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Trinken.

Aus dem Feuerquell des Weines,
Aus dem Zaubergrund des Bechers
Sprudelt Gift, quillt süße Labung,
Sprudelt Schönes, fließt Gemeines —
Nach dem eignen Wert des Zechers,
Nach des Trinkenden Begabung.

Mirza Schaffy.

I.

Vom Erlacher Schloßbärg sandte im Spätherbst 1526 der Dichter und Maler Niklaus Manuel als Landvogt von Erlach (1523-1528) dem Berner Rat ein Faß Wein und begleitete es mit den folgenden Zeilen. 1

Min fründlichen und ungeferbten gruos mit erbieten williger dienst sind üch zuvor mit allem vermögen libs und guots dargestellt! Demnach so wüssend, daß ich üch zuoschick ein guoten gsellen mit namen Immer 2 Wyn von Erlach, ein person von eim alten stammen, geschlecht und harkommen, welches 3 vater von seinem großherren und vater genommen und lebendig vergraben ward. Als der nun us wunderbarlicher mitwürkung des großen allmächtigen Gotts disen sinen sun mit zuotuon der fürsechnen muoter, in dem grab geborn, in der forcht des herren, gehorsame sines schöpfers, sampt aller zucht und eren erzogen, hat beide, vater und kind, merklich groß kummer, betrüeptnuß, schmerzen, angst, not, ellend und jammer erlitten. Es habend grob ufgwisen lüt mit isinen waffen aan 4 alle erbermd zuo inen geschlagen manchen starken streich, und sunders den vater im nechsten 5 vergangenen hornung, merzen und abrellen monet alle sine glider abgehouwen, 6 die ime der tröster aller betrübten mit syner unermessenlichen arzny, widerumb nüw fruchtbar mit mark, aderen, allen natürlichen inflüssen lebhaft, 7 kreftig und besser 8 dann vor ie erweckt hat. Als nun der sun vom vater und muoter in blüender jugend mit rechter sorgfeltigkeit erzogen und beschirmpt: 9 ist aber 10 ein grusamer schmerzbringender angriff uf sie fürgenommen und endlich verbracht: nämlich daß etliche wiber habend gelt genommen und inen vil irer glider abbrochen, die überplibnen gebunden an tännin fülen. Zuodäm so hand sie vor und nach müeßen stan jar und tag under fryem nackend, bloß und barfuoß den 456 meren teil im erdtrich bis über die weiche. Was sie da erlitten von kelte, schne, rifen, hagel, regen, wind, hitz und brenner, 11 gib ich üch selb zuo bedenken. Ich möchts vor großem mitliden nit alles beschriben. Und da sie vermeinten, aller not entrunnen, in sicherm Frid und rüewig sin, 12 do ist erst ein betrübter wulchenbruch des ungevells über sie gefallen; dann 13 ein merklicher starker züg 14 zuo roß und fuoß ist mit einem gächen sturm über zün und muren inprochen mit zuberen, küblen, gelten, prenten und hand mit gwalt, aan alle vorgende urteil 15 unerhörter sach, den frommen züchtigen jüngling dem vater us den armen, der muoter ab der brust frävenlichen entzuckt, beroubt und genommen, in ein hulzin kärker geworfen, mit großen knüttlen uf in gestoßen, dardurch im alle sin meriste heimlichkeit zerstunket 16 und zerbrochen ist. Als er nun so gar schwach und verstaltet 17 was, daß im vil nach niemand bekant, habend sie in uf ein wagen geworfen und als ein mörder usgeschleift uf die gewonliche richtstatt. Da hat sich erst die tötliche not erhept. Sie hand den tugendrichen, fründsäligen, liebgehapten fründ uf ein breit holz gelegt, ein schwer mächtig groß holz mit sonderem vorteil und breiten instrumenten uf in [gleit], zwen man darzuo verordnet, 18 die all ir kraft daran gestreckt hand, den unschuldigen zerpreßt, zerschmettert, daß weder mark, fast noch keinerlei 19 füechtigkeit in im beliben und wie ein dürre grieb 20 den unvernünftigen tieren und schweinen 21 dargeworfen; demnach sin vergoßnen schweiß 22 in ein vaß gesamlet. Also schick ich üch den not erlittnen 23 zu beherbergen. Doch sechend zuo, daß er üch nit ein duck 24 tüege, 25 so er ledig wurde. Dann er ist handvest und sorgklich, 26 eins frävlen 27 notvesten geschlechts, ein gesipter bluotsfründ des witberühmten helden Hansen von Vivis. Er hab erlitten, was er hab: hüetend üch! Land nit wer uf einmal in, denn ir wol mögend gewaltigen! Die jungen gsellen sind abentürig, stark und muetwillig.

Dise historien sampt angehenkter warnung hab ich üch schuldiger Pflicht noch nit wöllen verhalten. Hiemit sind Gott bevolchen. Datum zuo Erlach Zinstag vor Allerheiligen tag Im 1526sten jar. Niklaus Manuel, der üwer allzit.

 
1  Nach Prof. Dr. Vetters Abschrift in Bächtold XXXI f.   2  Vgl. St. Immer.   3  dessen.   4  ohne.   5  letzt. Vgl. got. gistradagis «morgen», ahd. êgëstern «übermorgen» und «vorgestern».   6  Bemerke den so späten Schniidet; vgl. S. 312.   7  Mit Leben «behaftet», lebendig.   8  Adjektiv: vgl. du bist «baas».   9  Ergänze: worden war.   10  Betontes aber = wieder.   11   S. 328.   12  Wie lat. und frz.   13  Dann = denn. Erst zeitlich, dann begründend: «dann ist auch zu sagen, daß...»   14  Mhd. der ziuc: 1. der Wäärchzüüg, 2. die Kampfrüstung. 3. die zum Kampf gerüstete Schar.   15  Die Urteil: die Rechts-Erteilung: das Urteil ( Uurtel): das erteilte Recht: vgl. S. 318.   16   verstungget: Bächtold las: zerstuckelt.   17  Zunächst wurde aus stellen: verstellen (1. verwandeln, 2. entstellen) und hieraus (wie aus decken: gedackt, aus wenden: gewandt usw.): verstalt, unverstalt ( mhd. Wb. 2, 2, 563. 565). Als adjektivisch isoliertes Mittelwort wurde daraus «verstaltet» und unser auffrischendes «verunstaltet». Vgl. die Stammform «Gestalt» und d’s Gstältli.   18  Vgl. die Trotte, S. 393.   19  kein = dehein: irgend ein.   20  Die Griebe = das Greubi.   21  Dem Rindvieh als Hauptgegenstand der Tierpflege (vgl. Tiergarten. S. 178, und Gb. 270) und den noch halbwild gehaltenen Schweinen. Vgl. Vieh «und» Roß. Gb. 141.   22  Blut, wie noch in der Jägersprache: vgl. des bluotes sweiß, der bluotes sweiß; die Harz schwitzenden Bäume, des Römers schwitzende Regenwolken: schweize und Schweizi. Verwandt mit sūdare und sūdor (suer, sueur) und südere.   23  Vgl. är ist ung’ässe furt u. dgl. (Er ging mir «ung’sägt» in die Sommerwohnung.)   24  Alte Einzahl zu «Tücke»: Stoß, schnelles und geschicktes Sichbewegen. hinterlistiges Tun. Vgl. «List».   25   tüei.   26  Besorgniserregend.   27  Ahd. fravali, frevili: kühn, stolz, verwegen, frech. Das darfst du fräveli säge!  
 

Die Weinprobe

II.

So lehrte der Künstler und Politiker seine Berner Herren den Weinbau würdigen und seine Frucht genießen. Im «hüetend üch» steckt eine 457 feine Art, dem ụụsschwäiffige Mißbrauch des Oktobert’hee, womit d’Cheerze ämmel a bäiden Orte mueß aazu̦nte sịị, der Zaum z’stecke.

Bauer aus Ins

Mit kräftigem Vorspann nietet nunmehr dem Vorkämpfer des sittlichen Verantwort­lichkeits­bewußtseins eine streng wissenschaftliche Lebenslehre, welche den Genuß geistiger Getränke und speziell des Weins auf seinen wirklichen Wert zurückführt.

Vor allem sagt sie uns: D’s Gäistige fueret ni̦i̦d, es weermt ni̦i̦d, es löscht der Tuurst ni̦i̦d, und es ist nur in gewissen Fällen ein Doktermittel.

«Fühlst du dich nicht wohl,
Trink ein Alkohol;
Fühlst du dicht nicht wöhler,
Trink zwei Alkohöler»

ist eine Weisheit von gerade so viel Geiwcht wie die Kunst einer Hausfrau, die mit dem «Soderich» ihres bis zum säuele versoderete G’chööch den Mann ins Wirtshaus treibt.

Daß Gäistigs Chraft gääb, bestritt in denkwürdigem Vorauserkennen der Twanner Pfarrer Bitzius, der doch das Glück der Geselligkeit in vollen Zügen kostete, zu einer Zeit, als noch keine Forschungen über das Wesen des Alkohols wissenschaftliche Aufklärung bot. 1 Was er bereits 1876 predigte, würde er als Twanner vor Twannern etwa in einem Volksvereins­vortrag wie folgt gesagt haben:

Der richtig Räbmḁ wäiß aber o so n es fịịns un edels G’wächs, wi das, wo n är pflanzet, u̦f rächti Art z’gnieße; ganz an͜ders weder die, wo chụụm wisse, oder wo gar nit dänke, wo n es här chunnt. B’sun͜ders dier, ihr junge Lịt! Dier glạubit schịịnts no gäng a di 458 faltschi Lehr, der Wịị gääb äich a Lịịb u Seel Chreft, wo de̥r susch nid häigit. Är mach e̥ch gschịịder. Är dieni äich am Aaben d als Wagesalb, wi de̥r däm säget, fi̦r daß de̥r am Morge drụụf bu̦sperer u stercher sịget fi̦r d’Arbäit. Hietet e̥ch jó vor däm Glạube! Nu̦mmen es äinzigs Glas oder no vil weniger ï̦ber daas ụụs, was äi’m wirklich guet tuet, stë̆ërt e̥ch i der Arbäit, schloot e̥ch si ch u̦f d’Gli̦i̦der, 2 nimmt e̥ch alli Lust un alle Muet zu regelmäßigem schaffe; u glịịchmäßig aanhaltig äiji Sach mache, das chënnet e̥r scho gar nimme. Gar nie gi bt e̥ch der Wịị e Chraft, wo de̥r su̦sch nid häit; g’chëëret er’s: gar nie! U wen n der g’spï̦ï̦ret, er tïej e Chraft in e̥ch no grëëßer mache, so g’scheht o dás nu̦mme zu ihrem äigete Schade: är zehrt an ere; er brụụcht si̦ gläitiger uụf̣; er stumpft si̦ ab. De nn mießt der si̦ ụụfjage mit gäng u ggä ng no meh Wịị. Dḁrmit wärdit er gäng schlu̦mpiger u schlu̦mpiger; der Schloof wird schwär wi Blei; u gäng täiffer u täiffer chämmet er i di Sälbstverbländung ịịne, es müeß dä Wääg fụrt goo. Z’létz̆amänt häit er’s de nn aafḁ wi ’ne Schintmähre: der äinzig Haber isch d’Gäisle. Frïecher häit dier Wii g’haa, jetze het der Wịị äich!

Un dier eltere Manne u dier Aag’sehnne i der G’mäin, wo wisset, daß vili ann e̥ch ụụfeluege: gäbet denen an͜dere es guets Bịịspi̦i̦l! Anstatt de Lịte z’zäige, daß de̥r’s häiget u vermëget, gënnet e̥ch min͜der, weder daß der e̥ch chënntet gënne! Dänket draa: Lị̈t häi me̥r un͜der ịịs, bi denen en iedere Tag mit Wịị ụụfhëërt u d’s ganze Läbe mit Wịị ụụfhëërt, un en iedere Herbst fïehrt si gäng wi̦der e Schritt wịter abe un͜der d’Wï̦ï̦rdi vo mene Mensch. Und däm luege mier zue wi we nn’s ï̦s nịịt aagieng. Wi n es Schwärt sëtt i̦s daas dur d’Seel fahre!

Auch hier, wie so oft im Leben, bestätigte den Praktiker die Theorie, welche den Alkohol als das seinem Namen nach 3 «feinste» Genußmittel den Nahrungsmitteln entgegensetzt als deren unter Umständen erwünschte Förderer bei der Einverleibung in «Fleisch und Blut». Und zwar teilt der Alkohol mit dem (unverfälschten) Gaffee, 4 dem gleiches Coffëin enthaltenden (chinesischen) T’hee 5 und dem immerhin auch nahrhaften Ggággao 6 die Eigenschaften nervoser Erreger, mit dem Opium 6a als 459 «Milchsaft» des Papáver 7 rhoeas 8 (Mắgsa̦a̦mme) 9 und sonderlich dem Morfium, des Schlafmohn ( Papaver somniferum), 10 ferner mit dem Haschisch 11 als den gekauten oder gerauchten Stengelspitzen des Hanfs (der Cánnabis sativa), 12 und namentlich mit dem Tụbáck bzw. dessen überaus scharfem Gift Nikotin 13 der Sị̆gaare und Sị̆garette, auch des ursprünglich vornehmen Knaster 14 die Eigenschaften nervoser Lähmer 15 oder narkotischer 16 Mittel.

Das bei richtigem 17 Gebrauch «Geeichter» harmloseste Narkotikum ist allerdings dieser Tụbáck (Li. wie mittelländisch und emmentalisch Tụ̆́back), 18 den man beim ersten Aufkommen wie den Wein «trank», indem man zur vollen Ausnützung des erst sehr teuren Krauts der Rạuch 460 geschlü̦ckt het. Heute bereitet es dem Tụbä́ckeler oder Tụ̆́bäckler mehr Vergnügen, als Neebler oder Nääbler (Li.) den Rauch malerische «Kringeln» ziehen zu lassen. Das ihre Betrachtung begleitende «Sinnieren» kann dieses «Laster der Alten» zu einer seelischen Beruhigung und Bereitschaft für neue Gedankenarbeit machen, während die «dumme Gewohnheit» der Jungen eine hoffentlich von kräftiger Gesetzgebung verpönte Schädigung der unerwachsenen Jugend bedeutet. Und sofern nicht taktlose, ja brutale Belästigung der Nichtraucher wohl gar durch «Stinkadores», Sauknaster, Sargnegel, Stinkbängel den Räukler unerträglich macht, ist das tụbácke oder tụ̆́backe, tụ̆́bäckle und chätsche a der ( Tụ̆́back-) Pfịffe gerade auch des alte Knatscher, der da gemütlich knasteret, erträglicher als das schnu̦pfe oder gar schi̦gge. Es braucht ja niemand mit seiner Bi̦llere, Bü̦ldere (Li.), Bi̦ldere, Bịlgere (Tw., Biel, Basel) in allzunachbarliche Berührung zu kommen.

Gleich wenig beim «Taback trinken», wie beim Gäistigs trinke. Die nahe Verwandtschaft Beider zeigt u. a. jene Probe von Kriegs-Esperanto an der Grenze: Sie mir geben Glụgg Glụgg, igg Sie geben Paff Paff. Und der Vielgestaltigkeit dieses letzten: antwortet die Mannigfaltigkeit des ersten: als «des armen Mannes Gläschen», des Vornehmen Freudenbecher als Sorgenbrecher, des biderben Bürgers Reisbiertopf, des behäbigen Bauers anständig umfänglicher Mostkrug. Innere Harmonie besteht freilich unter diesem Vierverband wenig; es gilt vielmehr auch hier der Satz: wi verwandter wi verdammter. Das Glas schämt si ch dem Glesli, wo dieses nicht in der Drappierung des Schwarze hoffähige Gestalt gewinnt.

Über die Bank weg aber sind die narkotischen Substanzen weit gefährlicher für den Organismus als die anregenden, und dabei viel verlockender. So auch der Alkohol nach seinem rasch verlaufenden ersten ụụfpeutsche des Nervensystems, und in seiner Gesellschaft der Tabak. Das zeigen beide schon in der Art, wie sie das dụụre hạue, dụụre p’hạuke einer Chranket hindern, ja nur schon dem si ch dụụre hạue durch eine Unpäßlichkeit im Wege stehen. Dieser Trinker und Raucher ist von einem Katarrh der Luftwege befallen: einem Flußfieber, einem Brätsch, einem Pfi̦ffi (wie aber in Tw. auch die Nagelabschnürung heißt); 19 mịṇ Gott, wie chụppet u mụụderet der Mensch, wie rütscht er u̦mma von äi’m Egge i’ n andere! Humpen und Stu̦mpe und Glas und Glesli sollen weiter helfen als die selben Tröster, bei denen «Sieger» und Besiegte nach der Weltkatastrophe 461 ein zeitweiliges Vergessen der für immer unaufhebbar scheinenden Misere suchen.

Stoßet an! Ein Hoch dem Elend! 20 rief ein Graf beim Abschied von seinem durch schwere Schuld verscherzten Heim, und auf solche Verzweiflungspolitik der alten Welt spekuliert das «praktische» Amerika. Um «trocken» zu werden, verschifften 1919 die Vereinsstaaten fast 27¼ Milliarden Liter 21 ihres «ungefährlichen» (giftfreien), «gefährlichen» und «guten» (teuren) Whisky nach Europa, dessen englische Medizinstudenten einem Abstinenzapostel häi es Auge useg’schlage. Die nähme ’nḁ schoo! hieß es drüben, und entziehen die halbe Regrụ̆́te als wurmstichig dem vaterländischen Dienst. Der Massenimport ersetzt die ehemalige private Brennerei großer Herren, angesichts deren es 1888 bei der Befürwortung des netten Alkoholgesetzes hieß:

Lern, lieber Sohn, das Leben kennen:
Sehr nobel ist es, Schnaps zu brennen.
Bedenklich schon, ihn zu verkaufen,
Ganz unmoralisch, ihn zu — —. 22

 
1  Predigten 7, Nr. 46.   2  Unübersetzbar trefflich (7, 369): schlägt eure Kräfte in Fesseln.   3  Arab. al kóhol: «das feinste» z. B. Spießglanzpulver für Augenfärbung usw., dann insbesondere und nun ausschließlich: der möglichst konzentrierte Weingeist.   4  Auch arab. qawha ist eigentlich Wein. Seine berauschende Kraft sollen abessynische Hirten an Ziegen entdeckt haben, die von den wildwachsenden Früchten der Coffea arabica, eines Labkrautgewächses, naschten. Der heutige Name ist die frz. Lehnform café. (Weiteres: Seil. 3, 156; Schmeil 211.)   5  Die Thea sinensis, ein Hartheugewächs ( Schmeil 81), ist «die» südchinesisch generell benannte Pflanze, als «le» thé zu uns gekommen und schließlich aus jeglichen heilsamen Pflanzenabsud übertragen als T’hee ( Seil. 3, 157).   6  Das gr.-l. als «Götterspeise» benannte Malvengewächs Théobroma cacáo ( Schmeil 89 f.) liefert nebst der Kakaobutter das als Pulver 1520 durch Spanier zu uns gekommene mexikanische kakahuát, kurz: chaco. Gemischt mit Wasser ( latl) kam chocolatl als span. lo chocolate, frz. le chocolat zu uns als Schokolade, Schŏ́gge̥laa.   6a  gr. der opós.   7  Der «aufgedunsene» Klatschmohn ( Walde 560).   8  gr. die mākōn rhoiás: der Milchsaft «fließen lassende» wilde Mohn.   9  gr. mēkōn, dorisch mākōn ist ahd. maho und mago (grammat. Wechsel), mhd. mahen und mage, spät mhd. mân Mohn. Dazu oberdeutsch mâgsame (die Pflanze nach ihrem wertvollsten Teil). Vgl. «Magi» im schwz. Id. 4, 104 f.   10  Zu l. der somnus (Schlaf und Traum, wozu somniculus, frz. le sommeil; somniculosus, frz. sommeilleux; somnium, le songe; somniare, songer: träumen und wie «versonnen» an ein Vorhaben denken). Dem Träumenden zaubert eine «schöne Gestalt» (gr. morphé: Prellw. 299) der als «Bildner» allegorisierte Morpheus vor, nach welchem das Morphium oder Morphin benannt ist: der Stiller unerträglicher Schmerzen, der langsame Mörder des Morphinisten ( Schmeil 74; Seil. 4, 329).   11  Das arab. Haschisch als Berauschungsmittel der Haschischin oder Assassinen, dieser arabischen Meuchelmördersekte des 11. Jahrhunderts (vgl. frz. assassin).   12  Schmeil 21.   13  Der Franzose Jean Nicot vermittelte 1560 die Anpflanzung des nach ihm benannten Nachtschalten­gewächses Nicotiana Tábacum ( Schmeil 207), welches Spanier als cohoba auf der Insel Guanahani rauchen gelernt und als tobacco (frz. tabac) heimgebracht hatten. Neben diesem in Maisblatt­röllchen gewickelten gab es eine ohne solche gerauchte Sorte, welche, ebenfalls spanisch entstellt, lo cigarro hieß; daher le cigare und als singularisierte Mehrzahl die Sịgaare, Sịggaare. ( Seil. 4, 308 ff.)   14  Die (morgenländische) canna ( Röhrli) ward verarbeitet zum zierlichen «Rohrkörbchen»: gr. kánastron, l. canistrum, span. canastro, frz. canastre, holl. kanaster, zwecks Verpackung der besonders feinen Tabaksorte von Varinas in Venezuela und deren Versendung nach Holland. ( Seil. 4, 310 f.) Nachmalige Ironie machte aus diesem Kanaster den schlechten Knáster, Chnaster ( schwz. Id. 3, 764).   15  Prof. Dr. Bürgi.   16  Die mit ahd. bi-snëchan (zusammenziehen) und snaracha (Schlinge: Graff 6, 849 f.). mhd. snirche, snarch, snurchen ( Wb. 2, 2, 448) urverwandte gr. nárkē ( Prellw. 306) bedeutet Lähmung, Erstarrung. In solche versetzt die Narkose das Empfindungsleben. Betäubend riecht der oder die morgenländische Nárkissos, Narcissus, die Narzisse. Zu einer solchen wurde laut der Mythologie der geckenhafte, schöne Narcissus, nachdem er beim berauschenden Anblick seiner Gestalt im Wasser vor Sehnsucht nach sich selber verschmachtet war. (Ovids Verwandlungen 3, 389 ff.)   17   Lf. 469-478.   18  Ahd. bilarn, Mz. bilarna, mhd. biler(n). Schwz. Id. 4, 1169 f. (Biler).   19  Vgl. Pfiffis im schweiz. Id. 5, 1087 f.   20  Engelberger 14.   21  60 Millionen Gallonen à 4,54 l.   22  Anz. von Saanen. 36.  
 

III.

Der Not der Zeit si ch Mäister mache! Dieses oben ụụf choo normaler Lebensenergie wird dem schlamáschige Schlampamp der schwersten aller Krisenzeiten in dem Maße Abbruch tun, wie sich die Welt auf das dem Notstand angepaßte Verhältnis zwischen Nahrungs- und Genußmitteln besinnt. Einen Assimilations­förderer hat sie vor allem aus halber oder ganzer Vergessenheit fü̦ra z’zieh. Der kann als «bester Koch» eine Menge Reizmittel in die Ecke stellen und namentlich auch die bis in alles «fü̦rnähmme» nachäffende Bauernkreise gedrungene «grüne Fee» mit ihren Gaben all der extraits und apéritifs wieder in den Hintergrund drängen. Daß Keiner und Keine zu Stadt und Land ohni Hunger zum Tisch und hungerig vom Tisch dörf, wird einst die Hauptsorge der nämlichen Staatslenker im wahren Wortsinn sein die für alle und jeden das Recht und die Verpflichtung auf angemessene, ehrenhafte Arbeit zum obersten Gesetze machen.

Dann gilt als Haagschwänder, der im schwänte (schwinden machen) eines alten, dichten Läbhaag eine bis zur Sprichwörtlichkeit aufreibende Arbeit leistet, nicht mehr ein für arpaartig starch geschätzter Flaschenwein, sondern der durch richtige Ernährung dazu geschaffene Mann. Für alles, was er für Reizmittel ausgibt, ist es alsdann Sụ̈n͜d 462 e̥l Schaad (Ins),, 1 Sü̦n͜d e̥ Schaad (Tw.). 2 Besonders um das Geld für das Gäistige, das vermeintlich fueret und weermt. Wieso? Es hin͜derhét bei Überschreitung eines gewissen Maßes die Tätigkeit der Hirnpartien, welche die Ringmuskeln der Blutgefäße z’sämmezieh un ụụslöö. So staut es Blut in der Haut und im geröteten Gesicht. Dieses wird allenfalls noch geziert mit der Chu̦pfernase, deren Farbe jene Kleine eines Trinkers mittelst Branntweins dem aufzufrischenden Puppenkleide geben wollte. Solch ein «Gesichtserker» ist ein Zịngge oder ein Lötcholbe, wo mḁ draa chan n es Zụ̈nthölzli aazü̦nte.

Die derart erhitzti Leibesoberfläche aber gibt überaus rasch ihre Wärme an die kalte Außenluft ab und setzt den Unvorsichtigen der Gefahr aus, z’verfrụ̈ụ̈re. Der Tu̦u̦rst endlich wird durch den Alkohol, der den Leibesgeweben so begierig Wasser entzieht, nid g’lösche, sondern bi längem (Ins), wi lenger wi meh (Erl.) neu erregt. Den n mueß richtig o d’Spritze neu fahre. Es heißt: An äim Tag sụffe un am an͜dere der Tu̦u̦rst lösche; oder dann: I ha nie Tu̦u̦rst, i nimmen äis vorhäär. Das ist der schlimmste Weg zur Trink- Gwanhig (in Li.: G’wänig, G’waanig, G’wohnig), die auch in durstlosen Pausen nid na̦a̦la̦a̦t. Das gibt eine Wechselreiterei mit Wächsle auf kurze Sicht, die man von äi’m Nagel a der an͜der hänkt, und die mit der Perfidie des Unmerklichen am Kapital der Menschenkraft zehrt. Diesem Bilde reiht der Volkswitz ein zweites an: von den zweier Gattig Kameeler, deren di äinte chönnen acht Tag durstig sịị ohni z’sụffe un di an͜deren acht Tag sụffe ohni durstig z’sịị. 3 Der gleiche Volkswitz läßt ein Männchen den hin͜der auffällig stark abgenutzten Hutschopf mit dem Bescheid erklären, das chööm vom ụụstrinke.

Das Maß der Schädlichkeit zumal des Weingenusses hängt allerdings auch an der Frage, ob einer oder eine scho g’impft sịịg und damit gegen das Alkoholgift gefestigt, wie etwa der Imker gegen den Bienenstich. Der Volkswitz braucht hier auch das drastische Bild: är het d’Sucht no nid g’haa. Wie nämlich nach alter Vorstellung Kälber und junge Katzen und Hunde sich erst dann eines gesicherten Gedeihens erfreuen, wenn sie einen bis zur Lebensgefährdung starken Magen- und Darmkatarrh glücklich überstanden haben, so sei der «Kater» (s. u.) das Lehrbuebe-Stadium, nach welchem erst es einen Einlaß 463 gebe in den Männersaal der Trinkfesten, in die Phalanx der bald Gezählten, die auch sogar der Waadtländer chönni bị̆ße, ohni im Reden und Tun, in Gang und Haltung zu bezeugen, es sigi Schnüerli dri̦nn. — Man stellt die Frage wohl auch so: ob einer oder eine g’eicht sịịg ( S. 435), e g’eichtete Mage häig u Wịịstäi dri̦nn. Wie es Menschenschädel (in Ins: Schü̦dele) gibt, die einen zentnerschweren Steinschlag derart ungeschädigt einfach auf die stehenden Beine überpflanzen, daß deren Füße sich in den Boden eingraben, so gibt es Menschenhirne, an deren Roßnatur nụ̈ụ̈t z’verdeerpen isch. Jene Beghine Elsli Tribzue in Niklans Manuels «Pabst» 4 rühmte: Sechs maß gewinnend mir nit vil an. ( Sächs Ma̦a̦ß Wi̦i̦ im Tag bringe nụ̈ụ̈t ab a mmer, verursachen mir keine merkliche Störung des Befindens.)

Auch solch weibliches Heldentum ist freilich noch Stümperei gegen die Leistungen zweier altreichsdeutscher «Mannen»:

Tilly, die Kriegsgurgel des dreißigjährigen Krieges, hatte die Bitte der Stadtväter von Rothenburg an der Tauber um Verschonung ihrer Stadt höhnisch unter der Bedingung gewährt, daß einer von ihnen den zum Umtrunk dienenden fünflitrigen Humpen ohni abz’setze läär. Der Bürgermeister Nusch vollbrachte das Wagestück, und Tilly zog ab. Auf dem Stein an der Nahe aber rief der wilde Rheingraf Bodo seinen Mitzechern zu, wer von ihnen den von einem Kurier zurückgelassenen Schaft- Stĭ̦fel voll Wein zu leeren wage. Der Ritter Boos von Waldeck vermaß sich des Stücks und gewann damit das Dorf Hüffelsheim. Ihn gelüstete aber auch nach Nexheim, und er fragte, ob der Kurier denn nicht auch seinen andern Stiefel doo g’loo heig? Und sein Magen und Hirn vertrug den zweiten Stĭ̦fel. 5

Lokale Zeugnisse aus früherer Zeit reden demgegenüber recht zwergenhaft von viel Durst und viel Trunk. Zumal an den Schießete. Wär drei Mooß ’trunke g’ha het, het nümme döörffe uf de n Stich schieße (stäche). Für das G’meinwäärch aber war um 1818 das obligatorisch auf den Arbeitsplatz mitzunehmende Ortinääri: e̥s Brot (zu 2 kg) u fụ̈ụ̈f Mooß Wịị.

Öppis an͜ders als jene «Mäßigkeit» wäre die Schätzung eigenen Produkts als Kraftansporn zu gegebener Stunde, wenn nicht eine bedenkliche Entgleisung derselben sich in das hübsche Wortspiel hüllte, das schon dem Säugling Wein als natürliche Nahrung zuspricht:

Es trinkt schon im Leinwandgewandlein
das Kindlein
im Weinland den Landwein.

Solcher Poesie sachverwandt ist der Brauch an Tauffesten, dem Täufling der Nụ̈ggel (Saugzapfen) i n Wịị z’tu̦nke und schon den 464 Säugling die «Milch» kosten zu lassen, welche sonst als der Greise Milch gilt. Möchte das der einzige Tropfen Alkohol sein, der dem unerwachsenen Menschen in den Leib kommt! Das wird einst eine Angelegenheit der Gesetzgebung sein.

Humoristischer gestimmt, wird einer sich dann von einer Leichenfeier graubärtiger Tessenberger erzählen lassen, wobei der G’stoorbnig vergässe worten isch mit z’näh. Oder von den alten Ligerzern, wie sie vor der Erhebung ihrer Kapelle zur eigenen Gemeindekirche (s. u.) und der damit verbundenen Errichtung eines eigenen Friedhofs ihre zur Bestattung nach Deß getragenen Toten feierten. Im große (obere) Chehr a der obere Schä́riere (s. u.) unterhalb Prägelz gewährte schon damals der Wald durch eine Lichtung den prachtvoll freien Ausblick über Dorf und See und Insel und Seeland und Alpen. Do häi si̦ de nn voll Ergriffehäit still g’haa u häi bi’m Anblick vo ihrne Räbe u zum Andänke a dä G’stoorbnig oder die G’stoorbnigi, wo ó ihre Schwäiß dert vergosse häi, äis g’noo, un nó äis, u de nn sị si̦ i Gotts Name wịters.

Ein anderes Zeugnis von der Schätzung ihres äigete G’wächs legt jenes selbstverständliche non vero, ma ben trovato ab:

E Dachteck isch vom Chilchtu̦u̦rm abe g’falle. Zum Glï̦ck si̦ grad Lï̦t um e Wääg gsi̦i̦, wo ’s g’seh häi. Si̦ sị zueche g’sprunge u häi als rächti Seeländer, wo grad aagrịffe un e Han͜d aalegge ( S. 162) u nid lang mit de Hän͜d i de Seck de̥s u̦mme gaffe, g’luegt z’hälffe, wi si chënne u mëëge häi. Äini isch g’loffe, was si̦ ihres Lịịbs vermëëge het u het ihm es Glas voll Wasser träit. Di an͜dere häi e provisorischi Tragbähre z’wägchoorbet fï̦r dä Man häi m z’fergge, wen n er si ch gar nịịt meh sëtt verrïehre. Er isch do g’lääge mit zue’da̦a̦ne Auge u het e̥käi Wank too. Di Frạu het ihm d’s Glas a d’Läspi. Die bewege sich um d’s merke; der Zungespitz erreckt d’s Wasser u zieht es Trëpfeli ịị. I d’s G’sicht fahrt e Spur vo Läbe, un d’Auge gangen es Bitzeli, Bitzeli ụụf. No n e chläi, un no n e chläi, u der Maa erlịckt di Lị̈t um ihn um, luegt i d’Hëëchi u g’seht der Tu̦u̦rn u b’sinnt si ch, was g’gangen isch. Di bravi Samariteri g’wahret er oo ch, g’seht das Glas, luegt dḁrtu̦u̦r u chï̦stiget no äinisch dä Tropf Wasser im Mụụl u rïeft un͜der äinisch: Wi hëëch mueß mḁ de nn äigetlich aabegheie, fi̦r n es Glas Wịị z’berchoo?

In ähnlich hyperbolischem Stil wie hier der Seebụtz seines eigenen Gewächses Kraft, rühmte dessen Güte der Inser Maler Anker: Mi sött dää frässe! Oder: Mi sött z’Mitternacht ụụfstoo, oder: Mi sött d’s Gält etlehnne, für vo däm (ausgezeichneten Jahrgang) 465 z’sụffe. Wie der feine Mann das grobe Wort verstanden wissen wollte, zeigt er in einigen seiner Bilder. Gleich den zum Zulangen appetitlichen Gemüsen und Bröötli, Öpfel und Hamme gehört ihm Brot u Wịị aus eigenem Backofen und Weinberg zur Besetzung des Tisches — aber nach der Auffassung des Bauers, der in köstlich gemütlicher Stimmung mit gefalteten Händen über dem hochgezogenen Knie vor den klein gemessenen Gaben der Ceres und des Bacchus sitzt. Der g’chennt sị’s Mödeli, sị’s G’nannte oder G’nammte, weiß, was er erlịịde maa g, und was si ch g’chöört.

Kartenspieler

(Studie von Anker)

Jenen schmunzelnden Graubart läßt «der Neu» neuerdings mit dem Leben ins Reine kommen, und er weckt die Fröhlichkeit eines siebzigjährigen Unverwüstlichen. Ankers «Politiker» und die Philister reden allerdings nicht so, verstehen sich aber ebensowenig auf den Sinn des «Bruder Liederlich» und die völlig entgleiste «Schnapps­trinkerin» «bi’m Glesli», wie auch auf «der letz̆t Absynth».

 
1  Statt Sünd u Schaad: analogistische «Herstellung» des «falsch» labialisierten u(nd).   2  Das ursprüngliche ɘthá wurde ahd. à-n-ti, enti, inti, unti, mhd. unde, und; vgl. engl. and. ( Kluge 470.)   3   BW. 1914, 372.   4  596.   5  L. Rosenthal i. d. «Berner Woche» 1921, 117.  
 

IV.

Alle diese Anker-Modelle trinken, 1 und mit ihnen trinken Ungezählte, die sich ihre Gesellschaft verbitten würden. Auf dem Worte ruht das Unheil einer spezialisierten Bedeutung, die von übel oder nichts Denkenden in unbestimmt gelassenen Grenzen bis über das ganze Begriffsbereich ausgedehnt werden und den Betupften übel diskreditieren kann. «Er trinkt» Bächer voll Wasser? Es Chacheli voll Milch? Es 466 Glas voll Bier? Wein? Schnaps? «Ich säge nü̦ü̦t als: er trinkt.» — «Er trinkt.» Bei Tisch? In der Hinterstube? Im Keller? In der Kneipe? An der Gasttafel? «Ich schweige. Er trinkt.» — «Er trinkt.» In hastigen Zügen? Gemächlich? Gemütlich im Kreise Bekannter? «Wäiß nüüt! Er trinkt» und ertrinkt moralisch im Übermaß des wie ein Alp auf ihm lastenden Mißkredites, der unfaßbaren sozialen Verfehmtheit. 2

Ähnlich steht es mit «suffe». Ein welscher Brauer und Wirt zu Nidau sollte B’schäid gää, ob ein vor Gericht Gestellter sụụf; ob er ein Sü̦ffel sei, ein Sụffer, «Sụ̈fterlig», Sụụfludi, ein Sụfhun͜d, ein Sụ̈ụ̈fflige r, welcher sụft, wo nur etwas sü̦figs und schlü̦figs zu finden sei; ob er zu denen gehöre, bei deren Anblick dem durch widriges Schicksal an den Scheideweg zwischen si ch sälber la̦ g’heie und si ch frü̦sch z’sämmenäh Gestellten der Grundsatz sich festhämmere: nu̦mme nit sụffe! Der Mann hört die in die Frage verwobene Auseinandersetzung, chüstiget sie einen Augenblick und runzelt die Stirn: «Wie sụụf? Wär sụụf? Was sụụf? I̦i̦ sụụf, du̦u̦ sụụf, äär sụụf.» Wie stark es auch fließe — non liquet. Das Wort durchschreitet in Wahrheit alle Stufen vom mhd. Sinn des Ertrinkens (des erst heute roh klingenden ersụffe) und vom sụffe wi n es Loch oder wi n e Bü̦ü̦rstebin͜der bis zum mhd. sûfen = supfen, d. i. sü̦ü̦rffle, schlürfen, wie noch heute das Oberland 3 es versteht. Demgemäß ist die oberländische «Su̦u̦ffi» 4 wie die mhd. sûfen etwas Schlürfbares, wie z. B. die Suppe, 5 suppe, soppe, sopfe; die grundsopfe ist Hefe, der wînsûf die Kaltschale, 6 «der Soff» das Trinkgeld. 7 Wer «es fließen läßt», löötet wie der Metallarbeiter und wie der scharfe Trinker; der letztere löötet wi d’Bü̦ü̦rstebin͜der. Er mämmelet wie der Säugling und wie der mit einem guten Zu̦u̦g Begabte, der Schü̦tti um Schütti oder Platsch um Platsch ịịschü̦ttet, oben abe schü̦ttet, und immer noch äini chnellt, äini ụụshöhlt, äini tröchchnet, äini ụụsbloost (einer Flasche «das Lebenslicht ausbläst»), äini heltet (auf die Neige trinkt) und als gründlicher Mann gäng der Bode g’seh wott. Er «hoornet» wie der Jäger (setzt aber das Glas oder gar die Flasche an den Mund).

Wer als «Kneipant» das «Schámpanierstübli» der Kneipschenke (Lessing 1769) oder der Kneipe, Chnäipe 8 frequentiert, knäipt 467 nach zweihundert­jährigem Begriff «tüchtig und nach gewissen Formen». Eine derselben ist das «herumschöppeln» 9 ( chopiner) 10 und das noch gefährlichere halbschöpple oder zwäierle im Pintechehr. Die damit erzeugte aanhaltigi Gehirnlähmung raubt alle Aufgelegtheit zur Arbeit und macht den früher Tätigen zum «Passivmitglied» seiner Familie, von dem es heißt: Es sụfft no mäṇge, er wäiß nid, was er z’düe gi bt.

Das «er» kann freilich auch ein «sie» werden, u de nn isch der Tụ̈ụ̈fel erst rächt loos. Haben einmal sụffe, si ch vertampe und fụ̆länze unzertrennliche Freundschaft geschlossen, dann ắdie Wohlstand und Wohlbefinden! Herein Wohlleben und Wollust! Tägliches Brot und gesunde Hausmannskost g’schmöcke längst nicht mehr, wenn für n es Häidegält verzehrte unzählige Arten G’schläck, Schläckzụ̈ụ̈g, Tääfelizụ̈ụ̈g zugleich die Kochkunst ersetzen; und kein Familienband hält mehr, wo das Gebaren der zur tụ̈ụ̈felsüchtige Mắgrelle 11 Herangereiften einen ganzen Verwandt­schafts­verband auf den Rest einer ehrenhaften Existenz loshetzt.

 
1  Vgl. den Gefühlswert der Namen Boileau und Boivin.   2  Vgl. mhd. ertrinken: 1. trinken, 2. leer trinken svw. volletrinken). 3. ertrinken svw. vertrinken, welches bloß daneben auch zu viel trinken und unser vertrinken bedeutet. ( WB. 3, 92.)   3   Gw. 687.   4  Ebd.   5   Kluge 386. 452.   6   Mhd. Wb. 2, 2, 720.   7   Meiners 2, 55.   8  Ursprünglich ist niederdtsch. knipe die Fußklemme für den Vogelfang, dann das enge Lokal, in welchem man «lockere Vögel» («Zeisige») fängt. ( Seil. 4, 446.)   9  Gfeller.   10  Vgl. Wißler 739.   11  Der holl. makreel, der frz. maquerau, dle Makreele ist ein fetter Raubfisch der Nordmeere, von welchem gefabelt wird, daß er den kleinen Maifischen als «Jungfern» ihre Männchen zuführe. Daher ist le maquerau auch der Kuppler und la maquerelle die Kupplerin, die Magrelle zudem boshafte und leichtfertiqe Weibsbild — nach Art von Lausanner Weibern als Spielhöllen­besucherinnen, von welchen 1783 Meiners (2, 227) redet.  
 

V.

Erst in der bittern Trinknot der Weinfehljahre hat der Rebensaft mit dem Gäärstesaft si ch aag’frü̦ndet. Beim bloßen Anblick dieses «G’sü̦ff» hat früher der Welsche ụụseg’speut. 1 Was hatte denn der niederdeutsche Gambrinus im Reiche des südländischen Bacchus zu suchen gehabt?

Dem neuen Kompromiß zwischen beiden ging allerdings erst im Verschläikte und dann immer ung’schinierter der zwischen Wein und Branntwein längst voran.

Es Glesli vor em aafoo und vor em deschöniere (Erl.: di̦schi̦niere) eröffnete die Trank- und Speisefolge des alten Trüeler und Häcker, bevor ihn Zwangsarbeiter konkurrenzierten. Dann aber trat der — allerdings leichte — Wein in seine Rechte. Am achti hieß es: zwäi Mol der Chehr mache mit der Fläsche. Am nụ̈ụ̈ni z’Nüüni: gehörig befeuchtetes Brot mit Chääs. Zwischen zäächni (zä̆hni) und ẹndle̥fi (ängle̥fi): der Chehr g’macht. Am zwölfi z’Mittág (Ins: 468 z’Midaag): Suppe, Fleisch, G’chööch (Gemüse), Wein. Zum aafoo ḁm äis: der Chehr. Ebenso zwüsche zwäi und halbi drei. Z’Vieri wie das vormittägliche z’Imm bis. Dann wird noch dreimal der Chehr g’macht: gäge sächsi, bi’m ịịnachte, und we nn mḁ der Charst abstellt zum Feierabend. Das unverweilt folgende z’Nacht wiederholt das Mittagsmahl, wenn nicht das Fleisch durch Späck oder über der an͜der Tag (am Übertag, in Ins: am Überoobe nd) 2 durch öppis an͜ders zu ersetzen gewagt wird: Gaffee mit Röösti oder G’schwelltni (gesottene Kartoffeln) mit Lauchschwäizi oder Chääs.

Aber sechs bis sieben Wäscheri bildeten einen genügend starken cercle d’agrément, um mit gebührender Grazie d’Straufläsche lo umzgoo und lästerlig z’sụffe.

So einst im Berner Seeland. Von ihm hebt sich das Züri chpiet in wundervoller Enthaltsamkeit ab. Laut einer Korrespondenz aus Wädenswil 3 verlangte ein Knecht Most z’Nụ̈ụ̈ni, zum Elfischlag (wie Wäscherinnen und wie Heumäder im Nidaueramt Wein), z’Mittag, am zwei, z’Vieri, am sächsi, zum z’Nacht und am achti. Ehemalige Wein- und Obstkelterer aber ließen sich gelegentlich beim Trottbett in sanftem und seligem Schlaf der Trunkenheit überraschen. Im Bürgerheim (Armenhaus) aber erhalten die Insassen z’Mittag e halbe Liter Most: die Weiber alkoholfreien, die Männer rächte. Solche Schwettine wecken bloß d’s g’luste und bewirken (wie Bier im Übermaß), daß es äim schlööfferet (Ins) oder schlööfferig macht (Tw.).

Welch ganz andern Wert hätte dort, wo hert und feerm g’schaffet wird, öppis un͜der d’Zänd, öppis, wo un͜derlä́it und daarhet («darhält»), das Nahrungs­bedürfnis nicht täuscht, sondern befriedigt; den Durst nicht mehrt, sondern löscht; des Leibes Wärme aber ordentlich z’sämmeb’het oder haltet! Hest de̥ der Brönner? Bisch du du̦u̦rstig? So iß! Hesch du Chnolletu̦u̦rst (mit dem «Knollen» im Halse)? In Tw. und Li. bedeutet freilich Chnolledu̦u̦rst svw. Hunger: Bedürfnis nach etwas «Chnolligem», Solidem, Vollmundigem. Da weiß man aber auch sehr einfache alkoholfreie Mittel gegen diesen im gewöhnlichen Sinn verstandenen Durst: e dü̦ü̦ri Zwätschge; e̥s Chịịdeli Zitronesüüri; es Räbeblatt oder e Chrääiel (Ins: Chrääule, S. 271); es Chleeblüemli, e Schmale (Schmiele), wenn nicht am einfachsten: e Brotrauft. Oder es heißt wie zum 469 tapfern Soldaten auf staubiger Straße: Überhä́b di ch e chläi! Wer am wenigste drinkt, het am wenigste Du̦u̦rst. So reden Weinhändler, die doch ó um d’s täglich Brot bätte.

 
1   Favre.   2  Vgl. Sonnabend = Samstag, und Weihnacht, Wienacht = der heilige Tag: Überreste der Rechnungsweise, welche den neuen Tag mit dem Sonnenuntergang des alten anhob. S. a. Schwz. Id. 1, 35.   3  In der «Berner Volkszeitung» 1913.  
 

VI.

Die den Alkohol als nahrungsloses Genußmittel hinstellende Wissenschaft lehrt aber auch, daß speziell der reine Naturwein Eigenschaften besitzt, die ihn zum unersetzbaren Doktermitteli ( S. 420) machen. Ein Mittel allerdings, das man statt in der universellen Apideegg, in einer stark entwickelten Spezialität derselben: beim Wirt und Weinhändler zu beziehen pflegt, und das der Gast als Kunde kundig oder unkundig sich selber dosiert — zu seinem Heil oder Unheil.

Die medizinischen Eigenschaften des Weins beruhen auf ihrem Gehalt an mineralischen Stoffen (phosphorsaurer Kalk, Phosphate, Eisen), welche starken Blutverlust ersetzen und nach erschöpfenden fiebrigen Krankheiten raschere Genesung bringen; an Gerbsäure, dank welcher namentlich der Root gewisse Katarrhe heilt, und an Wịịstäisụ̈ụ̈ri, welche den Cholerabazillus in fünf, den Typhusbazillus in fünfzehn Minuten töödt; an Zitronensäure, welche Harn treibt, weil die Nieren wohltätig angeregt werden; an andern Säuren und an ätherischen Ölen (besonders Önanthol, «Weinblumenöl»), welche grad rächt ụ̈se Seewịị bester Sorten und Jahrgänge zu einem unvergleichlich feinen Genußmittel erheben; an unvergorenem Zucker, welcher in minimstem Grade nährt ( S. 422); dann aber an Wịịgäist (Alkohol), welcher gleich allen andern narkotischen Mitteln die Durchlässigkeit der Zellhaut für den zum Leben nötigen Säurestoff min͜deret, also die den Leib aufbauenden Zellen an Sauerstoff eermer macht. Diese Wirkung tritt jedoch erst nach einer gewissen, immerhin kurzen Zeit ein. Unmittelbar nach dem Genuß aber wirken Weingeist und Önanthol scheinbar d’s Gäägedäil: sie erregen die Nerven — peutschen oder sti̦i̦fle si̦ ụụf, chlepfe si̦ z’wääg, und mache d’s Bluet flingger z’goo, um aber sehr rasch z’hööre und jener Blutverarmung Platz zu machen. Drum ist d’s Gäistige der läng Haber für d’s Roß: d’Gäisle (die Peitsche), aber ja̦ nid öppe der chu̦u̦rz Haber: der wirkliche Hafer!

Auch mit dem länge Haber ist allerdings das lsó ’ne G’schicht. (Es hat seine Bedenken.) Es gibt warmblütig edle, nervöse, feinfühlige Pferde, für die die Peitsche eine wahre Schreckensgestalt ist. Es ist vollgenügend, daß dieses Pferd merkt und weiß: der Mäister het si̦ bịị n ihm. Aber nur schon das chlepfe durchschaudert das edle Tier, während der leichteste Hieb es mit Entsetzen erfüllt und aus aller Fassung 470 bringt. Wie es darum geschickte Pferdelenker gibt, die grundsätzlich erklären: I chlepfe käis Roß! so gibt es überaus tüchtige und bis zur Anstrengung der letzten Faser ihrer Kraft von Hirn und Hand und Fuß ausdauernde Arbeiter, deren Grundsatz lautet: I trinke nụ̈ụ̈t Gäistigs! Andere, ihnen Geistesverwandte, erklären in praktischer Nüchternheit: I ha für Gäistigs nit Gält im Sack, u nid Zịt im Tagwäärch, u nid Platz im Mage, u nid es Eggeli im Hi̦i̦rni; kurz: i vermá g’s ni̦i̦d, u ’s tuet mer nid guet.

Es gibt aber auch kaltblütige Pferde edler und unedler Art, die zu gewisser Zeit wäi d’Gäisle g’chööre chlepfe u g’spü̦ü̦re, wi si̦ zwickt. De nn gäit’s u̦mmen es Bitzli hụ̈ụ̈, und es wird, was auch zu echter Bernerart im gegebenen Augenblick grad eben mitgehört, e chläi g’sprängt. Da ist, mit Verstand gewogen und genossen, d’s Gäistige n am Ort. Es stimuliert zu kurzem Sichaufraffen eine in Erschöpfung begriffene Kraft, die noch zur Bewältigung einer unaufschiebbaren Aufgabe langen soll. Er täuscht eine gewisse kleine Weile über das Gefühl der Erschöpfung überhaupt hinweg, läßt den Verdrossenen eine gewisse Zeitlang der Vertru̦ß ị́netrinke und der Eerger vergässe, bis sich Mittel und Wege zur wirklichen Behebung der Ursachen finden. Allein es teilt mit allen narkotischen Mitteln den Übelstand einer durch Gewohnheit abgestumpften Wirkung, die, falls sie doch anhalten soll, stercheri Ladige verlangt. Darum Gäistigs uf e Lade nur bei bestimmten Anlässen, zur Sälteni oder (Ins) zur Sältsḁmi wider äinisch, und nur, wenn’s äin freut! Der Oktoberthee sei ein häilbars, d. i. heilsames Doktermitteli für Lịịb u Seel ụụfz’chlepfe, wenn’s noch zu einem i d’Händ speue für ein Probestück aktiver oder leidender Tapferkeit langen soll. Und dazu kommt’s ja hin u har (Erl.: hie und doo). Ja, «tausendmal im Leben muß der Muskel arbeiten, wen n er scho müed isch, und muß das Gehirn erregt sein, wen n es scho lieber schlief. Der Kulturmensch muß im Frieden und im Krieg seine Stimmung kommandieren können.» 1 Wer also zu gegebener Stunde «Wein trinkt, tut gut: wer keinen trinkt, tut besser», und am allerbesten unterläßt er es, wenn a me jedere Dropf es Mụụl voll Brot für d’Hụshaltig hanget.

471 Wo díe nid drun͜der lịịdet, und wo das «Kenne dich selbst» der Anfang aller Weisheit geblieben, da̦ g’fallt i̦s der Seeländerbrauch, daß zu gemütlicher und allseitiger Erdauerung einer belangreichen Angelegenheit eine Behörde sich zum «zweiten Akt» an ihren stillen Wirtstisch begibt, jeder seine Ü̦ü̦rti 2 für den Zwäier oder Dreier «im Schịleetäschli» bereit hält und wie auf ein gegebenes Zeichen, alles mit enand ụụfstäit u fu̦rtgäit — in einem beredten Schweigen für den Wirtshụshöck, den Hocki, wo nid ab Stett chu̦nnt, wi̦l er Bäch am Stuel het; für den Chläbi.

Dieser Privatmann aber, der dŭ̦r d’Wu̦che du̦u̦re nie vo Hụụs u Häi chu̦nnt und in gewöhnlichen Zeitläuften kaum vernimmt, was i der Wält gäit — denn d’Wält gäit ohni ̣ụ̈üs — geht wohl nach alter Bauernsitte zum nachmittäglichen Sunntigschöppli. Und mehr als eine Bụ̈ụ̈ri, die selber nid abchu̦nnt, ermuntert den Ehewirt, der allzu pflĕ́gmatisch oder pu̦maadisch (á) als Stube- oder gar Ofehöck si ch vertuet: Eh, gang ó chläi! So g’chöörsch öppis u g’sehsch öppis, un i mueß d’Sach nid gäng nu̦mme vo de Wescherwịịber vernäh oder i der Hin͜derstube ü̦s der Hụsierere ụsesoode. Und wenn ihr auch der Halblịịn des zịtlig (bi̦ Zị̆te) Heimgekehrten «etwas sehr» wirtschäftelet u gaststü̦belet, so nimmt sie das zu einer günstigen seelischen Luftveränderung (u d’Chläider cha mḁ ja̦ ụụslü̦fte) ohni z’ääke mit in den Kauf.

Nun kann allerdings gerade solcher Charakterfestigkeit, die im «altgewohnten stillen Gang des Lebens» verankert liegt, ein Schnippchen geschlagen werden. Ja, das Glas, welches in plötzlich angeflogener Weinlaune im Chehr um ging, um ohni abz’stelle g’läärt z’wärte, kann mit hörbarem chlepfe 3 Ung’feel verkündigen und das gemeinsame Schicksal von Glück und Glas in schreckhafte Erinnerung rufen.

Es braucht sich einer nur einmal einzureden, der bi’m Glas vergessene Vertru̦u̦s lasse sich im Glas versenken und ertränken. Er braucht sich nur zurufen zu lassen, er möge wenigstens diesen Abend: ämmel hi̦nḁcht d’Sorge nid über d’Stru̦mpfbäṇger ụfe loo. Es bedarf nur eines zu gewählter Stunde g’chü̦schelete «Chu̦mm, mier gangen äis ga̦ näh!» oder «g’chöörsch de̥ nụ̈ụ̈t am besseren Ohre?» — und der Trinkende isch uf em Wääg, ein Trinker zu werden.

Zur andern Natur wird dann allmählich auch ihm die Wasserscheu, welche jener Patient mit der Wassersucht auf eine Linie stellte. Häit dier nid d’Wassersucht? lautete die auf den ersten Anblick gestellte 472 Frage des Arztes. Ịị d’Wassersucht? I ha no nie Wasser trunke, un i ma g’s nịịd!

 
1  Der St. Galler Arzt Dr. Jakob Laurenz Sonderegger (1825-1896) in den «Vorposten der Gesundheitspflege»; ein Bruchstück daraus steht in Edinger-Schmids Sekundar­schul­lesebuch (1910) 348-353. Vgl. ebd. «Des Weines Rache» von Johannes Stauffacher (1850). Ähnlich wie Sonderegger urteilt der Nervenarzt Kaufmann in Halle (Vgl. «Weltchronik», 28. Febr. 1914); vgl. OW. 23, 69.   2   Schwz. Id. 1, 488 ff.   3   Lb. Wbl. 11.  
 

VII.

Gäistigs ist Gift im Doppelsinn seiner Abstammung von «geben», das ein gää im rächte und lätze Sinn sein kann. Es ist ein zweischneidiges Schwert, das zu gegebener Stunde du̦u̦rhạut und mit dem sich der Eigner du̦u̦rehạut, mit dem aber der Unkundige si ch wüest cha hạue. Es ist ein Trost und Trutz, mit dem sich einer letzt oder verletzt.

Drum gibt es eine Kunst des Trinkens, eine ars bibendi.

Die verlangt vor allem richtige Geselligkeit. Stille r Su̦ff ist kein Trinken, aber ebensowenig das beim «Afterfrohsinn» 1 «verhocketer Wirtshauskreise». 2 Zum alten Ịịse g’heit ist nun auch der Trinkzwang nach dem mit «§ 11» 3 beginnenden Ggŏ́mang, welchen Reih um Reih eine Vereinigung nach der andern den Studenten­verbindungen noocheg’gịịget hatte, aber mit dem plumpen Anhängsel des aabränte, bis d’Chue e halbe Batze (Halbbátze) gilt. Als gehörte nicht zu guter studentischer Sitte der rechtzeitig gemeinsame Aufbruch Ständibus Fidibus 4 (ohne Umstände) und unverweiltes «sich zur Senften ziehen». 5 Mit diesem hängt zusammen das höre, we nn mḁ gnue het. Solche Mahnung unter Berufung auf die Kuh wird unserm Zwingli gegenüber Luther zu Marburg in den Mund gelegt. Sicher ist sie bezeugt aus dem Mund eines Bauers, der seine zwei Söhne mit dem Zuruf in den Felddienst entließ: So, Buebe, stellit ech brav, u wenn der frei häit, so machet e̥ch lustig u sụffit wi ’ne Chueh! Die Söhne horchten, stutzig gemacht, auf, bis der Vater erklärte: Jo jo, ’s isch me̥r äärnst! E Chue, wenn si gnue het, hört sị uụf̣. Machit’s ó so! Besonders der Trinkkünstler läßt sich von seiner fein erhaltenen inneren Stimme sagen: Jetz fieng’s aa, «min͜der» z’wärte, u das wär schaad — fu̦rt! Gäb’s äänen abe gäit — gang!

Eine Kunst ist schon die Wahl des Glases. — In feinen, kleinen Gläsern entwickeln sich die Bukettstoffe besser als in großen und dickrandigen Gefässen. 6 Der Wein mundet ( dunkt äi’m) drum auch unvergleichlich viel besser. — Und de nn d’s ịịschänke! Platschvoll zum überlạuffe und verschütte: wi unäigelig! Und war nicht jeder Tropfen zuerst eine Schweißperle auf des Winzers Sorgenstirn? Wie denkfaul und wie herzlos! Halbvoll wird eingeschenkt, damit der 473 Stäärne sich fange und unabgestanden jedes Schlückli den Gụụmme durchziehe.

Wir riechen, wir kosten, wir schweigen. «Denn noch hallt uns ins Ohr der Lärm des Tages: Verdruß, Sorge, Geschäft. Erst müssen diese Stimmen verstummen. Versinken muß alles Kleinliche, alles Alltägliche. Wir hüten uns, zu klagen und zu stöhnen, über den Tag zu schelten und zu schimpfen. Langsam fällt ein gutes Wort. Aus der Tiefe; ein reiner Gedanke, geboren aus einem starken Gefühl. Etwas, das im Lärm des Tages nicht zu Worte kam und doch wichtiger ist, als all die geschäftliche Wichtigkeit, diese Nichtigkeit des Tages. Etwas, das uns näher am Herzen liegt als Brot und Geld und Amt. Wir beschwatzen keine intimen Erlebnisse und sprechen doch vom Intimsten des Lebens. Wir brauchen uns am nächsten Tage keiner vertrauensseligen Bekenntnisse zu schämen, und doch haben wir stärkeres Vertrauen zu einander und zur Verschwiegenheit des andern als die Leute der trunkenen Beichten... Und wir fassen neuen Mut und neues Vertrauen und neue Gleichgültigkeit für den Lärm des Tages und neue Verachtung für das Geschrei der Oberflächlichen... Stumm hebe ich mein Glas und denke einer alten, fernen Freundschaft». 7

 
1  Spitteler.   2  Roscher.   3  Ein Wirtsschild mit dieser Aufschrift ziert sogar eine Außengasse von Neuenstadt.   4  Über «Fidibus»: Seil. 4, 468.   5  Paul Krebs.   6   Schellenberg 112.   7  Kleine Blumenlese aus der Plauderei von HH. in der «Weltchronik» (Bern) 12. Juni 1915.  
 

VIII.

An diese feine Kunst, im Wirtshụụs edlen Stils äis go z’haa, reihen wir den echt weinbäuerlichen comment, im Keller äis go z’näh, d’aller boire un coup. Nicht gedenken wir dabei der rohen Runden von Keller zu Keller und von Faß zu Faß, wie sie in den nur allzu guten und darum bösen Jahresreihen vom Läset bis a̦m Neuja̦hr allabendlich der Brụụch g’si̦ sịị. Wohl aber machen wir im Geiste mit, wie den nicht beim Glase gewonnenen Freund, der zugleich Sach- und Fachkenner ist, ein Kellerbesitzer zum rịịberle heranwinkt. «I ha de nn d’s Ịịseli im Sack!» ist vielleicht d’s enzig lụt Wort. Der Mann ginge wohl auch ohne dies hin. Muß er doch só wi so in winzerlicher Sorglichkeit do inne zum Rechten sehen: Nachschau halten, äb’s nid eppḁ ri̦nn oder wenigstens schwäiß. Das geschieht a mene verheite Tag (der durch allerlei kleine Geschäftelchen, durch ein fịlistere zerstückelt worden ist) wohl öfter als gewöhnlich. Jeden Abend aber geht der Weinbauer im Keller go úmzü̦nte, wie der Landwirt im Stall.

Das mit dem oder den Geladenen vorgenommene helte unterliegt aber einem comment, der an Feinheit den studentischen in mancher Beziehung übertrifft, und dessen Nichtachtung man bloß dem Uneingeweihten nicht noodräit (nachträgt), sondern verzieht und zu allen Zeiten verzoge (verziehen) hat. Darüber nur dies wenige.

474 Unanständig ist, a d’s Faß chlopfe, als wollte man aus seinem «laut tönen» auf seine Neige schließen lassen. Dää, wo ụụse loot und das edle Naß in das fußlose, halb ụụfe gekrinelte Stri̦chliglas oder in das ( nid ganz e Dezi[liter] fassende) Räbglas auffängt, füllt es bloß bis an es Rändli (oder Bändli, ruban). Dann reicht er es — sich selbst. Denn er kredenzt es im wahren Wortsinn nach Art des höfischen Mundschenks, welcher das «Vertrauen erweckt», daß er nụ̈ụ̈t Schlächts gääb. Nur ist sein Vorkosten zugleich ein ụụsmache, da man keinem den Räst ụusz’trinke zumutet. Der Kredenzende darf sich aber den Spaß erlauben, den an die Reihe des Trinkens Kommenden — wo im Chehr isch, wo der Chehr án ĭhm isch — z’fa̦a̦: ihm das volle Glas zu langen und schleunig zurückzuzichen, wenn der damit G’helkt einen Augenblick den Usus vergessen hat und das Darbieten ernst nimmt. Jeder im Chehr um Bediente trinkt ebenfalls ụụs — bedächtig, wenn er es rätlich findet. Kommt die Reihe neuerdings an ihn, so hüte er sich, durch umchehre (d’s un͜derobsig stelle) des Glases sich eine weitere Gabe zu verbitten. Ein anständig erklärtes es tuet’s! hör ụụf! «i wott nümme!» genügt und wird, wofern das näben u̦mme stoo für der Chehr la̦ verbịị z’ga̦a̦, offenbar ernst zu nehmen ist, durch kein altstädtisch lästiges Aufdrängen ignoriert.

IX.

Eine interessante Art, Frauenwürde beim Wein zu wahren, zeigt das Wịiberma̦hl zu Feisterhénne. Die am Ort anwesenden bürgerlichen Frauen und Jungfrauen feiern es alli drụ̈ụ̈ Johr — «gäng im Chäferflugjohr» — im Mäie. Das Recht, zu erscheinen, ist zugleich Pflicht; unentschuldigtes Ausbleiben verwirkt e̥s Halbfränkli Bueß. Dagegen sind Kinder außer Säuglingen ausgeschlossen; ebenso streng jedes Mannsbäi. Das erfuhr der joviale Pfarrer von Siselen-Finsterhennen: Hermann. Durch Amtsgeschäfte in die Wirtschaft gerufen, ließ er sich i mene häitere Lụụn beifallen, d’Nase zur Saaltụ̈ụ̈r ịịchez’strecke, als eben ein solcher «Frauentag» stattfand. Im Schnụß fuhr ihm d’Chappen ab dem Chopf, und er mußte sie unter lautem Halloh und stürmischer Heiterkeit, in die er selber herzlich lachend einstimmte, mit e̥me Lịter Näüe ụụsḁlööse.

Wie schnöde! hätte ein anderer an seinem Platze gedacht. Gerade dem Pfar rhụụs z’Si̦i̦sele verdankt ja das Festchen seinen Ursprung. «Vor mehr als dreihundert Jahren» — denn schon 1580 gab es ein Finsterhenner Weibermahl — hinterließ Frau Pfarrer Prädelen aus ihren Einkünften den Frauen von Finsterhennen ein Legat von zehn 475 Schilling Jahresertrag eines Bodenzinsurbars ( U̦u̦rbe). Sie tat es zum Dank für Hilfeleistungen in Wäsche u. dgl. während schwerer Krankheitstage. Der geringe Ablösungspreis der Bodenzinse während der Drị̆ßgerjohr reduzierte auch das kleine Vermächtnis auf ein minimes Sümmchen, das zudem nach der unglücklichen Sparkassenanlage in Erlach auf baare ängle̥f Fränkli (10% der Abfindung) zusammenschmolz.

Kartenspieler

(Studie von Anker)

Allein die Finsterhennerinnen wußten sich zu helfen. Getreu dem Grundsatz: was am min͜dste n wärt schịịnt, zo däm soll mḁn am Söörgste n haa, zogen sie auch dies Sümmchen sorglich zu Rate und legten es erst in Aarberg, dann in der Burgerkasse ihres Ortes a’ n Zins. Das Söömli trug Frucht: am 28. Oktober 1891 vermachte Frau Anna Maria Balimann geb. Weber ihren Mitbürgerinnen 400 Franken als unablösbares Kapital. Nun wurden auch die Männerherzen weich, und das Gemeindchen steuerte, wo die Finanzlage es erlaubte, bis zur Erstarkung des Kässeli an das jeweilige Weibermahl bis 30 Franken. Das Beste taten freilich die Beteiligten selbst: für jedes Festchen häi si sälber e chläi i’ n Sack g’reckt (g’längget), und obendrein muß jede erstmals dran kommende Person ein Annahmegeld von an͜derhalbem Fränkli blääche.

Solche Einzüge besorgt «der» Kassier, welcher gleich «dem» Presidänt, dem Vịze, dem für seine Läüf u Ggäng mit einer 476 Kleinigkeit honorierten Wäibel und zwei allfälligen Beisitzerinnen öppḁ n e chläi Hoor a de Zän͜d het. Ja, der Stand der Kasse rechtfertigte letzter Jahre auch die Einstellung zweier Rechnungs­prüferinnen. Daß wir das alles und noch mehr aus dem durch die Lehrere n oder durch eine Pụ̈ụ̈ri des Orts gu̦mifoo ( comme il faut) geführten Protokoll und den Statuten wissen, sei ebenfalls mit Respäkt g’mäldet.

So ein Schärchen von ungefähr fünfzig Frauen und Töchtern alle drei Jahre einmal unter den Zaum und Zügel von Zunge und Feder zu nehmen, daas wo lltt öppis sääge n! Wie gut das aber bisher gelang, zeigen die wachsenden Erfolge. Welch bescheidenes Anfängelchen, als die Finster­hennerinnen alli si̦i̦be n Johr äinisch im alte n Schuelhụụs zu ’mene bloße Gaffeeli erschienen, zu welchem jede Teilnehmerin ihr Stück Broḁt u nd Chääs oder was’s wääge den an͜dere twääge het mööge n sịị, mitbrachte. Nun ist die größere heilige Zahl zu der kleinen vorgerückt, welche zugleich die Dreijahrzahl der drei großen Nationalfeste ist. Aber mehr: was an diesen der Ehren- und der Freudenbecher der Männerwelt, bedeutet am Weibermahl des alten Hofs «zur feisten Hennen» (vgl. Ins 336 f.) das Glas. Channen und Chacheli als Zeugen altehrwürdiger Tage, wo Kaffee und Zucker noch als große Seltenheit den bürgerlichen und vollends bäuerlichen Tisch zierten, dürfen selbstverständlich nicht von der Tagesordnung abgesetzt werden. Ihnen gilt der Nachmittag und der Abend bis zur Stunde, wo das Hausfrauen­gewissen mahnt, hurti g e chläi dahäim go z’ luege, was gang. Ob die in der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit ohne Regiment gelassene Männer- und Kinderwelt o ch öppḁ n ihri Sach häig, gäb si (insbesondere die erstere) nụ̈ụ̈t b’boosget u nd nụ̈ụ̈t d’sun͜der óbe n g’rüehrt u nd nụ̈ụ̈t chrumms u tumms aa ng’stellt häig u sich überhạupt i der Oornig ụụffüehr.

Wird aber alls i n der Oornig g’fun͜de n, so muß jetzt für den zweiten Akt bi’m Tschachtli oder nunmehr dessen Nachfolgerschaft die Kanne vor der Flasche, die Tasse vor dem Glas das Feld räumen; Anken u Chääs u Gụ̆́mfitụ̈ụ̈re machen Platz dem chalte Bra̦a̦tis und sogar dem Chụeche, zu welchem di Huen 1 einer jeden Bäuerin selbsteigen rächt mängs Äier geliefert hat. Und wo Gläserklang und Frauensang nicht genugsam Ohrenschmaus gewähren, tritt wohl der Phonograph in die Lücke.

Inmitten der Freude aber wird — was nid ḁ-men iedere n Mannevolch z’Si̦i̦n chääm — der gezwungen Fernbleibenden gedacht: eine Abordnung von Vertrauens­männinnen trägt Wịị u Wegge 477 in stille Stuben, wo Bett oder Ofenegge eine Geschlechts­genossin gefangen hält.

Diese Erweise echter Schwesterlichkeit sind das rote Siegel auf den Freibrief zu den richtigsten aller Frạuetaage, von denen es regelmäßig im Protokoll heißen darf: «Das Fest verlief in schönster Eintracht und bestem Frieden; möchte es immer so sein! Ja, einige Frauen meinten, ein so lustiges Fest hätten sie noch nie erlebt.»

 
1  Zu Ins 339 sei hier der Huen von Lü. nachgetragen.  
 

X.

Wenn männliche Amtswürde sich beim Wein entfaltete und z. B. der Herr Landvogt mit dem Landschrịịber zum Vorsitz eines Chorg’richts (vgl. Ins 591 ff.) erschien, da̦ het es ’s un͜der ere Mooß p’här Maa nid ’ta̦a̦. 1 Es scheint aber, daß die Maß (1,5 l) das ganz gewöhnliche Maß (das Möödeli) war, welches man obrigkeitlich auch dem gemeinen Mann zubilligte. Wenigstens die Schloßgarnison zu Aarwangen erhielt im Bauernkriegsjahr 1653 p’här Mann und Tag eine Maß Wein und schließlich obendrein für bewiesene Treue noch einige Äxtraamooß. 2

«Wenn das am grünen Holz...» Das gleiche Urteil aus dem Empfinden unserer Zeit heraus kleidet sich in das scheinbar gegensätzliche Oxymoron: Wenn niemmer meh sụffe wott, was g’sü̦ü̦fig ist, was sött u̦s der Wält no wärte? — neuenstädtisch feiner aber doch: wenn niemmer meh soll Wịị trinke, so mueß mḁ dänk dḁrmit Härdöpfel wäsche. Aber worfü̦ü̦r u fe̥r waas het ma de nnlsó ’ne gueti Stimm zum trinke? Und was hätte es noch für einen Sinn, beim zueluege, wie der Saftstrom aus der Kelter gleich der Fü̦ü̦rte chschnuer aus der Honigschleuder rinnt, zu jubilieren: das gi bt mäṇgs Liedli!

Es gibt z. B. «Karessante-Liedli», wie sie ụs em rụụche Hals und aus den chịịsterige Kehlen der «alten Germanen» getönt haben mögen, wenn sie zu Ehren des Donnergottes, der selber ein tüchtiger Esser und Trinker war, ihre Wettkämpfe im Trinken aus den Schädeln erschlagener Feinde oder aus Trinkhörnern 3 feierten. Das Großzügige 478 daran ist erhalten geblieben im pụtsche 4 oder bü̦tsche. 5 Solches aastoße mit dem Glas macht gerne mit, wer nicht mit seiner Sprödigkeit aaz’stoße begehrt. Dazu gehört das (seltener werdende) B’schäid tue als «e Schluck näh» aus dem Glas, welches im ursprünglichen Sinn des Ehrentrunks für einen Gast 6 der Zutrinkende dem Eintretenden bringt oder (in Li.) träit: i traage der’s! i bringe der’s! 7 Eine der vielen Nachahmungen studentischer Bräuche ist neben «proos’t» das Schmollis 8 trinken, dann unter Hauptbetonung des Armverschränkens: Schmollis mache.

Der «Spiritus» dieser Bräuche ist verrạuchnet oder verrạuchne n (alt: verrochche), «das Phlegma» 9 ist geblieben, wie erst recht das nach behaglichem «pflegen» seines Leibes umgedeutete 10 Pflegma des pflĕ́gmatischen, noch älter twannerisch: des empflaatische n Menschen.

Selbst di nobli Art, öppis z’wi̦xe oder öpperem «auf» ein Glas Wein einzuladen (1754): chu̦mm, i zăhle de̥r e Schoppe! ist so wenig vom Hintergedanken der Réwangsche frei, wie vom Charakter eines G’schäftli die ehemals üblichen Schänkine von etwa 3 Maß Wein. Eine solche Schänki verabfolgte Biel alljährlich seinen Schützen aus eigener Weinkanne mit dem Stadtwappen, 11 und einmal (1467) an Twanner, welche einen Ertrunkenen nach der städtischen Benediktskirche gebracht hatten. An die Animier-Weine bei Steigerungen erinnern sodann die alten Leit- oder Weinkäufe, Wịịchäuf, die breuvages (1696) oder der breuvage beu (1599 für bevuto, bu), le vin behu (1652) oder das an seine Statt getretene Trinkgält, das tessenbergische treinguelte (z. B. 1687 pour la femme au vendeur). Waren sogar Eheversprechen mit Weinkauf 12 etwa so belastet wie Hochzeitszüge mit dem spanne einer Kette zwärisch über den Weg: warum denn nicht Stäigerige und andere Chäuf! Da schwollen Weinkauf und Trinkgeld so ung’regeliert an, daß sie 1847 in Twann auf einen Batze von jeder b’botene Chrone g’regliert wurden. 1801 aber kostete di oberi Chrosmattwä́id (Tw.) 32 Kronen und für jeden Burger ½ Maß Wein samt Brot für einen Batzen. 13 Früher mußten sogar Hin͜dersäße sich mit 479 Wein einkaufen. So u. a. in Feisterhenne mit zwo Gelte voll. Gleichviel kostete das väterliche Allmendrechtserbe des jüngsten Sohnes unter 18 Jahren (1747). Was Wunder, daß Burgerrechts­annahmen, Eintritte in eine Vereinigung u. dgl. so und soviel Wein kosteten. Verschiedene Male erklärte Bern alli Abmachete bi’m Wịị für ungültig — lang ohne Erfolg.

Warum hätten denn nicht Schlịịsmüeter ( Ins 412) sich zum Lebensunterhalt auch es G’nammts (z. B. 1805 25 Maß) Wein ịị’dinget? Der gehörte als «Greisenmilch» zum fü̦ü̦rchoo so guet wi Chrankewịị und Chindbetterewịị, wie Wịịsuppen und Wịịwarm zur Tauffi, wie aber auch bei eines Kindes Geburt auf Flaschen gezogener Mehbessere für des Kindes Taufe, Verlobung und Mutterwerdung. 14 Hieran schließen sich als gleichberechtigt die Gelegenheiten, z’Oobesi̦tz z’goo und z’neujohre vom Sịlvester bis zum Bäärzelistag, sowie z’létschamänt (z’letz̆t am Änd) die Gwanhig des chalte z’Im bis an jeglichem Arbeitstag.

 
1  Berechnung von Maler Anker nach der von ihm dem Chääsbapiir entrissenen Rechnung des Inser Chorweibels Jakob Stüdeli über Beschaffung von Speise und Trank nach den Chor­gerichts­sitzungen vom 19. April bis 8. Oktober 1671. Vgl. Taschb. 1901, 65-68, über die Leistungen des Bieler Rates am Weintisch.   2  Kasser, Aarwangen 248.   3  Caes. BG. 6, 28; Hoops 2, 231. Eine Erfindung Scheffels ist der alemannische «Salamander», dessen elementarer Feuergeist durch das kreisförmige «Reiben» ( S. 430) des Biertopfs auf dem Tisch auf den damit Gefeierten hinübergezaubert werden soll (zuerst ironisch: Seil. 4, 467), wenn man nicht durch Trinken brennenden Rhums mit ihm den eigenen Geist bereichern will.   4   Molz.   5  Irlet (1779).   6  Nibelungen 1750, 3.   7  Vgl. Tappolet L. 94 zu brindyè (zu trinken als trinquer), it. far brindisi aus (ich) bring dir’s. Dazu patois-frz. « la brinde» (das Zutrinken) und als Folge des zu häufigen G’sundhäit mache: « être dans les brindes»: einen «Brand» haben. Vgl. M-L. Wb. 1303 und Bridel 59 (wo an den Abschied der Griechen­land­reisenden in Brindisi gedacht ist).   8  Ursprünglich (1749) ein Schnapps ( Seil. 4, 466).   9  Eigentlich das beim «Brennen» ( phlégein) Zurückgebliebene, wie z. B. Treber und Truesse ( S. 432).   10  Zudem durch mhd. ph = pf nahegelegte.   11   Taschb. 1901, 62 f.   12   Hoffmann 31; Schröt. 54; Chorgerichl Ins.   13   Schlafb. Tw. 251 ff.   14   Hoffmann 26.  
 

XI.

Als «Brunnen, der aus éiner Öffnung süß und bitter quillt», 1 kann Wein «des Menschen Herz erfreuen», 2 seinen «Magen stärken», 3 seine «Wunden heilen», 4 kann er «der Seele beispringen» und «die finstern Dünste vertreiben», 5 also als heilwîn für tausend Schäden sich bewähren, und er kann «beißen wie eine Schlange, stechen wie eine Otter». 6 Ein ebenso glatteisiges wie beliebtes zitieren also für die Rechtfertigung der Kenner-Andacht im Keller; des feierlichen Becherlupfs; des tief gerührten Abschiedtrinkens; der weinselig g’spräächen Ehrlichkeit; der unerschütterlichen Gaststubentreue; der gewissenhaften Freiwilligkeit im umzü̦nte und noocheluege, gäb mḁn alli Hähneli zuetoo häig ( S. 474). Symbolisch schließt sich an: die tapfere Kraftentfaltung im pföhle. (So heißt das Leeren eines Glases unter Fausthieben auf den entblößten eigenen Schädel als Nachahmung des Schlagens auf einen einzurammenden Pfahl mit gleichzeitigem Ruf: en voilà un! deux! usw.). Darauf folgt etwa das dionysisch joviale hocken uf d’s Lääger. Poetischer jedenfalls als das Stürzen von zwölf Glas Bier oder Wein zum Zwölfi schloo.

Unverfänglicher beruft sich der natürlich jugendliche Wellenschlag der Zeiten, wo «der Saft sich in den Zweigen rührt» und im Faß der Wein 480 ( S. 421) «und in der Seele der Gesang» mit seinen unerläßlichen Scheßte — auf den Spruch, daß «alles seine Zeit hat». 7 Besser aber verzichtet auf moralische Rückendeckung, wer d’Läbere Sunnsite het. 8 Und starch gnue g ist an ihm sälber, wer all Nacht 9 (Tw.) no um zwölfi umme sich der Beweisesschuld entledigt, es sịg nit sị Brụụch oder är häig nid im Brụụch, den gutmütigen Schlụfi oder Schlắwack 10 zu spielen. Er lööi’s fläädere und nähm gäng wider äi’s uf e Hohl (Tw.: wie den Ätherpfropfen aus den schmerzenden hohle Zan͜d). Er schmier u salb, schütt zu de Wü̦ü̦rze oder hin͜der d’Gráwatte, wie der alte Kriegsmann tut.

Dieser gewohnheitsmäßig vo Chäller zu Chäller ambulierende Chäller­sụ̈fferler aber ist ein Muster von Offenheit, das seinesgleichen nicht hat und völlig sich selber genügt. Er repräsentiert die Weisheit: Wenn äine r voll ist, so redt er, was er dänkt, wen n er nüechter ist. Und: e jedere het e Narr bịị n ihm; di mäiste verstecke nḁ; der Trinker loot ’nḁ fü̦ü̦re gu̦gge, wenn ihm die Zunge hinket von wîne. 11 Hier «aanhäärig» zutunlich, zuetäppisch, dort als Biedermeier gewichtig sich suchen und finden lassend, jetzt frech mit einem anbändelnd, haseliert er als buveur bavard. 11a Er gị́gaarset beständig: schaukelt auf dem Stuhl hin und her und macht sonstige Fị́geese zu seinem Gaudi. Er bringt z’sämme­g’hü̦ürscheti (s̆s̆) Erklärungen und Dispute vor, gi bt äi’m e Bredig u priesteret, waschlet, schnụụre­wagneret, wäschwasseret, schwaadlet, schwăblet, gaagget, bääget, schnääderet, tschääderet, schnablet, schnabuliert, papplet als Schnu̦u̦rewagner, Schwaadli, Waschli, Dampfhanswurst (Hans Dampf und Hanswurst) allerlei Chällerg’waschel, Mi̦nggepeene, 12 Mịnggis, Mumpitz. 13 Nun aber ’berchunnt er der Răschel: er chunnt de nn baal d zum Hụụs ụụs. Dann wird’s heißeṇ Was dää für Bröcke fü̦ü̦re bringt! Und was er für n es Bbịorn u Priámmel 14 aastellt, welch einen Priángel oder Breiángel! wi dää breiánglet! Es isch zum tụụbedänzig wärte. Natürlich lụ̈gt er i d’s halbe, d. h. er lügt grad z’g’rächtem. «Isch’s wa̦hr?» Wá nääi n! a bá! Oder aber: Ja, fe̥r g’wüß!

Studie von Anker

Indes dieser täävel Gewordene ins ti̦schgeriere und hŏleedere übergeht, gerät der zum trunkenen Elend Veranlagte ins chlööne 481 (kleinlaut sich beklagen), sü̦ü̦rmle, wịịre (Erl.), gränne (weinen); wird ein Sü̦ü̦rmi, ein Prieggi. Aus dieser Stimmung heraus würde sich das ehemalige Psalme singe angetrunkener Seeländer (s. u.) erklären, wenn solche «Stoffauswahl» nicht der höchst einseitig kirchlichen Schulung zuzuschreiben wäre. Das Inser Chorg’richt von 1688 brachte denn auch solch geistlichen Kunst­leistungen zweier «biß vmb vier Uhren» nach Mitternacht «Überseßenen» (des Übersitz Schuldigen) so wenig Verständnis entgegen, daß es jeden um zehn Schilling büßte. Noch 1782 sangen, bzw. gröhlten trunkene Nidauer Bauern etwa sechs in bestimmter Reihe wiederholte Psalmen. Den psychologisch wohl motivierten Anfang machte der 42. Psalm: «Wie nach einer Wasserquelle Ein Hirsch schreiet mit Begier» in der Lobwaserschen Fassung. Das herzbewegend schöne Klagelied scheint — wie andere seiner Schicksalsgenossen — so schụ̆́derhaft abgedroschen worden zu sein, daß auch Nüchterne immer wieder daraus verfielen:

Singe di andere wi si welle,
I singe gäng no no der Wasserquelle.

Der Nummer 42 folgten in jenem trunkenen Konzert: 25, 27, 103 u. a., immer beweglichere. 15

482 Kein Wunder, daß dicht neben diesen «kirchlichen» (wie heute an ihrem Platze «patriotischen») Nachklängen die Possenreißerei Platz fand: ein «unErhörtes glesser fräßen vnd andere vnzüchten» am Hamme- (Abrahams-) tag (15. Dezember) 1601 im Inser Räbstock; drei Wochen darauf durch den nämlichen Clown (dessen zuvor ihm g’schänkte Tag Cheefi nun verdoppelt wurde): ein «vnzimliches Ässen der beyn», wie noch später ein Schnäggen ässe mit sammt de Hüüsli. 16

Der selbe Faxikus (Lustigmacher, vgl. le loustic) gebärdete sich aber auch als ein mit unbezähmbarer Ratz behafteter 17 Si̦betụ̈ụ̈fel: als Zanggi, der mit bị̆ße gegen den Wirt wütete und als Vorbild jenes Bịßer gelten konnte, dem ein nachmaliger Inser durch das mit dem öffentlichen Fáktör zugesandte Geschenk eines Mụụlchratte (Hundemaulkorb) einen sehr schmerzhaften Fingerbiß heimzahlte.

Unter den Seeanwohnern glichen ihm Baarchche­hängste (Barkenknechte) als großlächtigi (großhansigi) und streitsüchtige Haagle, welche als Fingerzieijer die gewaltige Kraft ihrer Finger, Hände und Arme noch alltäglich im Bääre stoße stählten. Wenn ein trotzig herausgeforderter Zuschauer einen von ihnen mööge het im Finger zieh, dann konnte er sicher sein, von ihnen bim Chrooße (Erl.: Chrosse) g’noo zu werden.

Denn bei den durch Wein oder no Sterchers Erhitzgete war nun erst recht ịịg’sụ̈ụ̈ret! Es isch ’nen i’ n Grind, i’ n Hü̦ü̦bel oder i’ n Tü̦ssel gsti̦i̦ge und het ’ne der Rüggen ụụf g’chrụ̈ụ̈selet. Von Haus aus uwoodlig (uwaatlig), ungattlig, ung’reglet, dazu prompt (barsch) und pru̦nt 18 (unfreundlich), u̦lịịdig, waren sie durch einen Ụụfsti̦i̦fler bald ụụfg’sti̦i̦flet. Sie begannen si ch z’ergelstere, z’ru̦mple, ụụfz’bạuele, z’bäumele (ụụfz’bigähre), den Feind aaz’bäägge und aaz’brüele, mit «Gott verdamm mi ch» und andern hööchere Wort um sich zu werfen. Dieser jähzornige ( tạubsü̦chtig) Bu̦u̦rsch, der leicht taub (zornig) wurde, rasch z’ertäübe oder z’vertäube war, in Täübi (Zorn) und ins täübele (täupele) geriet (in lang anhaltenden Groll), und grụ̈ụ̈seli höhn blieb, ließ sich leicht zi̦ggle und hi̦tzge, hụ̈tze, aufhetzen; es kam aus dem G’haader zur Hatz und zur Hatzete.

Da̦ isch es hööch zueg’gange im Wechsel zorniger Reden. Besonders ab der Wi̦derreed eines raas und rääs, raasig gewordenen 483 Männchens ist jener fast erwoorgget; es het ’nḁ schier welle erwöörgge.

U jetz isch’s uufzŏge g’si̦i̦! Es isch u̦f em Stich oder u̦f em P’hunkte 19 gsi̦i̦, daß es ’ne i d’Fingernegel chu̦nnt. Sie nähme enand i d’Fingre; sie chraagne, 20 bü̦ü̦rste, erwalche enand, sie schmị̆re sich ab oder ụụs, versetzen sich Schränne u Schnatte.

Wo die 21 Ru̦mplete e chläi verschnu̦u̦ret und versu̦u̦ret het und es bei den Aufgebrachten verrạuchnet oder verrauchne n (vgl. verrochche, S. 478) g’ha het, wurde der Urheber des Streits ( dää, wo aag’schlaage het) von einem imponierend ruhigen Zeugen der Szene, den mḁ gäng e chläi g’schochche het, i d’s Gebätt g’noo:

Loos, gang dụ häi m u schloof schön! Du bisch niene schöner weder im Bett. I wäis jo wohl, daß de̥ nu̦mḁ do härḁ choo bisch, fï̦r di letz̆ti «Gardinebredig» z’vergässe. Du hesch e chläi es Bĭßzangli dohäime, für nid z’sääge: e Bĭßzange, e Bị̆ßere. Die isch an͜dere Lụ̈t o gram 22 un isch mit ’ne im Chri̦tz. Gäng häi si Chri̦tz z’sämme u Strị̆t un͜der enand. Drum isch si o wüesch aag’moolt.

Aber dụ, gang dụ im Fri̦i̦de dị Wääg! Mach dị Sach am Daag u ruei z’Nacht, daß de̥ n am Morge g’rueijet bist! Mach, daß de̥ nid o no i der Wält usse i’ n Sịrach chunnsch (ins Unheil gerätst). Es sött di̦i̦ nid o no d’rab g’luste, näi, es sött der d’rab grụụse, mit Lụ̈t, wo dier nụ̈ụ̈t z’Läid ’too häi, ụụsz’tu̦rniere u so n es G’schärei z’mache, u so n en ung’schlachte, ungattlige, hol zbolzige Tonner z’wärte!

Der Angeredte überbị̆ßt. Denn natürlich hat der Zuspruch ihn i d’Nase g’chi̦tzlet. Er hat eine Antwort z’vorderist im Mụụl. Allein der andere verhét ĭhm si e: Dịs Trutzliedli, das hänk ụụf («an den Nagel»)! Tru̦tz nid so, tru̦tz nid so! Dene, wo Fräid d’ra hätte, grad z’Tru̦tz ni̦i̦d, u grad äxtrá ni̦i̦d!

Still, still, nŭ̦́mḁ rüeijig! zaable nit u wird mer nid ráupạuzig! Lueg, es förchtet si ch doch niemmer vor de̥r; es wu̦rd si e bloß lächere ab de̥r. U we nn’s z’äärnstem goo sött, mit dier wär mḁ de nn baal d g’floge; dụ wụụrdisch di ch pfääije wi Tụụbe. Drum wen n i der öppis cha ra̦a̦te: Probier nid ung’hụ̈ụ̈rig z’tue! Vergụ̈ụ̈d dịs Chrefteli ni̦i̦d!

484 Und dụụ, wo gäng Fräüd dra hesch, z’gu̦sle und z’hi̦tzge (zu hetzen): Häb (halt) dị Schnu̦u̦re und dị Schnäügge (Nase)! Häb d’Laafere zue! Dụ brụụchsch die nụ̈ụ̈t so z’stelle!

Die Trääfe sitzen. Es erschwachet und es sädlet si ch das Großtun auch bei einem Dritten, welcher, der Huet uf drei Schoppe g’richtet, g’chrääit het und si ch ụụfg’loo wi der Chrott u̦f em Dü̦nkel, und too, wi wenn di chlịịnne Hụ̈sli alli sịni wäri. Es schweigt aber auch das aufreizende ụụsföpple und fụttere, sowie die hin͜derrucksigi Art, d’Lụ̈t z’verkalfáktere («z’verschwätze»). 23 Eine andere Stimmung sucht Platz: die des geduckten Toggemụ̈ụ̈ßeler (Erl.: Tu̦ggimụ̈ụ̈sler), aber auch di chächcheligi 24 Gemütsstimmung eines Kränklichen, der nie zu vollem Leben erwache n ist. Beide fließen zusammen in dem dịffịsịịle, übelnehmerischen Gehaben des und der Cholderi, welche der G’cholder mache, choldere oder choldere und chụppe (schmollen und grollen) und bloß unter chụụche (hauchen) ’s erzäige, es sịg ’nen überscheh: es sịg nid am Ort, daß... Dann kommt es zum mu̦ggle und mu̦nggle, chü̦mele, bröösmele, chi̦i̦rme, chääre, zur Chäärete des chäärige, ru̦mpelsu̦rige Chääri, des Tromsigchratte und des Ni̦i̦rpi, der wie ein eingeschüchterter Quängeler ni̦i̦rbig gäng au öppis oder öpperem umme ni̦i̦rpet: nhn! schöön das! aha! das häi mer jetz grad no ’bbrụụcht (g’manglet, wanted)! Er nü̦ü̦schelet dabei wie mit vermuereter (in der Wurzel verstopfter) Nase. Er wird giftig und giftelet, spängelet, schloot oder redt anzüglich u̦f das und das hi̦i̦ oder drum um, gu̦slet und grü̦ü̦blet all der Tụ̈ụ̈fel ụụf. So längwị̆let er d’Lụ̈t, bis einer, den das fu̦xt, ihm eine Antwort gibt, auf welche die andern Beifall klatschen: dää bu̦tzt äine n! (Er darf sich gleichsam auf der Kartenspieltafel einen Schuldstrich löschen lassen.)

 
1  Vgl. Jak. 3, 11. 12.   2  Sir. 31, 33; Spr. 31, 6; Psalm 104, 15.   3  Tim. 5, 23.   4  Luc. 10, 34.   5  Colerus.   6  Spr. 23, 29-32; vgl. 20, 1; Jes. 5, 11. 22.   7  Pred. 3, 1.   8  Adverbialisiertes Dingwort.   9  Alte Mehrzahl: Braune, ahd. Gr. § 241.   10   Ins 219.   11  Walter v. d. Vogelweide 30, 1.   11a  Victor Hugo.   12  Vgl. schwz. Id. 4, 332.   13  Mum-putz: vermummte Spukgestalt, das über sie umgehende, schreckende Gerede, Schwindel, Unsinn ( Seil. 3, 85).   14   prae-ambulare: vorangehen; pra-ambulum: Vorrede, Einleitung, weitschweifige Auseinandersetzung; Priamel: eine Art Gericht.   15  Vgl. Meiners 1, 315.   16   Chorg. Ins.   17  Mit den Stufen l. radere (kratzen, pv. raire), frz, raser und urvwdt. rääs, raaß, rääß. rääz, die Ratz vgl. Hader, das Ghaader, g’haas, hassen, die Hatz ( Kluge 196; Ins 468).   18  Zur Schau «hervor-nehmen»: pro-emĕre, prōmere; zum Kauf «bereit» gestellt: promptus; «bereit zu rascher Erledigung einer Sache, aber auch zu unfreundlicher Abfertigung; it. pronto, prunt, frz. prompt, prompt.   19  Stechen = pugere. Dazu le point. und la pointe.   20  Kragen = Hals.   21  Natürlich in dieser Zusammenstellung mundartlicher Hieb- und Stichwörter (vgl. S. 170 ff.) gewaltig übertriebene.   22  Urverwandt mit fremere ( tschudere).   23  Der calefactor (vgl. Seiler 4, 461) war der «Heizer» mittelalterlicher Hochschüler, der sein schlecht bezahltes Amt etwa als Aushorcher und Zuträger verbesserte. Daher jemand verkalfaktere: ihn niederträchtig verhandeln; im Emmental wird jedoch eine Sache, eine Angelegenheit durch kalfaktere ähnlich wie durch chalche verderbt, verkalfakteret, verchalchet.   24  Wie das zerbrechliche oder das bereits durch einen Spalt um seinen hellen Klang gebrachte Kachelgeschirr, ist der «Gebrechliche» einer, welcher chachchelet und bei dem es chachchelet; und eine ungeschickt verfahrne Angelegenheit wird verchachchlet.  
 

XII.

Überreich an Ausdrücken ist der Humor und der offene Spott gerade des weinbauenden Seelandes über einen Zustand, von dem es 485 heißt: Jetz isch Mu̦u̦rten ü̦ü̦ber! 1 Jetz het’s g’fählt, jetz gäit es lätz! Der Betrunkene het’s hööch, weil er z’täüff i d’s Glas g’luegt het. Der Wein ist ihm so hoch zu Kopf gestiegen, das s er ĭhm d’Chappe lü̦pft. Er ist staubig im Kopf, ist d’dŭ̦slet. Er cha nümme «Brei» sääge, verschwịge «Baabi». Er ist in einer Verfassung, in welcher der Russe vor seinem Heiligen der Umhang zieht.

Daß aber Betrunkenheit just im Seeland eine seltene Erscheinung sei, wird durch das Oxymoron bezeugt: We nn mḁn e volle Maa g’seht, soll mḁ der Huet vor ihm abzieh. Oder auch durch die seeländisch grobe Neckerei, welche einem Wirt den Klageruf in den Mund legte: Es isch mị Seel e Schan͜d: mi g’seht d’s ganz Johr käi volle Möntsch im Döörfli!

«Voll» selber gibt Anlaß zu witzigem Wortspiel: Herr Nachtwächter, ich bin nicht betrunken; nehmen Sie mich, bitte, für voll! Oder: Är isch hü̦t nid i voller Verfassig; oder wohl, grad äben i voller!

Sehr eindeutig ist dagegen: är isch pu̦ntevoll = spu̦ntevoll ( S. 428); chatzevoll, voll wi n e Chatz (geberdet sich toll wi ne rammligi Chatz); chragebaabi voll (wie ein bis über den Hals [Chrage] hinauf voll Gäistigs steckendes Baabi); kanu̦nnevoll; kartä́tschevoll (wie eine geladene Kartätsche, cartouche; so voll sind alte routiers); stäärnevoll (wie der Himmel voller Sterne), stärnstierevoll oder stierstäärnevoll («ä̆-: zugleich voll wi n e Stier»): zapfevoll (wie eine bis zum Zapfen gefüllte Flasche; daraus analogisiert:) voll wi n e Zapfe.

Der Volle ist knüll. 2 Er ist (hilflos wie eine Fliege) i d’Dinte choo. Är ist rịff (zum Verbringen ins Bett, 3 wie Getreide zum Verbringen auf die Bühne), wenn er nicht am eigenen Leibe sälber es Fueder häi mfüehrt. Wenn er nur dabei nicht stolperet, bis ’s 486 nḁ n überschloot und er schließlich troolet, dabei sich die Nase zerschlägt wie ein des Nachts an eine Spältebịịge Stoßender und dann die lange nachher wiederholte Erklärung abgibt: es isch mer e Spälte Neue uf d’Nase g’heit. Auch mit der Gangart gibt er als Fụụgemaa aller Gattig Fụụge, Fụgeese, Spargimänter oder Speergimänter (Ins) zum besten. Da er überlade het, plampet er und benennt danach spaßhaft das Plampetewäägli ( S. 184); er gäit überwí̦ndlige (Ins: überwị́ntlige: die Beine kreuzend), heltet wieder äis und waggelet als Waggeli. Vi̦l, vi̦l häi sịni Bäi g’chu̦u̦rzet! 4 Und da der Wein ihn g’ringglet und sich ihm um d’Bäi g’lịịret het, het er rundi Füeß, wie auch einen kartätscherunde Lịịb; er ist elä́nd rund. Er ist nü̦mma n im Blei, nicht mehr im Sänkel. Es trü̦mmlet ihm, es isch ihm trü̦mmlig oder stụụrm, stụụrn (Ins). Drum isch er im Stụụrm, het e Stụụrm, er stü̦ü̦rmt, vollführt es G’stü̦ü̦rm, isch e Stü̦ü̦rmi. Er isch «berußt»: b’bräämt. Er isch im Sụụflụụn.

Er hét äi ns! Er hat — der Welsche sagt es sogar in 150 Patoisformen — einen Aff; einen Ploder; einen Brand, Kanonen- und Mordsbrand, einen Sandbrander. (Der Kopf ist heiß wie durchsonnter Sand.) Er hét e Chäib! Mordschäib! G’chäppelet ist er, wenn er die Spannung des Hirns fühlt wie den Druck einer engen Kappe; er het e Ha̦a̦rbụ̈ttel. Er hét e Chätzer oder doch es Chätzerli. Er het e Chịste; er het e Chịste um enand g’schläift. (Drum kann er vor Müedi nicht mehr vorwärts kommen.) Er het e Chlapf; e Chräbel (der ihn zäichnet). Er het e Dampf so riesig wi n es Pụụrehụụs oder doch es Dämpfli, einen Tampis; einen Tiger; einen Ti̦ps oder es Di̦pserli, Di̦psli (er ist «betupft» wie ein ’tịpsets oder ’tü̦pfts Osterei). Er het einen Dụsel; einen Eidgenössischen und Vaterländischen: einen Fahne (botz häitere Fahne, het dää ’ne Chiste!); Ha̦a̦rweh, g’schwụllni Hoor; einen Hieb; einen Lukas; 5 einen Näbel; Öl a der Huetschnuer (Öl am Huet, vgl. das Mähl am Eermel des Lappi); einen Rụụsch (s̆s̆), Fätze-, Vịịh-, Ordonanzrụụsch; einen Sabel und Sáraß; e Schwääre; e Sị̆diaan; e Siech; e Spitz; eine Stöör: einen Stuurm und Sụff. Er het der Wịị; der Wurm im Hirni: einen Zinóber; einen Zopf.

 
1  Wie am 5. März 1798 u. a. Bern seinen Übergang (an Frankreichs feindliche Übermacht) erlebte: überḁ (über-hin) [ g’gangen] ist, so am 28. Februar 1476 Grandson (nach dem Schauermord der Besatzung: Dierauer 2, 242 ff.) an Burgund. Nach der wirren Überlieferung ungeschulter alter Zeit (vgl. schwz. Id. 4, 428) war es aber «Mụrte», das auch sonst aus der Burgunder­kriegszeit besonders hervorsticht. So z. B. im Mụrteg’schütz ( Gb. 64, 607), im Burgunderbluet des Mu̦rtensee ( Ins 106), in der Deutung des Münzegrabe oder des monnaie- ( Mu̦nje-) Grabens aus dem burgundischen Klageruf « mon Dieu!» usw. Ja, mit ihrer eigenen Landschafts­geschichte vertrautere Westländer schulloser alter Zeit verwechselten gelegentlich ganz sinnlos «Mu̦rte» mit der «Mu̦tte» ( S. 154) als der Bielerinsel.   2   JG. BSp. 364.   3  Eine Frau verbrachte ihren trunkenen Mann kurzer Hand nach St. Urban und holte ihn zu künftig ganz normalem Zusammenleben wieder heim.   4   JG. Geltst. 281.   5  «Die ganze Nacht jubilieren, als wäre es Lukas am letzten Kapitel» ( schwz. Id. 3, 1255) als Variante für «Matthäi am letzten», aber mit der Umdeutung auf maßlosen Genuß nach dem Satz après nous le déluge.  
 

XIII.

Sind alle diese Knillitäten nü̦mme schön, so ist es um so häiterer, wenn einmal ein durch und durch solides «altes Haus» sich an einem Achttägige wie vom Wein des Jahres 1865 übernimmt. Da begegnete einer Frau, welche mit all der Entschlossenheit einer großen Seele einen mit grauem Äschetuech bedeckten Karren zog, ihr Pfarrer: «Aha, dier weit bachche u heit z’Mu̦llen euers Mähl g’reicht?» Die Frau schickt sich zu einer der Lage angemessenen Antwort an. Mittlerweile jedoch regt sich was unter dem Tuch. Ein bärtiges Gesicht kommt halb verhüllt zum Vorschein, und ein chụụderig verschleierter, tiefer Baß läßt sich hören: Jo jo, Herr Pfarrer, es isch de nn mi̦i̦ ch!

Die Breite der nämlichen Straße maß in eng geschlossenen Zickzackzügen ein anscheinend Unzufriedener, der ämmel gäng öppis het z’brummle g’haa. Plötzlich tönt es laut heraus: Was? du̦ (Wein) erst acht Tag alt un i̦i̦ sächsesächzg Johr, und du̦ wotsch mi mööge? Gebieterisch abweisend streckt sich der Arm nach dem Straßengraben. Aber im selben Augenblick verkündet ein Platschen und Gurgeln, auf wessen Seite der Sieg. Zum Glücke kam dicht hinter dem Unterlegenen ein neutral Gebliebener daher, und ein Braver rettete den Braven.

Dem noch ungedeckten Stadtgraben in Bern aber rief ein gefährdeter Seeländer zu: Nä nääi, me̥r wäi do nid mischle! i gangen u̦f d’Sịte!

Ein in Ins an extra Gutem Erlabter kehrte öppḁ n am ängle̥fi in prachtvoller, tagheller Mondnacht nach Kerzers heim durch die schnuergraadi und damals noch dicht geschlossene Saarbạum-Allee, aus welcher eine Halbstunde weit die Heerstraße besteht. Ein herrlicher Spaziergang von z’sämmen an͜derhalb Stun͜d. Allein unser Mann langte erst am Morgen an, zum Tod ermattet, und erst ein tiefer Schlaf auf dem Ruhbett, aus dem er wi n es Dü̦tschi abplätscht isch, ließ Leben in seine wi Stäcke g’stabeletigi Bäi zurückströmen. Kein Wunder auch! Hatten die doch einen Ggump gleich nach dem andern über die Moosgreebe nehmen müssen, die chohleschwarz sich zwäärisch über seinen Weg legten! Diese «Gräben» waren die scharf geschnittenen Schätte der Pappelbäume. 1

 
1  Eine mit Varianten auch anderwärts erzählte Schnurre.  
 

XIV.

So cha nn der g’schịịdsti Chatz e Mụụs ertrü̦nne. Diese dient aber jener als Lehrblätz, ohne welchen es für niemand eine Meisterschaft gibt. Das ist auch der wahre Sinn des angeblich «Lutherschen» 488 Rausches, den ein braver Mann äinisch mueß g’hă haa, um danach als Gewitzigter um so sattelfester zu und auf seinem Posten zu stehen. Von ihm steht erdenweit ab der Trinker und der Säufer, der als Schlappschwanz alls loot rü̦tsche u schlịttle, auf den mḁ nụ̈ụ̈t cha goo u nụ̈ụ̈t cha zelle, und der damit sich selbst als ernst zu nehmendes Glied aus seiner Familie und der Gesellschaft ausscheidet.

«Der versoffnig Sụffhun͜d», der si ch vo der Chueh u̦f d’Gäiß abeg’soffe het; die volli Sau; der Lump; der nụ̈ụ̈t weder lumpet, der verfotzlet Fotzel mit der (klebrigen) Pächnase oder dem allzeit blaue Bịff, Schmöcker, Zịngge und den (triefenden) Brieggiauge; der willenlose Wäschlumpe; der nụ̈ụ̈tig oder nụ̈ụ̈tguetsig Sụ̈fferler: das ist der Holzschueh, wo mḁn ihm na̦a̦schlängget. Die Volkssprache stellt etwa noch fest, wie der Zitteri und Datteri, d. h. das habituell gewordene zittere u dattere, auch der San͜dsịịber genannt, seinen unglücklichen Eigner zwinge, um d’s Glesli der Naselumpe z’lịịre und dieses Nastuch als Schlinge um den Hals zu tragen. Das ụụf’tri̦bne, ụụfblooste, pläästige Gesicht zeigt ein Schnääderg’frääs, welches schneulig, schnöölig geworden, vor jeder Speise außer Fleisch Ekel verrät. Ein Geruch aber geht von der Gestalt aus, wi vo mene Schnapsfaß, wo a der Su̦nne stäit. 1

Zu ruhig sachlicher Erörterung des Trinkerelendes aber haben einstweilen bloß die Wissenschaft der Lebenslehre (Physiologie), der Irrenpflege und des Strafrechts das Wort. Die sind indes noch so jung, daß ihre festgelegten Lehren erst mit der Zeit sich auch in der Volkssprache einbürgern können.

Den gewaltigen Ernst dieser Lehren aber beweist schon das Eintreten der allermeisten Irrenärzte, Strafhaus­direktoren und Physiologen für die zu einer Macht gewordene Abstinenz: die grundsätzliche Enthaltung von allen geistigen Getränken. Auch hierüber mangels mundartlichen Sprachstoffs bloß dies wenige:

Weinprobe

(Studie von Anker)

Das im Anfang mit «Thämperä́nz» (Mäßigkeit) in deren Verschärfung zur tempérance totale 2 gleichbedeutende Wort «Abstinänz» hat den Thämperänzler, welcher thämperänzlet, als Anhänger 489 einer laxen, mit halben Maßregeln zufriedenen Selbstbeschränkung im Genuß alkoholischer Getränke diskreditiert. Bloß die Thämperänz­wirtschaften haben, dank ihrer Erhebung aus dürftigen Gaffeestube zu flott gebauten und geführten alkoholfreien Wirtschaften, Gast- und Kurhäusern an Klang des Namens vielmehr gewonnen. Die Abstinenz ihrerseits hat durch Beschränkung ihres Begriffs auf absolute Enthaltung von Gäistigem, der gewiß auch einst die Enthaltung vom Tabaksgebrauch usw., vor allem aafḁ z’eerst der dummstolzen Schuljungen, folgen wird, den praktisch unanfechtbaren Grundsatz sich zu eigen gemacht: Nid alles u̦f ä́is Ma̦a̦l! Wenn si̦be Tụụbe mit enan͜d zu äim Loch ụụs wäi, so chunnt e käini ụụse. Solcher Abgrenzung des Kampfgebietes durch den Alkoholgegnerbund, das blaau Chrü̦tz und den Guttemplerorden ist der zu Stadt und Land durchgreifende Ersatz alkoholischer Getränke durch nährende Speisen, ferner die Antiquierung roher Trinksitten und brutalen geselligen Trinkzwangs, die gewaltige Alkohol­einschränkung im Militär, in der industriellen Arbeiterschaft und in Sportkreisen als unermeßlich verdienstvoller Erfolg zuzuschreiben. Möge nun auch die völlige Enthaltung aller Unerwachsenen ( S. 463 f.) als Bürgschaft eines 490 mannhaften Männer- und Frauengeschlechts der Zukunft gelingen, sowie eine gründliche Reform des Wirtschaftswesens 3 als Ersatz untunlich gewordener familiärer Geselligkeit! 4

 
1  In witziger Verhöhnung hochgestellter Trinker mochten die Römer aus Tiberius einen Biberius ( Süffel): aus Claudius einen (ebenfalls dem Kaiser Tiberius geltenden) Caldius (vom Wein Glühenden, etwa Brönner); aus Nero einen Mero (der im Widerstreit zu anständigem altem Brauch den Wein unvermischt trinkt, etwa Schnappsnase); aus Cicero: Bicongium Doppelgoon.   2  Engl. gekürzt zu tee-total mit -er als Suffix der Anhängerschaft, nachmals als «bloß Thee ( tea) Trinkende» umgedeutet.   3  Vgl. z. B. Pfarrer Keller in der BW. 1914, 235 ff.   4  An volkstümlichen Schriften kamen uns zu Gesicht: Benoit (Alkoholiker­fürsorge). Bunge (Alkoholfrage. Quellen der Regeneration). Christen (Die großen Seuchen unserer Zeit). Couvreur (La source fatale). Fick (Jungmannschaft). Fock (Rassenhygiene). Forel (Trinksitten). Gaule (Was sollen wir trinken? Lebensgenuß ohne Alkohol. Alkohol und Geistesstörung. Wie wirkt der Alkohol auf den Menschen? Alkoholismus). Kräpelin (Alkohol und Seelenleben). Lanz (Alkoholgenuß und Verbrechen). Marthaler (Charakterbildung und Alkoholismus). Ming (Der Bauer und die Abstinenz). Schönenberger (Trinker-Ausreden). Stump (Aufgabe der Schule. Die großen Veran­schaulichungs­tabellen). «Der abstinente Arbeiter». «Walther Tell.» Weiß (Jugend und Lebensfreude).  
 

XV.

Der Veranlassung zum un͜derschrịịbe der sich charakterschwach Fühlenden als Selbstverpflichtung zur Abstinenz stellt sich als weit arbeits- und opferreicheres, aber auch verdienstvolleres Werk entgegen die Handreichung zu ökonomischer, leiblicher und seelischer Selbsterneuerung. Daß namentlich heute Gäistigs trinke Gält chostet, beweisen Exempel zur Genüge. Wenn mehr als einer, der sich seines als Nichttrinker und Nichtraucher ersparten Geldes rühmte, durch ein «wo hesch e̥s?» verblüfft wurde, beweist dies nur, daß durch Selbsterziehung erlangtes chönne rächne sich eben noch auf án͜deri 1 Gebiete der Lebenshaltung bezieht. Auch blaaui Fläcke als Grabesblume, beim noch bluetsjunge Möntsch durch blu̦ntschigi oder bru̦ntschigi Fäißi trügerisch dem Laienblick entzogen, deuten auf noch anderweitigen Mißhaushalt mit dem Wunderbau des Menschenleibes, der zugleich trotz allen anthropologischen Kenntnissen einen erstaunlichen Mangel an elementarstem si ch sälber g’chenne verrät. Um desto dringender das von unserer Zeit endlich empfundene Berdürfnis der nachgeholten Jugenderziehung als der Wegweisung zur spätern Selbsterziehung in dem Notbehelf von Anstalten. Als solche erwähnen wir hier die im östlichen Grenzbereich des Seelandes bestehende Trinkerheilanstalt zu Kirchlindach: die wie providentiell ihren alten Namen zu neuer Bedeutung erhob. Die Ortsgeschichte ging damit parallel der Wortgeschichte: auch diese hat ihren Gefühlswert gehoben. 2 Nüechter ist und lebt man, Nüechteri pflegt man zunächst im Sinn des urverwandten 491 nocturnus (nächtlich). 3 Die Nacht über ist man ja ung’gässe und «untrouchnig». Allmählich aber verengerte sich der Sinn zur Bedeutung: ohne Gäistigs «getrunken» zu haben, ja auch nur: z’vil Gäistigs. So ist der Nüchterne zu unbenommenem und unbefangenem, ruhigem und klarem Denken aufgelegt; aber freilich auch zu solchem ohne Begeisterung, ja ohne Geist, so daß gäistig in dem Doppelsinn von spiritueux und spirituel mit sich selber in Konflikt gerät. Ein ganz Nüchterner kommt dann schließlich und erklärt uns mit Hinweis auf ein Bibelwort: 4 Es chunnt no min͜der drụf aa, was äine trinkt, weder uf das, was äine redt.

 
1  Bemerke das mundartliche Schwergewicht diese Worts.   2  Eine kleine bernische Gemeinde erwirkte die Umtaufe dieses ihres Namens. (Über diesen: schwz. Id. 4, 665, wo an «Nüechtland» angeknüpft wird.) Die Nüechtere, als ein von der bernischen Landeskirche unter Vorantritt von Pfarrer Harald Marthaler gestiftete Heilstätte für alkoholkranke Männer, feierte 1916 ihr 25jähriges Bestehen. Hierüber belehren die Festschrift des Präsidenten Marthaler (Bern, 1916) und der «Säemann» (Januar 1917); vgl. die « Berner Woche» 1916, 426, mit Abbildungen.   3  Im «Kleinen Bund» vom 10. Oktober 1920 wird durch Paul Öttli in St. Gallen «nüechter» mit uoht (vgl. Ins) in Zusammenhang gebracht.   4  Matth. 15, 11.  
 

XVI.

Vollends, wenn einer so faule Ausreden führt wie jener Inser von 1578, der seine Frau aus dem Hause geworfen hatte und naiv genug ganz z’äärnstem vor Chorgericht der guet Wịị d’Schuld g’gää het, daß äär böse Wịị trunke häig. Dieses Thema verhandelte 1548 Niklaus Manuels ( S. 455) Sohn, Hans Rudolf Manuel, in seinem Weinspiel, 1 das als Gegenstück zu S. 455 f. unser Trinkkapitel beschließe.

Da rị́botte n im Wirtshaus «zur blauen enten» 2 ein paar Grampólhäirine und «trinkend ein guoten schlabutz», wohlverstanden: u̦f d’ Chrịịde, wo dopplet schrịbt, oder u̦f e Chneebel (das Kerbholz), a d’Wan͜d. Denn der Wirt, der von den Praktiken jener Zeiten keine Ausnahme macht und als «Polikarpus 3 Schinddengast» seine Zecher mit Vergnügen ịịnelịịmt oder ịịnelị̆smet, ist gern bereit zum uffschlan (kreditieren, dings gää). Er weiß, daß e̥s ĭhm i der Anke nrụụmme n ummḁ chu̦nnt. Mit der Zeit gehen freilich den Gerupften doch die Augen darüber auf, «wie tür sie in die ürten sitzen», und nun beginnen sie ụụfz’bigähre wi n e Rohrspatz. Jedoch schimpfen sie nicht über die, wo d’U̦u̦rhaab sịị, sondern über den Wein:

492 Wie er inen rum seckel und täschen,
Daß inen kum blib warme äschen.

Als besonderer Zungenheld und damit zwölf(-facher) Narr betätigt sich Fritz Seltenle er, der bereits Haus und Hof im Wein «ertränkte».

Da erscheint zu kurzer Erfrischung in der einzigen Dorfschenke ein Rääbmḁ und glaubt in seiner ehrlichen Wohlmeinenheit, sich ins Mittel legen zu sollen:

D’schuld ist nit ’s wins, sunder üwer!
Es ist kein creatur trüwer,
Dann eben der hochloblich win,
So man in nüßet recht und fin.

Allein der friedfertige Arbeitsmann het nu̦mmḁ d’Wäspi g’gu̦u̦slet, und wie mit hundert Stimmen fahre si n ĭhm über d’s Mụụl. Ja, Fäuste drohen ihm. Unser Mann macht, das s er zum Loch ụụs chu̦nnt. Voll Verdruß aber über die seinem Pflegling angetane Schmach begibt er sich stehenden Fußes zum Wein, und da läärt er jetzt si n Chropf:

Was hastu doch den Lüten tan,
Daß sie dich all so fintlich hassend,
Und bsunder, die am meisten prassend?

Für den Wein selbst si iez ó Sache gnue. (Es isch Häü gnue g aabe.) Er begibt sich zum Richter Proverius Witzbụ̈ttel und verlangt, daß seine Verleumder voor müeßi. Herrn Anselm Öpfelmues nimmt er zum Fürspräch. Der Stadtknecht Lerdenmigel (Leer den Meiel; vgl. S. 440) muß die Lästerer vorladen, und der Richter herrscht die «vollen possen» an:

Wo sind ir, gsellen, gand herfür!
Verbergend üch nit hinder d’tür!

Die haben allerdings ihren Fürsprech Sixt Hasenei vorgeschoben und getrösten sich überdies der im Hintergrund des Sachverlaufs harrenden Amazonen Sibilla 4 Schälkli, Adelheit Klappermetz, Freni Witmụ̈ụ̈li, Eufrosina Ragörli, 5 Regeli Spitznäsli.

Billig kommt der Wein als Erster zum Wort:

Mich wundert doch, woher es kumm,
Daß ihr mich scheltend umb und umb,
Und könnend doch nit on mich sin!...
So frowenliebe von üch scheidet,
So g’lieb ich üch von tag zuo tag.
Darumb mich billig wundren mag,
Daß ir ... über mich ziend us den stetten,
Als ob ir den türken vor üch hetten,
493 Uf dorfkilwi 6 mit spieß und stangen...
So ich mich doch verbirg vor üch
Und in die tüfen keller flüch
Und lig da g’bunden und gefangen.
Ich hab nach üch gar kein verlangen!
Und hab üch ouch nit ursach geben,
(Daß ir) fürend ein sömlichs leben.

Diese Argumente hindern die Gegenpartei nicht, vo n Lääder z’zieh. Ludi Süwburst schilt den Wein einen Schelmen und einen Hund, der die Menschen in die Beine beiße. Pauli Gumpostbrüj klagt, der Wein werfe die Leute die Treppen hinunter. Uli Knopf und sein Weib Elise Kraut bringen vor, wie der Wein sie an den Bettelstab gebracht. Heftig aber widerspricht dieser Evastochter die Ammarentia Wäschblätz, das wib des alten buwren, der auch schon kräftig den frommen Freund Win verteidigt hatte. Allerdings erklärte sie,

Do ich ein jungs bös meitlin was
Und ungern bi der kunklen saß,
Do schatzt ich in gar licht und ring;
Doz’mal freut’ mich wol ander ding.
Kein tanz, der was mir nimmer z’lang:
Ich gumpet’, zablet’, rann und sprang,
Daß mir der schweiß z’end-um abran.
Ja, solt ich also g’werchet han,
Daß ich also sett müeßen schwitzen,
Ich hett mir e lan d’oren schlitzen.

Iez isch e̥s an͜ders:

Ich nimmen ein guot mäßli win
Und sitz zum warmen öfelin.
Demselben klag ich all min we.
Das kost dri krützer und nit me.

Die Weiber der vollen gsellen aber erheben im Chor ihre Stimme und schelten eins nach dem andern den Wein aufs unflätigste. Endlich vermag der Richter Ruhe zu schaffen, und nun erhebt sich der alt man:

Ich weiß kein bessern fründ uf erd,
Durch den ich baß erfröwet werd.
Denn all frowen sind mir erleidet,
Den’ z’lieb ich mich oft köstlich b’kleidet.

Umb den win ist’s ein lieblich ding:
Man spist in licht und b’kleidet in ring.
Ein tännin schuben 7 man im git,
Die fressend im di schaben nit.
Ouch darf 8 man’s nit mit sammet b’setzen,
On den d’frowen d’kleider nüt schätzen.
494 Er tregt nit gold noch sömlich ding.
Haslin reif das sind sin ring.
Die wend die frowen guldig han
Und dannocht kostlich stein daran!

Je sinnreicher er aber den Wein lobt, desto bitterer tadelt er die sinnlosen Trinker. Damit sind Parteien und Zeugen abgehört, und der Richter fällt den Spruch. Die Verleumder des Weins werden verknurrt, auf die Narrenbank zu sitzen. Hier verspottet sie Cläwi Trifueß, der Narr, der nach alter Schauspielsitte die Kŭmédi auch eröffnet hat. Er schließt mit der im Narrengewand doppelt ernsten Warnung vor ungemessenem Trinken.

Dann nüt guots kumbt von füllery,
Wol aber alle büebery.

Also: wohl bekomm’s! Aber: «hüetend üch!» An jedem Tropfen des edlen Getränks haftet eine Perle des Schweißes, den achtungswürdiger Winzerfleiß vergossen hat, und hängt eine Perle persönlichen Werts des Genießenden. Die wirf nicht hin!

 
1  Vollständig publiziert durch Th. Odinga 1892, auszugsweise in Bächtolds Niklaus Manuel. Zur ersten Aufführung in Bern im Mai 1903 wurde es eingerichtet durch Otto von Greyerz mittelst Reduktion der 4238 Verse auf einen Viertel und «Striegeln, doch nur mit dem groben Kamm».   2  Ein Witz wie «der grüne Esel», wie Schnäggetänz u. dgl. «Blaue Enten sagen» hieß lügen. So z. B. bei NM. in Ecks und Fabers Badenfahrt Nr. 18. Zu Altreu gibt es ein Wirtshaus zum Grüenen Aff.   3  Gr. Polýkarpos = «Vielfrucht».   4  Sibylle = Wahrsagerin.   5  Vgl. Rag-öri = «Steiföhrlein» im schwz. Id. 6, 722. Gr. Euphrosýnē (die Frohmütige): eine der drei Grazien!   6   uf mi z’Doorf.   7  Noch altbernisch: Scheube, Schürze.   8  Man darf nicht: man braucht nicht zu...; es besteht kein Bedürfnis zu...  
 


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