals und Si., die Chilchematte zu Br. (1647) und Ins, das Chilchen- Ịịschleegli zu Ins (1788, 1795) deuten zugleich auf Bestandteile des einstigen oder noch jetzigen örtlichen Chilcheguet. Über solches führte der Chilchmäier mehr oder weniger gute Chilcherächnig, wofern nicht geistliche Orden oder weltliche Grundherren darüder als Eigentum verfügten und damit auch das Vorschlagsrecht des Pfarreinsatzes (die Kollatur) inne hatten. So über die Bieler Kirche erst der Fürstbischof von Basel, dann als dessen Lehensträger der Graf von Thierstein, und (1364 um 1000 Gulden sie erwerbend) die Stadt Biel.

Friedhofportal und Kirche von Erlach

Wer aber auch für Bedienung und Unterhalt der Kirchen zu sorgen hatte: ihr inneres und äußeres ụụsg’seh stimmte bisweilen schlecht zur Kirchlichkeit des Mittelalters. Das zeigte sich bei den Visidátze, 577 welche 1228, 1417 und 1453 (in letzterem Jahre durch den Lausanner Bischof Saluzzo oder George de Saluces) angeordnet wurden. 8

Chor und Terrasse
der Ligerzer Kirche
Blick nach Erlach

Di mäiste Chilche uf be Dëërfer ụsse, wo doch grị̈ị̈slig äifach sị b’bạuet g’si̦i̦ un also liecht wäri g’si̦ i der Oornig z’haa, häi g’loodelet uṇ g’lotteret. Du̦r d’s Dach ab het’s chënne rägne, wi’s welle het, un dur d’Fänster­lë̆chcher, wo nu̦mme chlịịn gsi̦ sịị un wo n es e̥re ganz weeneli g’ha het, het der Luft mit volle Backe chënne du̦u̦re zieh. Worum? si̦ sị mäistes nu̦mme mit lịịnigem Tuech vermacht gsi̦i̦; Glas het mḁ dennzumol no weeni g’chaa. Un der Bode vom Schiff? Dää isch a mäṇ’gem Ort grad äifach der g’stampfet Äärdbode g’si̦i̦ wi in alte Strạuhuus­chuchchine. Mi het mängisch no dert, also mitts i der Chilche, Fï̦ï̦rnämmi vergrabt. Drum isch der Bode g’hogeret un g’lëchcheret g’si̦i̦, un wi naß u chalt! Es isch si scho der wärt g’si̦i̦, ’s arpaartig ụụfz’schrịịbe, daß mḁn i me Stedtli wi z’Arbäärg im Jänner 1646 un͜der de Manne- un Wịịberstïehl nëï b’bëëdmet häig. 9 D’Wänd häi o inne na̦a̦che alli Faarbbe ’zäigt: grïen u graau u schwarz. Mi het si̦ ch nịịt gschochche, a große Festa̦a̦be dranne d’Fackle z’lësche. D’Mụụre im Chor het o nid vil besser ụụsg’seh, wenn schó dert in ere Nische es 578 Wan͜dschäftli isch ịịg’loo g’si̦i̦, für D’Nachtmoohlsache drị z’tue. (Si̦ sị denn no nid uf em Altar ụụfg’stellt g’si̦i̦.) D’s ewig Liecht hätt dḁrvoor solle brenne; das het a mäṇgem Ort ó g’fählt. Zu de Häiligebäi un an͜deri Reliquie häi si̦ ó niene Sorg g’haa weder z’Neị̈etstadt un z’Därstette. Der Nachtmoohlbächer isch mängisch bloß vo Zi̦i̦n g’si̦i̦ un nid e̥mol verguldet. Do u dert isch es Bŏ́rte̥ree vo dene vierzääche Lịịdesstazione im dicke Stạub g’hanget, ganz ung’schickt u grobäänisch g’moole. D’Mä̆ß- und d’Bätbïecher (Missalien und Breviarien), wo mḁ richtig denn no nid ’druckt het, het mḁ fast nid meh chënne läse; un verhu̦dlet sị si̦ g’si̦i̦ eppis grị̈ị̈seligs. Daß si o nid ohni Fähler sị abg’schribe g’si̦i̦, cha mḁ dänke. A mä́ṇgem Ort häi d’G’chalt (Archive) g’fählt; mi het der Platz fï̦r eppis an͜ders z’brụụche g’haa: fï̦r áller Gattig Ru̦stig u Plunder hääre z’tue. D’Walpe̥rtswịler häi Nußseck i der Chilchen ụụfg’stellt g’haa. Dḁrfï̦ï̦r häi im Chor Stïehl un im Schiff Bänk g’fählt.

Der Lausanner Bischof, der überhaupt seit seinem Antritt (1440) das durch Krieg und Zwist zerrüttete Bistum zu heben unternahm, befahl kurz und bündig Abstellung des ärgsten Schlippschlapp.

 
1  Zelt aus rom. tenda ( Kluge 505) und templum aus « tend-tlon» ( Walde 768) zu l. tendere (spannen). Vgl. auch Zält (Tw.) aus Zelg auf S. 517.   2  Wohl in Anlehnung an die Tempelreinigung Matth. 21, 12 f.; Marc. 11, 15-17; Joh. 2, 13-17.   3  Vgl. Moutier, Môtier und all die jurassischen Patoisformen im Atl. ling. 453.   4  1794 Montreux und Montru ( Jaccard 545) aus monasteriolum.   5  Von Constantin nach dem Muster «königlicher» Wohn-, Justiz- und Handelspaläste eingeführter Kirchenbau; vgl. rät. baselgia, frz. Bazeuge.   6   Seil. 1, 233-5; Kluge 243.   7  Noch weitergehend Kürzung «Chile»: schwz. Id. 3, 229; vgl. Chilbi aus Kirchweih S. 375. 532.   8   AhV. 1848, 312.   9   Forer.  
 

III.

Eine heutige Revision der Berner und speziell der Seeländer Kirchen würde einen ganz andern Befund zutage fördern und Errungenschaften verzeichnen, die sich noch vor einem Jahrhundert keiner träumen ließ. So ist der Chanzel (Mehrzahl 1711 «die Chäntzel») 1 von der pfarramtlichen Verpflichtung befreit, Erlasse wie Wirtshausverbote (1753) u. dgl. «von Kanzel» (1807) oder «ab Kanzel» (1803) zu verlesen; und das dem Zịfịịler übertragene verchünte von Eheversprechen wird z. B. in Twann durch Erinnerung an jüngst bestattete Gemeindeglieder ( Abdankig) ersetzt. Damit ist der Kanzel ihre Ursinn der Freihaltung für eigentliche Amtsgeschäfte (wie anderwärts des Kanzlers, der auch nach Twanner Sprachgebrauch chanzlet, d. i. schreibt) aufs neue gewahrt. 2 (Das Chänzeli ist ein Felsvorsprung über Twann.)

Erwähnen wir ferner die nun überall eingeführte Chilchehäizig, welche freilich noch manchenorts (z B. in Twann) nach dem besten System tastet. Der winterliche Gottesdienst braucht sich damit nicht mehr i d’s Schuelhụụs oder (wie um 1827 zu Ligerz) i d’s Toorbe̥dhụụs ( S. 200) oder sonst wohin zu flüchten. — Den Tạufstäi, 579 welcher meist zugleich als Abendmahlstisch dient, schmückten besonders in den Klosterkirchen kostbare Nachtmohlbächer und -blatte. 3

In der Regel u̦f der Lạube (Empore) vertraten vormals die Phosụụnebla̦a̦ser 4 die Oorgele, 5 wofern nicht Lehrer als Vorsänger sie ersetzten. So zu Twann bis 1881, in welchem Jahre aus dem Legat von zäächetụụsig Franke des Twanner Hauptmanns Engel die sehr gute Orgel von Weber in Bern erstellt wurde. Eine für dennzuma̦l vorzügliche Orgel erstellte Erlach 1700; die zu Biel von 1782 und zu Ins von 1777, zu Vinelz, Mett, Walperzwil, Ligerz, Bürglen wurden seither durch Neubauten von Goll, Zimmermann u. a. mit all den wunderbaren Fortschritten der gegenwärtigen Technik ersetzt. Keine zwäärisch drịị schreiende Quint und kein chụderigs Schnarrwerk, aber auch kein den Oorgelist zu altfränkischem dụ̈derle einladender Spezial-Zweifuß einer kleinen Landkirchenorgel könnte nunmehr den Vergleich mit einer Xanthíppe oder aber einer «Flöte» provozieren: daas isch bi Góst es Register! 6

 
1   SJB. A 274 (Vogt von Graffenried).   2  Die an das Gliedergerüst des Krebses ( cancer) erinnernden Gitterstäbe ( cancelli) der «Kanzlei» sondern den Bureaubeamten vom Publikum und den Kleriker vom Laien ab. Vgl. Walde 121.   3  Viele solcher Geräte wurden 1528 durch die Berner Regierung vermünzt. Vgl. «Ein bernischer Säkularisationsrodel». Von Pfarrer Stammler, Anz. 5, 56 ff.   4  Vgl. Ndsächs. 229 f.   5   «Orgele» gibt die Mehrzahl organa (les orgues) als Vielheit der Register wieder.   6  Das ml. registrum (aus « re-gest-arium») der Orgel: Seil. 2, 184.  
 

IV.

Aus abg’wätterete Chilchstü̦ü̦rn mit Chääsbissen als Dach übersattelt und vor dem unglücklich angeordneten wị̆ßle (wị̆ßge) außerordentlich stimmungsvoll mit Ääbi umrankt, schaut zu Gottstatt, zu Eiß, zu Vin̥elz, zu Erlach die riesige Zịttafele dem nach ihr sich gern orientierenden Dörfler entgegen. Ganz zweckmäßig wird dabei z. B. an der 1876 neu erstellten Twanner Turmuhr, welcher Pfarrer Bitzius seine sinn- und gedankenvolle Predigt 1 gewidmet hat, auf den zu gewissen Stunden nur verwirrenden Luxus des Minutezäiger verzichtet. Die Viertelstunden werden ja auch dem Ohre angezeigt durch das viertle, das man bloß i d’s Grabg’lï̦t ịịne ungerne hört; denn do gi bt’s baal d wider e Lịịch (Lịịcht). Um so dankbarer ist man, wenn es nicht zu heißen braucht: d’s Chilchezịt gäit na̦’m Sịgerist; oder: es het all’s sị Zịt, 2 weder der Tuurn Z’NN. ni̦i̦d. Solche «NN.» waren bis 1910 Ins, bis 1916 Täuffelen, welche Orte duch Erstellung tadelloser Turmuhren der tausendfältigen alten Not mit dem Zịthị̈ị̈sli, der Zịtschnuer oder dem Zịtsäili, den G’wichtstäine usw. abhalfen und keines Cheßler (1685) als Zịtrichter (1704) oder Zịtmacher (1754) mehr bedürfen.

580 Mit der Zunge vergleichbar, ruft der Challe 3 der mittels des Gloggesäil gezogenen Glogge — besonders aus den schön harmonischen, wohl sogar zugleich melodischen G’lị̈ị̈t der Firma Rüetschi in Aarau, welche zum Vorteil eines recht hälle 4 Klangs die Überladung mit Kremänzel, Kramänzel meidet — in oft und schön besungener Weise 5 die mannigfaltigen Seelenregungen wach. Das bezeugen auch alle die Glockeninschriften, auf deren Wiedergabe wir mangels mundartlichen Stoffes verzichten müssen. 6 Nennen wir hier den Glockengießer Witzig in Biel (um 1648) und erwähnen wir, daß die zehn harmonisch gestimmten Glocken zu Bä́llelää (Bellelay) am Orte selber gegossen wurden.

Abraham Zehnder I. goß 1600 eine Glocke in Großaffoltern, 1603 eine in Vinelz, 1620 eine in Gampelen, 1624 je eine in Bürglen und Täuffelen; sein Sohn 1660 eine zu Wengi b. B.; David Zehnder I. 1634 eine in Lyß. — Die beiden Glogge zu Gottstatt und zu Zimmerwald stehen seit 1920 auf dem bernischen Verzeichnis der Kunstaltertümer.

 
1  1, 243-9; in Edinger-Schmids Sekundar­schul­lesebuch 319 ff.   2  Pred. 3, 1.   3  Zu ahd. ( Graff 4, 383) kallôn (schreien, lärmen), mhd. kallen (laut und viel reden); der basl. «Challi» ist ein Grobian, der emmentalische ein Lümmel. Als Iterative bedeuten mhd. kalzen und kelzen, emment. chäḷtse: langweilig schelten, twannerisch chältsche, aber husten (wueste), der Chältscher (Wueste) haa. Schöner heißt der Klöppel frz. le battant.   4   Hääl um Ins = häll um Tw., in alter Sprache bloß akustisch (Grundbedeutung: laut schwatzend? Kluge 203), erst in neuerer auch optisch und damit sachverwandt mit heiter und klar (aus l. clârus, zu cālare, ausrufen. Walde 115. 167). Dagegen ist in Gw. (671) hääl (zu hehlen: Kluge 199) svw. bedeckt, leicht bewölkt.   5  Mit Schillers «Glocke» und Bitzius’ «Turmuhr» vgl. Ott’s «Der Sigerist zieht am Gloggestrang».   6  Vgl. zum Ersatz «Die Glockeninschriften im reformierten Teil des Kantons Bern» von Dr. Nüscheler-Usteri, Zürich, im AhV. 10, 255-415.  
 

Kirchen-Erneuerungen.

I.

Nur wenige Worte kann unser «Bärndütsch» den Kirchen­erneuerungen widmen, welche — auf Ermunterung hin und mit Unterstützung von Bund und Kantonsregierung — in den letzten Jahrzehnten auch und grad rächt im Seeland vollzogen worden sind.

Anstatt seiner vormals — um 1238 und bis zur Reformation bestehenden — zwei Kirchen 1 soll das alte Ober- und Nieder- Lyß zu éinem längst geplanten Neubau kommen. Ein solcher von 1862 ersetzte zu Rapperswịl die hinfällige alte. Übertünchte alte Wandgemälde 581 wurden zu Rụ̈tti bei Büren wieder zum Vorschein gebracht. Ein wahres Juwel besitzt Büren in der von jeglicher Überladung freien, eindrucksreich geschlossenen Einheit der Glas- und Wandmalerei seiner Kirche, an deren Erneuerung die nicht große Gemeinde 1906/07 die Summe von 64,400 Franken gewagt hat. Die vier Evangelisten mit ihren Attributen im Chorgewölbe lassen wie als Folien den die Front des Chores beherrschenden Christus in seiner ganzen Anmut und Würde hervortreten. Ein diesem Frontfenster ebenbürtiges Kunstwerk ist das Seitenfenster mit den vier Scheiben, welche die Märtyrergeschichte der Katharina von Alexandrien darstellen.

Von den unter der Tünche fü̦reg’chratzete Bildern im Chor zu Pieterlen sei besonders die Grablegung Christi, sowie das Nischenbild über dem Grab Eptingen-von Wildenstein (Anfang 14. Jahrhundert) erwähnt. 2 In gleichem Sinne, wie hier durch Rudolf Münger, wurde 582 1913 unter Architekt Propper die im 18. Jahrhundert dem Verfall anheimgegebene, 1837 aber dem deutschen Gottesdienst zugewiesene wịßi Chịlche z’Neuetstadt erneuert.

Voraus ging 1911 und 1912 unter Proppers Hauptarbeit die auf mehr als 150,000 Franken zu stehen kommende Erneuerung der deutsch-reformierten Stadtkirche Biel, diese dem heil. Benedikt gewidmete Hauptkirche, welcher seit 12. Juni 1904 (Grundsteinlegung am 20. August 1902) die französisch-protestantische und seit 1904 (Einweihung am 10. Januar) die christkatholische Kirche sich zugesellen.

B’bauet het man an äire vo 1451 bis 1469, am Platz von eren eltere chlịịnere, vo dere mḁ no der Tu̦u̦rn het l̦a sta̦a̦. Numme het mḁ dää um ene Stock hëëcher g’macht, fï̦r daß mḁ’s besser g’chëëri lị̈te. Aber das isch bëës ụụse choo: Um 14. Juli 1481 zwüschen endlefi u zwölfi z’Mittag isch der Tu̦u̦rn ịịg’heit. Wi d’Wäärchlï̦t no sị a der Arbäit gsi̦i̦ un e Däil uf em Grï̦st g’stande, het’s blëtzlig e g’waltige Chlack g’gää u drụụf es grïïsligs chrachen u tonnere. Der Tu̦u̦rn isch i’ n Ring ụụse g’fahre mit sannt de Glogge, wo scho i’ dä neu Schrage sị g’hänkt g’si̦i̦. Äi Glogge het bim aabe dätsche es täïffs Loch i d’B’setzi ịịne g’schlage. Und doch het’s ere nịịt g’macht, so weeni wi den an͜dere, wo ó i’ n Ring g’fahre sịị. Aber was no merkwï̦rdiger isch: Alls het chënne flieh bis an e Zimmerg’sell, dää isch grad zwische de bäide große Gloggen inne blịịbe li̦gge. Wo si ch das G’schräi vo de Lị̈t e chläi het g’läit g’haa u mḁ wider e chläi isch zue n ihm sälber choo gsi̦i̦, isch dä ganz Hụffe zueche g’lï̦ffe u het no däm Bursch g’luegt. Är isch vo Si̦i̦n n gsi̦i̦; mi het ’nḁ dänne ’träit u zue n ihm g’luegt (ihn gepflegt).

Är het d’Achsle ụụsg’macht g’haa, su̦sch t isch ihm nịịt ’passiert. Mi het ihm si wider ịịg’macht, un dḁrmit het er in acht Tage wider chënne goo u stoo. — Mi het dä Du̦u̦rn wider zur Noot ụụfg’richtet, so wịt d’s Gält darfï̦r g’reckt het. Anno Nị̈ị̈ne ndvierzgi (1549) het mḁ das provisorisch Ziegeldach vo 1483 wider dänne g’noo u der Tu̦u̦rn hundertzwänz’g Bärnschueh (vo der Mụure bis zum Chnopf vierenị̈ï̦nz’g Bärnschueh) hëëch ụụfg’haa. Mit Stụụrz (Blech) het mḁ ’nḁ äntlech o d’deckt, na̦däm es ganzi g’schlagni achtedrịßg Wuche i d’s Zịt un i’ n Gloggeschrage un i dä ganz Ịịbau het chënnen aberägne u d’s Holzwäärch fị̈ị̈le («fäulen»). 1551 het es di vier Eggtïïrnli g’gää u d’s Wächterstï̦ï̦bli. Un͜der der Lạube (dem Lättner) het mḁ der Chanzel g’stellt; der Tischmacher Niklaus Heinricher het ’nḁ g’macht. — A däm Bauwäärch vom Hans Dick het d’Reformazion nid vi̦i̦l g’änderet, u d’Bilder sị un͜der däm fịịne Brediger Wịttebach 583 in aller Rueh dänne ta̦a̦ worte, u d’Revoluzion het nu̦mme d’Gfa̦hr b’bra̦a̦cht, daß d’Chilche o no wäär verstäigeret worte, wen n epper eppis rächts darfï̦ï̦r hätt welle drụf biete. Aber si̦ isch äbe dennzumol verlotteret gsi̦i̦, wil es par Ärdbebe (b’sun͜ders vo 1621 u 1755) e̥ren arpaartig starch zueg’setzt g’ha häi.

Bis i di letz̆te Vierz’gerja̦hr het si niemer um die Bieler-Chilche g’chị̈mmeret; u wo mḁ du̦ eppis a ’re g’macht het, isch es dụ grad lä́tz ụụse choo! Mi het Fänster u Spitzbëge u Nische un anderi schëëni Architekturstï̦ck vo däm spätgotische Bau äifach vermụụret un d interässanti Wandmalereie überchalchet. Vor di schëëni Hauptporte gäge’ n Ring het mḁn e kapällenartige Vorbau g’macht. Aber was wịtụụs schlimmer isch g’si̦i̦: mi het um d’Plattform um äis Mool ïber d’s an͜der ụụfg’grabt u g’gï̦ï̦feret, fï̦r b’Un͜dergaß z’erẉitere (1842), fï̦r z’kanalisiere, fï̦r su̦sch aller Gattig Läitige z’legge. Du̦ het der Un͜derbau sị̈ị̈ferli aafoo noogää, un un͜der änisch merkt mḁ Chleck u starchi Risse u̦ssefï̦ï̦r un i̦nnefï̦ï̦r a de Mụụre. Du het mḁ (1911) uf der Stell D’Chilche g’rụụmt u g’b’schlosse. Es het si ch ’zäigt, daß d’Fundamänt bis uf si̦be Meter abe mïeße un͜derbetoniert sịị, fï̦r uf feste Bode z’choo. Dḁrnoo het mḁ d’s ganze Gebäud vo z’un͜derisch bis z’oberisch erneïeret, wo ’s nëëtig gsị isch, in eren Art und Wịịs, wo mḁ si ch vom Architekt an Ort u Stell sälber mueß la̦ zäige, fï̦r’s z’bigrịffe. O di fï̦ï̦reg’chratzete Wandmalereie het mḁ kunstgemäß erneịịeret. 3

Erlachs Kirche erhielt ihre Eigenartigkeit durch den Kunstsinn verschiedener älterer Zeiten. Zu Ende des 12. Jahrhunderts als der ungegliedert Druckli-artige Bau errichtet, zeigt sie mit einem Mal dem Beschauer das stimmungsvolle gotische Chor, die schöne Renaissance-Kanzel, die kunstvoll geschnitzten Herrschaftsstühle des Schiffs, das hübsche Orgelgehäuse.

Der neuere Turm romanischen Stils, nun anmutsvoll altersgrau, erschien vor Errichtung und Beleuchtung der der Kirche vor die Nase gelegten Kapelle bis oben aus in Ääbi und wilde Wịị gekleidet. Unvergeßlich eindrucksvoll schimmert im Herbst das rote Laub nach dem Grün des Berges und dem Blau des Sees hinüber, indes das allzeit jugendgrüne Gewand des Fußes mit der Zier des schönen Friedhofs in eins verfließt. Von der Höhe aber ertönt wie aus dämpfender Ferne das harmonisch reine G’lị̈ị̈t der vier Glocken. Zu ihm gehörte bis 1541, wo sie in das (nun einem Trüel gewichene) Chornhị̈ị̈sli zu hängen kam, die silberigi. Dagegen hanget im Turm no di 584 wältschi Glogge. 4 — Ähnlich mu̦tz, aber raan (schlank, Ins 466) lehnt sich der 1484 gebaute und 1542 erneuerte 5 Vinelzer Kirchturm an das 1902 aus dem Legat der Frau Moser- Tribolet vom Vinelzer Malermeister Fritz Traffelet in Bern ebenso geschmackvoll wie uneigennützig erneuerte Gotteshaus. Zwei wertvolle Berner- und zwei Steiger-Wappenscheiben 6 erwarb die Regierung um 2750 Franken und gute Kopien; ein Handel, wie er auch in Nidau (s. u.) die Kirchen­erneuerung erleichterte. Umgekehrt wurde in Vinelz, wie in Gampelen, Siselen u. a. O. das Chor vom Staat an die Kirchgemeinde abgetreten. Das zu Vinelz eingepfarrte Lüscherz denkt schwerlich mehr an einen eigenen «Kilchenbuwb» wie 1473, wo es sich aus Biel «10 ß zu Stür» an solchen schenken ließ. 7

Aus eigenen Mitteln brachte 1910 Ins 36,000 Franken auf, aus welchen es die Zimmermannsche Orgel, die zwei neuen zu den zwei belassenen alten Glocken und eine durch oder unter Architekt Indermühle außen und innen gleich freundlich-würdige Kirchenerneuerung bestritt. Elektrische Beleuchtung ist die neueste, Fensterschmuck die zunächst geplante Bereicherung solcher Errungenschaft. — Dem seiner prächtigen Efeu- ( Ääbi-) Zier beraubt gewesenen, nun wieder mit grünem Pflanzenkleid geschmückten Turm glich bis vor einem Jahrhundert dem mu̦tz Turn von Gampelen, welcher 1559 am Platze des 1513 samt der Kirche verbrönnte aufgerichtet wurde. Nunmehr fügt der spitzhelmige Turm mit der Dorflinde und dem erneuerten Schulhaus sich in ein Gesamtbild von seltener Anmut. Er steht auch vertrauen­erweckender da, als das bereits 1602 erneuerte Chor und das 1675 wegen Baufälligkeit abg’schrissene und sofort neugebaute Schiff.

Der schiefe Turm von Pi — nein! von Nidau gab 1913 diesem von seinem neuenburgischen Gründer mitts i’ n Sumpf ine g’stellte Stedtli Anlaß und Nötigung zu gründlichen Sicherungsbauten. Die Kirchgemeinde, welche eben den Urheber der Juragewässer­korrektion mit einem so freundlichen Denkmal geehrt hatte ( Ins 133), brachte 35,000 Franken auf für eine bautechnisch wie ästhetisch gleich einwandfreie Kirchenrenovation, welche zugleich den niemals i d’Greedi zu bringenden Turm noch für Jahrhunderte vor em umg’heie bewahren wird. Kirche und Turm ruhten von dem Anfang an, wo zunächst eine Kapelle und ein Altar dem heil. Erhard gewidmet waren, auf einem Rost 585 von mächtigen Eichen. Das hinderte freilich nicht, daß der Turm im Giebel schließlich um volle 180 cm us em Sänkel g’ra̦a̦ten isch und die 1678 neu gebaute Kirche in Mitleidenschaft zog. Die Bieler Baumeister Saager und Frey und der Nidauer Baumeister Kindler festigten nun den Turm mittelst Einsenkung eines 7 m tiefen und 8,6 m breiten Betonblocks, auf welchem ruhend zwei starke Betonpfeiler in der Kirche, die Kanzel einfassend, den Turm stützen. Der Moorboden hinderte gleich wenig wie solchen gewagten Bau die Anlage einer Krypta, von welcher 1913 sowohl eine aufgefundene Treppe wie wohlerhaltene Skelette zeugten. Mit den prächtigen Schnitzereien besonders des landvögtlichen Familienstuhls von 1678 stimmen die vom Original 8 schwer zu unterscheidenden Kopien, welche Glasmaler Giesbrecht in Bern von den sehr schönen Scheibenpaaren im Schiff und Chor gefertigt hat. 9 Die sehr gefälligen Flachmalerarbeiten besorgte Metthez in Nidau.

586 Während der spätromanisch aussehende Twanner Kirchturm schon um das Jahr Tụụsig gebaut sein mag, wird der älteste Kirchenbau auf das Jahr 1299 verlegt. Aus dem Jahr 1623 aber stammt die schöne Kanzel, wie von 1638 die in Spätrenaissance geschnitzten Chorstühle, welche das Wappen der Insel ( S. 227) und die der bernischen Besitzer von Twanner Reben zeigten. Die chliinni und nideri Chilche wurde 1783 größer und mit bedeutender Überschreitung des Voranschlags gebaut, «Wir laßen dieselbe inwendig gibsen ( iepfe) und laßen alle Pfenster ( Fänster) mit großen Scheiben machen.» 10 Die letzte, innere Renovation brachte die Tombola (der «Bazar») des 22. und 23. Februar 1902 im Räbstock. Sie trug auch dem Abendmahlstisch den sammetige Teppich ein, 11 sowie den Taufstein den goldgestickten Philippinen-Teppich als Geschenk der Wirtin Frau Krebs zum «Bären». Bereits in den Jahren 1591 und 1616 schenkte Schultheiß Hans Rudolf Sager (1547 bis 1623) die beiden Abendmahlsbecher; die Abendmahlsplatte spendete 1679 der Schultheiß Samuel Frisching. — Bei der letzten Renovation fand man in der Chu̦gele des Kirchturms Münzen aus der Reformationszeit und vermehrte sie mit Münzen u̦s ị̈ser Zịt.

Ein 1896 in der Griengruebe beim Bartloméhof auf dem Bü̦ttebärg gefundenes, vorzüglich erhaltenes Bronzebecken aus dem 13. Jahrhundert 12 lenkte neuerdings die Aufmerksamkeit auf die einstige «Montpottonkirche», welche vor 1228 auf dem Fundament einer (durch Leistenziegel- und Tongefäß-Fragmente als solche ausgewiesenen) römischen Warte errichtet worden. 13 Ungern wohl vertauschten die Priester den damals freien Ausblick über das Vorgelände der Seekette mit der doch schönen Gottstatter Prämonstratenser-Kirche aus frühgotischer Zeit (1247) auf dem Platze des vormaligen Stadholz.

Weit früher wurde 14 — wohl aus den Ruinen von Petinesca — die Kiche Bürglen gebaut. Der durch das Erdbeben vom 20. Mai 1621 verursachte Einsturz des Turmes am 31. Juli gab dem Neubau die heutige, in seiner Auffrischung noch anmutiger gewordene Gestalt.

 
1   Mül. 341.   2  Näheres: Taschb. 1907, 27-9295, mit Titelbild und Kunsteinlagen.   3   Taschb. 1803, 136-189; Dr. A. B. im «Seel. Tagbl.»; SdS. 1912, S. 11; «Säemann» 1812, Nr. 9; BW. 1912, Nr. 57; Int.-Bl. 1912, 312; aBl. Taf. 20.   4  Sie trägt die Inschrift: Je fus baptisée par messire Nicolas, et fut parrin Pierre Vuytenoz Pevet, et fut marine Marguerite Allebret, femme de honorable homme Jehan Grand Vyllemin, tous de Chaffois en l’an 1679.   5   AhV. 10, 364.   6   Mül. 551.   7   Taschb. 1903, 173.   8  Im MB.   9  Sie tragen die Namen: Statt Und Graffschaft Nidau und Vogt Hans Huber 1587; Venner Villadung 1681; Venner Wurstemberger 1680; Schultheiß Frisching 1680; deutsch Seckelmeister Engel 1680.   10  Irlet.   11  Im MB. liegt das frühere Abendmahlstuch von 1616.   12   MB.   13   MB. 1897, 12: vgl. Taschb. 1903, 186.   14  Im Lausanner Cartular wird 817 der Ort Burgulione erwähnt.  
 

I.

Ein eigener Abschnitt gebührt der Ligerzer Chilche, 1 die von ihrer Höhe herunter so unsagbar eindruckreich die Gegend weit und breit beberrscht — eine Mutter ihres Geländes, die mit Anmut und Würde 587 erreicht, was anderwärts mit aufdringlicher Größe erstrebt wird. Dort steht sie in eigenartiger Dorfferne und Einsamkeit i de Rääben obe, als Wallfahrtskirche erbaut. Unten im Dorfe stand bisher der Gnadenort der heiligen Anna.

In dieser Kapelle — einer der spätesten im Seeland — wurden jährlich an 26 Festtagen 100 Tage loskäuflicher Bußen und 40 Tage kriminalistischer Bußen abg’la̦a̦. Der Haupttag war die Kirchweih: die Chilbi (s. u) am Mi̦chi̦stag (Michaelis: 29. September). Vielleicht ist dies der Ursprung der Fahrten uf d’Insel, an welche sich die übrigen Läsersunntige ( S. 374 ff.) anschlossen.

Die Kapelle ward aber 1528 als guet gnue erfunden, um dem letzten Meßpriester und ersten Prediger Peter Gaberel und seinen nächsten Nachfahren als Wohnung zu dienen.

Nun begannen erst recht die Wallfahrten dert ufe ans Ende des Pilgerwäägli ( S. 104). Dieser erstmals 1392 urkundlich verzeichnete Weg, der von Twann her über Bipschól hin ( S. 104) just bis zur Kirche führt, sah ganze Züge Ablaßbedürftiger vom untern Ende des Sees herwallen. 2

Nur eine Gemeindekirche für Ligerz war die Kirche über Ligerz vorderhand noch nicht. Vielmehr war dieses Seedorf samt Schaffis ( S. 104) und Chlịịne Dwann ( S. 103) zu Deß eingepfarrt, wie das ja auch die damalige Gemeinsamkeit der (französischen) Sprache mitgab. Der Kirchenbau kann lediglich dem dringenden Begehren entgegen, das diese drei Orte neuerdings 1417 gestellt hatten: für die kirchlichen Haupthandlungen einen nähern und würdigern Ort zu haben.

Einstweilen mußten sie sich damit begnügen, daß im genannten Jahr der Lausanner Bischof die Verfügung traf, es solle der Desser Pfarrer gäng am Mittwuche un am Frịtig in der Räbe-Kapälle Wochenmesse halten. 1424 kam dazu die Erlaubnis zur Anlage des heute so stimmungsvoll hinter dem Gotteshaus sich hinbreitenden Tootehof. Auch ein Tạufstäi kam in die Kapelle. Der Tesser Pfarrer erhielt für seine äußerst mühsamen Ab- und Aufstiege über die Tschäriere ( S. 539) jährlich 12 Faß echten Ligerzer; ein 13. Faß kam der Mutterkirche zugute.

Die erhöhte Bedeutung der Nebenkapelle rief ihrem wiederholten Ausbau. Der dem heiligen Kreuz, dem Michael und dem Sankt Lubin von Chartres als dem Schutzheiligen der Reben gewidmete Altar war gut genug bis zur Erneuerung des Baues, welcher 1435 durch den Abt 588 von Sant J̦hánnse als den jeweiligen Kollator der Tesser Kirche eingeweiht wurde. Da erhielt die Kapelle als neue Patrone die Heiligen Theodul und Immer, noch später den Antonius. Ein zweiter Altar aber ward zueche too und den Heiligen Fabian und Sebastian geweiht. Er konnte jedoch bloß mittelst Ausbruch eines Mauerstückes spärlich erhellt werden. Do het der Luft du̦u̦r pfi̦ffe, bis 1453 auf bischöflichen Befehl ( S. 577 f.) aafḁn e bi̦tz lịịnigs Duech (Leinwand) und später eine Glasscheibe vermacht het.

Diese Kapelle nun wurde 1482 zur Chilche erweitert. Wo das Chor lag, breitet sich nun der mächtige Unterbau des Turms; und an ihn stieß westwärts, durch den noch aus der Mauer hervorguckenden Triumphbogen abgegliedert, das Schiff. Aber erst der Umbau von 1522 gestaltete das Gotteshaus zu dem «einfachen, jedoch weiträumigen Bau von schönen Verhältnissen». 3 Die Unterstellung unter Bern, welche auch für Ligerz die Reformation und die Erhebung zu einer eigenen Pfarrei brachte, trug der kleinen Gemeinde auch je und je die Mittel ein zur Instandhaltung des prächtigen Gotteshauses. Schon 1481 hatte Bern für den Gloggestuehl drei Haagäiche bewilligt; 4 Sankt Johannsen mußte einen Teil seines Zähntel beisteuern. So konnte bereits damals der in so überaus eindrucksvoller «Selbstbewußtheit» von der Kirche sich abhebende Tu̦u̦rn sich einen dritten Stock aufsetzen, der auf allen vier Seiten durch romanische Doppelfenster «weit über die Lande» schauen läßt; 1657 wurden auf ihm d’s neu Dach sowie der Spitz aufgepflanzt. Wie aber 1550 der Blitz, ließ 1696 ein Wirbelwind seine Launen an ihm aus; d’s ịịsig Chrï̦tz mit der Hebestange wurde heruntergeworfen. Die letztere mußte 1754 nochmals erneuert werden, 5 wie 1909 die Turmspitze.

Die Haupterneuerung des Innenbaues aber fällt in die Jahre 1523 bis 1526, wo mit dem Kirchenschiff überhaupt «das Gotteshaus solid ( firmiter) vollendet» wurde. Eine durchgreifende Änderung fand wieder 1669 statt, und an die letzte von 1909 und 1910 unter Architekt Propper wandten der Bund, der Kanton Bern und die sonst schon schwer belastete Kirchgemeinde von bloß gegen 400 Seelen die Summe von mehr als 30,000 Franken. Ligerz allein leistete daran über 10,000 Franken.

Wie der erneute Innenbau nun aussieht, mueß mḁ sälber go luege. Interessant ist schon die (sonst nur städtische) Saktristei, in welcher der Pfarrer nach dem zehnminütigen Treppenaufstieg vom Pfarhụụs mitts im Dorf e chläi cha verschnụppe u si ch z’wägmache. 589 Frisch betritt er von diesem u̦ssefi̦i̦r zu ersteigenden Aabaulig fast äbeswägs die Kanzel und erscheint vor der Zuhörerschaft doch nicht ganz «wi der Gu̦gger ụs em Schwarzwälderzịt». Die Kanzel ist hier auch kein die freie Bewegung hinderndes «Butterfaß», 6 zu welchem erst noo ch d’s Chanzeltööri innertsi ch (Erl.: gägen ịne) ụụfgäit, so daß mḁn u̦f daas hi̦i̦ dem Pfarer müeßt d’s Määs näh als Kriterium, ob er fähig sei, die Würde des Amtes zu üben.

 
1  Gruner (Handschr.), Gesch. der Ref. auf 1728; AhV. 1, 372; Wagner 30.   2   KJb. 4, 90. Aus Rom durch den Amsoldinger Probst Burkhard gebrachte Heiligtümer: Ebd. 89; Anz. 1881, 213.   3  Rahn.   4  Ähnlide Steuern an Oberbüren, Laupen, Täuffelen (1480), Walpertswil (1438): RM. 30, 67; 31, 13; 80, 112; NB. 5, 21.   5   KJb. 4, 104.   6  Wie der amerikanische Prediger Beecher spottete.  
 

III.

Dem Laien aber, der vom Rebenweg gäge Schäärne̥lz ụụfe herkommt und durch die westliche Türe das Gotteshaus betritt, öffnet sich mit einem Blick ein Gesamtbild von baulicher Schönheit, das er nimmer vergessen kann. Er ist übernommen von dieser jeglicher Überladung 590 fernen, aller schreienden Farben sich enthaltenden, in Motiven und Maßen und Gliederung edel einfachen und darum so wirkungsvollen Innenarchitektur, in welcher alte umd neue bildende Kunst so harmonisch gegen einander abgestimmt sind. — Und während nun die Organistin oder der Organist am neuen Instrumente jetzt seine Einzelregister, jetzt kraftvolle Kombinationen die Pause zwische’m verlị̈te und der Ankündigung des ersten Gesangs ausfüllen läßt, ergeht sich der Beschauer in der Betrachtung eindrucksreicher Einzelheiten.

Zunächst ein Bilck a d’Di̦i̦li (Decke)! Sie ist flach ( glatt, ääbe) und durch sehr hübsch ausgeschnittene Leisten, welche bas reliefs zeigen und sich im Winkel chrụ̈tze, in Riemen geteilt. — Geschmackvoll und sorgfältig ausgeführte Ornament­malereien umrahmen die Fänster, deren 15 Glasgemälde, zumeist aus dem Jahr 1523, als Prachtstücke aus der besten Zeit der Renaissance gelten.

Das Chor enthält neun gevierte ( vierg’eggeti) Scheiben, welche paarweise in halber Höhe in die mit Rundscheibchen (zum Teil Fischbla̦a̦tere) ausgestatteten Fenster ịịg’la̦a̦ sịị und 50/40 cm messen.

Das Fenster auf der Nordseite zeigt zunächst: Zwei Wappenscheiben des letzten Abtes von Sant J̦hannse ( S. 12). Die von je zwei Engeln mit Abtstab und Bischofsmütze (Inful) gehaltenen Schilde zeigen in schwarzem Feld auf goldenem Schrägbalken drei rote Rosen und stehen unter einem einfachen grünen, von zwei gelben Seitensäulen getragenen Bogen. In der dritten Scheibe hebt sich von tiefrotem Damastgrunde prächtig das gääl Untergewand und das grüne Oberkleid des Berner Schutzpatrons ab, dem das dortige Münster gewidmet ist ( S. 13): Sankt Vincenz. Palmzweig und Evangelienbuch kennzeichnen ihn ebenso als Heiligen, wie die zwei Löwen als Träger der Berner Standesscheibe rechts (zwei geneigte Schilde unter dem gekrönten Reichswappen) die weltliche Macht des «kleinen Rom» symbolisieren.

Ein Wappen der Stadt Biel begleitete ursprünglich die nur noch als Bruchstück vorhandene Scheibe des heiligen Benedikt im ersten Fenster auf der Südseite. Das Wappen mußte (rechter Hand) 1615 erneuert werden durch die genannte Stadt, welche fast hundertfünfzig Jahre lang die halbe Herrschaft Ligerz besaß. — Das zweite Fenster auf der Südseite zeigt die Wappenscheiben der Berner Schultheißen (1512 bis 1523) Jakob von Wattenwyl und seiner Gemahlin Magdalena von Muhlern. Diese war die Tochter und einzige Erbin Urbans, des Mitherrn von Ligerz, welcher 1493 als der letzte seines Geschlechtes starb.

Im dritten Fenster auf der Südseite scheint eine rote Rose in Gold auf grünem Dreiberg das Wappen des ersten reformierten Pfarrers von 591 Ligerz zu sein: Peter Gaberel ( S. 587). Der Stifter dieser Scheibe ließ sich in weißem Priestergewand darstellen, das sich vom roten Damast des Hintergrundes wirkungsvoll abhebt. Seine kleine Gestalt aber chnäilet vor dem in himmelblauem Gewand majestätisch dastehenden Bild des gleichnamigen Apostelfürsten; und die Bandrolle mit der lateinischen Inschrift, welche heißt: «Heiliger Petrus, bitt für uns!» zeigt ebenfalls den protestantischen Pfarrer als den «Diener am Wort». Von den sechs Scheiben im Schiff sind zwei von Patriziern gestiftete hervorragende Stücke heraldischer Kunst: 1. Des Berner Schultheißen (1481-1517) Wilhelm von Diesbach, welcher als Anführer im Burgunderkrieg sich berühmt machte, und seiner zweiten Gemahlin Helena von Fryberg; und 2. des jüngern Bruders von Wilhelm: Ludwig von Diesbach mit seiner zweiten Frau Agatha von Bonstetten.

Das zweite Fenster im Schiff zeigt zwei Scheiben der 1528 an den Staat gekommenen Karthause Torbärg, welche seit 1404 Güter zu Ligerz erwarb, die 1803 an die Stadt Bern kamen. Das Torbärg- oder Toorbe̥dhụụs zu Ligerz ist nun Privatbesitz ( S. 200).

Zwei kleinere Scheiben zunächst dem Orgellettner zeigen den in härenes Untergewand gekleideten Täufer Johannes, welchem sein Namensbruder « Hans Malagorge von Neuenstadt, Burger zu Biel» (aber bis zum Aussterben des Geschlechts im 18. Jahrhundert auch von Ligerz) sein Wappen zu Füßen legt: einen schwarzen Mohrenkopf (eines der drei als «Mohren» gedachten «Weisen aus dem Morgenland») in silbernem Feld, mit goldenem Stern links oben. Wohl des Malagorge Gattin hat der Margareta als heiliger Namensgenossin das Gegenstück der rechtsseitigen Scheibe gewidmet. Nachgetragen sei hier, daß eine Anzahl eingesetzter, von zerstörten kleinen Scheiben herrührender Flicke auf eine vormals noch reichere Zahl von Ligerzer Glasgemälden hinweisen.

Auf die einstigen Berner und Bieler Herrschaften deutet ferner die reiche Bestuhlung, namentlich der Chilchestuehl der Familie Engel von Twann, Ligerz und Bern vom Jahr 1685, äußerst kunstreich gefertigt durch den nämlichen Ligerzer Abraham Gaberel (Gắbree, 1641-1719), welcher auch die monumentale, höchst effektreich tabernakelartige Tafel der zääche Gịbot schnitzte. 1

592 Wiederholt hätte Ligerz diese Kostbarkeiten um schönes Geld veräußern können. Allein, ein edler Stolz und ein gediegener Heimatsinn ließ die Gemeinde, die doch schon an ihrer noch jungen Bergbahn eine schwere Last trägt, erklären: Mier vermëge si b’halte.

 
1  Direktor Kasser im KJb. 4, 84-109; Vortrag von Prof. Dr. Türler vor der hist. Gesellschaft Neuenburg, zwecks eines Vortrags von Pfarrer Herdi in Ligerz übersetzt. Vortrag von Lehrer Clénin aus Ligerz in Wabern. Hans Lehmann, die Glasmalerfamilie Wildermet zu Biel und Neuenburg und die Glasgemälde in der Kirche zu Ligerz. ( Anz. Nr. XII, 3. Heft, S. 236-247; der Hinkende Bot 1903, 73. Bilder der Kirche: KJb. 4, Titel; aBl. Taf. 24; Ansichtskarte von Dr. Geiger in Twann uva.)  
 

Kirchgemeinden.

Die meisten seeländischen Kirchgemeinden legen sich in diesem meist dicht bevölkerten Landesteil so nahe aneinander, daß, wie Sigmund Wagner 1 1783 behauptete, mḁn u̦f der Insel am Sunntig Vormittag vo meh weder zwänz’g Chilche d’Glogge het chënne g’chëhre lị̈te. Auch der Feinhörige hört seither wenigitens zwoone min͜der. Das sind die zwei des Kirchleins Su̦tz, die bloß noch an gewissen Sonntag Nachmittagen über Land und See hin tönen. Mit dieser Verminderung ist aber einer ganzen Seegemeinde eine unschätzbare Wohltat zugewendet worden.

Es bestand nämlich bis 1879 der schreiende Mißstand, daß die Einwohnergemeinde Tüscherz-Alfermé kirchlich an Su̦tz gebunden war. Bei dem Mangel der heutigen Seestraße ( S. 545 f.) un͜der um über Biel und Nidau z’gaa verhindert, mußten die un͜derste Seebụtze für Beerdigungen ( Lịịche, Lịịchte), Chin͜delehr und Un͜derwịsig bei jedem Wetter den Weg über den See nehmen, was nicht ohne traurige Unfälle abging. So erzählt man von einer Konfirmandin, die sich im Kahn den Tod geholt hat, weil sie während einer langen, stürmischen Überfahrt sich scheute, einem Ruf der Natur zu gehorchen. Das länte am rechten Ufer war bisweilen fast nid z’mache, und namentlich das Leichengeleit war mitunter eine peinliche Aufgabe.

Das het aber doch müeße sịị, während das z’Bredig goo selbst im alten Polizeistaat 2 doch bei jeder stärkern Unruhe des Sees ein schwänze rechtfertigte. Wenigstens auf Seiten der zum rein passiven Hören Berufenen; weniger in den Augen eines Sutzer Pfarrers, dem der Tüscherzer Volkswitz etliche ungereimte Reime untergeschoben hat, die noch jetzt in weiter Umgebung ihre Runde machen. Billig forderte nach diesen der Gottesmann, daß wenigstens die ihm herwärts zugeteilte Gemeinde Sutz-Lattrigen die Bequemlichkeit ihres Kirchweges wahrnehme und nicht wie das benachbarte Mörigen und Gerlafingen (die zu Täuffelen eingepfarrt sind) dem damaligen (nicht heutigen!) Schlendrian huldigten. Seiner linksseeischen Gemeinde Dï̦sche̥rz(s̆s̆)- Hälfermee 594 dagegen zürnte er bloß, wenn die sonntägliche Überfahrt liechter z’mache g’si̦ wäär, als manche unnötige werktägliche. Das zwischen beiden Dörfern liegenbe St. Urbaner Gŭ̦felä́tt 3 aber hätte die ihm damals einzig gebotene konfessionelle Gastlichkeit erst recht nicht mißachten dürfen. Und so habe denn der viel und oft Enttäuschte vor den fast leeren Kirchstühlen sich ụụsg’loo:

Die vo Discherz u Hälffermee
Mießen eebe über e See.
Die vo Meerigen u Gerlafinge
Cha ma susch nid i d’Chilche bringe.
U die vo Lattrige u Sutz
Sind erst niit nutz.

Von diesem kompletten Stammbuchvers wurden einzelne abgebröckelte Fragmente eigens für sich zugestutzt:

Diischerz u Hälffermee
Chenne nid iber e See
Wäge’m Luft;
U Lattrige u Sutz
Isch susch niit nutz.

Oder:

Sutz
Isch niit nutz;
Gufelätt
Chunnt niit i d’s Bätt;
Alfermee
Chunnt o nit meh.

Ein anderes Mal führten wenigstens die Nëëchere sich etwas manierlicher auf:

Sutz u Latitrige,
Das loot si no gattlige;
Aber vo Discherz u Hälffermee
Cha ma käi Chätzer g’seh.

Das einzig richtige gattlige: in eine «Gattung» bringen, daß es e Gattig 4 (Art) g’macht u g’ha het, brachte allerdings das Jahr 1879. Zwei Jahre zuvor starb nach 52jährigem Dienst in seinem G’mäinli der letzte Sutzer Pfarrer, David Sigmund von Rütti (geb. 1794), der dem anmutigen Kirchlein die zwäiti Glogge geschenkt hatte. Nun wurde Tüscherz-Alfermee von Sutz gschäide und Twann zugeteilt, Sutz mit Lattrigen aber zu Nidau geschlagen, nachdem bereits 1849 seine Grundbücher nach diesem Städtchen verbracht worden. Ihm verblieb jedoch das Anrecht auf Nachmittags­gottesdienst in seinem eigenen Kirchlein gäng der dritt Sunndig. Damit endigte die bereits 1228 erwähnte Kirchgemeinde, deren Pfarrbesetzung 1289 von den Freiherren von Jegistorf der Abtei Gottstatt vergabt worden, um 1528 mit dieser an Bern zu kommen.

595 Nidau selbst ist eine jüngere Pfarrei. Wir finden sie bis 1482 als Filiale von Bürglen der Pfarrbesetzung von Gottstatt unterworfen. Erst dies Jahr 1482 brachte dem Stedtli seine Stadtpfarrkirche, 5 zu welcher 1528 Port mit Belmund geschlagen wurde. Der erstere Ort hatte bereit 1453 bloß noch 8 Feuerstätten gezählt.

Sehr alt muß dagegen die Pfarrei Bürglen (frz. Bourguillon) sein. So heißt sie nach dem ganz engen Standort der Kirche, während das Pfarrhaus von jeher auf dem an Studen und Schwadernau grenzenden Gemeindeboden von Ägerten steht und der Kirchgemeinde den geläufigern Namen dieses Ortes mitteilte. So schon 1831. 6 Der Sprengel ist so umfangreich, daß Jens (Jäiß) längst sozusagen seine Filiale geworden ist. Einen Zuwachs brachte ihm die Lostrennung der Einwohnergemeinde Merzligen von Kappelen — eine Verkehrs­erleichterung, um welche der Ort schon 1676 7 und nochmals in den langen Verhandlungen vom 8. Mai bis 2. November 1724 mit Bern 8 sich umsonst gemüht hatte.

Fast so klein dagegen war, wie Port, 1528 auch die Kirchgemeinde Bü̦ttebärg mit der Bartholomäuskirche geworden; sie zählte 1453 bloß noch 14 Feuerstätten, und ihre Pfarrer mußte 1285 vom Kreuzzugszehnten freigesprochen werden. 9 So ward denn 1528 Der Pfarrer Beat Trächsel nach Gottstatt versetzt 10 und am 7. Januar 1533 durch den Vogt von Nidau angewiesen, er solle «uf dem Bittenberg nit mehr predigen, sondern (in der Klosterkirche) zu Gottstatt, darin es geleit ist».

Die Pfarrei erhielt um 1860 Zuwachs, indem ihr auch die Westhälfte von Orpund zugeteilt wurde, welche bis dahin zu der Pfarrei Mett gehört hatte. Diese war vor 1528 von Gottstatt aus besetzt und pastoriert worden. Ost- Orpund, Safneren und Schụ̈ụ̈re hatten von jeher zu Gottstatt gehört.

Eine neue Erweiterung erfuhr für ausgerechnet drịzääche Ja̦hr (1876 bis 1889) die Kirchgemeinde Twann durch die ihr einverleibte von Ligerz. Wieder hergestellt, kann die letztere im Jahr 1933 das 450jährige Bestehen ihrer Selbständigkeit feiern. Von 1424 bis 1483 war sie nämlich eine Filiale der Pfarrei Deß, deren Leutpriester seit 1434 regelmäßig in Ligerz fungieren mußte. Er empfing hierfür 12 Saum Wein. Als Gotteshaus diente die schon früh errichtete und 1434 zur Pfarrkirche (s. o.) erhobene Kapelle. 11

596 Patronatsherr von Deß und Ligerz war der Konvent von St. Johannsen, der seit 1185 auch die Kirchgemeinde Erlach (das Stadtg’richt, die Dorfgemeinden Mu̦llen und Tschugg und den Hof der ehemaligen Dorfgemeinde Äntsche̥rz) geistlich versah, und zwar seit 1350 mittelst eines eigenen Vikari, welcher seit der Reformation durch einen eigenen Pfarrer ersetzt ist.

Das auf Galserboden stehende Sant J̦hannse suchte man wiederholt verschiedenen Kirchgemeinden (1711 an Neuenstadt 12 oder an Lignières 13 ), wenn nicht an eine zweite Hälfferei Nidau 14 anzugliedern, wie auch die heutige Zwangsarbeitsanstalt von verschiedenen Pfarrern im Chehr bedient wird. Kirchlich aber gehört der Ort zu Gampelen, welchem auch der Großteil des frühern Äntsche̥rz zugeteilt war. Da hieß es zu den Konfirmanden: d’s Chi̦lchewäägli ab, un über d’Wart, und de nn marsch, d’Gu̦mmen abb! 15

Die bereits 1228 selbständig auftretende Pfarrei des Moosdorfes Gampelen, eine Kollatur der Neuenburger Grafen, so eine Zeitlang auch die noch ältere, bereits 1185 erwähnte, später ebenfalls von Neuenburg aus besetzte Pfarrei des Nachbardorfes Ins begegnen uns wieder um 1426 16 und 1453. Im letztern Jahre ließ der Solothurner Chorherr Niklaus Schafhuser als Inhaber der Gampeler-Pfrund durch seinen Vikar Rudolf von und in Ins die Pfarreien Ins und Vinelz verwalten. 17

Das besagte aber nicht, daß Gampelen äxtra guet pastoriert wurde. Das Ausstehen der Kirchenrechnungen von 1603 bis 1629, welche endlich 1631 Bern durch den Erlacher Landvogt einfordern ließ, 18 deutet gegenteils auf eine Hotschigi, welche bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts Platz gegriffen hatte. Infolge derselben sank noch im 15. Jahrhundert seinerseits Gampelen zur Filiale von Ins herunter. Die unzufriedenen Gampeler klagten beim Bischof von Lausanne. Das hatte zum Ergebnis, daß Gampelen wie Ins 1485 dem neugegründeten St. Vincenzen-Stift zu Bern ihre Pfarreinkommen überlassen mußten. 19 Und als 1498 der Kaplan Künzi in die Gampeler Kirche eindrang, ward er zwar vom Bischof entsetzt, aber gleichwohl 1528 zum ersten reformierten Gampeler Pfarrer erhoben. 20 Ins dagegen schwang sich unter Inhabern wie dem Stiftsdekan zu Bern und Probst zu Zofingen, Peter Kistler, dem Sohn des bekannten Schultheißen Kistler († 1492 21 ), so erfolgreich empor, daß es 1522 wieder als eigene Kirchgemeinde erscheint 22 und zu einer der gesuchtesten Pfrunden erwuchs. Die Eroberung des Mooses 597 ( Ins, S. 125. 177 ff.) und seine Anstalten ( Ins, S. 562 ff.) machten und machen Gampelen-Gals, wie Ins mit seinen Außenstationen Müntschemier, Treiten, Brüttelen-Gäserz (das wir übrigens 1148 und 1183 im Besitz einer eigenen Kapelle oder Kirche als Eigentum des Stifts Peterlingen sehen 23 ) zu arbeits- und segensreichen Kulturstätten. Das gleiche gilt in seiner Weise von Täuffelen-Gerlafingen samt Hagneck, Mörigen und Hermrigen (von welchem Ort um 1783 ein durch den Dorfbach abgetrennter Teil zu Bürglen gehörte). Ebenso von Siselen-Finsterhennen und von Vịịne̥lz mit Lüscherz. Letzteres uralte, von Vinelz eine Stunde entfernte Fischerdorf, bemühte sich 1473 um eine eigene Kirche oder doch Kapelle, woran Biel bereits 10 Schilling steuerte. 24

Eine fast gleich große Entfernung trennt von Neuenstadts französischer und deutscher Kirche das politische und kirchliche Gemeindeglied Schaffis = Chavannes. Das letztere, aus mehreren isolierten Heimwesen und zwei Häusergruppen bestehend, deren eines nur durch das schmale Grenzbächlein vom Dorf Ligerz getrennt ist, hält sich in Angelegenheiten der Kirche, der Beerdigung und der Schule vertragsweise an Ligerz, mit dem es auch die Postbestellung teilt.

Die mit dem Amtsbezirk Biel zusammenfallende Kirchgemeinde Biel zählt drei deutsch-reformierte und einen französisch-reformierten Pfarrer neben dem römisch-katholischen und dem christ- oder altkatholischen. Das zugehörige Leubringen war um 1550 zu Ilfingen kirchgenössig. 25 Wie Nidau, ist Büren eine junge Kirchgemeinde. Das Stedtli war zu Oberwil kirchgenössig, bis es 1539 den von Dotzigen weg verlegten Pfarrsitz erhielt. 26

Schon um 800 ist dagegen die Kirche Seedorf (1185 irrtümlich « Sedors» 27 ) erwähnt. Sehr alt ist auch Bargen, dessen Verschmelzung mit Aarberg bloß von 1806 bis 1832 und von 1879 bis 1897 aufrecht erhalten wurde. Auch Laupen gehörte bis 1528 als Filiale zu Neuenégg mit dessen schon 1155 erwähnter Kirche.

 
1  29.   2  Vgl. Ins 606.   3   S. 201.   4  Gat und (ablautendes) guot, Gattung, Gatte usw. geht zurück auf: zu (etwas anderm) gehörig. Kluge 161. 185.   5   Mül. HS. 216; Mül. 237.   6   LBI. 165.   7   Mül. 352.   8   NB. 1, 781-811.   9   Font. 3, 392.   10   Anz. 1856, 29.   11   Schlaffb. 1, 24-27; Mül. 326; lat. Eingang zu NB. I; das alte Biel und seine Umgebung 31.   12   SJB. A 267.   13   Lign. 39,   14  TJB. A 257 bis 262.   15  Gar.   16  Hermann.   17   Mül. 224 f.   18   AhV. 1, 375.   19   AhV. 1, 307-9. 374 f.   20   Mül. 225.   21  Ebd. 266.   22   Stettler 190.   23   Font. 1, 534. 472 f.   24   Taschb. 1903, 173.   25   Schlafb. Tw. 173b.   26   Mül. HS. 216; Mül. 139. 169; Font. 6, 162.   27   Font. 1, 478.  
 

Der Täuffer-Bänz.

Rösi Begré
in Twann

Wie drei Häuser zu Steffisburg Abrahams Schoß heißen, so nennen sich sechs Häuser zu Gals und ein Haus zu Ins d’s Himmelrịịch; 12 Häuser ebenfalls zu Gals, 23 zu Bümpliz umd eines zu Ins d’s 598 Bäthlehäm. Ein Jerusalem fehlt ebenfalls nicht. Auch eine Art, sein Licht auf den Leuchter zu stellen; eine andere als die der mährischen Brüder, welche bei Hüüsere ( Thièle) an der Berner Grenze im Neuenburgischen ihr Mŭ̦́mme̥ral, Mŭ̦́miraal, d. i. Montmirail gründeten, um es nachmals (1766) durch den Herrnhuter Grafen Nikolaus von Zinzendorf auf die heutige Blüte einer gehobenen Erziehungsanstalt zu bringen; eine andere auch als die der Hugenotten, 1 dieser geistesadeligen, praktisch tüchtigen, gewerbefleißigen Opfer französischer Maitressen­wirtschaft, als deren Abkömmlinge die Clénin ( Klening) Lụ̆́ịị ( Louis), die Quintal = Zentner, Pị̆lụụ ( Pilloud), Andrey ( Andrey), Bĕ́gree, Bĕ́ge̥ree, Begré aus Bequerel, Favre, Imer (?) aus Ligerz, sowie die Férier und Girard in Neuenstadt gelten. Zuerst in Valangin ansässig, hätten die (mit dem Aarwanger Andrees verwandten) Andrey ihre Mithilfe zu einem Turmbau verweigert, worauf sie vertrieben wurden, in Ligerz aber Aufnahme fanden. Ihre Sympathie für einen Zug der Vertriebenen bewiesen 1686 die Ligerzer durch eine Sammlung von 50 Thalern. 2

Durch die Bärner Heer re nach deren Schrecken des Bauernkrieges auf der Bieler Insel interniert, konnten die dortigen Nachfolger der Waldenser den heroisch genialen Rückzug ins Vaterland unter dem Obersten und Pfarrer Henry Arnaud nicht mitmachen. 3

Marta Andrey
in Ligerz

(vgl. S. 319)

Froh war dagegen eine gerade auch unter dem Berner Regiment verfolgte Gemeinschaft, auf fremden Boden «wieder ein Vaterland» zu haben. Das waren die endlich 1815 durch die Wiener Vereinigungsakte gaubens- und gewissensfrei erklärten Wịdertäuffer, 4 welche, aus dem 599 alten Kanton vertrieben, im nachmaligen neuen ihr Heim fanden. Da führen die nicht durch fanatisierte Ober- oder Neutäuffer irre gemachten Un͜der- oder Alttäuffer ihre hoch ehrenhaftes, streng solidarisches Gemeinschaftsleben strammer Arbeit am Wäärchtig, tiefgründiger Erbauung am Fịịrtig. Da schlüpfen die Ehemänner der ebenfalls einförmig sauber g’su̦nndigete Frauen in das ehemals mit Ringli und Hafte oder Häftli einknüpfbare Obergewand, welches zum runden «Täufferhuet» und nie rassierte Täufferbart vortrefflich stimmt. Aus vielleicht fünfstündiger Entfernung chämme si z’sämme in der mit alter Stubenorgele ausgerüsteten Chammere, welche im Chehr um jeder anweist, recken enand d’Hän͜d, lassen Rịịssuppe, Chääs u Brot sich schmecken, und schreiten zum Gottesdienst. Chnäulige wird b’bättet. Dann reden zwei oder mehr «Mächtige» (Austeiler der jährlich zweimaligen «Nachtma̦hl») oder «Lehrer» oder «Almosner» über biblische Stellen.

Als besonders sympathische Gestalt tritt uns 5 der Täufferbänz im Bärghụụs, wenn nicht im wịße Huus ( Maison blanche) über Biel entgegen. 6 Über ihn hinterlassen uns Meiners und Lehmann vereint ein Bild, das sich in heutigem Twannerisch ungefähr wie folgt darstellen läßt:

Oskar Clénin
in Ligerz

We nn mḁ vo Biel dä wïest u stotzig Wääg gäge n Lëïbringe ụfe sti͜gt, so stoßt mḁn eppḁ n u̦f halbem Wääg ganz blëtzli uf e nes hïbsches, lustigs, guet g’haltnigs Häime̥tli mitts in ere Wildnis. Es 600 isch vi̦l Platz drinn, un alls isch so gäbig un chu̦mmlig ịịg’richtet, wi wenn’s der g’schicktist Zimmermäister g’macht hätt. Dḁrvor li̦ggt e hï̦bsche Gmị̈es- un Bluemegarte. Wịter dḁrvo stan͜den Obschbäïm, weele greeder ụụf, u wele fruchtbarer! Drum um liggen Achchere mit Chorn u Härdepfel, un Matte mit frischem, saftigem Grïen. Mier gange vor d’s Hụụs u pëpperlen aa. Der Tï̦ï̦rschlängge gäit ụụf, un u̦f der Schwelle stäit e stattliche n alte Maa, dem u̦u̦sg’seh na̦a̦ gäge de Si̦bez’gi. Dä läng, voll Bart, wo sụber g’strählt ïber d’Brust abe hanget, isch ämmel wịßgraau wi g’hächlete Flachs. Är lï̦pft sịs Chäppi wi n en Edelmaa, un u̦s liebe, milte, frïntligen Auge n isch di Froog zlääse: Was wär guets? Doch, uf Antwort wartet er ni̦i̦d. E tieffi männlechi, sanfti Stimm säit uf ämmetaalisch: «Weit er öppḁ n ụ̆́fe choo?» Mier gangen ĭ̦hm noo in e großi, häiteri Stube. Doo sị zwe Wäbstị̈ehl ụụfgschlage. Zwäi Dëchtere, wohl scho gäge de Drị̆ßgi oder meh, hocke draa. D’Schiffli flị̈ị̈gen äärstig hin u häär, u d’Champläde schlöö zueche, was gisch was hesch. E dritti isch am Spuelrad u spuelet, e vierti spinnt Wu̦lle. Wi mer ịịne chämme, halten alli en Augeblick u sääge: Gott wi̦lche! Der Alt lächlet u macht: «G’seht er, da trịịben i mit mịne Töchtere das alt Hant we̥rch, wo n i scho im Ämmitaal g’üebt haa. We me̥r nid grăd aḷḷi du̦sse z’tüe hei, so wä̆be me̥r u sorge für Chleider. Der eint Suhn ist am chi̦i̦rsche, u der an͜der macht sü̦st neuis.» Mier reden es par Wort mit dene flịßige Lị̈t u säge: «Mi̦r wäin e̥ch nid versụụmme. Dë̆ë̆rffe mer vili̦cht es bịtzeli uf em Land u̦mme trappe un äïer Pflanzige luege?» Der Bänz chunnt mit ĭs un erzellt bi n allem so mit ere verschleierete, un͜derdrï̦ckte Wehmuet un doch mit häller, muetiger Stimm, wi d’Bärner Regierig ihn wäge sịm Glạube ’twäge häig us sịr Häimḁt u vo sịm bischäidene Gïetli mit Wị̈ị̈b u Chin͜d vertri̦i̦be. Grad häig er no Zịt g’haa, Hụụs u Häi fast um ene Bï̦resti̦i̦l z’verchauffe. So sịg er mit Wịịb u Chin͜d uf der Gaß g’stan͜de. Sị sịgi uf d’s guet Glï̦ck hi̦i̦ gäge Biel zue fï̦r i’ n Jura hin͜dere, go z’luege, öb dert eppis z’mache sịịg. Z’Biel häige si̦ si ch vor em Mäier g’stellt. Dä häig si̦ fest u scharpf i d’s Auge g’fasset. Aber baal sịg er frị̈ntle̥ch u manierlig 601 worte, häig der Finger a d’Sti̦i̦rne g’läit un noocheg’stụụnet. Dḁrnoo häig er e chläi g’lächlet uṇ g’säit: «I wï̦ßt e̥ch eppis, aber i wäiß ni̦i̦d, öb i n ech të̆ë̆rf dḁrvo sääge. Es isch nịịt Schë̆ë̆ns, gar nịịt.» «Dḁrnoo,» erzellt der Bänz wịter, «het er der Seckeḷmeister la choo. Dää het is ó g’schauet vo z’oberisch bis z’un͜derist un isch du̦ ganz g’spräächige worde. Mi̦r sị grad z’säme dä Blätz ga aluege. G’faḷḷe het er me̥r nụ̈ụ̈t, i múes ’s sä̆ge. Aber i ha ddäicht: Vogel, frị̆s oder sti̦i̦rb! Ụụsz’lääse gi bt’s ịe̥ze da nụ̈ụ̈t, u mi̦r hei g’sun͜di Bei un Arme. U so sị mer emeḷ einig worde, das s i dä Blätz blu̦tt u bbloße, wi n er da g’lä̆gen ist, fü̦r fü̦fz’g Chronen i Lähe nähm. Was si̦der u̦s ị̆hm worden ist, g’seht er u heit er zum Teeḷ scho g’seh. Mi̦r chömen emeḷ fü̦ü̦r. Nu̦me der Mueter sä̆lig — verzieht, es isch me̥r da schịịns öppis i ’s Aug gflŏge — isch es z’vi̦i̦ḷ g’si̦i̦. Wo mer ăfḁ hei  e provu̦soorischi Bắraggen ụụfg’schlăge g’haa, hei me̥r schḁ grad aḷs di Eersti chönnen i d’‹Stube› bette un acht Tag drụụf deert ga Biel ahḁ ...»

Gabriel Clénin
in Ligerz

Mier häi däm Maa drei Mool d’Han͜d ’drï̦ggt, warm wi no niemmerem, un sị gäge’m Jooret zue. G’redt häi mer lang käis Wort. — Es an͜der Mool, am Morge frïech am si̦bni, gangen ig aläini bi Täiffer Bänze’s vorbịị. Du̦r d’s offene Läïfterli het eppis gar hĕ́be̥ts guet g’schmeckt. Un d’s ganze Fänster gäit ụụf: «Chu̦nnst nụ̈ụ̈t zueche?» I ha vo däm «Du̦u̦» scho g’wï̦ßt, un es het mi ganz aag’häimelet. «Chu̦mm, häb’s mit is!» Im Chu̦chchistï̦ï̦bli — mi hätt u̦f em Bode chënnen ässe, so sŭber isch es gsịị — sị uf em bloße tannige Di̦sch zwo e chläi tieffi Blatte g’stan͜de: in äire Härdepfelbrei, i der an͜dere Saft vo dï̦ï̦re Bi̦re. Do d’rịị häi si̦ alli sächsi mit ihrne runde, zinnige Lëffle g’langet, un mier häi si̦ ó ne blitzblanke us der Di̦schdru̦cke fï̦ï̦re g’gää. Un ḁ lsó sŭfer un äigelig 7 isch daas an es 602 ässe g’gange, das s i mit bestem Appedit ó n es păr Lëffel voll versuecht haa.

Wo si̦ häi b’bättet g’haa, säit der Bänz: «So, iez mueß i Tuech uf Biel ahe traage, un Nomittag das früsch g’wobne ó u̦me. Aber der Fritz — er ist ja im Staaḷ fertig — cha, wenn’s bigährst, es baar Schritt mit de̥r der Bärg ụụf.»

Un der Fritz isch gsi̦i̦ wi n e neui, verjï̦ngti Ụụsga̦a̦b vo sị’m Vatter: gschịịd, u frï̦ntlich, u so beschäide! Är het si̦ veräxgï̦siert, das s er mier, dem fï̦rnähmme frënde Heer, o «Du̦u̦» säägi; aber är mị́eß ḁ lsó u chënn jetz nid an͜ders, ohni de nn «Haḷblịịn z’mache». Wi häimelig! Un dụ erzellt er me̥r dụ vo si’m Vatter: Wi daas der aag’sehnist Lehrer sịịg vo de Täïffer, un es sịgi doch ihrere fïïfezwäng’g fïr di ung’fähr tụụsig Brïeder, wo in allne dene Juratääler versträit läbi. Un är gang no jetze, es sịg schëën oder wiest un es chënn oben ábe mache wi’s well, fast jede Sunntig an es Ort hï̦ï̦, un ïber alli drei oder vier Wuche mäṇgi Stun͜d wịt go bredige. Und do nu̦tzi er de nn richtig d’Zịt ụụs! Drei bis vier Stun͜d in äi’m Zu̦u̦g z’rede mach ihm nịịt. Un was er redi, das sịg de nn g’redt u häig de nn Fade! Der Pfaarer NN. i Zï̦rich häig absolut welle b’hạupte, är sịg e G’studierte. Jää, si̦ sëllen ĭhm nu̦mme choo, är wi̦ß ’ne scho Bschäid un Antwort! «Aber jetz mueß i hei m, go mache. B’hüet di der lieb Gott — ah — b’hüet ech Gott!»

Un wie der Jung Rächt g’cha hett, han i speeter erfahre, wo n i’s bbräicht haa, mit dem Bänz vo Biel ụfe z’lạuffe. Es gi bt chụụm e Bibelspruch, wo n äär cha brụụche, um si ch fï̦r sị Glạube z’wehre, daß äär ’nḁ nid grad uf der Stell unb’sinnet sääge chënnt («us em Eermel schï̦ttle») un ohni äinisch z’stocke («us em Stägräiff») ụụfsääge. Es mëge zu sị’m Glạube no ḁ lsó aarigi u sältsḁmi Artikle g’chëëre: fï̦r alls wäiß e̥r e Spru̦ụch.

Un wo n i d’s nëëchst Mool mit e păr g’lehrte Frü̦nd zue n ihm bi̦i̦ u me̥r ’nḁ n i allem Fri̦de häi in es läbhafts Chrị̈tzfị̈ị̈r g’noo — was glaubet er, wär’s g’wunne het? Ämmel ni̦d mier! Das isch g’gange wi d’s Fï̦ị̈r schloo: alli Augeblick e Funke hie, e Funke deert; aber vo sịne isch käine z’Bode g’fahre. Du̦ het är aber z’letz̆t sälber ịịs allne e guldigi Brï̦gg fï̦r e Rï̦̆ckzu̦u̦g ’bbạuet un isch uf wältlichi Sache cho z’rede. Do het er bi̦wi̦i̦se, win äär d’Wält u d’s Läbe kennt, u d’Lị̈t. Das wär Grund gnue g’si̦i̦, ’nḁ zu mene Sụ̆́ri̦bel z’mache, oder de nn so rächt zu menen abg’fịịmte, verdrïckte, pfiffige Schlaaumäier, zu mene Fuchs oder Wolf im Schofbelz. Aber är isch dank sị’m Glạube bi allne sịnen Erfahrige gäng dä glị̈ị̈ch schlicht u äifach fromm Maa b’bli̦i̦be, vo däm mer jetz no n e Bịwi̦i̦s wäi g’chëëre:

Studie von Anker

604 Ainisch isch er von ere Räis i d’s Ämmetaal z’ruck choo. Wo n er no wịt vo häime wägg isch g’si̦i̦, g’seht er uf eme Häärdhụffen e fremde Maa hocke. Er gäit zueche go luege. Du̦ g’seht er u g’chëërt er, daß dä groß Maa i sịni beede Hän͜d ịne d’s lụter Wasser briegget. Der Bänz chlopfet ihm sị̈ị̈ferli uf d’Achsle: «Wo fählt’s?» Dä Maa cha si ch äntlich z’sämmenäh u bbrichte: «Deert in äim Dorf un͜der het mi epper ụụsg’raubet. Alls het mḁ me̥r g’noo, alls z’sämme!» «Aḷḷs? so so, aḷḷs? Het mḁ de̥r de nn der lieb Gott ó g’noo?» «Nääi.» «Nu̦, so säg ni̦d, mi heig der aḷḷs g’noo. Lue, der aḷt Gott läbt noo, un iez het er mi g’schickt, de̥r daas da z’gää.» Dḁrmit längt der Bänz i’ n Bieter, zieht si volle Gältseckel fï̦ï̦re u drï̦ckt ’nḁ dem Fremde i d’Han͜d. Dää g’spï̦ï̦rt eppis Schwäärs, luegt, was es sịịg, stäit ụụf u wott eppis frooge un eppis sääge... aber si̦der isch ĭhm der Bänz langisch us den Auge g’si̦i̦.

 
1  Galvinistische Hugenots («Eidgenossen») als französischer Schimpf, von den Freiburgern gegen die waadtländischen Protestanten nachgesprochen. ( M-L. 2834; Bridel 338; Barraud; Jahrb. f. Schwz. Gesch. 52, 234; SdB. 1917, 319 f.)   2   KJB. 4, 106.   3  Vortrag von Prof. Dr. Eduard Bähler in Gampelen in der Kirche von Erlach am 13. November 1914, wie vorher zu Bern als vierter akademischer Vortrag.   4  Hauptwerk über sie: Pfr. Dr. Müller in Langnau; vgl. Pfr. Ernst Marti in Großaffoltern: Zwei Häuser, zwei Welten, (F’feld 1911.)   5  Neben dem médecin du Petit Chamboz in einem Winkel bei Münster-Granfelden ( Morel 204).   6  Vgl. SdS. 1914, 7; Meiners 1, 208 ff. 213. 214 f.; Heinrich Ludwig Lehmann in dem selten gewordenen Buch «Über die Schweitz umd die Schweitzer» (Leipzig 1798) mit dem Anhang: «Das Bistum Basel, der Zankapfel zwischen Frankreich und der Schweiz. Ein politisch-historisch-statistisch-geographisches Gemälde.» Von S. 101-104 stellte uns Prof. Pfr. Dr. Bähler freundlichst die hier idiomatisierte Abschrift zu. Erwähnt ist der Teuferbänz noch in der Korrespondenz zwischen Pfarrer Samuel Wyttenbach und dem Grafen von Bersdorf, welch letzterer im September 1786 den «Weber Benz ob Biel» besuchte; ebenso in den Memorien des Bielers N. Perrot von 1805 bis 1830 (bloß handschriftlich erhalten). Ebenfalls nach Dr. E. Bähler.   7  Vgl. Lf. 612 f.  
 


 << zurück weiter >>