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Er sei zu Win oder zu Wasser: är soll choo! So rief der Wäibel oder Stadtchnächt von Erlach über den Ring des alten Landg’richt hinüber dem Zitierten, aber nicht Erschienenen.
Säuberlich also auseinander gehalten — nur die herbstlichen Fässerbarken hatten ehrlich eindeutig Wasser «un͜der» em Wịị — schied das Oberamt am Bielersee des Wasserspiegels blaue und des Weinlandes grüne Fläche. Das war ku̦mpleet alls. Ein Drittes schien es für diese Behörde so wenig zu geben, wie einst für das gesamte linke Ufergelände. Anders am rechten Ufer, das doch seine Hälfte seeauf in Erlacher Amtsgebiet erstreckt. Dort liegt für den Seebutz das Schni̦tzeland. Das teilt sich mit ihm in die Erträge seines trefflich gepflegten Baumwuchses, wie seines Pflanzland, wie seiner Äcker und Matten, berieselt vom Wolkensegen, welchen im Gewitter der Creux du van her sendet. ( Es donneret ï̦ber d’s Schni̦tzeland.)
Das linksseeische Wịịland dagegen charakterisiert sich selber als solches, wo n es chaa nn u maa g, in berufsstolzen Sinnbildern seines werktägigen und sonntäglichen Lebens. Wịịlaub und Trị̈ị̈bel umranken als Bordüre 1 das Getäfer der Twanner Kirche. Auf der größten Glocke der Ligerzer Kirche fehlen neben der Hasenjagd, den drei gewappneten Bären und dem Tellenschuß nicht die Weinranken, der Drị̈ị̈beldreeger. Und zum Wappen gehört natürlich das Winzermesser: der Rä bmutz rechts und links.
Dieser durch die Schnịịdschääri ersetzte Rä bmu̦tz (s. u.) gehört neben dem Räbpickel zur Ausrüstung des im Räbschụrz den Räbbärg und überhaupt das Räbland bearbeitenden Räbmḁ nn, der in eigenem Räbland oder dem seines Räbheer die Räbstöck in Behandlung 228 nimmt: Räbe schaffet 2 oder wenigstens nebenbei sein Rä̆bli besorgt. Diese Rääbe (oder im Satzrhythmus: Rä̆be-), 3 in alter Tautologie auch als wīn-rëbe 4 benannt, bezeichnet also im Gegensatze zur engsten Bedeutung «Rebschoß» 5 svw. Weinberg: eine Gesamtheit ungezählter Ranken. (Es ist die bekannte weibliche Singularisierung der Mehrzahl.)
Daß es aber der Räb -mann und die ihm ebenbürtige Reb -männin ist, an welchem und welcher nach dem «Segen von oben» das Gedeihen des Reblandes einzig hängt, besagt der Ausdruck für des letztern Flächenmaß. Das Ackerfeld wird nach «Jucharten» gemessen: der täglichen Zugleistung eines gejochten Ochsenpaares: der Ackersmann, was wett er o mache ohne seine Zugtiere! Eine Matte wurde gemessen nach Mahd, allenfalls Mannsmahd: nach der täglichen Leistung eines Mähders. Die Weinberge aber schätzt man nach dem Umfang, innerhalb dessen ein Mann in einem Tag das mühevollste Werk ( Wäärchch, das wäärchche) aller Rebarbeiten: das täïff hacke 6 (s. u.) zu vollbringen vermag. Die Ausschließlichkeit dieses Maßes als Mannwerk spiegelt sich in der Sprecherleichterung Manne̥rch, vor Zerfall geschützt durch den Ansatz des -t 7 in Manne̥rcht (Br., Ga.), vor welchem hinwieder das r ausfallen 230 darf in Manne̥cht (Nv., Erl., Ins) oder das ch in Manne̥rt (Li., Tw.), dessen nn sich dem M- als -mm- angleicht zu Mamme̥rt (Tü., unteres Nidauamt, Bürenamt). Dem ersten Wortteil entspricht homme oder home (1788, St. Johannsen), dem zweiten das heute übliche ouvrier. 8 Die Gültigkeit dieses Maßes erstreckte sich z. B. 1811 zu Ins auch auf ein Stück Mattblätz, wie 1800 in Aarau auf eine Wässermatte. Auch ein Hausplatz zu Ins maß 1711 «wohl ein Mannwerk».
Nicht nach dem mühevollsten Werk des Hackens, sondern nach den kunstreichsten des Schneidens ist der graubündnische Mannsschnitt benannt. 28 Mannsschnitt sind 124 Aren = 3 4/ 9 Jụụcherte oder Jụụferte des altbernischen Feldmaßes. Das beträgt ja 36 a oder 40,000 Quadratfuß ( Schueh), wie dagegen im Neuenburgischen bloß 32,000.
Nun besaßen und besitzen aber neuenburgische Private und Korporationen die allermeisten Reben zu Ins. Da in beiden Fällen das Mannwerk ⅛ Juchart ist, so sind hier Arbeitgeber und -nehmer immer noch vor die Frage gestellt, ob sie es vermöge unrevidierter Verschreibungen mit dem chlịịnne Manne̥cht (1706) von bloß 352 m², oder mit dem große Manne̥cht (1795) von 450 m² = 4,5 a zu tun haben. Bei dem früher, wo n es uf ene halbi Ell nid aachoo isch, üblichen «ungefähr», ungfährt (Erl.: ang’fährt), «vngeuarlich» (1594, ohne «Gefährde») 9 oder aber dem guete (reichlich bemessenen) Manne̥cht im Gegensatze zum g’nạu gemessenen Achtel-Manne̥cht (1809) näherte man die beiden Mannwerke einander mittelst der Aufrundung des neuenburgischen auf 360 m². Jetz isch’s an͜ders: die rar gewordenen Arbeiter fangen aa ụụseheusche (rämple), wen n es pḁr Schueh fähle.
Auch die bernische Juchart war übrigens, z. B. 1782, je nach dem Kulturstand verschieden groß. Bloß die Jụụcherte Räbland maß 40,000 □’; dagegen die Juchart Ackerland bloß 35,000 und die Juchart Wiese 31,250. 10 Die daherige Vieldeutigkeit brachte (z. B. 1809) Verschreibungen von chlịịnne oder zi̦i̦lige und von Jucharten guets Määs. Dieses Määs als «Ausmaß» ist anders zu verstehen als in gleichzeitigen Flächenangaben, wo es ein Saatfeld für Getreide und 231 Hanf bedeutet, das 1 Määs = 1/ 10 Malter oder 1/ 12 Mü̦tt Saatgut erfordert. Diese Fläche ist aber = 1 Mannwerk = 4,5 a. ( So mängs Manne̥rt, so mängs Määs.) Der früher im ganzen Seeland vorherrschende Weinbau drängte das Ackerland auf diese kleinen Bi̦tzeli zurück, die man nach solchen Määs, ja nach dessen noch kleinern Unterteilen: nach Immi (¼ Määs) und Sechszehnern oder Sächszäächnerli (¼×¼ Määs) schätzte. Auch ein Inser Baumgarten maß 1751: 3½ Sächszäächnerli. 11 13 Määs aber waren 1809 ein gutes halbes Mahd als halbtägiges Arbeitsmaß eines guten Mähders.
1
Von Frau Pfarrer Baudenbacher entworfen.
2
Eine Fügung wie
Roß(-)handle, Veh handle; er het
Roß-g’handlet.
3
Alt:
rïbe und
ribe, ribi bedeutet Umschlingung, Umrankung jeder Art, wie das familiengenössige
Rüppi, Rippi,
ribbi (vgl. Rappe, Rabbe, Rabe und Knappe, Knabe), das oder die
rippe, ribbe, ribe, die Hirnschale als
hirn-rebe oder
-ribi, das Augenlid als die
ougen-rebe, die Schlag- oder die
herzerebe, wie ferner die Kürbiß
-rebe, die
gunderebe (s. u.) es nahe legen. Vgl. Grimm WB. 8, 326;
Kluge 367;
Graff 2, 356;
mhd. Wb. 2, 2, 679;
schwz. Id. 6, 37 ff.
4
«Wein» als «Geschling» s. u. Zu
vigne vgl.
Atl. ling. 1392.
5
«Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben»: Joh. 14, 1.
6
Daher die Maßbestimmung 1388:
Summa 55 fosseriorum digetas seu operariorum opera vinearum que in linguagio teutonico dicuntur
manwerk. (Mss. Hist. Helv. I/29 Stadtbibl. Bern.) Vgl.
Font. 4, 66:
Octo sectus qui
maneswerg vulgariter nuncupantur. Entstellungen wie «Manswertt» (
PuTw. 1533) oder gar «Manwartt» (
Schlafb. Tw. 1652) entsprangen der Bureauweisheit.
7
Wie in eins-t,
deß-t-wäge usw.
8
Ist wie
operari-us, -a, -um zunächst Adjektiv, also hier: Arbeits-feld.
9
Vgl. «Ehrberlich und ohne Gefährd» (1801) =
sans fraude ni barat: ohne Hinterlist und
Vöörtel (Vöörtel z’triibe. Zu
G’fohr = Gefahr, urverwandt mit
per-iculum, péril im Ursinn der heimtückischen Nachstellung:
Kluge 163). Also gemäß dem Satz:
«Wär Andern nüüt trauet, isch sälber nüüt wäärt», auf das gegenseitige Vertrauen sich stützend, daß man im Rechnen
enand nit uf d’Finger lueg, es nicht so
spitz nehme. So kam es zu unserm «ohngefehrs» (1728), «angefer» (1591) =
ang’fährt iSv.
quasi-mein und
casu-mein (casu).
10
Meiners 1, 200 f.
11
de P.
Mit dem Määs der Mannwerke rechneten natürlich 1805 und 1855 auch Gewméter wie Fisch in Vingelz und Burkhard in Ligerz. 1 Ihre Karten beweisen, daß links des Bielersees der Rebenbestand seit einem Jahrhundert doch g’ändret het. Er betrug 1905 in Tüscherz-Alfermé 27 ha, in Twann 66, in Ligerz 61,92, in Neuetstadt (mit Schaffis) 140,85 ha. Im Jahr 1917 sank Twanns Rebareal unter 66, das von Ligerz stieg auf 63 ha, um auch heute diesen Bestand zu behaupten. Neuenstadt dagegen wies schon 1913 bloß noch 130 ha auf. Biel mit Vingelz 2 minderte vollends zwischen 1881 und 1911 seinen Rebbestand von 63,00 + 15,92 ha herunter auf 14,62 ha, wie die Zahl seiner Rebenbesitzer von 275 + 32 auf 26, den Wert seiner Reben von 490,000 + 232,000 auf 150,000 Franken.
Das Rebareal von Ins betrug 1917 nach dem ụụsschloo (ụụshacke) der Erlḁchreebe noch 20 ha; das der Erlacher sank 1913 auf 30 und 1917 auf 27 ha, wie das von Schu̦gg 1913 auf 23 und 1917 auf 20, von Gampelen 1913 auf 10 und 1917 auf 2 ha.
Rebbesitzer sind in Ins noch der Spital Pourtalès (Pụ̆́rtalẹ, Bŏ́rtḁlee) zu Neuenburg und die ebendortige Familie de Pury ( d’s Bụ̈ụ̈ri’s), in Tschugg die Epileptiker Anstalt, in Gampelen zwei in amtlicher Stellung hervorragende Familien. In Si̦i̦sele ist eine stäialti Besitzerin von 6½ Mannwerk u̦s alter Liebi zur Sach und p’här see ( per se) nid wäg em Profit immer noch an ĭhrem Räbli g’hanget, bis es 1919 dem Schicksal des ụụshacke verfiel. Auch Vinelz und Lüscherz, Brü̦ttelen und Gäserz, Walpertswil, Su̦tz und Ipsa ch, sowie im Bürenamt Meinis̆bärg gönnen in ihrem Bụụreland 232 noch kleinen Räbli ihr Plätzchen. Im Jahr 1920 besaßen noch Rebareal: Twann 55 ha, Ligerz 54, Tüscherz 26, Neuenstadt 112, Ins 16, Tschugg 12 ha. Biel-Vingelz, Erlach, Büren und einige außerseeländische Blätzli ergänzten diesen Bestand auf etwa 300 ha im Kanton Bern.
(zu S. 196 f.)
Bloß in der Geschichte leben dagegen die Weinberge am Galserbärg (Jolimont) 3 und vollends am Räbwääg des römischen Petinesca. 4 Eine Reihe von ergangne Weinbergen wird uns noch unten begegnen. Nennen wir hier die Reben von Möntsche̥mier, Träite, Feisterhénne, Si̦i̦sele, Täuffele, Epsḁ ch, Jäiß, Stụụde, Bällmŭ̦́n͜d, Madri̦tsch, Mett, Dotzige, Pieterle, Längnạu, Challnḁch, Wileróltige. Zu Spiez wurden 1917 die letzten Reben hinter dem Schloß ausgehackt.
Dieser allgemeine Rückgang auch des seeländischen Weinbaues stimmt mit dem des Bernerlandes, das noch 1902 doch 645 ha Weinland aufwies. Stabiler bleibt die Schweiz mit ihren 32’281 ha des Jahres 1902 gegen die 30’500 des Jahres 1885, einem allerdings verschwindenden 233 Teil der 183 Millionen Hektoliter Weins, welche 1914 auf der ganzen Erde erzeugt wurden. 5
Ausgleichend wirken die jährlich aus der Schweiz ins Ausland wandernden 37 Millionen Franken für Wein und Keltertrauben und die 300 Millionen für Alkoholgetränke überhaupt, sowie die beinahe 74,000 mit letztern beschäftigten Personen. Man tauschte nämlich — bim jetzige Läbszịt sogar im Seeland, das vormals vor däm bloße Wort «Bier» uusg’spöüt het 6 und 1868 die Brauerei Geisler in Ins zum ergoo nötigte — die Gaben des Baachụß (Bacchus) 7 teilweis an die des Gambrinus, wie (für Magen und Gältseckel zuträglicher) nunmehr an den Most der Pomona.
234 Zum Rückgang des Weinbaues führten vor allem die verminderte Genügsamkeit der Konsumenten. «Die Zeiten, Brüder, sind nicht mehr», wo «d’Räbhalde zu Wynigen» wirklich Wein lieferten, wie bis zur Stunde das württembergische Weiningen. (Auch im Erntebericht aus Ersigen für 1872 figurieren noch mehrere Jucharten Reben.) Selbst ein simmentalisches Wimmis durfte gleich dem oberaargauischen Wynau seinen Namen zu vindemiae (vendange), nämlich Vindemis (995), Windmis (1276), Winmis, in Jauni Wĭ̦me̥s stellen, während auch der Berner Altenberg seinen Wein baute. Thorberg erhielt 1529/30 von den Reben zu Bern 2½ Saum. An der Schoßhalde legte Daniel Rhagor um 1640 einen 4 Jucharten großen Weinberg an. Was vordem es stịịffs Wịịnli 8 heißen durfte, gilt als « Chu̦ttlerụgger, wo man im Weltschland damit den Mäusen vergebe» 9 ( Gift leg), der ei’m d’Zän͜d abfräß, 10 und der «ei’m fry d’Schueh mach z’gịịre». 11 Der « Erlacher Lagootte 12 ( La Côte)», dessen Jahrgang von 1917 ein Gotthelf allerdings hätt sölle chönne chü̦ste, ward verglichen mit den «Knallkügelchen, welche die Murtner in seltsamer Verblendung seit Jahrhunderten für Traubenbeeren ausgeben, ja selbst für solche essen». 13 Und in Bëëzinge, wo uns doch der greise Manndli Ritter einen Elfer äigets Gwächs von seltener Güte versetzte, wurden in einem schlechten Jahrgang Trị̈ị̈bel ’tresche. Un͜der äinisch gu̦mpet es Beeri un͜der em Flegel dänne du̦r d’s Baareloch i’ n Stall u schloot ḁ-mene Stier es Horn ab. 14
In gleichsinniger Gegensätzlichkeit lobte der Bieler Dichter-Pfarrer Molz 15 die obersten Bieler Reben, welche an die Chalberwäid (das heute so malerisch überbaute Beaumont) unterhalb Leubringen stoßen:
Bi’r Chalberweid wachst gar
e chäche Wy;
Dä söll der Grund vo däm
Guraaschi sy...
Es gilt, d’Falbringe, d’Chalberwäid soll,
U du o,
Sydebuus (der
Sịdịbu̦ß)!
Sydebuusler,
Bielschampanier, lebe!...
Tschärißer un uß em
Chloos!
Die Bieler gaben denn auch die Kultur solchen schlecht besonnten und schlecht gepflegten Weines 16 fast gänzlich auf. Die Wahl zwischen ere gueten Uhr und e̥mene schlächte Wịị fiel ja auch den Produzenten beider nicht allzu schwer.
1
Plan parcellaire de la commune de Gléresse (1855) 1:500. Im Bieler Katasterbureau liegen ebensolche Pläne auf von Müller (1789) und Peseux (1833).
2
Vingelz wurde am 20. Nov. 1899 zu Biel eingemeindet.
3
SJB. D 6.
4
Nach Bendicht Mosers schönem Plan zum Anz. 1906, Nr. 1.
5
OW. 24, 62.
6
Favre 254.
7
Vgl. die Übermacht der Brauer:
OW. 23, 378 ff.
8
Gotthelf SchM. 2, 303.
9
UK. 268.
10
UK. 123.
11
Geltst. 270.
12
AB. 1, 383.
13
Ztgst. 1, 184.
14
Vgl. Johannes Trojans Hyperbeln auf die Rheinweine des Jahres 1883.
15
1, 26. 29.
16
Vgl.
Morel 214;
Meiners 1, 220 f.
War es doch überhaupt ein Wagnis südwestdeutscher Klosterniederlasse, die königliche Gabe des Vater Rhein selbst an das Bielerseegelände zu verpflanzen, geschweige denn an die Südgehänge des Thunersees. Wohl ist jenes in den ungefähr elfjährigen — mit den Sonnenfleckenperioden zusammenhängenden 1 — Jahresreihen so ausgiebig durchsonnt ( S. 119 f.), daß z. B. in Vinelz zimmerhoher Kaktus fü̦ü̦rb’broocht wird. Allein sein Wärmestand bleibt doch um etwa 2° unter dem Durchschnitt, 2 der für ein von Natur subtropisches Gewächs zu wünschen ist; und die Launenhaftigkeit des Klimas entfernt sich in allzu starken Pendelausschlägen von diesem Mittel. Auch das Wärme- Rese̥rwaar des Wassers in dem 2 m höher stehenden See und im Moos vor der Etsumpfig bewirkte keineswegs immer den ihm zugeschriebenen Ausgleich. 1779 ist dem Moos na̦a̦ und selbst in dem vormals Weinbau treibenden Walpe̥rtswịl alls erfrore, und die Kälte des 20. Mai 1803 setzte den Moosräbbärge hart zu. Das ganze Seeland war und ist an den Extremen beteiligt, welche im Schneejahr 1529 das Most die Bü̦ttine und Chupferröhre und chupferige Hahne durchfressen ließen, am Anfang Juli 1540 aber süeßi Trụ̈ụ̈bel und am Anfang September den Leset gewährten und auch 1541 zu einem ausgezeichneten Weinjahr machten. 3
Überein anderes Jahrespaar: 1740 und 1741 hinterließ ein Twanner auf fliegenden Blättern die folgenden Aufzeichnungen.
Ano 1740 Ist Ein kalten Winter Gsin er hat Angefangen Vom herbst ano 1739 ist al Zit kalt gsin Auf licht mäs 1740 hatt es Geregnet Alsbald ist daruff eine kalte bießen ( Biise) kommen sie Hatt 4 wochen lang Gewart Die Rebsteck in Vnßeren Räben Sind Von kelte Meistens erfroren in Sunderheit in denen niederen Räben Die Jungen Räbsteck Sind noch Gut blieben. — Den Gantzen Abrel hat es nit Geregnet den 3.ten tag mey hat es Starck Geschneiet. 2 zol den 4ten mey hat es widerum Ein handt hoch Geschneit in Vnseren Räben vf dem bärg ist Schu hoch schne Den 5ten Mey Noch einmahl Ein handt hoch geschneit es hat daruff kalte reiffen ( Riiffe) Gäben. — Den 7den vnd 8 Vnd 9 hat es abermal Geschneit das es Vnsere Räben bedecket hat. In diesem Vngewonten Schne Sind in denen Räben Vom kalten winter iber Blieben räbsteck Namlich die schon gewachsene scheslein samt denen augen Meistens erfroren. - Dan diesen Frieling hatte sich Verspätet Dan alle bäüm hätten noch ym Meyen Gebliet Vs Genommen die Epfelbeim hätten ym brachmonat gebleiet Man hat den 2den brachmonat angefangen rieren in denen räben. - In diesem iahr Hat es Viel obs Gegäben aller Hand genug. Auf dem alten Santi Hanstag hat man angefangen Hefften. Den 8ten Vnd 9ten Weinmonat hat es große reiffen gäben den 12. Vnd 13 hat es Stark geschneit das es den gantzen erd boden bedeckt hat ist kalt gsin Vnd hart gefroren worden Vnd Eisß ( Iisch) Gegäben also das Vnsere räben aber mahl eine kälte haben 236 Leiden mißen Vnd die trieblen ( Trüüble, Trüübel) in denen oberen Vnd in denen Neidren räben all mit einanderen Erfroren Sind dan sie sind nicht riff gewäßen man hat Viel in denen räben stehen laßen im lätzen An denen reinachtigen räben Weil Sie reiffer Geweßen Sind hat es Minder schaden gethan Die trieblen sind so rot gewäßen wie buch laugen [Nachlrag:] nämlich die trieblen So nicht reiff worden. Den 21 Tag Weinmonat hat man angefangen zu läßen den 25. ist man fertig worten es hat gar wenig Wein gegäben. Die trieblen yn der Kros Vnd [auf dem] kapf Sind so rot gewäßen wie rot geferbt Vnd hart daß man sie nicht hat müsten ( mosten) kennen weil Sie nicht reiff waren Man hat kein berlein kennen eßen Die kelte hat ein monat lang Gewärt ist alletag Gefroren worden. - In diesem Jahr hat man der Wein nicht kennen verkauffen biß im Frieling 1741. Der neiwe Wein hat nach dem herbst Zächen Critzer Vnd ein fierer golten Darnach noch hat man ihn nicht mehr kennen verkauffen. Ein Jahr härnach ein Theil mit großer mieh. — Im Jahr 1741 hat es ein Guten Winter gäben Im Jenner hat es gar viel Geregnet ist an allen Orten Waßer auß der erden hinaus kommen daß alle obere Heißer in Vnserem Dorf sind Vol worden in den Triellen ( Trüele, s. u.) Vnd ställen. Auch der se ist so Groß worden daß man die straß nicht Gehen kennen. Der se ist an Viellen orten in die räben kommen er ist auch Vnder dem rat haus bis zur kleinen tir kommen dar nach Hornung Mertz Vnd Abrel nit Geregnet. Der 2. 3. 4.ten mey hat es starck geschneit mit kalte lüfften der Schne ist allhier eine hand hoch schne gelegen Vff dem Bärg ein Schuh hoch schnee. Alle beim Sind in Velligen blust geweßen Vnd die scheslein in denen räben haben wir abermahl mit betriebten augen sehen mißen zu Grund Gehen Dann die oberen räben Sind gar al erfroren worden Das man nicht ein intziges Grien scheslein hat sehen kennen. — Ihm dießem Jahr hatt es den Gantzen freilling neit Geregnet biß mitten ihm Meiyen. [Da endlich] hat es Geregnet Vnd alles frucht bar gemacht. Auff dem alten Santa hans tag ist man fertig worden zu heften. In denen räben ein bar tag hernach zu rieren. Es hat Ihm diesem yohr Viell Hiw vnd Emt Gegeben auch aller handt obs Genug Auch ist es ein frucht bahren Summer Geweßen an allem. Es hat in diesem Jahr Guten Wein gäben.
Ähnliche Aufzeichnungen 4 erklären die Vortrefflichkeit des Weins von 1811 und die Güte von Johrgäng wie 1743. Gegenteilig lautende Notizen häi Aazu̦u̦g auf traurige Jahre wie 1786 und 1787, 1809, 1910 (s. u.) und 1913, dessen Juli der cheltist eines ganzen Jahrhunderts gewesen ist. Do het mḁ d’Tolpihändsche ch und d’Tschággett aag’gläit fï̦r go z’hefte, und di wu̦llige Halsdï̦echer sị alli i de Räbe gsii. Das gab tschụụderigi Daage, an denen es immer wieder ’trüebet het u gäng strụ̈ụ̈ber worten isch. Wi het mḁ doo g’sahnet na ’mene Bi̦tzeli Sunne! Ähnlich wie 1879, wo d’Trị̈ị̈bel o gar niene hi̦i̦ welle häi (fortkommen und gedeihen), und wo d’s Most am Stock erfroren isch. Die Qualität solchen Weins kann man sich denken. Es hätt padä́nten Essig g’gää («der Patentierung würdigen»).
1
OW. 24, 315.
2
Großrat Engel.
3
OW. 24, 315.
4
Krebs.
Die Wetterkunde fleißiger Aufzeichnungen gilt, wie den Phasen des Moon (Jahre wie 1885 mit zwei Vollmonden i äi’m Monḁt sind von der Göttin der Fruchtbarkeit beherrscht), 1 so auch den Eingängen eines jeden Monḁt als Voraussagungen über dessen gesamten Verlauf. Gleich belangreich sind die Jahresanfänge. Wenn ụụsgänds Jänner und ịịngänds Horner di Ruete zäige (Knospen treiben), welche am Katharinetag (25. November) g’schnitte un in e Fläsche voll Wasser g’steckt worte sịị, so isch das es guets Zäiche. Ebenso wenn d’s Ääbi (der Efeu) rächt frị̈ech und rächt vil Bluest zäigt, und wenn a de Flïeh u Mụụre rächt vil schwarzi Beeri ï̦ber e Winter im Lạub b’hange blịịbe. (Vorzeichen allerdings, die im winzerlichen Unheilsjahr 1914 Lei g’lạugnet häi. Sie haben nicht «Farbe bekennt», 2 die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.) Kommt dann im Abri̦lle oder Aprelle z’grächtem der Frị̈ehlig und sị d’Tage scho rächt g’länget, so soll der Jërge- oder Jerietag (Georgi, 24. April) doch ja den vollen Vegetationstrieb no z’ruckhaa; die Reben sollen nach bekanntem Spruch no blin͜d sịị.
Si z’Jörgetag di Rääbe no blind,
Soll sich freue Maa, Wiib u Chind.
Ja, der Abrilleschnee isch den arme Lï̦t ihre Mist. Es war z. B. 1755 nicht gut, daß schon zu Georgi «die Reben geschinnen» haben ( g’schu̦nne, ihre Gescheine gezeigt, s. u.). 3
Um so lieber sieht man schöne Tage und warme Nächte im Mäie, dessen 25. Tag dem St. Urban als verchristlichtem Dionys geweiht ist, dem Brachmonat günstig vorarbeiten. Dieser Juni, der nur in sehr wenigen Jahren (wie 1858, 1866, 1868, 1870, 1877, 1885, 1897, 1908, 1915) warm ist, ist der eigentliche Schicksalsmonat auch des Winzers, weil in ihn die Zeit der Rebenblüte fällt. Ihre Höhenpunkte sind der lengst Daag und der Sandi̦hánsdaag (24. Juni). Wenn am Sankt Johannstag d’Gi̦i̦rschene (s̆s̆, S. 140) ï̦berschieße, so gäit der Wịị der Bach abb. Ferner sind Vitus, Veit, neu Tw. Vöit (15. Juni) und Barnabas (11. Juni) mit ihrem Wetter entscheidend für den Weinausfall. Wenn’s a déne bäidne Daage nid schëën isch, so cha nn mḁ d’Bränte verchehrt i de Räben ụmme draage. Aber weeni Wịị gibt es ebenso, wenn’s vil 238 Bohne und vil Magglingerhäi gi bt. Das letztere begreift sich aus den gegensätzlichen Witterungsbedingungen, während z. B. 1915 zu Twann die ziemlich befriedigende Weinernte (wenig unter dem Mittel) sich mit der ausgezeichneten Bohnenernte wohl vertrug.
Ein interessantes Schaukelspiel scheint der Juni mit dem November ( Wintermonat) zu treiben. Wie im letztern d’Wasser falle oder stịịge, fallen oder steigen sie im Juni. Besonders der Martistag steht mit seinem Wetter zu dem der Rebenblütezeit im Verhältnis, aber im umgekehrten. Rägnet’s z’Martistag, so darf mḁ d’s Johr drụụf mit der Mooßguttere i’ n Chäller. 4 Wie dagegen i de chï̦ï̦rziste Daage (also des Christmonḁt) d’s Wätter isch, so isch es i de lengste.
Hundstage, wo schëën ịịgange, sind wiederum gute Vorläufer des Augste, Augstmonḁt, an dessen 24stem Tag die Weinkenner wisse, wo der Baartli d’s Most räicht. 5 Was aber nach ebenfalls allbekannter Regel der Bartholomäustag und Mariä Himmelfahrt vorbereiten, was überhaupt der Augste nit chochchet, cha nn der Herbstmonḁt nit broote. Gerade am 1. September säit d’s Vreneli nid weeneli mit sonnigem Antlitz zur Güte des Weins. In gleicher Weise ist der 21.: der Matthäustag, ausschlaggebend.
Denn nach Eintritt der Tage, wo d’Beeri lụtere, bedarf es noch der Frist von sächs häiße u trochchene Wuche für die Traubenreife. Schmunzelnd erfreut sich drum der Winzer dieser journées fédérales, der von goldigem Sonnenlichte «satten Herbsttage», 6 wo nicht mehr wie im Hochsommer in glitzernder und zwitzernder Unruhe, sondern behäbig aus dem Vollen schöpfend die Tageskönigin ihre Strahlen sendet auf diese edlen Früchte, die so sonnendurstig daar häi aus dem mählich fahler und kahler werdenden Laubgewinde. Mag dann, wie 1915, ein in der ersten Hälfte (und damit auch noch am Galletag, dem 16. Oktober) verregneter Läset folgen: die ụụfg’schwallete Beeri geben in der Presse Saft und Farbe grad um so gründlicher ab. Doch sagt man allgemein: Galle-Wịị, sụụre Wịị.
1
«Anz. v. Saanen» 1885, 20.
2
Die gleiche «Art» der Spielkarten-Farben und -Figuren
ụụsg’gää.
3
Herbst-Rödellein.
4
Rheingauisch: So viele Troppe, so viele Schoppe.
5
Laut «Bund» lebte im sechzehnten Jahrhundert zu Meißen der von weit und breit her aufgesuchte Weinwirt Bartholomäus Zimmer, der als genauer Kenner immer wußte, welchen Winzern er den neuen Wein abkaufen sollte.
6
Frey.
D’Räbe wott hundert warmi Sụnnedaage haa. (1914 gab es deren selbst in Twann nid e̥mol sächsedrị̆ßg.) Drastisch 239 drückt man das so aus: Wenn d’Flïeh dreimool aabrenne, so daß d’s Gras verdooret, dé nn gi bt’s e guete Wịị. Die Sonne soll im Hochsommer förmlich brämse, so daß es im ausgedörrten Gefilde riecht, wi wenn von versengten Haaren, von unverbrannten Kohlenfetzen im Schlot od. dgl. eppis brämseti. Dás gi bt ĭhm (dem Wachstum) e Stụpf! Dás gi bt ĭhm u̦f d’Ohre! (Wie dem mit Aufwand des äußersten Mittels angetriebenen Pferd.) Allzu große Tröchcheni kann allerdings (wie 1782) die Trauben zi̦mli dünn (dünnbeerig) werden lassen. Sie arbeitet auch mit zweischneidigem Schwerte derart, daß der Winzer schlimmer Kälterückfälle muß g’wäärtiget sịị. Besonders natürlich in höhern Lagen, wo die tiefere Mitteltemperatur zugleich die Traubenreife stark verzögert. So zu Schärne̥lz, welchem von der Wärme des Ligerz Dorfes bereits 2° abgehen. (Es isch dert e Chu̦tte chelter; vgl. S. 120.) Drum geht der Spruch um: Wenn d’Schä rne̥lzer Trụ̈ụ̈bel ’s im Dorf un͜der g’chëëre ru̦mple (von den zum Leset gerüsteten Zübern), so föö si̦ aafoo lụtere.
Am unerträglichsten ist freilich fị̈echts Mụ̆derwätter mit seinem unbehaglichen Zwitterwesen, wie überhaupt nassi Chelti oder chalti Nessi auch für die Reben. Denn deren ihri Hauptforderung ist neben hundert warmen Sonnentagen: Trëchcheni. Si wäi Summer u Winter trochche haa — sei nun der winterliche Boden g’froore oder ï̦berschneit. Nu̦mme nid e̥s Winterg’flotsch! Sonst zeigen, wie 1777, die Trauben allerlei Mängel: es sịn ere weeni, sị si̦ chlịịn u dünn, ’berchämme d’Trüübelfụ̈ụ̈li oder der Rịịser: si̦ rịịseren ab, «rieseln, rieseln aus, reißen aus»; ohne solche Umdeutung: sie ri̦i̦se, ri̦i̦sen uus. (Die Beeren fallen ab.) 1 Nicht ein Abfallen, wohl aber ein chlịịn bli̦i̦be wi n e Gu̦fechnopf verursacht während der Blüte eine allzugroße Hitze bei wolkenlosem Himmel, indem sie die Befruchtung beeinträchtigt. Das ist der Rịịser als la couleure.
Möge es übrigens, wie im Vorsommer 1916, gäng u ggäng räägne («und der Regen, verregnet jeglichen Tag»): wenn’s nu̦mme gäng wider trochnet! Und nu̦mme käi Bịịserääge! Sonst treten allerdings weitere schlimme Folgen ein. So sah man z. B. im Juni 1796 die «Samen» i d’Gḁble schieße, i d’Chrääile (s. u.) wachse oder falsch wachsen: verwachse. Diese spitzen, rötlichen ( rootlächte) Kräuel (1782) lassen etwa noch es verschrumpfets Beeri oder zwei gedeihen, die jedoch in der Regel auch noch abfallen. Der Winzer sieht es schon ungern, wenn solche ausartende Gescheine erst im vierten oder fünften Gläich (Stengelglied) aasetze. Solches schwị̆ne 240 (schwinden) steht im Zusammenhang mit dem blëëde Zustand auch des ungereiften Rebholzes und ist (wie anfangs Juni 1914) vom traurigen Anblick vieler dürrer oder halbdürrer Zweige begleitet.
1
«Risen» als senkrechte Bewegung auf oder ab:
schwz. Id. 6, 1335 ff.;
Gw. 34.
Während in Jahren wie 1719, 1779, 1780, 1782 der See beispiellos niedrig stand (1780: 6 Zol nideriger als der pfol, Pfahl), 1 veranlaßte er in Jahren wie 1711, 1718, 1722, 1778, 1851 (bloß in Ligerz für 50,000 Franken Schaden anrichtend), 1892, 1899 gewaltige Überschwemmungen. 1796 und 1829 het’s Räben verfïehrt oder abg’fïehrt (der Humusschicht beraubt, s. u.). 1747, 1749 und am 12. März 1776 wurde die Landstraße ( Strooß) dem See noo überschwemmt. Viele Seemụụre stürzten ein. Das Wasser ist durch das Dorf Twann geloffen wie eine Zihl. Im August 1677 mußte man zu Schiff vom Ra̦a̦thụụs zur Chi̦lche fahren. Die Nidau- und Bielmatten standen 1748 einen Fuß hoch unter Wasser, 1801/1802 konnte man d’Wäidlige bei den Brunnen im Moos aabin͜de.
Ein fürchterliches Hochgewitter entlud sich Donnerstags den 7. August 1851 über Schaffis ( Tschaafĭ̦z) und Ligerz. Der damalige Lehrer des Orts, Joh. Clénin, verfaßte darüber den folgenden, von Lịtnant Abraham Teutsch und G’mäinschriiber Karl Raclé ins Ortsarchiv gelegten Bericht. 2
Schwüle Hitze schon von Morgen an drückte alle Geschöpfe, so daß sich ein banges Vorgefühl schon in den Tönen der Thiere kund zu geben schien. Der Abend aber sagte deutlich und mit eindringenden Worten, was die bange Ahnung zu bedeuten gehabt. Es entlud sich gegen fünf Uhr ein Wolkenbruch mit nie gesehenen Strömen. Zehn Minuten währte dieser fadenförmig strömende Regen und verwandelte den Tag in starke Dämmerung. Starre Blicke, ängstliches Hinschauen nach der Höhe beurkundeten, was Jedermann erwarte, nämlich einen Erdrutsch, der bei diesen gewaltigen Entleerungen unmöglich ausbleiben könne.
Und er blieb nicht aus. Er stellte sich ein, gewaltig, furchtbar, über alle Begriffe, keine Wehre, keinen Damm achtend, tosend, verheerend durch Gräben, Wege und Reben, wenn ihm erstere nicht bequem waren, ins Dorf, füllte Häuser, Gasse und Straße und fand endlich sein Ziel erst im See.
So entsetzlich die Katastrophe beim ersten Anblick auch war. fand man ihre unerhörten Verwüstungen erst bei stellenweiser Untersuchung des Gebiets, über welches sich die Fluth ergossen. ...
Die Entleerungen waren das Resultat zweier aus Südwest und Nordwest über der Höhe des Schaffisberges ( Tschaafĭ̦zbärg) zusammenstoßender Gewitterwolken und begannen herwärts Weißenrain ( Wị̆ßerä́in). Die sie begleitenden Donnerschläge ( Chläpf) waren nicht sonderlich stark und folgten sich in gemessenen Zwischenräumen. Der Wind 241 war unbeständig. d. h. er hatte keine vorherrschende Richtung, sondern blies sehr schwach nach verschiedenen Seiten, weßwegen die unheilvollen Gewitterwolken nicht auseinander gerissen wurden.
Je näher gegen Schaffis, desto gewaltiger der strömende Regen, der dort in den Rabenfluh- und Closreben 3 und noch weiter hinaus in den Großhaus- und Planschenreben ( S. 177) solche Erdschwemmungen verursachte, daß namentlich der alte Weg unter den Clos-Reben bis an den Rand der untern Stützmauer mit Erde angefüllt war.
Im Dörfchen Schafis wurde am meisten das Haus des Jean Türler verschlammt, indem der Erdrutsch die hintere Thüre eindrückte, die Zimmer anfüllte, so daß die hausräthlichen Gegenstände herumschwammen, auch die Frau und ihre Schwester entweder erdrückt oder ertrunken wären, wenn nicht auf den Hilfe-Ruf eines Kindes aus dem obern Stocke beherzte Männer, Walser und Peter, die vortere Thüre mit Gewalt erbrochen und dem Strom einen Abzug gegeben hätten. Andere Häuser, wie das Wirthshaus (s. u.) usw. litten weniger.
Über die Bouillien und Werscheren ( S. 178), dann über den Rebbezirk Ligerz mit gleicher Kraft verheerend, zog sich das Gewitter bis an den Twannbach, jedoch schon vor der Bannwarthäuslifluh und theilweise auch herwärts so wie auch über Schernelz weniger oder keinen Schaden mehr anrichtend, indem es sich da in einen starken und endlich sanften Regen auflöste. Den größten Schaden erlitt der untere und mittlere Rebbezirk, besonders die Umgegend der Kirche nach der Vesti und Champagne und bis hinter den Terrograben.
Durch die Halde des Vestiwegli wälzte sich ein trüber Strom mit donnerähnlichem Getöse, riß mehrere dortige Erdsammler ( S. 183) ein und ergoß sich durch die Rebe des Aimé Fontaine gegen die Kirche, zertrümmerte die Mauern rechts und links vom Graben zwischen Ulrich Sausers Kirchrebe und vereinigte sich mit dem Strom des Karrweges, der auch die gewaltigen Quader von Gabriel Teutsch’s Erdsammler beim Vestistegli ob der Kirche mit sich führte. Da im Vereinigungspunkt müssen die Steine im Moment eine Barrikade gebildet haben, die den Durchzug hemmte, indem das Wasser und der Schlamm über die hintere Kirchhofmauer lief. Aber endlich, dem Drucke weichend, stürzte noch ein Stück Mauer von Sausers Rebe, und die ganze Wucht stieß gegen die Mauer von Hubachers Clos de Rive Rebe neben der Kirche. Die Mauer fiel, und jetzt hatte der Strom keine Grenzen mehr. Er wühlte sich ein, nahm Erde, Stöcke und Stickel mit sich fort, als wollte er sich schadlos halten für den kurzen Aufenthalt bei der Kirche. In wenigen Minuten waren 4 Mannwerk Reben total verwüstet, einem Holzschleif ähnlich.
Aber daß Maß seines Grimmes war noch nicht voll. Er stürzte sich in die Häuser neben der Kilchstiege ( Chilchestäge), in’s Thorberghaus und in das des Jean Samuel Zigerli, drückte in beiden die Küche ein, füllte Stuben, Unterhaus und Keller mit seinem Inhalt an und tötete den Jean S. Zigerli, der, durch eine innere Treppe vom Unterhaus kommend, oben überworfen wurde, indem der Strom die Thüre gegen die Kirchstiege eingedrückt hatte. Er hinterläßt 5 unerzogene Kinder, von denen einige, die zufällig in der Stube sich befanden, auf keine andere Weise aus dem Hause gebracht werden konnten, als mit einer Leiter zum Fenster heraus.
Hier unter seinem Hause stand der Schutt 7 Fuß und 7 Zoll hoch.
In der Dorfgasse angekommen, theilte sich der Strom rechts und links die Gasse entlang und den Graben hinunter der Straße und dem See zu. Die Ströme der Gasse 242 füllten die Häuser unten an, drückten Thüren ein und hätten das Vieh ersäuft, wenn nicht beherzte Männer sich in’s Mittel gelegt und die armen Thiere ihrem gewissen Tod entrissen hätten. So in Tischler Begré’s Haus und im Stalle der Wirthshausscheuer, wo der Stallknecht Schneeberger mit wahrer Aufopferung einer Kuh das Leben gerettet, da der Strom die Hintere Thüre auch eingesprengt, die vortere zugeworfen, in dem sich immer mehr anfüllenden Pferdestalle sich der Knecht bis in den Bahren flüchten mußte, der Kuh mit einer Halfter den Kopf emporhallend, bis auf seinen Hülferuf durch’s Stallfenster Männer erschienen: F. Cortaillod und G. Beljean, die mit einem Sparren, dann mit einer Axt die Thüre zerhieben und die Gefangenen befreiten.
Der Schutt lag hier 8 Fuß und acht Zoll hoch.
Weiter hinunter bildeten sich keine großen Bäche mehr, wohl aber litten die untern Eichholz Reben bis zum Cormetanwegli mehr oder weniger starke Verrinnung, herwärts bedeutender als abwärts, indem das Gewitter nach und nach aufhörte.
Es bleibt uns noch ein fünfter Strom zu beschreiben, der an Größe, nicht aber Verheerung dem ersten gleicht. Er ist der, welcher aus den Reben unter der Vesti durch den Graben von der Scheibe (Schịịbe), das Scheibenwegli und vom Durchbruch bei der Kirche den Karrweg herunter sich ergoß.
Schäumend, Erde und gewaltige Steine mit sich führend, tosete dieser Strom daher, riß stellenweise den Karrweg auf; ein Stück Mauer von Johann Grabers Clos de Rive Reben stürzte, und die Masse warf sich gegen die Schützenhaustreppe. an deren Thüre sich drei Knaben: Adolf Christen, Jakob Pillu und Gottf. Züttel, auf dem Heimwege übereilt, angeklammert hatten. Sie wurden mit dem stürzenden Stiegengehäuse fortgerissen, einer bis zur Linde im Kalkofen, Christen und Pillu aber in den See geschwemmt. Alle drei waren gequetscht, Christen am gefährlichsten, doch alle am Leben.
Beinahe alle Häuser vom Kalkofen bis ins Loriol wurden im Erdgeschoß entweder verschlammt oder mit gröberer Erde 2-3 Fuß hoch angefüllt; so das Haus der Witwe Burkhardt, Gabriels. Das Kellerhaus, die Häuser des Zimmermann Pillu, Maurer Zigerli, sämmtlich in der Mittlern Reihe, und von der untern Reihe besonders die Häuser des S. Beljean, Sohn, Schlosser Teutsch und Alfred Burkhardt.
Am meisten angefüllt war die Scheuer des Abr. Santschi: 3 Fuß 9 Zoll hoch, und die Thiere mußten von oben herab aus dem Stall gerettet werden. In seiner Schmiede (Schmi̦tte) vor der Scheuer gieng der Schutt bis an die Eß, und der Feilenhauer-Geselle flüchtete sich zum Kamin hinauf.
Im Ganzen litten im Bezirk Ligerz mehr oder weniger große Beschädigung über 700 Grundstücke, die Häuser inbegriffen, mit einem eidlich geschätzten Schaden von nahe an 50,000 Fr. alte Währung.
Zehn Tage lang wurde mit vereinigter Kraft und fremder Hülfe gearbeitet, die Straße, die Dorfgasse und die Häuser zu räumen, und noch blieb viel Arbeit übrig. Alle nur verfügbaren Plätze wurden zur Aufhäufung der Erde und Steine benutzt, die Straße zu beiden Seiten durch das Dorf mit hohen Wallmen versehen, was auch bis weit gegen Schafis hin geschehen mußte.
Noch blieben viele merkwürdige Einzelheiten zu beschreiben; so z. B. wie der Strom in der Gasse hinter der Wirtshausscheuer einen dort angestellten Sandstein von mehr als 3 Fuß Länge. 2½ Fuß Breite und ½ Fuß Dicke fortschwemmte, ferner einen Weinzüber aus In. S. Zigerlis Unterhaus mit vielen Flaschen verzapftem Weine abwärts die Gasse entlang unter Gaberels Haus brachte; wie ferner ein schwerer 243 eichener Holzklotz vom Brunnen im Kalkofen bis fast ins Loriol die Straßen abwärts, und endlich ein tannener Trämel aus dem Karrwege weit gegen Schafis hinauf schwamm; wie man mit Leitern in die Häuser und aus denselben steigen mußte, weil die natürlichen Eingänge verschüttet waren. ...
Aber dankend sollen die Hülfeleistungen näherer und entfernterer Ortschaften: Twann, Geicht, Wingreis, Tüscherz, Alferme, Vingelz, Gerolfingen, Täuffelen, Neuenstadt, Erlach und Pregelz anerkannt werden.
Solche «praktische Anwendung des Christenthums» im Namen dessen, «der auch eines Becher Wassers, dem Mitbruder gereicht, nicht vergißt», verdankten in dem kernhaften Schreiben vom 25. August 1851 Namens des Einwohner-Rathes der Präsident David Gall, der «Sekretär» J. K. Rakle.
Im Juni 1886 suchte abermals ein Gewitter die Weinberge am See heim, das seit dem oben beschriebenen furchtbarste aber am Pfingstmääntig: 16. Mai 1921. Die neue Katastrophe schildert ein Augenzeuge 4 wie folgt:
Es ging gegen fünf Uhr abends. Einer meiner Begleiter arbeitete in seinen Reben, als eine plötzliche elektrische Entladung ihn zu Boden warf. Und dann ging’s los. Direkt über die Crête des Berges kam das Unwetter und überschüttete eine Stunde lang das Gebiet von der Ligerzer Kirche weg bis Schernelz mit sindflutartigem Regen, untermischt mit Hagel. Das Dorf war fast vereinsamt; alles arbeitete in den Reben, als das Verhängnis hereinbrach. Von allen Seiten eilten die Leute herbei, und dabei raste und tobte das Unwetter derart, daß sich von der Halde herab eine wahre Sturzflut, mindestens 50 Zentimeter hoch ins Dorf ergoß und es in angstvoller Qual aus den Häusern und durch die Gassen gellte: Der Bärg chu̦nnt! Der Bärg chu̦nnt!
Man kann sich von den Verheerungen des entfesselten Elementes nur eine Vorstellung machen, wenn man sie gesehen hat. Der Anblick des verwüsteten Geländes macht das Herz schwer. Die herniederrauschenden Wasser haben ganze Stöcke mit den Stickeln weggeschwemmt, halbmetertiefe Furchen der ganzen Halde entlang aufgerissen, die Abzuggräben meterhoch ausgefüllt und zugedeckt, Mauern eingedrückt und andere zum Wanken gebracht, die Straße von Tessenberg in grausiger Art aufgerissen und mit Sand und Schutt zugedeckt, und auf der ganzen Länge des Niederschlagsgebiets, namentlich da, wo schon zum zweiten Male gerührt worden war, allen Humus weggeschwemmt und an seiner Stelle Geröll, zentnerschwere Steine und Unrat gesetzt. Ein grausiger Anblick. Am schlimmsten muß das Wetter unterhalb Schernelz gehaust haben. Dort reiht sich Furche an Furche durch den ganzen Rebberg metertief, und unten an der Straße liegt eine herabgeschwemmte Schuttmasse, deren Abführung tagelange Arbeit fordert.
Überall trafen wir Leute, die bereits wieder mit nie wankendem Mut und allem Unheil trotzender Unverdrossenheit ihrem mühesamen Tagwerk im Berg nachgingen, Schutt abräumten, Gräben säuberten. Ihr nächstes wird sein, sobald es geht, den heruntergeschwemmten Humus wieder hinaufzutragen, neue Stickel zu stecken und damit unverzagt die schwere, schon einmal getane Arbeit noch einmal vorzunehmen. Und wenn dann, nachdem die Verwüstungen wieder verschwunden sind und die Schreckensstunde einmal vergessen ist, der Bärg wieder chu̦nnt!
244 Es ist eine harte Fron, des Rebbauers Los, und doch haftet er mit Leib und Seele an der Scholle; er teilt mit ihr des Wetters Gnade und Unbill und empfindet es fast als körperlichen Schmerz, wenn der Elemente Wut sie heimsucht...
Die Kantonsstraße im Dorf Ligerz ist stellenweise bis aufs Steinbett aufgerissen, aufgeschwemmt und auch wieder mit Sand und Schutt überdeckt... Der See bei der Länti zeigt noch nach drei Tagen eine schmutzig gelbe Farbe. Dort liegen wohl Hunderte von Fudern Erde, die die stürzenden Wasser vom Berg herunterrissen.
Auch die Reben von Twann haben etwas abbekommen. — Leider gibt es für solche Schäden keine Versicherung. Den Rebleuten bleibt einzig und allein ihre Kraft, auszudauern in der harten Arbeit und immer wieder ihre Scholle mit den dort ausschließlich gedeihenden Reben zu bebauen (s. u.), wie ihre Ahnen getan. Es liegt in diesem Mut eine seelische Größe, an der man nicht ohne hohe Achtung vorübergehen kann.
Als wir vom Berg herunterstiegen, da gewitterte es über dem obern Seeland schwer, und gegen Neuenburg stand eine schwere Wolkenwand. Mit einem gewissen Fatalismus sahen die Leute in das neuerdings drohende Unheil. Und es kam, acht Tage wartend.
Ein neues Unwetter ist am 23. Mai über das Rebgelände am Bielersee niedergegangen. Wie die Wildbäche stürzten sich die Regenfluten in den Reben von Alfermé, Tüscherz, Twann und Ligerz. In Alfermé schoß ein kleiner Strom die Tessenbergstraße herab. Auch beim Bären in Twann wurde Geschiebe angehäuft, und die Burggasse glich eine Zeitlang einem wilden Bergstrom. Arg gehaust hat das Wasser auch in Bippschol und Ligerz, während die Reben von Schaffis so ziemlich verschont blieben.
Der Schaden beider Unheilstage wird nicht mehr zu reparieren sein.
Aber auch jetzt — schrieb am 24. Mai 1921 Pfarrer Herdi in Ligerz 5 — sind die Leute — Sie kennen sie — nicht erschüttert. ... Sie sind bekümmert, aber nicht trostlos. ... Sie wissen wohl, daß der Peregrinus, 6 der das Unheil des 16. Mai brachte, im Volksmund hier Bäregrin͜d heißt?
1
Herbst-Rödellein.
2
Abgedruckt im «Seeländer Boten» 1921, 116 f.
3
Die genauen Dialektnamen dieses Berichts folgen im Wortregister.
4
Redaktor O. H. (Husy) im «Bieler Tagblatt» (und «Seeländer Boten») vom 19. Mai 1921.
5
Dem wir auch die Vermittlung der Bieler Berichte von 1851 und 1921 verdanken.
6
S. u.
Heilig.
In ungezählte Formen kann des Wassers wohltätiges wie schreckhaftes Element sich kleiden: in ätherischen Dunst und in des Hagels Chĭ̦selstäine, 1 die, aus des Himmels schwarzem Gewölk mit messerscharfen Ecken und Kanten herniedersausend, liibermä́nts alls verhagle u verhaaghụtte u verchrụtte und z’Chrüppels schlöö und verchäibe (vgl. Ins 67). Ein solcher Hagel, der durch keinen Hagelableiter 2 und keine Hagelkanonen abg’wehrt werden kann und höchstens durch Versicherig sich einigermaßen wett machen läßt, fiel in den Jahren 245 1657 (zweimal), 3 1747, 1748 ( wi Baumnuß), 1784 (fürchterlich), 1786 (Li. bis Tü.), 1804, 1806, 1809, 1810 (12. April uf de hin͜dere Bärge), 1855, 1868, 1870 (Li.), 1882, 1883 (Li.), 1892, 1900 ( An no Nụ̈ụ̈nhundert, am 27. Juli zwischen Vg. und Alf.), 1901, 1902, 1915 (am 25. Juli und Ende August zu Tü. wi Haselnuß, am 3. August zu Erl. und Ins). Bereits lin͜di Beeri litten natürlich weniger als no herti: si häi na̦a̦g’gää.
Am 17. Mai 1921, also einen Tag nach der ersten Heimsuchung der Seebụtze, ergoß sich über die Äänerländer, zumal die Jäißer, ein Abendgewitter mit Hagel. Bei der Wirtschaft Weber lagen die Körner einen halben Meter tief im Chällerhals, und noch am Mittwoch abend lagen deren ganzi Wälm um die Häuser. Gemeindearbeiter mußten vom Herrewald weg über den Underbärg bis ins Dorf hinab den Weg wider z’wägmache.
Einen Monat vorher, am 18. April 1921, hatte der starke Nachtfrost die seeländische und baslerische Kirschenernte so ziemlich vernichtet, auch die frühen Birnen, sowie die Frühgemüse und die Weinberge stark geschädigt. Die Ernte links des Bielersees ward bereits durch den Nachtfrost vom 16./17. April wenigstens zur Hälfte vernichtet. Das übrige besorgten jene Maitage.
Unzịtige Schnee, am 17. Oktober 1730 wohl eines Werkschuhs 4 hoch, am 11. September 1774, 5. April 1775, September und Oktober 1809, Herbst 1867 bodiget junge Pflanzen und isch im Stand, durch plötzliche Belastung Bäum ụụsz’wü̦ü̦rze. 5
Es cha nn bi̦ckelhert g’froore sịị — wenn der See nid g’friert (Erl.: g’früürt) u der Bode schëën mit Schnee überdeckt isch, verfriere d’Räbe nit (Erl.: ni̦i̦d). Sie vertragen noch 0/ 12 C, und obendrein kommt ihnen der Untergang zahlloser Parasiten zugute: Gjätt, Pilze, Raupen, Schnägge, Mụ̈ụ̈s. Im Notfall lassen sich übrigens für besonders sicherungsbedürftige Stöcke Frostschirme anbringen, sei es auch nur ein weiblicher Riesenhut us der G’rü̦mpelchammere. Wenn dagegen der See g’friert und damit auf eine lange Kälteperiode deutet, dann können bereits 0/ 10 den Weinstock tööde. Er verdrochchnet und spaltet und stirbt ab, wenn es nicht gnädiger abgäit mit Zerstörung der Saftgänge, Hinausdrängung des Sạug, uuf- und abspränge der Rinde; also mit dem Chrebs oder Mager. In solchem Falle mögen Stöckụụsschleeg, welche un͜der uusschlöö und sonst als Räuber beseitigt werden, sich zu neuer Nachzucht bieten. Besonders trocken kaltes Frühlingswetter (von 0/ 9 wie am 13. bis 16. 246 April 1913), wo’s zwischen ine aafoot ụụftaue oder ụụfdue, schädigt die Reben wenigstens derart, daß sie chrụụs wärte und d’Schößli abfalle oder si ch rööte, wi wenn d’s Füür d’rüber (dḁrtu̦u̦r) wäär. Besonders gefürchtet sind die Mäiefröst, zumal wenn sie mit raschem Temperaturwechsel zusammenfallen, der gewisse Pflanzen zum Blühen lockt. Wenn d’Wịßdörn blüeije, so verfriere d’Räbe gärn. Dabei werden in denkwürdiger Abweichung von der landläufigen Meteorologie die Eisheiligen: di chalte Helde (Tü.) oder die drei böse Buebe umgangen. Die letztern sind übrigens nicht sowohl Mamertus, Pankraz und Servaz (11. bis 13. Mai), oder die letztern mit dem «Peregriner», wenn nicht der bösen «Sophie» — als vielmehr Georg, Albrecht und Markus (23. bis 25. April, vgl. S. 237).
Georg und Marx
Bringen viel Args.
Die Chronik nennt eine Reihe solcher verderblicher Frostjahre, wie 1758 (am 16. Oktober 1 Zoll Ịịsch); 1775; 1779; 1798 (28. August: «Wenn es nicht bald eine Bodelin͜di gibt, so machen wir nicht mehr Wein als fern», fäärn, in Tr.: fäär n-t); 1805 ( u̦f Zü̦ü̦bere ½ Zoll Eis am 1. November); 1826 (am 21. März alle Stöcke getötet, die nicht uf e Chnopf g’schnitte g’si̦ sịị); 1830 (eine Kuh ging am 28. Januar über 12 Zoll Eis sicherer als u̦f em Land); 1854; 1862; 1873; 1881; 1882; 1883; 1885; 1893; 1897 (am 15. Mai die bereits 1 dm langen Schoße verbrüeijt); 1910 (11. Mai: der Räste dem falschen Meltau aufgespart); 1913 (am 12. bis 14. April 0/ 5. Viele Stöcke hatten die inneren Auge verchröpft, so daß sie nicht mehr austrieben und nur magere, unfruchtbare Rebenaugen boten).
Stürme schädigen, selbst wenn sie chụtte, ụụschutte, ụụschụtze, horne und die Fensterladen zum gi̦i̦re, rụgge und ru̦u̦re bringen, den Weinberg nicht direkt. D’s Gŭ̦́nträäri (ds Gäägedäil): wenn d’Bịịse wi d’s Bịịsewätter bei trockener Zeit durch die Weinstockreihen pfi̦fft und einen tüchtigen Du̦u̦rzụụg bewirkt, so bloost daas eine unglaubliche Masse perfid versteckter Schädlinge weg. Eine Gewalt allerdings, welche, wie am 5. Dezember 1760, bei 500 Twannwaldtannen fällte, 6 und am 22. Oktober 1806 Bäume und Dächer zerstörte, brachte am 2. Dezember 1806 auch die Seemụụre zwischen Bippschol und Ligerz zum Einsturz und verursachte im November 1841 eine 14tägige Räumungsarbeit an Steinen, welche der Wind von der Inselmụụre weggespült hatte.
247 Ungern gesehene Windrichtungen sind der Frịịbe̥rgluft und der Albluft ( S. 3). Beide bringen den Rootbrenner (s. u.). Der letztere hieß darum ironisch der Bräntedreeger. 7 Man schützte die Stöcke vor ihm, indem man ihnen auf der Südseite meh Laub g’loo het. 8
1
Kluge 188.
2
Irlet in Twann erwarb 1825 einen solchen für 28 Kronen.
3
KJB. 4, 105.
4
Schwz. Id. 8, 487.
5
Irlet.
6
Herbst-Rödellein.
7
Fäsi 6 (1768).
8
Ebd.
Ein Weinbergstück zu Tüscherz ertrug im Jahr 1915 nicht weniger als 24 ( hundertli̦trigi) Zï̦ï̦ber vom Mannwerk. Das war allerdings hauptsächlich mit Elsäßer besetzt. Auch die Hälfte dieses Ertrags, von Elsäßer- und viel Gutedel-Reben gespendet, konnte den gleichen Wert repräsentieren. Allein selbst ein Ausmaß von 8 Züber, wie streckenweise zu Twann 1920, ist selten. Eines bis zu 5 Züber hinab verdient das Prädikat sehr guet; und wer 4 Züber erntet, sagt mit Recht: es het no doll, es het no stịịff uusg’gää. Oordeli, oordlech het ’berchoo, wer eine Mittelernte erzielte. Das ist du̦u̦r u ddu̦u̦r, alls un alls gerechnet, ḁ lsó ung’fä́hr drei Züber vom Mannwerk; dert ụmme springt’s, es wirt dert du̦u̦re rü̦tsche. Aber auch wer bloß 2, ja nur 1 Züber einheimste, erklärte angesichts des schönen Preises (s. u.): Mi̦ cha nn z’fri̦i̦de sịị, no z’rächt z’fri̦i̦de; oder aber: Es gi bt käiner zwe (Erl.: zwöö) Zï̦ï̦ber nit! Jedoch: Mi mueß dänk z’sfri̦i̦de sịị. Wer an der freudigen Beobachtung des Herbstes teil hatte, daß es um e̥ne Drittel meh ụụsgääb, weder daß mḁ g’mäint het, schloß auch als Besitzer einer Ernte unter dem Mittel sich dem Vergleich mit der bisherigen langen Mißjahrreihe an und rief: He nŭ̦́, es isch gä ng sëëvel (so viel)! Es het doch äntligen ämmel wider eppis g’gää! — sozusagen als Handgält für künftige bessere Jahre. Und mit echter Weinbauern-Kollegialität, aus tiefem Solidaritätsgefühl heraus bedauerte der Seebụtz die Neuenstadter und Äänerländer, denen auch das Weinjahr 1915 mit Hagel und mit Chrankhäit (s. u.) so übel mitgespielt.
Angesichts des größern Wertes eng lokaler Angaben notieren wir hier die Anzahl der im Twanner Buchsihụụs ( S. 203 f.) eingefahrenen Landfaß:
1694: bei 60; 1698: 45½; von hier ab Jahr für Jahr: (1699:) 66. 52½.? 42. 30 + 2 rot. 48 + 2½. 71. 52½. 61½. 18. (1709:) bloß 5 Säum. 40½. 79½. 82. 6. 37. 63. 60½. 55. 48½. 79. 50 (also 1719 trotz starkem Hagel). 89. 33½. 36½. 108½ (also 1723). 115 (1724) + 9½ rot (sehr gut). 45. 24½ (sehr gut: 1726). 134 (1727: gut). 95½. 70. 69½. 80½. 51. 38 (ziemlich gut). 49 (gut). 33 (gut). 39 (gut). 105 (gut). 22 (mittelmäßig). 85 (gut). 24 (1740: kalter Winter und Oktoberschnee). 28. 55 (gut). 60. 82½. 35. 38. 25. 53. 36. 46. 54. 97 (1753). 58½. 42. 61½. 46½. 10½. 23. 59½. 56 (1761).
248 Die hier mit dem Jahr 1761 abbrechende Jahrreihe ( hin͜der drịị 1781: 118 Faß) findet einige Ergänzung in den Angaben von Saum und Maß des geernteten Inselwịị von 1683: 540.67; 1760: 502.61; 1808: 492.74; 1827: 739.44; dagegen 1848: 53.24; 1813: 42.5; 1816: 16.50; 1817: 14.59.
Das Rebbuch des St. Johannsen-Guts verzeichnet in der Jahresreihe 1788 bis 1824 für Landeron als ganz besonders mager die Jahre 1809, wo der Zehnten (Tw.: Zähntel) einfach geschenkt wurde, und 1821, während 1791, 1795, 1808, 1820 sehr gut, 1792 und 1803 sogar glänzend ụụsg’gää häi.
Im Seebụtze-Gebiet überhaupt werden als qualitativ und quantitativ guet geschätzt die Jahrgänge 1746, 1815, 1834, 1846, 1893, 1904, 1906, zum Teil 1915. In beiden Beziehungen als gar guet: 1804, 1807, 1811, 1874, 1893 (nach zwölf Mißernten), 1898, 1900. Sehr viel: 1781, 1804 (in Ins der Zehnten 552 Züber). Sehr guet: 1859, 1865, 1893, 1898, 1911 (aber grụ̈ụ̈seli weeni). Viel, aber schlecht: 1847. Äxtra schlächt: 1816. Sụụr: 1829. Weeni u sụụr: 1805, 1809, 1871, 1879, 1891, 1912, 1913, 1914. So z’sääge nụ̈ụ̈t oder gar nụ̈ụ̈t: 1769, 1785 (Frost), 1786 (Hagel; in ganz Erlach 1 Maß), 1787, 1910. Da gab es in Twann aber doch von zwei besonders begünstigten Mannwerken — e Trị̈ị̈bel u fï̦fzääche Beeri!
Nur schon aus diesen Jahrzahlen und ihren oberflächlichen, aller Reduktionsmaße und aller Analysen entbehrenden Schätzungen lassen sich mancherlei Schlüsse ziehen. So neben der bekannten Vertröstung: es het gäng gueti u schlächti Johr g’gää, die Beobachtung guter Johrgangpaar: 1848 und 1849; 1858 und 1859; 1865 und 1866; 1868 und 1869; 1870 und 1871; 1893 und 1894; 1895 und 1896. Von diesen Paaren gi bt’s d’s erste Johr gärn guete Wịị, d’s zwäite vi̦ll. Man denke z. B. an den alkoholreichen Fịịfesächzger und den Si̦be̥z’ger als den feinsten des ganzen Jahrhunderts. Wie geht das zu? He, das chu̦nnt ḁ lsó: Stellt sich zur Seltenheit wieder ein anhaltend warmes und trockenes Sommerhalbjahr ein, in welchem der Schu̦tz («Schuß») oder Sạug (Saftstrom) ohne Unterbruch kräftig die Blätter, Blüten und Früchte durchkreist, so können die rasch entwickelten jungen Pflanzengebilde den Schädlingen (s. u.) voorwachse und damit u̦s de Zän͜d wachse. Die Trauben reifen vollkommen aus, und die unter ihrem Schutz gedeihenden Knospen speichern ungewöhnlich reiche Reservestoffe für das folgende Jahr auf. 1
1
Schaffner Fritz
Stucki in Ins. Einen grossen Teil unserer bisherigen und noch folgenden statistischen Angaben entnehmen wir dem außerordentlich schönen und reichen Tabellenwerk der
Rebbaugesellschaft Twann-Ligerz-Tüscherz, das an der Berner Ausstellung 1914 preisgekrönt wurde; sodann den Weinverkaufsrodel der Familie
Gerster in dem nun von Küfer
Krebs in Twann besessenen und bewohnten Haus.
Die weitere Beobachtung, daß über e Bank e̥wägg gute oder schlechte Jahre es für einzelne Gelände ni̦d sịị, ist ein wichtiger Faktor der Preisregulierung. Was gu̦lt (gälte, coûterait) der Drei- und Fụ̈ụ̈fenụ̈ụ̈nz’ger (von 1893 und 1895), der Nụ̈ụ̈nhu̦nderter (von 1900), der Sächser (von 1906) und der Endlị̆fer u Fü̦fzäächner, wen n e̥s nḁ an allne Orte z’Schwettine n-wịịs gääb? Es ist die B’sụ̈eche̥gi, die dem Kleinbauer wenigstens d’Chösten u̦mmegi bt und auch bei magerer Ernte ihn mit der Mathematik tröstet, daß drei mol sibe glịịch vil ist wi sibe mol drei.
Wie stand das früher? Da waren für den Weinproduzenten auch gute Jahre schlechte Jahre. E Hụffe Wịị u ke Gält! 1631 kostete e Maß Wịị e̥s Äier (ein Ei), 1608 im Waadtland 1 sol ( Sụ̆ụ̆), 1719 e halbe Chrị̈tzer. Wer im letztem Jahr drei lääri Faß het z’etlehnne g’gää, het e volls vergäbe z’ruck ’berchoo. 1426 het mḁn im Wi̦i̦rtshụụs un͜der äinisch zwo Mooß mï̦eße trinke, um mit dem Heller als der kleinsten Münze zahlen zu können. Da hat man wohl auch, wie noch später, der Wịị i Zï̦ï̦bere i d’Rääbe g’noo, um mit dem Gätzi statt mit dem Glas daraus zu trinken. An Geld erhielt man Anno 1301 einen Schilling für den halben Saum, 1399 für 4 Maß. Sehr guter Wein ward 1741 um 3 Kreuzer, der berühmte Eilfer (von 1811) anfangs um höchstens 17 Kreuzer ausgeschenkt. Desto mehr isch der Wịị ụụfg’schlage in Teuerungsjahren wie 1816.
Aber wie alt war der so hoch oder niedrig g’schetzt Wịị? Natürlich isch daas en ápropoo, ob er neu oder alt, un͜der der Rääbe als noch untrüelets Most mit dem Dräck, im Oktober als «Sụụser», im November mit samt der Truese, im Frühling ab’zoge verkauft werde, ob ferner in Nachjahren nach gutem oder schlechtem Blüeijet usw.
Wie der Tax (Thax 1804, vgl. «der» Preis) des Neuweins nu̦mme scho seit 1851 auf das Sechsfache ụụfe ’dri̦i̦be worten isch, zeigt abermals die bis auf 1782 zurückgreifende Tabelle der Räbg’sellschaft. Wie sprunghaft aber die Steigerung sich gestaltete — 250 wi̦ si̦ Schü̦tz g’noo het — zeigen schon die Ansätze gewisser Jahre zwischen 1851 bis 1915: 1851-1854: Fr. 9, 16.60, 30, 45; 1886: 18.50; 1873: 50; 1880: 56.50; 1893: 16; 1900: 10 bis 12 (Tschugg), 20 (Insel); 1901: 17; 1909: 38; 1911 bis 1915: 57, 35, 57, 48-50, zirka 50; im Mai 1918: di hange nti Äärnt z’Gri̦ssḁch 150 Rappen! ( Um fị̈fz’g u̦mme zirkuliert’s.) Die von den Frühlingskatastrophen 1921 verschonten Reben links des Bielersees gaben einen Rekordwein, der 75 bis 85 Grad nach Oechsle ’zoge het und als Most Fr. 1.70 bis Fr. 1.80 galt. D’s Roote gilt, gleich den Waadtländerweinen, ungefähr d’s halb meh (d. h. das Doppelte).
Interessant ist die Schätzung, welche die Berner Regierung in ihren amtlichen Weinpreisen von 1622 den Weinqualitäten ihres Gebietes angedeihen ließ. Da durften gelten: Der best Neus Thal und Lacôte 18 Chrü̦tzer; der mittelmäßige Wein von Äälen, Vivis, Lausanne, Morsee, Neus 16; der Wein von Yferten, Orbe, Grandson, Neuenburg und gleicherweise der von Ligerz und Twann 15; die «übrigen» Weine von Biel, Erlach, Insel, Tschugg, Gampelen, Weißenbach, Murten: 14 Kreuzer, d. h. svw. die des ökonomisch-politisch hinterhaltenen besten Waadtländerweine: alter Ryff Wyn 14 Krz., alter Landwyn 12 Krz.
So sprunghaft gestalten sich die Einnahmen d’Loosig. Mit unheimlicher Stetigkeit wachsen dagegen d’Chöste. D’Täglöhn betrugen für Unterhalt der Mụụre 1851: 1 Franken; seit 1903: 4. Schnịịde: 4. Heftermäitschi 3 Batzen (1827) bis 2 Franken (1915) und Essen, so daß nun das erbräche und hefte vom Mannwerk ( Manne̥rt) auf 3 Franken kommt. Läser-Lohn 1792-1794: 10 bis 15 Batzen; vom Manne̥rt zwischen 1851 und 1915: 3 bis 4 Franken. Dem Trüeler neben Kost per Tag: zwischen 1790 und 1794: 15 bis 18 Batzen. Ähnlich stunden z. B. 1825 di chlịịnne Taglëhn für die Bräntedreeger, Zehnder, Schi̦ffslị̈t und d’ Herbstchechchi für das Bu̦chsihụụs ( S. 203). Häärd trage vom Mannert: 1 bis 3 Franken zwischen 1851 und 1915. In den nämlichen Jahren für 100 Stöck z’gruebe (s. u.): 2 bis 8 Franken. So verdiente überhaupt, wer i d’Räben isch go daaglöhne — a’ n Daaglohn g’gangen isch — vor 1896 vom Mannwerk 75, nachher 80 (alte) Batzen; zwischen 1851 und 1915: 12 bis 32 Franken. So kam damals bei einer Arbeitszeit vom fụ̈ụ̈fi am Morge bis zum vernachte der durchschnittliche groß Daaglohn (ohni ässen u schlooffe) für irgendeine Rebarbeit ụssert dem spritze (s. u.), welches noch an͜derhalbe bis zwo Franke meh chostet, auf 5 Franken. Dazu bedangen sich aber unentbehrliche 251 Arbeiter noch d’s Oortinääri aus: so und so mäṇgi Fläschen im Daag, oder aber alli an͜derhalb Stun͜d zwei Mol der Chehr mache mit dem Glas (s. u. « Trinken»). Wie rasch ist so ein Arbeitstag verflossen! We nn mḁn öpperem am Daaglohn het, so schloot d’s Zịt gäng! Heutige großi Taglöhn (vgl. S. 222), aber ohni Wii: im Winter Fr. 8-10, im Sommer 10-12, spritzen aber 14-15.
Zu allem kamen aber erst noch die Materialkosten: der Bund (zu zehn Hampfele) abg’rüstets, flegeltrösche ns Roggenstroh als Heftstrạu: 50 (1851) bis 180 Rappen; der Zäntner 5 Franken. Es Hundert Stickel (früher allerdings aus Twann ganzi Wäge voll ins Neuenburgische geliefert) stieg von 2 auf 6 Franken, 1921: 16 Franken. Mist (Stalldünger): 30 Kubikfuß von 9 aus 16. 1921: Der zur Rebe gelieferte Kubikfuß Mist 1 Franken. E Wäidlig voll schwarze Härt vo Lüscherz zum chehre und schapponiere (s. u.) kostete 1828 1 Krone 20 Batzen. 1 Halschorb: 1829 10 Batzen, heute 5 Franken. 1 Rä bmu̦tz 1825: 5 Batzen: eine Schnịịdschääri heute: 7 Franken.
So erklärt sich, wie 1915 ein Vinelzer herausrechnete, daß der Liter Wịị äigets G’wächs ihn auf 3 Franken zu stehen komme. Solch gewaltig negativer Reinertrag bezifferte sich im Gebiet der Räbg’sellschaft, vom Mannwerk gerechnet, in den Fehljahren 1896, 1901 und 1902, 1907, 1909 und 1910, 1912 und 1913 auf Franken 19.50, 25, 10, 27.70, 22.30, 70.70, 15.20, 63.95. Ihm stand als positiver Reinertrag gegenüber in den Jahren 1859, 1861, 1911: Fr. 139.90, 109.70, 1.40. Damals also het mḁn eppis darvo g’haa; jetzt het mḁ müeße dru̦f legge.
Zum Glück sind das absolute Zahlen, die der echt seeländische, nicht von der öden und blöden Glịịchmacherei 1 des Achtstundentages angesteckte Arbeitsgeist mit sälber verdiene schwer oder nicht verdingbarer Taglöhne und mit sälber mache der einzig recht in die Hand dienenden Geräte in relative Zahlen umwandelt. Wo n e Heer mit de Hän͜d im Sack langisch verlumpet wäär u d’Stoorzen obsi g’streckt hätt, da ha̦ut der Seeländer mit dem Charst i der Han͜d u dem Sprü̦tzli uf em Rü̦gge gäng no du̦u̦r (Tw.) oder dü̦ü̦r (Ins).
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Es gibt Achtstundentage, die eine brutale Quälerei sind, Achtstundentage, die an Faulenzerei gemahnen, und Achtstundentage, die zum eisernen Bestand einer Geschäftsordnung gehören.
Der nüchterne Haushalter macht dabei den Spruch zuschanden: Wenn der Wịị wohlfäil ist, so versụ̆fft der Pụụr d’Chueh; ist 252 er tüür, so versụ̆fft er d’s Roß darzue. Oder: We nn der Wịị tüür ist, so verchaufft er d’Chueh, wen n er wohlfäil ist, no d’s Chalb darzue.
Wie die alten Ligerzer schon durch Not zur Enthaltsamkeit geführt wurden, zeigt ihr Pfarrer Uriel Freudenberger (1709-1768) 1 in seinem «Gutachten über die Bevölkerung des Kirchspiels Ligerz» im Jahr 1764. 2 Da führt er zunächst aus, wie die innert 29 Jahren von 150 auf 80 verminderten Hụshaltige (1764: 306 Einwohner gegen 436 im Jahre 1920) auch immer mehr an Arbeitskräften einbüßen, welche zur richtigen Kultur des bloß zum Rebbau geeigneten Bodens so nötig wären. Es gab innert zehn Jahren bloß 19 Trauungen und 86 Taufen neben 16 Beerdigungen. Die jungen Leute weilen eben bis auf volle Lebenshöhe bei den Eltern. So ersparen sie sich u. a. die Primizien an den Pfarrer (jährlich je 21 Maß Wein): familiäre Bodenertragszinse, welche sich durch gescheidtere Besoldungsart ersetzen ließe. So entfallen von den 1600 Manne̥cht Reben statt bloß 30-40, oft volle 60 Mannwerk auf eine Haushaltung. Die arbeiten darin zu jeder Zeit und Unzeit, schädigen den Ertrag und damit ihren einzigen Brotchorbb empfindlich. Die 40 Jucherte Wald müssen unangetastet die Reben vor dem Nordwind schützen, und der sehr einträgliche Ligerzerbärg im (damals fürstbischöflichen) Amt Erguel ist in Kuhrechtbesitze aufgeteilt. Allmänd ist keine; und weder für Handel noch Kunsthandwerk und Fabrigg ist Ligerz günstig gelegen. Einzelne Ligerzer wohnen als Rebarbeiter oder als Indiäne-Fabriggler im Neuenburgischen, um, wenn sie alt und arm geworden, u̦f d’G’mäin z’choo (abgeschoben zu werden). Wären nicht wenigstens die erstern z’ru̦ggz’rïeffe und in den leerstehenden Häusern, deren jüngst in Bi̦ppschól drei abgebrochen wurden, primizfrei anzusiedeln? Die würden auch die auswärts gelernte bessere Rebenarbeit im schnịịde, im «provnen» ( provigner), gruebe (s. u.) der heimischen lo z’guet choo. Denn die wird zwar «flüssig» ( flịịßig), aber schrecklich im alte Trabb geübt.
Wirklich kennen die Ligerzer Bürger nur Arbeit, mit der sie möglichst 253 lang si ch sälber du̦u̦re schlöö; allein die nüütnu̦tzigi Polizei der bischöflichen Nachbarstädte läßt Müßiggang und Bettel auch hieher dringen zu «drückendem Überlauf» des schönen und wohlverwalteten Kirchen- und Armenguts, das, wie noch in Twann und wenigen andern Orten, jeglichen Appell an die Obrigkeit unnötig macht.
Um das bei Regen schädliche Rebwerk zu hintertreiben und die Zeit voll ụu̦sz’nu̦tze, sollte angesichts der reichen Schafzucht am See und auf dem Dessebärg die häusliche Wu̦llespinnerei eingeführt werden. Männliche Beihilfe (z. B. durch verdraage) würde manchen abhalten, z’wi̦rtshụ̈ụ̈sele, den Wein no äinist so tụ̈ụ̈r z’trinke, wie er ihn verkauft hatte, und mit daheriger Lebensverkürzung die auch in andern Weingegenden so auffällig große Zahl der Wittfrauen zu mehren. Vielseitigeres schaffe würde gefördert, wenn es wenigstens einen Zimmermaa u Mụụrer, zwei Schnịịder u Schuester im Orte gäbe. Der den Winter durch forterhaltene Arbeitsgeist der Frauen und Mädchen aber würde die Klage verstummen machen, d’s Wịịbervolch well nü̦mme Räbe schaffe, sondern lieber die aus auswärtiger Anstellung heimgebrachte Hoffḁrt trịịbe. Wie schade, wenn der alte Ligerzer Arbeitssinn nachließe, der noch auf nackten Fels het Häärd ’träit und Bü̦ü̦rine (s. u.) am See errichtet, um noch e̥mene Stock meh Platz zu schaffen! Übernommen hat er sich allerdings darin, daß er sogar mängs Hụụs abg’schri̦sse het, um auf seinem Raume Reben zu pflanzen. 3
Wenn nun unser Gewährsmann von 1764 dem Rebarbeiterfleiß der Ligerzer die Praxis entgegenhält, den wohlfeil verkauften Wein tụ̈ụ̈r u̦mez’chauffe, so stehen sie ungefähr so da, wie nach den Pfarrberichten desselben Jahres die Dwanner, die Dü̦scherzer und die von «Alfermen», die Erlḁcher und Schu̦gger, die auch im «groben Schwören» nicht schwachen Eißer (Inser). Nach Walpertswil heiraten auswärtige Töchter gern, weil man dort auch den Frauen den Wein gönnt; und in Feisterhénne «gibt es auch noch Leute, welche die Mäßigkeit lieben».
Wenn aber Uriel Freudenberger heute lebte, würde er seinen Ligerzern das Zeugnis erteilen, daß sie mit vollwertig erhaltener Leistungskraft und Arbeitsbereitschaft sowohl Heimsuchungen, wie die S. 240 ff. geschilderten ertragen, als auch die in böser Weltkriegsfolgezeit fast erdrückenden Opfer für ihrers Bähnli (s. u.) auf sich nehmen, das sie einst in bessern Tagen aus der Verkehrsenge herausreißen wird.
Noch sind dort die alten, echten Rebleute heimisch.
254 Mehr als einer gäbe allerdings, wenn’s öpper wett, sị’s Räbli gärn für 200 Franken d’s Manne̥rt (⅛ Juchart). Tụ̈ụ̈rs Land un tụ̈ụ̈ri Arbäit! hieß es auch um 1782, wo am Bielersee mittelmäßiges Rebland 3000, bestes 4000 Gulden kostete. 4 Die nachfolgenden schlimmen Zeiten setzten allerdings die Marktpreise herunter, so daß wir sie zwischen 1851 und 1855 bloß 700 Franken gelten sehen. Dann erfolgte aber ein neuer Aufstieg: zu 800 Franken (1858), zu 900 (1864), zu 1000 (1869), zu 1100 (1874 und 1875), zu 1200 (1873), für Reben bester Lage bis 2000 Franken. Dieser Höhepunkt vo Chạuf u Lạuf wandte sich aber wieder dem Niedergang zu. Als im Nụ̈ụ̈nhundert (1900) ein schönes Rebgut von 5 Mannwerk zur Versteigerung kam, ward einer der damaligen rịịche Dwanner ermutigt, an den äußerst lä̆bte (lebhaften) Angeboten sich ebenfalls zu beteiligen, um seinen Besitz abz’runde. Schon waren fị̈ftụụsig Franke ’bote, als es ihn juckte, zu überbieten. Der ganz Saal voll richtete Aug und Ohr auf den Mann, der zum entscheidenden Wort die Lippen öffnete. Hoch aufgerichtet stand die von der hemmenden Stuhllehne befreite Gestalt; straff spannten sich die Züge, hoch rötete sich das Gesicht; es kämpfte in diesen Mienen, bis ein Blitz im Blick des Auges die Entscheidung der Gedankenschlacht verkündete; und es donnerte in den Saal hinaus: Wätter, Wätter, i̦i̦ ch nit!
Die plötzliche Ahnung künftiger Lage gab dem Manne Recht. So en iedere Stock z’vergu̦lde, das het si ch baal d nümme g’räntiert. In rascher Folge sank der Mannwerkpreis herunter zu den 270 Franken des Jahres 1913, zu dem noch tiefern des Augenblicks.
Das scheint allerdings ein Tiefstand zu sein, der im Seebụtzeland mit seinem fast bloß zum Weinbau geeigneten Jurasüdgehänge nur zu neuem Anstieg führen kann. Ein Anzeichen dafür ist die dringende Nötigung zur völligen Neuorientierung des ganzen schweizerischen Geschäftslebens im Gebiete auch der Nahrungs- und Genußmittelerzeugung, und zwar im bisherigen Sinn und Geist der Qualitätsproduktion zu dem Zwecke, daß möglichst vil Gält im Land blịbt. Wer inskünftig, ohne seinen Handel beweinen zu müssen, sich beweinen ( bewînen, go wịịne, Wein einkaufen) will, möge wissen, daß die Schweiz noch immer bei 30 000 ha, das Seeland noch immer gegen 300 ha Rebland bebaut, und daß die Schweiz ’s gar nid nöötig het, für 37 Millionen schlächts G’sü̦ff oder vi̦l z’tụ̈ụ̈ri Etikettenweine (darunter für fast 1½ Millionen Schaumweine) ịịne z’näh. Scharfe Überwachung der Einfuhr und Verbot des Chunstwi̦i̦ sind zwei erste Schritte zur Besserung. 255 Große weitere tun die Kantone Waadt und Bern durch finanzielle Unterstützung der notleidenden Weinbauern. D’Bärner Regierig gewährte ihnen 1911 langfristige Darlehen ohne Zins (an Twann Fr. 18 700, an Ligerz 25 350, an Tüscherz 15 350, an Neuetstadt 16 800, an Tschugg 6000). Sie unterstützt ferner die Pflanzschuel Twann (s. u.) zur Regeneration des Rebbestandes und übernimmt an die hohen Kosten des Chupfervideriol zur Rebenbespritzung, sowie an den Räbeschwäfel (s. u.) d’s Halbe. Die Twanner Burgerg’mäin ihrerseits zahlt die Grundstụ̈ụ̈r für die Rebbesitzer. So können die gäng u ggäng no fï̦ï̦rchoo. Und nur schon die örtlich beschränkte Mittelernte von 1915 brachte neuen Mut in die schwer geprüfte Rebmannschaft. Wer in den selten schönen Jänner- und Hornerdaage 1916 durch Weg und Pfad wandelte, sah allenthalben fleißige Hände alti Räbe chehre (s. u.), damit auch hier aus Ruinen neues Leben blühe.
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Pfarrer im Inselspital 1738-1747, in Frutigen 1747-1752, in Ligerz 1752 bis 1768. Hier ließ er 1760 die anonyme Erklärung der Wilhelm Tell-Geschichte als «Ein dänisches Mährchen» (d. i. eine Sage) erscheinen, was ihm polizeiliche Fahndung und die öffentliche Verbrennung der Schrift durch Henkershand zu Altdorf eintrug.
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Als Antwort auf elf Fragen an die Pfarrämter, durch welche die Berner Regierung anläßlich einer Volkszählung sich über den ökonomischen und religiös-sittlichen Stand der Pfarrgemeinden erkundigte. Den Ligerzer Pfarrbericht verarbeitete der 1921 verstorbene a. Regierungsrat
Alfred Scheurer (s. u.) in Gampelen 1920 in Grunaus «Blättern» zu einem lehrreichen «Kulturbild».
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Nunc seges est, ubi Troja fuit, zitiert Freudenberger hier
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Meiners 1, 201.
Wer nicht mit des Lebens Nöten gerungen hat, dem sind auch des Lebens Freuden nur laues Spühlwasser. Wie der Trunk aus klarem Freudenquell erfrischt, das spürt er nie. Er ist kein rechter Kampfsoldat, ist bloß ein Schlachtenbummler des Lebens. 1
Schmerzenreiches Menschentum 2 ist seit Jahrhunderten die Existenz des Rääbechratzer, dessen Bodenbesitz und dessen gesamte Lebenslage ihn zwingen, sị’s ganze Gäärstli i d’Räbe z’g’heie und mit deren Pflege sị’s Läbe z’mache. Das heißt in vollem Wortsinn: es schwäärs Lääbe du̦u̦re mache (du̦u̦re fïehre). Denn auf halbe Menschenalter verteilt sich das Heben und Sinken der Schicksalswaagschalen, das der Wịịbụụr mit den Sätzen kennzeichnet: D’Räbe zieh äin’ ab bis uf d’Hemm dli, und de nn legge si äi’m o wider e halblịịnigi G’chläidig aa. Oder: d’Räbe zieht dem Maa d’s Hemm dli abb un läit ĭhm wider e Mantel aa. Oder (Erlach, Gals, Ligerz): D’Reebe zieht dem Maa d’Chu̦tten abb un läit ihm u̦mmḁ n äini aa. Flacher: D’Reebe zieh der B’sitzer abb; aber si legge ’nḁ u̦mme waarm aa.
256 Die Varianten lassen durchblicken, wie bis zum Herbst 1915 mit dessen beschränkt lokaler Wendung zum Bessern die Fehljahrreihe links des Sees als eine geradezu katastrophale empfunden wurde und wird, während rechts des Sees der Ausfall größtenteils durch Betriebswechsel gedeckt werden konnte und gedeckt wurde.
Hier war und ist es also trotz den ebenfalls verdrießlichen Erfahrungen leichter als dort zu sprechen: Es hilft e käi Pfịfferling, äi’m (sich) Blätzen abz’jammere! I pfị́ffe der nid drụụf (emmentalisch: i pfĭ̦f der drụụf), daß du so mißmutig chụụderist (grollst). Düet dier d’Wält lo sịị, wi si isch, so chu̦nnts guet. Wozu die Rede: «Es isch mer erläidet (verläidet)! I schaffe wi der räinst Sï̦ndebock (Aschenbrödel), wi n en arme Sï̦nder, un es battet nịịt u b’schießt nịịt u het no nie nịịt b’schosse. I mueß mi ch verwäärchche (durch Arbeit zugrunde richten) und meine Existenz verlochche. Meine Reben heißen d’s Eeländ: sie tragen mir nichts ein als Fị̈flịịbertrëchcheni u Hitz. I mueß i de Räbe verräble. I cha nịịt erzwänge un ha no nịịt erzwängt, no nịịt ’zwunge (durchgesetzt).» Wär het dier dä n Idee («den» Gedanken) i’ n Chopf g’setzt, «es sịg alls i’ n Grundsbóden ịne verpfuscht und verderbt?» Und «dụ mị̈eßisch jạuste (hasten) wi n e Raxihun͜d un e b’hääbige (knauseriger) Gịzchrage, dem der Bĕ́nefịß (‹der› Gewinn) vo si’m G’schäft Chï̦mmi (‹Kümmel›) ịịtraag, daß er Gält z’frässe häig u si ch chënn ụụfla̦a̦ u si ch blääije wi n e fäiße r Chrott u̦f em Dï̦nkel un wi di alte Bärnerhe rre ( S. 208) e 257 Stuehl i der Chilche haa. Dä häimlich fäiß (verdrï̦ckt, schlaau) fremd Heer b’schu̦mmlet mi, wi n er chaa nn u maa g un pla̦a̦get (Erl.: bloggt) mi wäge Zahlerei, wen n ig ĭhm scho mängs Ja̦hr mi’s Mostli (Rebenertrag) g’gää haa, fï̦r ĭhm e ntggääge z’choo un (meinen Verpflichtungen) noo z’choo un ḁ lso’s mit ĭhm z’rangschiere. Är chënnt z’fri̦i̦de sịị ï̦ber mi! Un wen n i no meh Bächch haa mit ĭhm, de nn isch es de nn ụụs’tu̦backet!»
Warum sollte nicht ein schuldlos ökonomisch Erkrankter, wenn der letz̆t Nootchnopf doo isch, seinem Unmut in solchem Tone Luft machen?
Allein, die Grundstimmung des echten alten Rä̆bmḁ aus einer Zeit, wo no epper het mëëge Rääbe schaffe, ist das drum doch nicht. Als beredter Schweiger steht vor uns dieser Siebziger, dessen Handgelenk Näärve (Sehnen) wi Weschsäili aufweist und aus dessen abg’wätteretem G’sicht in eigenartig anmutendem Mienenspiel eiserne Entschlossenheit abwechselt mit entsagungsfähiger Sanftmut. Das sind Manne, die an der Seite gleichgearteter Frauen und an der Spitze geistesverwandt gebliebener Söhne und Töchter ein Geschlecht fortsetzen, dessen eine wirtschaftlich neuzugestaltende Zukunft dringend bedarf. Nature vo Ịịsen u Staal (Erl.: Staachel), deren alle Intelligenz und alle Sorgsamkeit auf den Plan rufende Arbeit sie Tag um Tag in anregungsreicher Spannung erhält, die letzten Fasern der Leibes- und Seelenkraft fï̦ï̦re zieht und u̦s enand nimmt. Gestalten sind das, deren Standhaftigkeit und Ausdauer, deren Ergebung in die Vorsehung und deren Dankbarkeit für jegliches Gute auch schon in schlimmen Krisen zu frị̈echere Zịte 3 ihnen het g’hu̦lffe du̦u̦rehạue. Aber si̦ erzäige’s nit; si rede nid darvo; si̦ hocken uf d’s Mụụl. Redet schließlich einer doch, so mag es lauten: Jää, d’Lị̈t sị eermer, weder daß mḁ mäint. Aber, käine r lạuft verhu̦dlet de̥su̦mme, u d’Chind gange ganz u sụụfer i d’Schuel.
«I de Hu̦u̦dle erzieht mḁ d’Bu̦u̦dle», sagt der Seeländer; das mäint: schlecht (d. i. schlicht) und recht sich durchschlagend erzieht man auch seine Kinder zu anspruchslos unverwöhnten Daseinskämpfern. Die «Hu̦dle» sind hier währschafte, allzeit ganze Arbeitsgewänder, die allerdings 258 vom vornehmen G’staat sich wie Lumpen abheben; und die Bu̦u̦dle (Einzahl: der Bu̦u̦del, das Bu̦u̦deli, etwas ganz anderes als der Pụ̆del) sind anscheinende Knirpse, an denen nụ̈ụ̈t wäär weder Mittelleib, 4 die aber als tapfere Arbeiter sich ausweisen.
In gleich harschem und herbem Verein von Humor und Stolz fährt der Existenzkämpfer fort: Es brụụcht niemmer d’Nase dri̦nn z’haa, daß mier o grï̦ï̦seli mïeße hụụse oder, besser g’säit: hị̈ị̈sele u chu̦u̦rz abbĭsse u nu̦mme Gaffee u Brot haa alli drei Mool im Daag u von äi’m Tag uf der an͜der luege, wi mḁ mëg g’schlị̈ị̈ffe un, we nn mḁn uf de Nesten u̦sse isch, si̦ ch wider b’chịịmme («bekeimen»). Aber mi mueß gäng drụf lós hoffe, u mueß hoffen u schaffe!
Aus solcher seelischen Spannung kommt ja überhaupt der Weinbauer nie heraus. Auch nicht, wenn die Reihe der Jahre, wo mḁ nid e̥mol fï̦r ihn (sich) sälber es băr Trị̈ị̈bel z’ässe ’berchu̦nnt, abwechselt mit solchen, wo n e̥s Trị̈ị̈bel gi bt, was mḁ ma g abru̦pfe; wo n es n-ieders Gri̦tzeli es schëëns, vollkóme’s Beeri gi bt und alle die Beeren ganzi Schwettine Wịị, wo kein Stock leer bleibt und der Rebmann zum Spruch begeistert wird: Só rächt! Wenn jede singt, so gi bt’s e guete Chor! Auch wenn solche Jahre verheißungsvoll sich aalöö: Mier häi ’nḁ no nit! «Zwischen Lipp’ und Kelchesrand schwebt der dunkeln Mächte Hand.» Bis nahe zur Ernte ist eine schlimme Wetterlaune z’ersoorge; und mi cha nn vo Gótt danke, wenn sie schadlos vorübergeht. Sonst aber: — He nŭ̦ so dee nn!
1
Gfeller, Geschichten aus dem Emmental 127.
2
Ebd. 151.
3
Meiners 1, 217 (1782).
4
Vgl.
Gw. 295.
«Du hesch doch sü̦st g’haa! U jetz nụ̈ụ̈t! Was isch mit dir? Was soll das sii? A bắ! Lueg, di̦i̦r chehren i der Nordpol!»
259 «‹Dụ Chchäibe Stock, dị ch ttrrääien i ụụs!›»
Jene aus bewegter Seele heraufgeholte Strafrede des echten alten Walpertswiler Rebmannes Jóni Christe, wie diese gegensätzlich rohe, mit einem Stu̦pf begleitete Apostrophe eines Seebụtz, galt je einem der Weinstöcke, welche bei Besichtigung der Gescheine (s. u.) erstmals die in sie gesetzten Hoffnungen nicht zu erfüllen versprachen. Was aber der Mann lut dänkt het, sagen sich seine währschaften Berufsgenossen hü̦bscheli.
Denn der echte Rebmann steht mit seinen Pfleglingen auf Du und Du: sie sind ihm schier gar Personen, denen bloß wegen ihrer überaus großen Zahl noch d’Nääme zu fehlen pflegen. Doch gibt es Beispiele von solchen. 1 G’chenne tuet er drum doch en iedere von ihnen. So rasch er bim schnịịde, sti̦ckele, erbräche, hefte jeden einzelnen Stock «erledigen» muß: es n-ieders Auge faßt er i d’s Auge. Er kennt eines jeden Alter und Art, Tragfähigkeit und Dauer, Empfindlichkeit und Launen.
Ke Wun͜der: ist doch die Rebmannsarbeit die individuellste unter allen Landmannswerken! Da läßt sich nichts i d’s Gĕ́neree, nichts ins blaue Allgemeine hinein abtun, wie im Ackerfelde, wo es heißt: e Härdöpfelstụde ist e Härdöpfelstụde; wie im Chleeacher, wo unter der rauschenden Sense Butz und Benz miteinander fällt: das zierlich rote Samtkäppchen und der mịggerig, nụ̈ụ̈tra̦a̦tsig Stängel. Denn nichts läßt sich mit irgend einer Máschine ausrichten. Selbst der Räbflueg, der zwischen den meterweit abstehenden Reie (Rángscheie, s. u.) der französischen Brachfelder die schwere Arbeit des Häcker vortrefflich ersetzt, hat im westschweizerischen Rebgelände mit einer dichtern Pflanzart ke Si̦i̦n n. Hätte nicht vor zwei Menschenaltern die längere Zeit als chrụ̈tzdumm verdammte Schnịịdschääri nach erbittertem Kampf das Rä̆ bmu̦tzli (s. u.) aus dem Felde geschlagen: die noch heutigen Winzergeräte (s. u.) könnten samt und sonders den Spötter an die Zeit erinnern, «als Noah aus dem Kasten war». Nicht einmal die elektrische Energie kann bisher (s. u.) dem Winzer als Chu̦mm mer z’Hü̦lf dienen; bloß das Liecht der Blitzkraft chan n ĭhm e chläi zünte. (Vgl. S. 273.)
Hä̆b Chopf! und lueg u̦f d’Fingere! lautet darum die allstündliche, allminütliche Selbstmahnung des zur konservativsten aller Arbeitsmethoden genötigten Winzers. Folgt er ihr nicht, so verchlage ’nḁ diese wehr- und hilflosen, mit dem Fuß im Boden wie in einem Block aag’chöttelete, aber die Ranken und Chrääile wie Arme 260 und Finger nach ihm ausstreckenden Kinder des Weinbergs. Sie sind ihm Anvertraute, Schutzbefohlene.
Nein, mehr: Gefährten des Lebens und darum auch Weggenossen des Todes. So jenem Twanner Eduard Gerster auf dem Kapf, der (1874) statt eines schablonenhaften Grabstäi und Rosestock sich einen währschaften Räbstock mit Trị̈ị̈bel auf sein Grab erbat. Der zierte denn auch lange Zeit, wohlgepflegt, die Ruhestätte des friedlichen Kämpen. Er redete von einem mannhaft nach voll vollbrachtem Tagewerk — wenn «mịs Mätteli g’määit ist» — vorgesehenen Tod. Was aber antwortete jener augenscheinlich vom Sensenmann ’zäichnet Ligerzer Sigrist und Totengräber ( Fritz Begré, genannt Schwịzer, † 1914) seinem Dokter, der höchst erstaunt ihn auf den Beinen und mit dem Stäcke als drittem Beine statt zu Bett antraf und launig anredete: Jä, waas, dier fụrt? dier stäärbet ja hü̦t!? «I ha nit der Wịịl z’stäärbbe; di Großi isch no nid g’sti̦ckelet!» Der Mann führte allerdings keinen einzigen Pickelschlag mehr; der Toohe (Erl.: Dooche) glomm letztmals eneersch auf und erlosch. Es blieb jenem das Lebensausmaß des andern Ligerzers Tắvi d Gall († 1907) versagt, der noch vierenụ̈ụ̈nz’gjährig de̥s umme g’schäichlet isch wi ’ne Junge. So arbäitet und tschi̦ggeret und fu̦ggeret (hantiert) fli̦ngg un tĭ̦fig und lü̦ftig (spielend leicht) noch mancher bloß um ein Jahrzehnt ärmere Seeländer und manch eine scheinbar oder wirklich rääßi (Erl.: rääzi) Rä̆bfrau (1774).
Eine Wäärchguege solcher Art war allerdings zu jeder Zeit wenn nicht selten, doch rar. Das mußte sich 1830 der Schaffner Wilhelm Irlet mit dem Bescheid aus Vivis bezeugen lassen: «Es seye sehr schwierig, einen geschickten Rebmann zu finden, der jede Rebarbeit genugsam kenne und zugleich ehrlich genug, um seine Kenntnisse und Erfahrungen jemanden anders mitteilen zu wollen, und der sich dazu notwendige Mühe gebe, jemand darüber genugsam zu berichten ( z’brichte), und der zugleich auch in Hinsicht seiner Moralität, Mäßigkeit [und Genügsamkeit] mit einer hinlänglich gesunden Kost zu empfehlen wäre.»
So vereinigten sich Oberland und Seeland zu einer gut ausgeglichenen Weingärtnerart, in deren Arbeitsweise sich Ausdauer und gegebene Eile nach dem Sinn der witzigen Sendung zusammenfinden: Es pressiert nụ̈ụ̈t, aber es sött scho g’macht sịị. Die Seltenheit guter Arbeitskräfte verlangt ein täglich regelmäßiges stramm dranne sịị, si ch darzue haa und si ch tụmmle; eine stille Erklärung: joo, es isch mer äärnst, und i ch bi n äärnst; ein chnụụste bis äänen ụụse (sich zu schaffen machen). Ab und zu pressierigi 261 Sache fordern hinwieder ein äxtra i d’Hän͜d speue und das scheinbar überhastende zwasple, fĭ̦spere, hụ̆stere und ju̦u̦fle, d’Sach jụụfle und alls verju̦u̦fle, alls im Ju̦u̦fel mache, wie in Wahrheit gern es rääßes Wịịb es übt. Zu solchem paßt nicht und versteht sich nicht der gäng im glịịche Trapp arbeitende schaffig, wäärchlig (verschieden von wäärklig, d. i. seltsam), g’wäärbig Maa, vielleicht zugleich ein Tröchchni, dem man alli Wort mueß ụụsezieh. Aber wie trefflich paßt der zum hacke auf einem Bode wi Flue, der zudem trochch isch wi Chääsers Fï̦ï̦dle! Sähe man den Kraftmenschen nicht mit dem Chaarst hin͜deraa ụụfzieh und mit einer Wucht nach dem Boden führen, daß es chrääschelet, man ließe sich durch seine Bedächtigkeit zwar niemals an es fụụls Tääsch, wohl aber an eine pläästig dicki Plattere erinnern, oder gegenteils an die Art eines dicken und kleinen Bŭ̦́mmerli, das seine Schrịtteli zellt.
An das u̦mme schloo 2 auf steiler Emmentaler Berghalde möchte den unkundigen Beobachter die Arbeit eines Häcker erinnern. Diese aus den hin͜dere g’litzten Eermel hervorwallenden Arme, diese mit Wunden und Winden (zumal der Bịịse) verketteten Schrämme (Schränne) und Chleck (Hautrisse) auf der nicht mehr glimpfige (g’schmäidige), sondern rööste (spröde trockenen) Haut scheinen auf rauhes und rohes drịschloo zu deuten. Allein, wie peinlich muß unser Mann, muß die an chrafte es ihm gleich tuende Frau Soorg haa, daß der sausend geführte Schlag keine der jungen Bollen abschlööi oder sogar einen ganzen Stock blin͜d mach! So exakt und brezịịs muß der Schlag grad auf diese von den Augen zuvor ersehene Stelle treffen.
Es ist dem Grade nach die gleiche Vorsicht, wie die später beim b’soorge der Fruchtranken (s. u.) geübte. Diese, namentlich ihre Blätter, sind i der Nessi, und zwar schon, wenn d’s Tạu dru̦ff li̦ggt (Erl.: lị̆t), vor jeglicher Berührung streng zu bewahren. Ja, bereits die Alkalizität der menses wirkt unter Umständen auf Blätter und Blüten der Reben (wie auf die Gartenblumen) nicht weniger zersetzend, als nachher auf den gegorenen Traubensaft.
Sobald es daher i de Räbe rạuchnet u ddämpft, ist das Arbeiten darin Gift. Alte Rebbesitzer kommandierten in solchen Fällen: U̦f d’Mụụre hocke! Oder sogar: Häi m! Dier verdienet mer meh, wenn de̥r im Bett li̦gget, als wenn der mer i de Räbe chaflet u mer d’ Blätter gälb (Erl.: gääl) machet! Wie schädlich 262 jegliches Hantieren im nassen Blumen- und Gemüsegarten ist, loot mḁ si ch g’säit sịị; wie schädlich es erst recht im Weingarten als des Winzers Brotkorb ist, het mḁ schịịnt’s vergässe. Und man wundert sich über die zunehmende Empfindlichkeit der Reben gegen ihre Krankheiten! 3
Aber manches Übel ließe sich durch sụ̈ụ̈ferli (Erl.: dụ̈sselig) mache (leise tastend zulangen) unter abwechselndem stoo und grụppe (kauern) verhindern? Warum nid gár! Das ist weder Rebmanns- noch Gärtnerart. D’Hüenner grụppe, aber d’Lụ̈t niid.
Für echte Winzersleute gibt es also, besonders wo man stundenweit entlegene Rebstücke zu besorgen hat — das günstige Wetter ängstlich auszukaufen. Wie leicht kann plötzliches an͜ders Wätter mit hụ̈tze und chụtte die trocken zur Arbeit Ausgezogenen pụdeldräcknáß heimschicken! Darum fort schon in der roten Morgenfrühe, ja noch i der chịịdige Nacht, wo mḁ no käis Chịịdeli g’seht, käi äinzigi (Erl.: enze̥gi) Broosme, käis Bröösmeli! Es sei denn, daß die Umstände vor em z’Morge ein Arbeiten in des Hauses Nähe gestatten. So ist das bei gutem Wetter ein du̦sse wäärchche von äi’r Daaghäiteri zur an͜dere, von äim Daag zum andere. Und so wird — ohne Gefahr eines Streik — der Arbeitstag zweimal achtstündig. Am Abend aber heißt es: bi̦ Zịten un͜dere! i’ n Choorbb! oder i’ n Chratte! Denn die Morgenfrühe ersetzt das chilte (die späte Nachtarbeit) des Handwerksmannes und der Hausfrau.
Das ist so festgelegte Rebmannsart, daß fast nur absoluter Arbeitermangel einem da und dort den traurigen Anblick einer verg’jättete und gänzlich ungepflegten, einer «abandonierten Rebe» aufzwingt, die ihr Eigner het lo g’heie, het lo verhi nlääßige. Wer die Leutenot manch eines wie ein Wild gehetzten Arbeitgebers nicht kennt, ist geneigt zu rufen: Wi het dää g’ändret! Dää dänkt nid vi̦l vo sịne Räbe! Dää isch schịịnts o am liebste dert, wo d’Arbäit scho g’macht isch. Er isch e Fụụlhun͜d oder doch e Glünggi, wo fụ̈ụ̈fi loot graad sịị un alls loot tschäädere. Är het’s wi d’Chin͜d im warme Heftet, wo gärn der Lammlinger ï̦berchämme (faul werden). Er verplampet oder verplämperet sị n Zịt. Es mangleti, ihm e Stu̦pf z’gää. Wirklich? Er hat es ja bei Nacht und Tage eilig. Er het’s gä́ng u ggä ng böös. Wer sieht ihn je schwerfällig cho z’drappe, cho z’tschalpe, cho z’schlaargge, wie der und die Drappi, Tschalpi, Schlaarggi (Tw.) tut? Wer auch hätte Grund, ihm zuzurufen: Dụ bisch jetz o dalpig! Was hesch 263 du für ne Tatze! Hesch öppe Dolpihändsche (Fausthandschuhe) aa?
Es ist also, wie in der gesamten Landwirtschaft, die Leutenot, welche da und dort ein Grundstück loot verhootschet ụụsg’seh. Es ist eine bekannte Rede: Es wott niemmer meh Räbe schaffe.
An einen Hauptgrund dieser Not scheint zu wenig gedacht worden zu sein. Jeder richtige Arbeitsmann sucht sicheres Auskommen Jahr aus Jahr ein. Das bringen ihm in normalen Zeitläuften u. a. Handel und Gewerbe. Darum wanderten auch Seebụtze in Masse ab nach Biel, wo ’s Summer u Winter z’verdiene ggää het oder sie holten dort sich Arbeit für dḁhäime z’schaffe. Die Rebarbeit aber bringt Ferien: kürzere vor em Läset, lange vor em Schnịịdet. Wie soll der beruflich gebildete Rebmann die mit Gewinn verbringen, wenn nicht mit Arbeit, die zu seinem Berufe wenigstens in einiger Beziehung steht? Da hat die Burgerg’mäin Dwann den rechten Weg zu beschreiten begonnen, indem sie durch winterlichen Verdienst in Weg- und Waldarbeit den rechten Rebmann ermutigt, auch im eigentlichen Berufswerk bi’r Spritze z’blịịbe, durch die ihm zur andern Natur gewordene Arbeitsamkeit schlechte Werkgenossen aber mitz’schläipfe. Es gilt auch hier, daß korporativer Haushalt nicht privates hụụsen ist.
So mag sich allmählich wieder der Zustand herstellen, wie für 1782 der Deutsche Meiners 4 ihn beschrieb: «Keine Weinberge werden so fleißig bearbeitet und tragen so gut wie am Bielersee.» Warum? «Auch der reiche Bauer arbeitet mit seinen Leuten und geht einfach, wie sie.» (S. u.) Dem Beispiel folgen selbstverständlich Dienste und Taglöhner und Ịịständ (Hilfspersonen) bis zum alte Hụsbäse («Huschääs»), der sị’r Läbtig zum Hausstand mitgehörte und durch den Takt, womit er im richtigen Augenblick äi’m e Han͜d aahett (Handreichung tut), mäṇgisch no chu̦mmlig g’nue g chu̦nt.
1
Vgl. Bitzius Predigten 7, 200.
2
Lf. 99.
3
Die 82jährige Twannerin Frau Gerster. † 1917.
4
1, 280. 322.
So sehen wir denn nach alter Weise an schönen Morgen, falls wir früech gnue sịị, hier einen Mann, dort eine Frau, wenn nicht ein Trü̦ppeli oder Paar zum Tagewerk ausziehen. Sie gangen i Pantschchläider, gut für e Pantsch, aber für bis am Oobe noch rein und ganz: ohni Pflaartsche oder Pflaatsch (häßlichen Fleck) und ohne einen gerissenen Dreiangel. Die Frau und Jungfrau trägt als Oberkleid den Schlu̦tti, der sie nid ängt und nid ịịduet, 264 in den sie auch leicht und rasch ịịneschlụ̈ft (Erl.: schlị̆fft) oder die wịti Blụụse, oder den Tschoope: den äxtra hergerichteten Räbtschoope, der rechts und links über d’Hu̦ft ab gäit. Den Anzug vollendet, wenn nicht d’s Fụ̈̆rte̥ ch, für besonders stark dem Gewand zusetzende Arbeit der grob tuchene Schu̦u̦rz, Rääbeschu̦u̦rz, dies sonstige Berufsinsigne des Räbmḁ. Der trägt unter diesem quasi Mantel, welcher, hinten mittelst möschiger Schnallen, Ringe und Haften zum ịịdue eingerichtet, Hose von Zwi̦lch oder Tri̦lch, wenn nicht ääberhụ̆tigi Chläider. Die sind für den Winter mit dickem Baarche̥t g’füeteret. Die männliche Kopfbedeckung ist ein Huet oder ein Tschäppi, Tschäppel mit Schirm, die weibliche der Summer-Huet oder aber der sehr charakteristische Chopflu̦mpe, der mit ịịg’läitem Chaartebapịịr zur Chappe gesteift werden kann. Jenen legge sị aa a häiße Daage, diesen binde si̦ um bei kühler und regnerischer Witterung. Wer Gotthelfs Elisi aus dem Heufuder zu spielen begehrt, hilft dem Anzug nach mit gwichste Schueh, für i d’Räbe.
Zum Auszug auf den Arbeitsplatz gehört ganz selbstverständlich der Häimḁtschịịn des Seebụtz: d’Hu̦tte. So charakteristisch dieser tiefe und schmale Rückentragkorb zum Härt und Mist trage durch den Halschorbb (s. u.) ersetzt wird: zum Mittragen jeglichen Arbeitsgerätes und Mundvorrates ist er unentbehrlich. Reizend ist es anzusehen, wie gewichtig selbstbewußt das rotbackige sechsjährige «Mannli» und das muntere gleichaltrige «Frạueli» das in passendem Maßstab verjüngte Traggerät für anvertraute Kumissione uf e Rï̦gge nähmme und, als berge es einen ganzen Staatsschatz, g’strackt dḁrmit dahär chämme.
Die Hu̦tte des Rebmannes birgt vor allem der Wäärchzụ̈ụ̈g in dessen Gesamtbedarf für das Tagewerk — zum Unterschied gegen das einzelne Wäärchzụ̈ụ̈g, das u̦f der Achsle oder in der Hand ’träit wird. Entsprechend der echt rebmännischen Oornig mit dem Wäärchzụ̈ụ̈g ist dää derart im Wäärchzụ̈ụ̈gchämmerli versorgt worden, daß er ihm blindlige (Erl.: bli̦nzlige) oder schlööflige entnommen werden konnte; mi̦ grịfft fịịsterlig drụụf.
Da aber der rechte Rebarbeiter hungerig wirt wi ne Wolf und Brot ißt wi n e Häärdtraager oder ässe maa g wi ’ne Drööscher (s̆s̆, «Tröösch»), wandert in der Hutte, wenn nicht in bloßer Hand, der Tagesbedarf auf den fernen Arbeitsplatz mit. Gehört hierzu auch das Mittagsmahl, so birgt der Lịịru̦m: das runde Chöörbbli (s. u.) auch die in Aluminiumgeschirr gefaßte Ggántine (Suppe, Fleisch, Gemüse), zu Hause vorbereitet und nun im Freien aufwärmbar mittelst 265 des Spritapparates, der ebenfalls mitwandert. Die Dechchle der Kantine werden kurzerhand jedem als sị’s Täller zugeteilt. Kleineren Bedarf für kürzere Arbeit faßt das aus Gri̦ß gefertigte Wattseckli (Waartseckli, s. u.).
in Bernertracht, die im Seeland
sonst nicht getragen wird
Unter Umständen verlegt man auf den Arbeitsplatz sogar das tịschiniere (s̆, nicht s̆s̆, weil der «Tischsch» noch nicht das « déjeuner» aus der Sprachkunde gedrängt hat), wie also auch das frühere z’Oobe, 1 das jetzige z’Mịdaag. In jedem Fall aber das z’I̦m bis, (z’I̦mĭ̦s): das (je nach der Arbeit auch im Winter genossene) z’Nụ̈ụ̈ni und das z’Vieri. Das Brot wird durch festes ịịlịịre im Broottüechli vor dem ụụsdrochchne und Bitterwerden bewahrt. Ein Strạufläschli, appetitlicher als das schwer zu reinigende alte Loogeli (s. u.), birgt etwa fụ̈ụ̈f bis zääche (Ins: zeeche) Lịter Hauswein (s. u.) für ein mehrhäuptiges Drü̦ppeli. Getrunken wird der eher aus holzigem Bächer als aus Glas, weil solches auf dem Transport gärn zerheit (Erl.: verheit).
Das ist des Seeländer Rebmannes und der Seinigen Sommerfeldzug. Er bietet uns den Anblick eines eigenen Schweiß statt fremdes 266 Blut vergießenden Eroberervolkes, von dessen Geistesgehalt der bummelnde oder autelnde Müßiggänger auf der Heerstraße wenig ahnt. Wer aber das «Volk» nicht in seiner zu strammem Pflichtbewußtsein, zur Nüechteri und zum — schwịịge langsam erziehenden Arbeit kennt, ist ein — vielleicht vieles wissender — Nichtswisser.
1
Gb. 381;
Gw. 496 ff.,
Ins 419.