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Studie von Anker

Weinbergschutz.

Feindliche Kleinlebewesen.

I.

Die Rebe ist eine urgesunde und urkräftige Pflanze. Und sie wird es unter echt winzerlicher Pflege erst recht in der Notlage, in welche vielfache Ungunst des Klimas und die einer jeden Edelpflanze aufsäßigen Schmarotzer sie versetzen. Die erschreckende Zahl dieser letztern ist also kein Beweis für die vielfach behauptete «Entartung» der Rebe, 1 sondern ein Erweis von deren Zählebigkeit. Wie es für ihre intelligentesten Pfleger heißt: Viel Feind, viel Ehr! so für den Pflegling: Wo so vi̦li chäme cho sueche, mueß vi̦l z’fin͜de sịị.

Hat darum der Rebmann mit all der oben dargelegten Müei un Arbäit einen Weinberg z’wägb’broocht, der ihm einen wenigstens annehmbaren Herbst sichert, so hat er afḁ d’s halbe g’macht. Der an͜der Halbtäil seiner Mühsale und Chöste besteht in der Bekämpfung zahlloser Feinde. Die haben, ohni öppis g’wäärchchet z’haa, sich langist u langist vor ihm an seinen Tisch gesetzt und bereits wenn’s aafoot drücken u gruene, an Wurzel, Blatt und Fruchtansatz es schöns Läbe aafoo füehre. Und die gueti Triftig: die Gelegenheit zum Naschen des seinen Saftes in der strotzendsten Zellenfülle der edlen Weinpflanze nu̦tze si ụụs! So ist denn der Weingärtner drauf angewiesen, mit der rächte Han͜d z’pflanze und mit der lingge z’wehre — wie einst die Israeliten 2 beim Neubau ihrer Mutterstadt in äi’r Han͜d die Maurerkelle, i der an͜dere das Schwert führten. Das ist um so unerläßlicher, da gewisse Rebenkrankheiten sozusagen periodisch wiederkehren und jeweilen als «die Chrankhäit» die Sorgen der Winzerwelt auf sich konzentrieren. Sie können denn auch (wie der falsche Meltau tat) einen kleinen Ort, wie z. B. Schu̦gg, um ene Mil lione (Franken) schädigen. Daß sie daher dem Weinbauer nid im Büechli sịị (wie ein Geschäftsfreund), leuchtet ein.

328 Aber er resiniert ni̦i̦d ( ne raisonne pas), sondern schwi̦gt u läit e Han͜d aa mit dem Wunsch und der Hoffnung, daß es öppis batti un öppis b’schieß. Je bindender dabei die allgemeine Verpflichtung zur Abhilfe, desto größer natürlich der Erfolg.

In eine erste Klasse fassen wir Krankheiten zusammen, die, wi̦’s schịịnt, großenteils durch kundig angepaßte Weinstockpflege fernzuhalten sind. Alte und schlecht gedüngte Stöcke leiden gern am Bluestfall vor dem Fruchtansatz. In allzu lättigem (lehmhaltigem) Boden, in welchem wegen Undurchlässigkeit d’s Wasser hocket, fụụle d’Wü̦ü̦rze gärn, und leiden junge Anpflanzungen (besonders Amerikaner, s. u.) an der Chlorose oder Gälbsucht. Ein anderer Grund, bei dessen Unkenntnis die ersten Beobachter schmerzlich erstaunt riefen: d’Bletter si so gääl! liegt in der Rebenbehandlung bei nassem Wetter ( S. 261 f.). Verschiedene Arten Trụ̈ụ̈belfụ̈ụ̈li befallen die Trauben zur Lesezeit. Absichtlich herbeigeführt durch hinausgeschobene Lese ist allerdings die Edelfụ̈ụ̈li z. B. beim Riesling ( S. 286). Die durch brụụnen Überzug der Beeren angezeigte Massenansiedlung von Weinhefepilzen fördert dann eine reichlichere Umwandlung von Zucker in Alkohol. E wüeste Gast dagegen ist als Weinverderber die eigentliche Fụ̈ụ̈li: die Grüen- oder Graufụ̈ụ̈li. Der dahinter steckende Traubenschimmel ( Botrytis cinerea) 3 befällt namentlich Elsäßertrauben vor em ụụsrịffe derart, daß es im trochene Läset beim Bränten uuslääre zum stu̦ngge (beim moste, s. u.) von umherfliegenden Beerenfragmenten stụ̈bbt, wi we nn mḁn Äschen ụụsläärti. Solche Fäulnis tritt namentlich bei anhaltig füechtem Wätter in nur zu mastigem Boden der Niederung ein, wo die Reife verzögert wird. Ausbrechen von Beeren fördert den Zutritt von Licht und Luft und damit gesundere Reife. Als schwaarzi Fụ̈ụ̈li ( Blac rot) 4 beschreibt man die Physalospora Bodwelli, bei welcher die Beeren eerstes (zuerst) mit schwaarze Blööterli besetzt erscheinen, um de nn darnócher hart, trocken, runzelig und schließlich faul zu werden.

In Tüscherz mit der Wï̦ï̦rzefị̈ị̈li oder dem Verdäärbber (s. u.) identifiziert, bezeichnet sonst «der Sieder» eine Art Ụụszehrig ganzer Pflanzen infolge überstandener schwächender Krankheiten, wie namentlich des falschen Meltaus (s. u.) oder mechanischer Schädigungen wie des Hagels. Besonders ungern sieht man den Sieder die Traubenkämme ( d’Ggräät, S. 277) befallen und so den Saftstrom zu den Beeren hindern. Diese fallen unreif ab.

Als Sieder oder Brenner (Brönner) bezeichnete man 1776 329 und 1778 zu Twann eine Krankheit, welche bereits im Juli d’Räbe starch het mache z’gälbe (in Li.: z’gääle) und die Beeren zum rịịse ( S. 239; in Li.: rü̦nne, ri̦nne) brachte. Was übrig blieb, las man zu Landeron am 25. September. Es gab (wie auch zu Ligerz) einen schlechten, sauren Wein. Am 4. Juli 1779 aber sah man von den insgemein sehr groß und lang geratenen Trauben käis Beeri meh, zu Tüscherz und anderwärts bis an den See hinunter am 8. August bloß dann und wann es Gri̦tzeli (in Li.: es Gri̦nzeli). Auch im Juli 1784 herrschte der Brönner. 5

Adolf Dietrich, Landwirt in Gals

Aber welcher? Es gibt einen Rot- und einen Schwarzbrenner. D’Rääbe sị so root! hieß es 1781 und neuerdings 1870 und 1883, als unter dem nun als Rootbrönner festgesetzten Namen ein Pilz unbekannter Gattung, oder vielleicht ein zusammen­gewürfeltes Heer von Miasmen die Reben ruinierte. Der Frịịbe̥rgluft ( S. 3) brachte als waarme Tröchchniluft (im Gegensatze zum kalten Albluft) über den See hin die verderblichen Moosdünste ( Ins 102), welche am Rand des Mooses dem Weizen, den Bohnen, den Kürbissen hart zusetzten. Die Reben erfuhren die Schädigung derart und in dem Maße, daß d’s Lạub dü̦ü̦r woorten isch, wi wenn d’s Fụ̈ụ̈r dḁrtu̦u̦r wäär; und di aarme Trụ̈ụ̈beli si im Augste u Herbstmonat dog’hanget wi n e Schelm am Galge. Bezeichnenderweise fuhr dieser Brönnerluft schadlos über die Reben am linken Seeufer hinweg: de Räben a de Seemụ̈ụ̈rli het’s nụ̈ụ̈t 330 ’too. Dagegen ist der verderbliche Wind a den obere Müürli aa’pụtscht und richtete dort um so empfindlicheren Schaden an. Nur die Elsị̆ßer und Graaueli widerstanden ihm. Mit der Seelands­entsumpfung het der root Brönner uufg’höört g’haa, so daß dieses gewaltige Werk ( Ins, S. 134 ff.) in dieser Beziehung auch dem Rebgelände für eine Weile zugute kam. 6 Allein, in den letzten Jahren ist der root Brönner wieder heftig aufgetreten.

Gleichzeitig mit dem durch spritzen im Meie verhütbaren Rotbrenner wurde 1781 im Mistelach der schwarz Brönner signalisiert. 7 Es ist dies der Pilz Sphaceloma ampelinum, der «Fläck», 8 le noir anthracose, Acarus. Er betupft die Schosse, die Blätter und besonders die Beeren mit vertieften, schwarzbraunen Phünktli, Flecken oder Beulen. Die Blätter welken, d’Söömme chrü̦mme si ch und gehen, gleich dem wi Glas brüchigen Holz, halb oder ganz zugrunde. Die Ansteckung gilt als Geschenk des Albluft ( S. 3), gleich wie man dem Föhn den Brand der Kirschbaumblätter zuschreibt, die Gelegenheits­ursache mit dem Grund verwechselnd.

Handelt es sich hier wohl um einen der Rost- und Brandpilze, welche für sich eine Unterklasse der Fadenpilze ausmachen, so vereinigt man in der Bezeichnung Mucor Penicillum zwei Gattungsnamen aus der Unterklasse der Algenpilze. Mucor ist der Köpfchenschimmel, Penicillum crustaceum («Krustenpinselchen») der Brotschimmel, 9 d’s Graauen am Brot.

Als Mucor Penicillum aber, oder nunmehr Rosellinia necatrix, bezeichnet man den Wurzelschimmel oder den Verdäärbber, oder die Brächchi (Ins), le blanc oder le pourridié. Dieser dem falschen Meltau (s. u.) verwandte Algenpilz durchseucht die Wurzeln namentlich der Gruebstöck ( S. 310), macht sie brüchig und fụ̈ụ̈lt sie, so daß sie fụtsch gange. So macht er links des Sees 8% des Rebareals unproduktiv.

Wie Ölflecken u̦f eme Fließ- oder Flụ̈ụ̈ßblatt bildet diese Wurzelfäule inmitten eines Weinbergs einen Herd, welchen tootni Stöck kennzeichnen. Am Rand des Herdes aber werden die Holztriebe kürzer und schwächlich, die Traubenansätze arm, die Blätter klein und gelblich. 10 Nur minderwertige Sorten wie Graaueli, Gụ̈tsch und d’s grob Root widerstehen dieser (nur mit Schwefel­kohlenstoff zu bewältigenden) Krankheit.

 
1   OW. 23, 103.   2  Nehemia 4, 10 ff.   3   OW. 24, 240.   4  Vgl. Rott im schwz. Id. 6, 1786.   5  Irlet   6  Albert Krebs; vgl. OW. 25, 137 ff.; 26, 152.   7  Irlet   8   Schwz. Id. 1, 1188.   9   Schmeil 372. 377; OW. 25, 247.   10  Näheres: Rebg. 1908, 44 ff.  
 

II.

Herr, straf uns nicht in deinem Zorn!
Gedenk an deine Güte.
Den Weinstock und das liebe Korn
Uns gnädiglich behüte
Für Hagel, Frost, Sturmwind und Schlag,
Für Meltau, und was schaden mag
Den Früchten ingemeine.

So steht in Zollikofers Gebetbuch von 1691. Der Meltau erscheint aber bereits altdeutsch als militou, miltoumilchtou»), welches « grüenes loup machet toup». 1 Der graulich weiße, mehlähnliche Überzug auf Pflanzen im Sommer heißt mit einer bereis im Angelsächsischen vorgebildeten, amerikanisch englischen Form mildew 2 und danach frz. mildiou. «Der Mehlthaw», erklärt der gelehrte Colerus im 17. Jahrhundert, «ist ein Regen, so im scheinen der Sonne herunterfellet (fällt, fallt). Wenn die Tropfen des Regens von der Sonnen bescheinet werden, so zeucht die Sonne dem Regen ferne natürliche Fruchtbarkeit, Jugend, Krafft vnd Wirckung oder animam (der Gäist) aus, und [es] bleibt nur ein scharff corpus, das eine sonderliche acredinem ( Scheerffi), beißende, etzende vnd schädliche wirkung hat. Das fellet auff die früchte und verderbet sie also.»

Es handelt sich bei dem rächte oder wahre Mältau, wie bei dem nachmals ihm entgegengesetzten faltsche Mältau (s. u.), um Pilze, die besonders den Blättern und Früchten zusetzen. Sie tun es, indem sie bei erstern durch die Spaltöffnungen der unterseitigen Oberhaut und durch die weiche Schwammschicht zum Gefäßbündel des Nerven- oder Aderwerks vordringen und weiter die Pallisadenschicht und die oberseitige Oberhaut durchfressen, um so den Saft der Zwischenzellräume uụf̣z’suuge und das Blatt zu zerstören. Die aag’fräßnige Beeri aber zerplatzen ( springen ụụf).

Dieses wahre oder rächte Mältau, das sich gleich auch für d’s nööchst Johr vorzumelden liebt, greift vor allem die Spalierreben an; unter den Freilandpflanzen verfallen ihm am ehesten die Muskateller und grünen Sylvaner ( Mu̦schgidä̆ller und Hansibärger). In den Jahren 1850 bis 1855 verheerte es die ganze Ernte in Frankreich; die Twanner Reben litten unter ihm im August 1914 und 1916, die zu Erlach und Tschugg 1895. Warmes, trockenes Wetter und geschützte Lage sagen ihm besonders zu.

Es handelt sich bei ihm um einen der Schlauchpilze, zu deren großer Klasse einerseits die Moorchle und Trüffeln, aber auch die unentbehrliche Wein- und Bierhefe, anderseits das Mueterchorn des Roggens, der Schimmel oder Bart am graaue Brot, der Schorf der Apfel- und Birnbaumblätter gehören. Der Rebenmeltau aber ist deswegen 332 so gefürchtet, weil von seinem spinn­hoppelen­artigen Fadengeflecht Seitenzweige ausgehen, welche an ihrer Spitze unsichtbar kleine Söömmli (Sporen) abschnüren, die, durch den Wind verwääit, auf weitere Pflanzen flụ̈ụ̈ge. Der heutige Rebmann nennt diesen Pilz etwa den Äscherich (s̆s̆), weil er ausgelaugter Asche ähnlich sieht. Er kennt aber auch sehr wohl den Namen Oï̦dium, weil er weiß, daß dieses vom englischen Gärtner Tucker erstmals 1845 beobachtete «Äierli» früher Oidium Tuckeri hieß. Unbekannt ist dem Rebmann nur, daß dieses bloß die ungeschlechtige Abart der Gattung und Art Uncinula necator (das «mörderische Hööggli») ist, von der es auch eine geschlechtig sich vermehrende Abart gibt. 3

Wie das Tau vom Himmel, «fällt» scheinbar wie ein weißer Schimmel urplötzlich auf Blätter und Früchte auch das faltsch Mältau. Es gehört, gleich einer der sechs Frankschen Härdöpfel­chrankhäite, welche man als Phytophthora oder Peronospora infestans («verheerender Sporenstachel») bezeichnet, der Bóndangße- oder Ru̦nggle- und Rooträätech-Chrankhäit P. Schachtii ( Ins 216), der Mango̥ld-, Spine̥lz- und Gartenmelde-Krankheit P. effusa ebenfalls zur Klasse der Fadenpilze, aber zur Unterklasse der Algenpilze. Diese bestehen aus einer einzigen, aber nicht sehr großen und sehr stark sich verzweigenden Zelle. 4 Die Sporen des faltsche Meeldạu (Ins) oder Määltạu (Nv.) überwintern im Innern der Räbbletter, welche vom herbstlichen Laubfall her am Bode lịgge. Sind diese g’fụụlet, so bringt feuchtwarme Witterung im Mai und Anfang Juni die Wintersporen zum ụụsschloo. Kleine bewegliche Schwärmsporen flụ̈ụ̈ge auf die frischen Triebe und Blätter na̦a̦ch am Bode. Dort haften sie vom Mai an 15 bis 18 Tage (dann aber wi speeter wi min͜der lang) noch unschädlich und können durch spritze (s. u.) vertilgt werden. Unterbleibt dies, so schwemmt der nächste warme Regen sie auch un͜der a d’Bletter, und dé nn het’s g’fählt! Die Schwärmsporen hocken ab an den Spaltöffnungen und senden Keimschläuche in das Innere des Blattes, dessen Säfte sie behaglich ụụssụụge.

Im Gegensatze zum Oidium gedeiht also dieser Pilz besonders reichlich und sicher bei toppwarmer, schwüler Witterung nach Gewitterregen. Solche Schwüle wird begünstigt durch Räben im mastigen U̦chrụt und durch schlecht oder gar nicht erbrochene Reben, weil es da i der Täüffi (Tw.: Täïffi, Li. u. Erl.: Tieffi) e Dunst gi bt, wo ewig nie trochnet. Eben wegen solchen raschen Trocknens 333 chu̦nnt d’s faltsch Mältau nid a d’G’chääl und nicht so rasch an die Ränder der Weinberge. Es bleibt auch in dem glücklichen Falle fern, wo nach dem Gewitterregen ’s hu̦rti chuel (chüel) wirt, wohl gar ein tüchtiger kalter Luftzug dur d’Räbe fahrt. Seine Zeit sind also jene unheimlich schwülen Nächte, wo auf den S. 331 erwähnten Spaltöffnungen der Nebenblätter Millionen dieser Tụ̈ụ̈feli passe, um ihre Beute meuchlings zu überfallen. Der Seeanwohner sieht ein warnendes Anzeichen darin, daß der See fischelet, der Moosbụtz daran, daß es u̦f em Mist Schwümm gi bt und daß lsó n en aartige, kuriose G’schmack (seltsamer Geruch) die Luft erfüllt. Dann wäiß der Inser, weß Lands und der Ligerzer, was Gattigs! Alle diese Vorzeichen erwahrten sich besonders verhängnisvoll an jenem drị̆ßigste Häümonḁt im Zää chni (am 30. Juli 1910). Weniger schlimm waren die Überfälle des 22. Mai 1907 und des 15. Mai 1905, schlimm genug dagegen auch die der letzten Achtz’ger Johr. Im Herbst 1884 waren die Blätter so gelb, daß Unerfahrne häi aafoo läse; i der Jakobstagwu̦che 1885 war die Krankheit drohend vorgerückt, und im August 1886 het si käis Blatt über g’loo. Man ersieht aus diesen Daten, wie die Seuche zunächst (wie aber auch wieder 1915) erst im Spätsommer auftrat, um nachmals in furchtbarer Verschärftheit bis in den Mai vorzurücken. Verfolgen läßt sich ihre Invasion bis in das Jahr 1870 zurück: eine Nachforschung, die freilich durch anfängliche Unkenntnis der Natur, der Bekämpfungsmittel und mangels scharfer Bezeichnung der Seuche erschwert ist. Kenner hoffen, daß auch diese nun bald ein halbes Jahrhundert dauernde Verheerung mit der Zeit ihre Kraft erschöpfen werde, wie der im Jahr 1845 so furchtbar anftretende Kartoffelpilz.

Einstweilen freilich ist der falsche Meltau noch immer «die Chrankhäit». Und seine Angriffe werden empfindlicher. Zunächst machte er sich verdächtig bemerkbar an den Bịịschösser, die man daher (auch schon zur Behinderung von Wunden und Saftfluß) nid früech gnue g cha vernichte; ferner an den Gipfeltrieben und den abgeblühten Traubenansätzen. Nach dem energischen Ausbrechen der Beizähne wirft der Feind sich als Mildiou sur grappes völlig unbekämpfbar auf die Traubenkämme. Von den Blättern wandern die Pilze mitts i d’Gräät und durchfressen diese nach beiden Seiten, so daß infolge der Saftabsperrung die Beeren plump und schlampig, schwarz und innen faul werden, um schließlich abzufallen. Was noch geerntet werden kann, verschleppt dann die Pilze in den gepreßten Saft und vertụ̈ụ̈flet d’s Most, wie es 1915 wieder in Erlach geschehen ist. Vom Mark der 334 Kämme weg finden die Pilze aber auch den Weg bis i d’s Holz, das sie ebenfalls verheerend durchsetzen.

 
1   Mhd. Wb. 3, 53.   2   Kluge 311 unter «Meltau» als einer zu gr. meli, l. mel, got. milith (Honigtau) gehörende Form.   3   Schmeil 373; OW. 22, 224.   4  S. d. Abbildung Schmeil 378; OW. 23, 183; 24, 26 ff.; 25, 96 ff.  
 

III.

Die so dringend nötige Erforschung schon der pflanzlichen Weinverderber legte einem alten Erlacher Wirt den unwilligen Ausruf auf die Zunge: A ba! Wenn weniger Profässer wäri, so hätte mer min͜der Lụ̈ụ̈s! Gerade die fleißigsten Weinbergschützer mögen zuweilen einmal kampfmüd innehalten, entsetzt vor den immer neu aus ungeahnter Tiefe auftauchenden Heeren von Feinden, die natürlich doch nur mit den von scharf vordringender Wissenschaft geliehenen Waffen zu bekämpfen sind.

Dies gilt in der Tat auch von den Lụ̈ụ̈s und Wü̦ü̦rm, deren letztere in den Sommern 1776, 1779, 1780, 1790 in Gesellschaft des Brönner zu Twann die Traubenbeeren stark ertü̦nneret häi. Der Kampf gegen solches Gelichter, welches durch Chääferkrankhäit, Obstbaumkrebs u. dgl. auch die Landwirtschaft schwer schädigt, ist wegen mangelnder Nötigung zu allgemeinem und gleichzeitigem Kampf in den zersplitterten Rebgütern außerordentlich erschwert. Zudem entzieht sich ihm der Insekt (Tw.; vgl. «der» Chäfer) durch seinen erstaunlichen Gägestand (in Gals für Widerstand) gegen Chelti, die in 26 cm tief gefrornem Boden noch bei 17° schadlos ertragen wird, und z. B. gegen den Schnee, der am 23./24. Mai 1908 doch d’Wäspi und anderes Gelichter ’töödt het. Dagegen erliegt ein ganzes Heer so winziger Schädlinge warmem Wasser.

Der fürchterlichste Würgengel der Rebgelände ist seit fünf Jahrzehnten die deutsche und die südfranzösische Räblụụs ( Phylloxéra vastatrix, «verheerende Blattdürre») oder d’Fịllóxe̥ra, Fịlóxe̥ra. Es ist dies, gleich der dem Apfelbaum zusetzenden, 1885 von den Bözinger Oberschülern eigens scharf verfolgten Bluetlụụs, eine der Blattläuse und damit einer der Schnabelkerfen, 1 welche ihre gegliederten, zum stäche und sụụge eingerichteten Rüssel mit den Stechborsten tief in weiche, saftige Pflanzenteile einbohren. 2 Sie sind verwandt mit den Tierläusen, den Grillen (z. B. Mụ̆́häime) und den Wanzen ( Wäntele), z. B. den 1884 und eben jetzt wieder in der südfranzösischen Narbonne und da herum die jungen Amerikanerstöck heimsuchenden Traubenwanzen ( Calcoris). 3 Diese scheußlichen Vịịcher vermehren sich so rasch, daß der Boden von ihren Massen ganz schwarz ist.

335 Die Reblaus macht vier Verwandlungsstadien durch. Die d’s ganz Jahr du̦u̦r auf den Wurzeln lebenden und durch krankhafte Anschwellungen ( Chnụppe) sie funktionsunfähig machenden, flügellosen «Arbeiter» erzeugen die geflügelten «Legerinnen» oder «Ansiedler», welche zur Herbstzeit im überflogenen Weinberg unter die Blätter Eier legen. Aus diesen schlị̈ị̈ffe die «Wiedererzeuger», deren Weibchen unter der Rinde des oberirdischen alten Holzes ihre Wintereier verbergen. Diese entwickeln sich im Frühling zu den «Urhebern», welche unter den Blättern Gallen erzeugen und bewohnen. Ihre zur Erde fallenden und zu den zarten neuen Wurzeln gelangenden «Abkömmlinge» beginnen aufs neue die viergliedrige Entwicklungskette.

Mit ihrer ungeheuren Vervielfältigung sind seit 1877 beide Ufergelände des Neuenburgersees und seit 1911 des Murtensees bedroht worden, und 1913 drang die Lụụs von Neuenstadt her bis in die Schaffiser Friese vor. Ende August 1917 entdeckte man sie un͜der der Festi über Ligerz. 300 Stöck waren ergriffen. 1920 befiel die Reblaus zehn Mannwerke in der un͜dere Rogge̥te zu Tüscherz. Sofortiges Isolieren und Desinfizieren des befallenen Gebiets (s. u.) hinderte einstweilen ihren weitern Zug nach Osten. Da aber die Reben zwischen Neuenstadt und Biel allzu «schëën» in der Richtung des Westwindes liegen, auf dessen Flügeln sich die Insekten zu Millionen vorwärts tragen lassen, so ist die Gefahr weiterer Infizierung nicht ausgeschlossen. Zum Luftwege kommt obendrein der Weg un͜der em Boden du̦u̦r, in dessen Bereich ja die Wurzeln als Aufenthalt und Brutstätten des Ungeziefers liegen.

Kann der gänzlichen Verseuchung des Seelandes durch dieses Ungeziefer durch Hüehner, insbesondere aber auf dem Wege der Rekonstitution (s. u.) vorgebeugt werden, so ist der seeländische Weinbau seit langem, neuerdings besonders stark 1916 und 1917, einem andern Gezücht ausgeliefert, gegen das er vorderhand weder durch Verhütung noch durch radikale Bekämpfung aufzukommen weiß. Das ist der dem Rosenwickler und seiner in Akrobatenkünsten erfahrenen Raupe ( Tortrix Bergmanniana) 4 verwandte Traubenwickler, Conchylis ambiguella, le cochylis. (Das gr.-lat. conchylium ist die Mụschle, deren Gestalt die Larve annimmt; ein wenig zweifelhaft war die anfängliche Kenntnis des Tieres.) Es handelt sich um einen mit dem Apfel-, Pflaumen- und Erbsenwickler verwandten Nachtschmetterling. 5

336 Dieser Räbwurm, oder einfach Wuurm, wie er sonst auch heißt, tritt während eines Jahres in zwei Generationen auf: als Heuwurm und als Sụụrwurm. Jede dieser Generationen («Bruten») macht alle vier Verwandlungs­stadien durch als Ei, Raupe ( Wurm), Larve, Schmetterling ( Vögeli). Die Eier des Heuwurms werden nach Mitte April und im Mai u̦f d’Grappe (Traubenansätze) g’läit, die des Sauerwurms Ende Juli und anfangs August auf die Hụ̆t der Traubenbeeren. Aus den mikroskopisch kleinen Äierli schlüpfen nach zehn bis zwölf Tagen die Raupen aus, um erstmals zwischen Anfang Juni und Anfang Juli, zweitmals im August und September als rächti Satane ihr Zerstörungswerk zu üben: eben als Heuwurm (zur Zeit des Heuet) und als Sụụrwurm (weil derselbe sich nun in unreifen Beeren gütlich tut, um höchstens eine kleine Ernte schlechten sauren Weins zu ermöglichen). Jener nistet sich in die Grappen ein, zieht mit den von ihm gesponnenen Sịdefäde die erreichbaren Traubenblütchen immer näher an sich, bildet aus ihnen kleine, verworrene Bü̦scheli und bringt sie zum Verwelken und doore. Dabei betätigt er sich als immer gewaltigerer Fresser. Endlich spinnt er, um sich zu verpuppen, sich in ein Näst ein aus ihm zunächst liegenden Blüten, wenn er nicht in den Spalt eines Stickels oder in die Rinde eines Rebstocks schlụ̈̆ft, oder ein Blattstück abrị̆ßt, es an einen Teil des Stockes hänkt und sich drị ịịlịịret.

Der Sụụrwurm dagegen bohrt durch ein Löchli, das durch einen schwarzblauen Fläcke chennbḁr wird, sich immer tiefer in ein Beeri, das er mitsannt de Chäärne ausfrißt, um eine leere und faule Hülle zu hinterlassen. Ein als Brü̦ggli dienendes Sịdefädeli trägt ihn zur nächsten und zu einer ganzen Anzahl weiterer Beeren fort. Begegnet es nun, daß auf einer einzigen dieser Trauben bis zehn dieser Sauerwürmer sich eingenistet haben, so ist der Ertrag der Ernte baal d ụụsg’rächnet. Gegen Mitte und Ende September wird eine dü̦ü̦r ri Hü̦ltsche oder ein Räbblatt, ein Stickelspalt, ein Stück Rinde oder d’s Miesch vo menen alte Stock als Winterquartier für die Puppe hergerichtet. Ende Juli oder anfangs August flụ̈ụ̈gt d’s Vögeli der ersten Generation ụụs, zu Ende April oder im Mai des Folgejahres der Schmetterling der zweiten «Brut». Die Männli tummeln sich während ihres kurzen Lebens flatternd im schönen Abenddunkel, im Zwielicht des Morgens, indes die Weibchen durch Eierablage ihre Häuslichkeit pflegen. Beiderlei Schmetterlinge messen mit ausgespannten Fäckli etwa 1 cm, so daß der dunkelfarbig g’chrụ̈tzt oder aber äibindig Flügelstreif des eben darum auch Polychrosis botrana geheißenen Insekts 337 sich eben sichtbar von der silberig schimmernden Grundfarbe abhebt. Dies geschieht besonders deutlich, wenn die Motte, vom Liecht angezogen, um dasselbe umme schwịịrmet. 6

Heu- und Sauerwurm haben 1904, 1916 und 1917 stellenweise den größten Teil der Ernte vernichtet: fụ̆́tụ̈ụ̈ (kabụ̆́t) g’macht.

Joh. Samuel Schwab,
Schuhmacher, in Gals

Ein gewisses Vergnügen böte dem Rebmann, wenn er diesen nicht allzusehr schädigte, der Eumolpus vitis. Diesen Namen des griechischen Weinbau-Erfinders und Obstzüchters trägt der Blattfallkäfer, Weinstock­fallkäfer, Schrịịber ( écrivain, gribouri) ironisch etwa so, wie die Maulwurfsgrille ( Wääre) la jardinière, der Springwurm (s. u.) der «Weingärtner», wie der Albluft der «Bränte­treeger» heißt, und wie der Heuwurm zur Heuerntezeit nach seiner Weise ebenfalls «heuet». Wie des letztern Spätsommer­gestalt als Sauerwurm Ursache wird, daß die von ihm übrig gelassenen Beeren wegen der schwarzen und dürren, den Saft aufsaugenden Beerenreste nid moste, so ist der «Schreiber» ein in der Tat ebenfalls gefürchteter Weinschädiger. Die Raupe dieses Kerbtieres 338 benagt im Boden die Wurzeln, bis sie faulen, durchfurcht dann die befallenen Blätter in mehr oder weniger regelmäßigen Zügen und erinnert so im Namen an den Borkechäfer als Bostrychus «typographus». Dann macht sie sich an die Trauben und bringt sie vor der Zeit dazu, lụter z’wärte. Während aber der Borkenkäfer erst krankes Holz besiedelt, kann der «Schreiber» eine U̦rhaab ungeheuren Schadens werden. So in den Frühjahren 1835 bis 1837, wie am 15. August des letztern Jahres die Rebgesellschaft konstatierte. Ihre Ausgeschossenen: Dr. Engel, Statthalter Burkhard und Pfarrer Lemp in Ligerz, setzten sich mit dem Regierungsrat Dr. Schneider ( Ins 125 ff.) in Verbindung und bewirkten, daß der Gripouri-Wurm als Engerling der Noctua aquilina durch ụụfläse bekämpft werde. Zudem sollten Ärzte und Pfarrer das Insekt weiter studieren und speziell damit den Neuenstadter Schmetterlings­kenner Coullerue, seines Berufs Zeichnungslehrer, 7 damit beauftragen.

Interessant ist das Benehmen des ausgebildeten Chäfer: bei der leisesten Berührung fallt er äxbräß auf den Boden, von dessen Farbe er sich kaum abhebt, und stellt sich mu̦u̦stood. Er gäit an es Chru̦geli wi n en Igel u loot si ch z’sämme wi n es Äärbsli.

Wi n e Pfịịl schießt dagegen, und zwar zwecks unaufhörlicher Beobachtung des Feindes hindertsi ch, der kaum berührte Springwurm. Das ist die Raupe des mit herte (chrospelige) Flügeli begabten, dem Rebenstecher oder Bygtiscus betulae (L.) 8 nahe stehenden guldig grüene Brĕ́wattli oder Brắwattli, brewât (Landeron), attelabe, Atelabus betuleti: der Rüsselkäfer. 9 Das weibliche Güegli wird als cigareur zum Schädiger der Birken und der Reben, indem es die zur Eierablage ausersehenen jungen Blätter ansticht. So werden diese lampig (Li.) oder schlampig (welk), wi we nn d’Gäiße drị gsi̦ wäri, und lịịre si ch z’sämme wi ne Siggaare. Nur gehen die Windungen periodisch bald links, bald rechts um. Um solcher Schädigung willen heißt er im Waadtland ironisch le vñolā  10 (Weingärtner; vgl. S. 337). Die Gänge der Windungen aber führten zum Namen urbère, urbĕ (Bevaix), urbĕc (Grissach), orbet. 11

Nach oben löffelartig eingerollt sehen die klein bleibenden Gutedel-Blättchen aus, welche vom Chrụụs oder der Chrụụs- oder Chrụ̈ụ̈selchrankhäit befallen sind. In wahrscheinlicher Verbindung damit steht die Blattbrụ̈ụ̈ni ( brunissure). Urheber ist der Court noué: ein der Weinblattmilbe ( Phytoptus vitis, L’Erynose) ähnliches Tierli. Wegen 339 des weißlichen Überzugs an den untern Blattseiten und des chrụ̈ụ̈selige Aussehens der Oberseite wird die Krankheit etwa mit dem falschen Meltau verwechselt.

 
1   Schmeil 394 mit Abbildung; OW. 22, 321.   2  Die Phylloxera. Von Dr. V. Fatio, Aarau, 1879.   3  «Anz. v. Saanen» 1884, 34.   4  Dr. Robert Stäger in «Natur und Technik» 41-46.   5  Zur Geschichte des Rebwurms. Aus dem französischen (Biel, 1847); Rebg. 1904, 36-52; OW. 23, 79. 151 ff. 194 ff. 239; 24, 22 ff. 170; Schmeil 346.   6  Zur Wurzel swer (rauschen, sausen) gehört sowohl «schwirren» ( Kluge 421), wie mhd. ( Wb. 2, 2, 814) swirbe swarp swurben (sich wirbelnd oder in verworrener Menge bewegen), und der danach gebildete Zwangs­systems­ansatz i schwiirme, mier schwäärme nach dem Typus «geben». Das Nhd. kennt hierfür bloß «schwärmen» als Denominativ aus «Schwarm». Als Stammrückbildung aber bezeichnet «Schwarm» in städtischer Schülerinnensprache den Gegenstand schwärmerischer Verehrung: der Lehrer so und so «ist mi Schwarm».   7  Gefl. Mitteilung von Dr. Groß.   8   Favre 1, 63-66.   9   Schwz. Id. 5, 1033 nach Stalder.   10   Gign. 9.   11  Weitere Namen: Bridel 179. 183. 399.  
 

IV.

Ein großer Teil der Rebenkrankheiten oder doch der Empfänglichkeit für solche wird in dem Maße verschwinden, wie eine wieder dem Landbau zugewandte wirtschaftliche Neuorientierung auch einer sorgfältigern und strenger berufsmäßigen Nebenarbeit zugute kommt.

Zur direkten Bekämpfung der fast unzähligen Weinbergfeinde hilft da und dort das Heranbringen feindlicher Konkurrenzpflanzen und -tiere. So scheint es, daß die in den Weinberg gepflanzten Tomate ein für die Rebläuse verderbliches Gift enthalten. Der noch im Anfangsstadium steckenden Trauben­wicklerraupe aber würde das förmlich gezüchtete Gị̆getierli (Li.), Liebgott­chalbeli (Ins) oder Annebääbeli (Tw.), Anneli der Chrieg mache.

Dieses Marienkäferchen heben Twanner Kinder auf die Zeigfingerspitze und laden es ein:

Annebääbeli, flüüg uuf,
Der lieb Gott tuet es Diirli uuf!

Ligerzer Kinder aber lassen es sich vom Finger u̦f en Eermel lạuffe und verabschieden es dann:

Gige-Gige-Tierli,
Flüg mer uf di hööche Bäärge!
Froog em 1 Liebgott,
Was für Zit daß ’s isch.
Wenn de uma chunnsch,
So giben der e große, große Bitz Brot
(Un e große Bitz Chääs).

Das Marienkäferchen ist ja auch ein wirksamer Bekämpfer der Blattläuse (s. im « Aarwangen») und damit auch noch eines Pilzes ( Capnodium salicinum), der als Rußtau der Reben von Absonderungen der Blattläuse lebt 2 und also mit den Ampäiße vom «Ertrag» dieser «ihrer» Milchkühe sich nährt. Etwa wie Kalifornien durch Kultur der Ichneumonwespe seine Äpfel vor dem Codlingwickler rettet.

Andere Schädlinge wären flịßiger, weder das s es g’scheht, durch unermüdetes Wegfangen der schädlichsten Individuen zu bekämpfen. Wie Kinder d’Chäfer als Meiechäfer (Ins: Mäiecheefer) in deren Flugjahren abschü̦ttle un ụụflääse, um damit d’Chäfer 340 als deren Raupen brav mache z’mindere, sollte man durch Zerstören der Raupen dem Traubenwickler-Gezücht zu Leibe gehen. Ein französischer Vorschlag von 1847 3 lautet dahin, ụụsgänds Broochmonḁt oder ịịngänds Häümonḁt mit dem Ụhrimacherzangli (Brụ̈ssell, bruxelles) die Grappen auf die S. 336 erwähnten Büscheli abzusuchen und die jetzt am sichersten erwischbaren Tierli z’verdrücke. Auch Tubackwasser z’sprïtze wird mehr und mehr empfohlen — jedenfalls wirksamer als die Fackle oder Cherze oder Lämpli, an deren Liecht doch nur die flatternden Schmetterlings­männchen si ch verbrönne. Auch mit dem rịịbe der Stöcke i der toote Zịt werden nur wenige Eier und Larven verwtụ̈tscht.

Die hauptsächlichsten Kampfmittel liefert doch die Dru̦ggerịị (so in alt Tw. für Drogerii, droguerie). 4

Eine Anzahl derselben empfehlen sich als Bekämpfer mehrerer Krankheiten zugleich. So gegen die Reblaus und den Verderber die Renommée-Brühe und der mittelst eigener Pumpe im Boden verteilte Schwäfel­chohlestoff. Schwefeläther und in heißem Wetter zu solchem verflüchtigter Schwäfel verschiedener Schwäfle (Schwefelarten), z. B. als Räbeschwäfel eigens g’mahle, zerstören ebenfalls eine Reihe pflanzlicher Schädlinge. Das schwä̆fle (in Li.: schwö̆fle, in Ins als schwööfle unterschieden vom schwärmerisch prahlenden schwääfle oder plagiere) mit der Schwäfelpumpe oder aus dem fein durchlässigen Seckli muß allerdings sowohl ịịgänds Mäie wie im zwäite Schu̦tz (Safttrieb) des August geschehen. So wird die Kräuselkrankheit vertrieben. Die Gälbsucht der Amerikaner wird bekämpft durch schwefelsaures Eisen.

Dem falschen Meltau hoffnungslos überantwortet sind die einmal befallenen Traubenkämme. Dagegen lassen sich die Sporen, wenn sie bloß noch auf den Spaltöffnungen der Blattunterseite ihre Lauerposten besetzt halten, tööde. Dies geschieht mittels des Maagschen Pulvers, gewöhnlich jedoch mittels des Blausteins: des schwefelsauren Kupferoxyds ( Chụpfervide̥riol, Chupfer, Azurin). Wie dieses am b’bäizte Getreidekorn, am konservierten Holz u. dgl. die Miasmen tötet, so eben auch den falschen Meltau, aber freilich zugleich die zarten Gebilde der Rebenpflanze. Diese werden indes geschont, wenn man das Vitriol stark verdünneret und zugleich neutralisiert. Letzteres geschieht (zur Herstellung von Bordeaux-Brühe) mittels Chalch oder, weniger gesundheits­gefährlich und zugleich handlicher, mittels Soda (was die Burgunderbrühe 341 ergibt). Der oder die oder (in Li. u. Erl.:) das Soda 5 wird direkt aus einer Seifensiederei bezogen. Mit der Soda werden die gleicherweise als Chu̦pferbitze erhältlichen Vitriol-Kristallstücke zu einer höchstens zweiprozentigen wässerigen Lösung verrüehrt. Stercher träit nụ̈ụ̈t ab und ist bei der Tụ̈ụ̈ri des Kupfers, welches ja Menschen statt Miasmen vernichten helfen muß, eine Verschwendung, 6 welche schon der vom Bund subventionierte G’staat nid tŏlet.

Zum Glück aber chostet ämmel d’s Wasser gäng no nụ̈ụ̈t, und verschiedene Gemeinwesen erleichtern sich sein massenweises Herschleppen. Die Erlacher errichteten eine gemeinsame Mischungsstelle, und Ligerz hat 1917 in seine hochgelegenen Reben drei Wasserleitungen vo der Festi abḁ geführt: bis nooch zur Chilche, vo Schäärne̥lz d’s Tä̆roo ( terreau) ab bis zum (Dessenberg-) Strëëßli, d’s Rụ̆́mbụụ ( rond bois) ab bis zum Bamme̥rthïïsli (Bannwarthäuschen). D’Chëste verteilen sich uf d’Manne̥rt (Mannwerke).

Solche Transporterleichterung kommt auch dem neuerlich eingeführten Ersatz der genannten Brüejine n zugute: dem Peroxid als einem schwefelsaure Salze enthaltenden Abfallprodukt aus der Auerschen Fabrik von Gasglüh­licht­strümpfen. Es enthält namentlich Cer, welches Pilze tötet. 7

Sorgfältig also wird g’mischlet: für reduzierte Bordeauxbrühe 2 kg Vitriol, 2 kg Kalk und 100 l Wasser, bei längerem Stehenlassen mit etwas Zucker vor dem schäide bewahrt; für Kupfersodalösung 2 kg Vitriol, 2 bis 3 kg Soda, 500 g Ammoniak, 100 l Wasser und etwas Zucker. In ersteres Spritzwasser getauchtes Probierbapịịr (Phenol­phtalein­papier, blaues Lakmuspapier) wird rooseroot, wenn die Lösung die richtige ist. Die «richtige» allerdings auch noch, um einer in bespritzten Reben oder Kartoffeln arbeitenden Person, die mit ungewaschenen Händen ihren Imbiß genießt, einen langsamen Vergiftungstod zu bringen.

Bei 250 l der Lösung sind für die fünfmalige Bespritzung eines Mannwerks unerläßlich. Es chu̦nnt uf daas aa, daß bi trochenem Wätter die Blattunterseiten und die Blüten mittelst feinster Verstäubung durch den Vertäiler am Kaliber (Wendrohr) des Pụmpli schön 342 glịịchlig mit einer lückenlosen Schicht überzogen werden. Ganz besonders d’s erst Mool: um Mitte Mai, muß richtig gespritzt werden. Und wichtiger ist, daß die grünen Blätter, als daß der grasgrüen Huet des Spritzers den Löwenanteil abbekommen. No vor em Blüeijet hat eine zweite und dritte Bespritzung zu erfolgen, und nachher je nach em Wätter noch drei bis vier weitere; ja, d’Pflanzschuel (s. u.) spritzt nụ̈ụ̈n Mol.

So häufig nimmt demnach (zu Tschugg seit 1889) der Spritzer — da und dort ist es sogar eine unsagbar tapfere junge Frau, welche den Taglohn von Fr. 15 (ohne Zugabe) im Jahr 1921 nicht zu erschwingen vermag, hier wieder ein achtz’gjährige r Ligerzer — die eigens konstruierte Räbespritze auf dem Rücken. Die läär etwa 5 kg wiegende chupferigi Spritze faßt 20 bis 25 l der ịịschchalte Flüssigkeit, welche vollends beim glụntsche und ụụsepletsche durch den undicht schließenden Techchel den nicht mit eme Sack oder mit wollenem Tuchstück gesicherten Rü̦gge durchkältet und mit langwieriger Rụ̈maatis bedroht. Wie sollten namentlich die Ungewohnten am Abend nicht wie verreederet (gerädert) das Gerät ablegen! Denn auch seine Handhabung ist mühsam. Das gleichmäßig rasche bumpe mit der lingge (neu Tw.: linke) Han͜d und die Führung des 80 bis 90 cm langen Kalịber 8 un͜der de Bletter du̦u̦r ist eine beträchtliche Kraftprobe. Erleichtert wurde solche ohne Zweifel durch jenen Zuruf eines Bözingers an seinen Sohn, der in beträchtlicher Ferne seine Spritze leergepumpt hatte und neue Füllung verlangte: Lauf nụmḁ mit dem Pu̦mpli e chläi dartu̦u̦r (durch die Rebstöcke), es isch grád e chläi guet. So guet ungefähr wie die «Arbeit» des auf 8 Bürostunden sich dingen lassenden Neulings im Rebwerk, der beim ersten Erklingen des Sechsuhrschlages die noch halbgefüllte Brente mit dem Inhalt, der fast nid z’erzahlen ist, einfach an Ort und Stelle, wo n er grad steit, ụụsläärt, um Fịroobe z’mache. Gleich dem frischgebackenen Maurergesellen, der zur selben Minute mit dem halben Gefäß voll kostbarer Zementlösung den Standort seiner Füße bepflastert, um seinen «Standpunkt» zu dokumentieren.

Rebenspritze

Der echte Rebmann nimmt es schon schwerer. Die «Schweinerei» des Spritzens als Notwehr betrachtend, legt er seinen ganzen Berufernst darein. Ihm erscheinen, da leider das Spritzen bis zur Stunde nicht obligatorisch ist, diese Sommerfeldzüge gegen einen der gefürchtetsten 343 Rebenfeinde als eine um so achtungswertere Verteidigung heimischen Guts. Und kein noblerer Rebbauernstolz läßt sich denken als der des Halbmillionärs, der heute als Delegierter eine vornehme Versammlung besucht und morgen seine Reben bespritzt. Als Abgeordneten häi si̦ nḁ ụụse g’hoornet («ausgeschossen», in den «Ausschuß» gewählt), und wie einem gebornen Raatsheer sitzen ihm der in Gold gefaßte Nasechlemmer, der sauber gebürstete Schĕ́wioo ( cheviot)-Rock, der gesamte G’staat u Wi̦x. Und z’moornderisch am fụ̈ụ̈fi reiht er sich dem Heerzug an, der nach seinem Weinberg durch die gepflasterten Dorfgassen schreitet. Wie des alten Feindebezwingers Habersack sitzt heute das Pumpli auf behäbig breiten Rücken des «Blaauhụ̈sler», wie der zum G’spass auf seinem Hut und Anzug Weisende in drolligem Vergleich mit dem Korrektions­hausinsaßen sich selber benennt. Und als «Blaaumacher» parallelisiert er sich mit dem Montags­müßiggänger und Wirtshaushelden. Denn blaau macht er ja heute wieder in angestrengter Arbeit ein ganzes großes Weinbergsrevier, damit es nach reinigendem Regenguß wieder in sommerlich sonnigem Grün erstrahle.

 
1  Vgl. S. 113.   2   OW. 24, 201 ff.   3  S. S. 338.   4   Drogue ist rom. doga (vgl. Strumpf = Stumpf) oder dogua aus arab. dowā oder dawā (materia medica). Seybold in der Z. f. dtsch. Wortf. 1909, 218.   5  Die Dreigeschlechtigkeit erklärt sich auch hier aus der adjektivischen Natur des Wortes: « Salidus» (salzig) ist das kohlensaure Natron, das man anfänglich den Sodaseen Ägyptens und den Strandpflanzen und Meeresalgen zumal Spaniens enthob. Das mit solidus vermengte Wort wurde spanisch und italienisch soda, Soda (Soodaa, frz. soude) Seiler 4, 323 nach Diez und Körting.   6  Nach Dr. Liechti töödt schon destilliertes Wasser, das durch eine Kupferröhre geleitet worden, den falschen Meltau. Neuenstädtische Praktiker dagegen fordern bis 6% Kupfer.   7   OW. 26, 36 f. 209-213.   8  Also das Rohr selbst statt seiner Öffnungsweite. (Gr. kālopūs, «Holzfuss», Schuhleisten, denn Gußform wurde arab. quālib, Gußmodell, romanisch calibo, span. frz. calibre.) Seil. 4, 62 f.  
 

Reblausgefahr und Rekonstitution.

I.

Mäṇger Gattig unlieplichi Begleitumstände mit in den Kauf nehmend, vermag also doch der Räbmḁ über die meisten Weinbergfeinde 344 si ch Mäister z’mache. Nicht über alle. Bloß mit dem zweischneidigen Schwert von Mitteln, welche zugleich d’Räbe tööde, läßt sich die Räblụụs direkt i d’s Läbige choo. Sollte (was dank energischer Vorbeugung nicht zu fürchten ist) dieses von den Gestaden des Neuenburger- und Murtensees bis ins Tüscherzer Gebiet vorgedrungene und seit 1920 auch das Erlacher Gelände bedrohende Insekt seinen Verheerungszug noch weiter ostwärts fortsetzen, so müßte wohl auch die praktisch denkende Nüchternheit des deutschen Seeländers in die anfängliche Verzweiflung seines welschen Berufsgenossen umschlagen. Konnte doch selbst das schöne Schü̦beli Gält, welches der Bund und die Weinbaukantone an das vertrịịbe des wüste Gast wandten, zu nichts weiterem führen als zur Umspannung der aag’steckti Stöck auf fünf Meter Distanz mit ere Schnuer, ụụsdrääie und verbrenne dieser Stöcke, Desinfektion des Bodens mittelst Schwefel­kohlenstoff, Entschädigung für die hange nti Äärn und Zahlung von 30 Rappen für jeden g’chehrte und mit Amerikaner neu bepflanzten Quadratmeter.

Man tat aber ein weiteres zu wenigstens indirekter Bekämpfung des Schädlings. Zunächst zum gründlichen Studium vo si’m Wäse im mundartlichen Sinn dieses Wortes: seiner Natur und seiner Wirkungsart. Die Berner Regierung wählte 1899 einen «Oberlụụser», amtlich allerdings: Räblụụs­kommissär (Fritz Cosandier in Schaffis), erließ 1907 das auf Eindämmung der Seuche abzielende Räblụụsg’setz und het zähetụụsig Franke erchennt als Jahresbeitrag an die Vorbeugungskosten. Aber mehr: man schritt zur versuchsweisen Rekonstitution. Dieser in so kurzer Zeit jedem Rebmann geläufig gewordene Ausdruck bedeutet die «Wiederherstellung» eines gegen die Reblaus widerstandsfähigen Rebenbestandes. Es handelte sich also um die Einführung fremder Rebsorten und um die Frage: wohär näh? (Wo näh u nid stähle?)

Unser Erdteil bezieht seit langem aus Amerika Zierreben in 13 Arten, welche außer der Vitis Labrusca 1 sich sämtlich als reblausfest erwiesen haben. Das wies den Weg, auf welchem die neue Welt, die uns neben ihrem Danaergeschenk des falschen Meltaus just die Reblaus zugesandt, 2 auch kampffähige Stöck chönn zuehaa. Es war Frankrịịch, das nach jahrelangen, außerordentlich verdienstvollen Studien Amerikanerräbe heranzüchtete, wie die glatti Riparia de Montpellier, die ganz besonders zur Anzucht geeignete Riparia rupestris, 345 Mourvèdre ( Mụ̆́rweder) usw. usw. 3 In Twann gründete unter besonders hingebender Mitwirkung des Twanner Sekundarlehrers (nunmehrigen eidgenössischen Lebensmittel­inspektors) Schwab-Engel die Räbg’sellschaft ( S. 224 f.) 1902 die Versuchsstation für amerikanische Reben und unterstellte sie der Leitung des bis 1907 in Twann, seither als Schaffner der Stadt-Bärner-Räbe ( S. 214 f.) in Neuenstadt wohnenden Eduard Louis-Ballif von Ligerz. 4 Mit staatlicher Hilfe erstand 1906 am Platze des Rueff-Schị̈ị̈rli oder des Brennhï̦ttli und als Ersatz eines verlassenen Ụ̈ụ̈rler- (ị̈ị̈rler-, Uhrenmacher-) Atelie r das von Franz Hirt in Tüscherz gebaute Propfhaus. In dieser Räbschuel wird im Frühling das amerikanische Blindholz veredelt und verschult. Die Räumlichkeiten sind für eine Maximalleistung von dreihundert­tụụsig Veredlungen eingerichtet. Diese kommen vorderhand in die beiden Pflanzschuele «Moosgaarte» (die Umgebung des Pfropfhauses in Twann) und (seit 1903) «Bégịịne» ( S. 205, im ligerzischen Kleintwann), wo etwa 40% gra̦a̦te.

Numa Meister,
Landwirt im Moos
bei Gampelen

Von Anstalten lernend, die ihrḁ wịt voor sịị, betreibt die Twanner Räbschuel Studien und erteilt die Belehrungen hauptsächlich nach vier Richtungen hin.

Zunächst frogt si̦: Welche Vorteile bieten die Amerikaner 346 überhaupt? Die Frage bezieht sich natürlich nicht auf Wildlinge, die, wie die Drahtspaliere im bisherigen Twanner Holzfäld zeigen, nu̦mme holze und für das beständige erbräche (S. 318) und ụụfbin͜de vil Zịt nähmme. Aber die Frage het Aazu̦u̦g u̦f die Unterlagen ( porte-greffes) für geeignete Edelreiser, die dem veredelten Pflänzling den speziellen Charakter ihrer Sorte mitteilen, während der Wildling ein gegen die Reblaus widerstandsfähiges Wurzelsystem bildet.

Für falschen Meltau dagegen sind die Amerikaner mit ihrer raschwüchsigen, daher porösen, fläischige und wässerige, brüetige Natur nicht weniger empfindlich als die einheimischen Reben.

Meltaufeste Amerikaner, die zugleich erheblich große und angenehm schmeckende Trauben liefern, harren noch der Herauszüchtung. 5 Dagegen bietet sich schon jetzt der Vorteil, daß man dem Amerikaner meh taarf laade. Er erträgt, ja fordert, um nicht im äigete Saft z’ersticke oder bloß i d’s Laub z’stoße, vier bis si̦be Zäpfe ( S. 312). Er liefert demgemäß reiche Ernten.

Aber weeli Blindholzsorten ertragen solche Ausnützung, und wi lang? Und welche Bodenart sagt der oder der Sorte zu? Das ist alles erst no z’probiere. Ebenso das Maß, in welchem die Triebkraft z. B. eines Murweder sich durch Veredlung bändigen lasse.

Ferner ist z’frooge: Welche Edelreiser lassen sich aufpfropfen? Gewiß vor allem der Chlepfer-Gutedel und der chlịịn Burgunder, Hansibärger, Mu̦schgidä́ller, Dóggeier. Die meisten der gepfropften Sorten zeigen dickere, chreftigeri Schösser.

 
1   Hehn, 6, 502.   2   OW. 23, 103.   3  Näheres im Manuel du Viticulteur von der Versuchsstation Auvernier ( Neuchâtel 1907) 7 ff.   4  Ihm verdanken wir die fachliche Zuverlässigkeit dieses Abschnitts, wie auch vielfache sonstige Belehrung.   5   OW. 23, 104; 25, 99.  
 

II.

Wie nun vollzieht sich die Veredlung? Wie der ganze ihr nachfolgende Teil der Rekonstiduzion? Das lernen wir am besten, wenn wir im Meerze und Abrelle der Pfropfanstalt Besuche machen und über die ganze frostfreie Zeit hin u har in die Pflanzschuele ịịne gï̦ggele.

Zunächst luege mer zue, wie ein Schuljunge aus amerikanischem Blindholz etwa 30 cm lange Sị̈ị̈schee ( sujets, Unterlagen, Un͜dersätz) schnịịdet. Ein anderer Schuljunge schneidet die Edelreiser ( greffons, im untern Nidauamt: Greiff) 1 auf je äis Auge. Die so zugeschnittenen Rebhölzer werden — natürlich arpaartig — vor die Zweier (die mit der Kopulation, s. u., Betrauten) hi̦i̦ g’läit. Geht diesen das Holz aus, so rïeffe sie geschäftsmäßig kurz: sujets! greffons! Je ein sujet und ein greffon von rasch zusammengesuchter glịịcher 347 Dicki werden mittelst des englischen Zungenschnitts 2 z’sämmeg’steckt. Die Zï̦ngli werden so stark gemacht, daß die Veredlungen fest halten ( ’s häi), ohne daß das früher angewandte verbin͜de mit Raffia (=Bast) mehr nötig wird. Um so erforderlicher ist dann freilich die nachmalige Behandlung der diffisile Dinger mit sịịdige Fingere.

Bei einiger Fertigkeit bringt ein Zweier im Tag bis zweitụụsig Veredlungen z’wääg, ein geübter dreitụụsig u nó meh. In den ersten Tagen werden allerdings die Finger durch Ermüdung und Schmerz ziemlich starch hääreg’noo.

Ein Aufzug befördert die Veredlungen in den Vortreibraum. Dieser liegt etwa 1 m unter der Erdoberfläche ( im Boden un͜der). Hier werden die Veredlungen ’zellt und in stehenden Kisten mit fïechtem Sagmähl iig’läit. A lsó ’ne Chi̦ste faßt, je nach der Dicki des Rebholzes, 1200 bis 2400 Veredlungen.

Nachdem eine Kiste angefüllt ist, wird der (die Stirnwand bildende) Techchel eingeschoben und die Kiste umg’läit. So kommen die Veredlungen aus der li̦gglige in die stän͜dligi Position. Nun wird die Kiste samt ihrem Inhalt starch g’netzt (durchnäßt), zur Verhütung von Schimmel ( gäge d’s graaue) mit Kohlenstaub bestreut und endlich mit Sägemehl zugedeckt. Darauf wird von neuem Wasser zugegossen.

Die so behandelten Kisten werden im Vortreiberaum aufgeschichtet, und das Vortreiben kann beginnen: vierzäche Daag gäb mḁ dänkt z’setze. Diese vierzehn Tage sollen sich so verteilen: 2 Tage zum Erwärmen auf 20 bis 25° C., 10 Tage zum Verharren in dieser Weermi, 2 Tage zum abchüele auf die Außentemperatur. Während dieser zwo Wu̦che sind die Veredlungen gewöhnlich 2 bis 4 cm läng gschosse; die Veredlungsstelle aber ist durch ein weißes Kallusbändchen überdeckt ( ï̦berwállet).

Das setze richtet mḁ in der Regel u̦f ụụsgänds Abrelle oder ịịngänds Mäie. Die Pflanzschuele n wurden aber vor jeglicher Aufnahme der Setzlig mittelst Schwefel­kohlenstoff desinfiziert, bis der Verdeerber (Wurzelschimmel, S. 330) drụụs gsị isch.

Zum setze wird eine Linie um die andere in einem Abstand von 40 bis 50 cm trassiert und bepflanzt. Die geißfußartig auslaufende Setzgable ( fourchette) bringt Setzlig um Setzlig, so sị̈ị̈fferli und doch so beförderlich als möglich am un͜deriste Chnopf ergriffen, in den Boden. Die Pflänzchen werden hierauf mit Wasser stark angeschwemmt und liecht mit San͜d d’deckt. Letztere Maßnahme schützt die greffons vor Beschädigung durch Steine, harte kleine Schollen u. dgl. 348 Zuletzt folgt eine Bedeckung mit Häärt. Alle Pflanzarbeit wird u̦f daarg’läite Lade ausgeführt, um den Boden vor em fest-trappe und vor Schuhabdrücken zu bewahren.

Die zum Schluß mit dem ganz liechte Hạueli gezogenen Wälmli müssen im Spätherbst für einen Augenblick wieder ụụftoo werden, um die Pflänzlinge z’baarte ( S. 308): der Wurzeltriebe zu entledigen, welche die Edelreispartie unerwünscht aasetzt.

Die Veredlungen kommen gewöhnlich schon als jährigi zum Verpflanzen in die zuvor sorgfältig g’chehrte (rigolten) Versuechsfälder. Die Räbkummission überwacht, so wịt sị chaa, deren richtige Pflege und Reinhaltung sowohl von Gjätt wie von Zwischen­pflanzungen. Das Meiste und Beste müssen freilich das Geschick und der gute Wille der neuen Eigner selber tun. Sie erzielen damit nicht nur reblaussichere Stöck, sondern auch solche mit kräftigerem und leistungsfähigerem Wurzelwerk, sowie stattlicherem und reicher verzweigtem Wuchs der oberirdischen Teile. 3

 
1  Vgl. graphium (griffelähnliches Pfropfreis) und greffe.   2  Vgl. Manuel 40 ff.   3  Zur staatlichen Reblausbekämpfung: Gesetz vom 3. April 1922.  
 

Weinbergplünderung und Rebhut.

I.

D’s Wäspi aus dem Kerfenreiche, sowie der Schnägge, zumal die Weinbergschnecke aus der Molluskenwelt führen über zu Weinbergschädigern höherer Tierklassen. Da sind zunächst eine Anzahl Fäcketreeger aufs Korn zu nehmen. Als diebisches Räbehuen deutete man sehr unsachlich das Räbhuen. 1 Auf gueti Triftig lauern dagegen der Räckoltervogel (die Wachholderdrossel), der Herevogel (Eichelhäher), der Chrääi oder Gaagger. Wie überall, meldet sich der Spatzg. (Vgl. Platzg, Pli̦tzg in alter Sprache.) Aber wie erst, wenn de nn d’Staaren ịịsetze oder ịịhänke! Der Rinderstaar schloot mit de Fäcke Trauben ab, um gemächlich Beere um Beere abzupicken (altseeländisch: abz’bi̦gge), wie Kinder vom Strauch Chroosle usw. bi̦cke. Aus nahen Gebüschen aber flattern in erspähten Augenblicken der Stille Amsle heran, um als windigi Bursche just die auserlesensten Früchte anzufressen. Daß no niemmer dra d’dänkt het, in einer Art liberalster Gefangenschaft sich das herrliche Geflöte dieses Ersatzes der Nachtigall zu sichern, ohne es mit dem uverschantiste aller Raubzüge bezahlen zu müssen!

349 Häimli fäiß schleicht der Igel sich an, um vielleicht seinem heißgeliebten und harmlosen Freund Reginhart (Reinhard, renard) z’e̥bchoo. Vor Fuchs und Dachs 2 sind die süßen Früchte an Waldes Rand nie sicher.

Die schlimmsten Trụ̈ụ̈belschelme sind allerdings die zwäibäinige Herren der Schöpfung. Schon damit, daß sie auch Schädigungen bringen an Boden, Pflanzen, Einfriedigungen.

Alle diese höher organisierten, darum auch verwickeltere Kräftegruppen einsetzenden Eindringlinge in das so sauer erarbeitete Eigentum des Winzers muß dieser immer ausschließlicher der Abwehrkunst berufener Weinberghüter überantworten.

Schnäggen abläse lernt das kleine Kind, Wäspi vernichten durch Vernichtung ihrer Königinnen jeder Schulknabe; aber schon zum Fernhalten der Vogelschwärme, die ja unter gesetzlichem Schutze stehen, teilen sich die Gewalten. Wie vollends wehrt mḁ d’Dachse u d’Füchs ab, denen bloß der Jeeger den Krieg machen darf?

Unter den Vögeln scheut der Rebmann am wenigsten d’Chrääije. Gegenteils dienen sie ihm als Wätterprophete, indem sie u̦f d’Stickel chämme (Ins: chöe̥me) cho abstelle, unverwandt i d’s Wätterloch (den Creux du van für Ins, den Tschaafisbärg für Tw.) luege, u lụụse. Als Plünderer der Singvögelnester muß er sie gleichwohl verfolgen wie die gefährlichen Traubendiebe. G’chäälräbe werden unschwer durch Gaase ( gaze) geschützt. Zweifelhafte Dienste leisten dagegen die Vogelg’schụ̈ụ̈ch (Popanzen), namentlich wenn etwa die durch Regen sperrig ausgebauschten Seitentaschen einer ụụstragene Chu̦tte von Spatzge als Einladung gedeutet werden, sich hier wohnlich einzurichten. Mehr nützen als weites Netz gespannte bạu mwól ligi Fäde. Doch d’Amsle schụ̈ụ̈che auch diese nicht. Die schreckt man schon eher durch stinkigi Fụ̈ụ̈rtụ̈ụ̈fel (langsam fortschreitende Explosionen von Büchsebulver, das man naß verchnü̦tscht hingestreut und aa’zu̦nte het). Fallen aber ganzi Schwäärm von Spatzen, Amseln und Staaren in die Weinberge ein, das s es schwarz wirt wi ’ne Wu̦lche, de nn hilft nụ̈ụ̈t als Fụ̈ụ̈r gää, gäb si z’Bode chöme. Aber auch auf bloß schreckende Schü̦tz hin empfehlen die Nŭ̦́nde̥die̥ (die mit « sacré nom de Dieu» Verwünschten) sich bloß auf baldiges wider luege. Wenn e̥re nid es baar am Bode li̦gge, so ist das durch Eintracht starke Feindesheer bald wieder da, und selbst ein großer Weinberg ist binnen kurzem Stụ̈bis u Rụ̈bis ụụsg’frässe. 350 Erst ein panischer Schrecken verschụ̈ụ̈cht die mit lautem Gekrächze davon huschenden Schwärme für die ganze Lesezeit.

Gegen g’lustigi menschliche Eindringlinge wird gleich zu Anfang der Traubenreife abb’schlosse, vermacht. Döörn und Drohtg’flächt am offenen Heerweg, fern von diesem mit Stacheldraht, umziehen die Eigentumsgrenzen. In Kalk eingelassene Glasschi̦i̦rbli hindern in welschen Weinbergen das Übersteigen der Straßenmauern. Namentlich im Wistenlach aber schli̦i̦rgget mḁ Chalch, der im Stampfzü̦ber unschädlich si ch z’Bode setzt, an die exponiertesten Trauben.

 
1  Wahrscheinlich das «bunte» Huhn: russ. rjaboj, woher der Name rjabka. ( Kluge 367.) Vgl. Goeldi 366 f.   2   Schmeil 66 f. und Tafel 7.  
 

II.

In all diesen Selbstverteidigungen wäre aber der einzelne hilflos, wenn nicht doch hier mit gesetzlicher Macht di ganzi G’mäin darhin͜der stien͜d. Solcher Schutz kam uf dää Wääg zustande, daß in der Nachahmung großstädtischer Zünfte 1 auch Stedtli und Bauernschaften während der Wirren des dreißigjährigen Krieges 2 zu gegenseitigem Schutze si ch zsämmedoo häi. In den seeländischen Rebgebieten, die meist in den Händen geistlicher und weltlicher Herren lagen ( S. 188 f.), legten ebensolche Verbände einheimischer Rebbesitzer Gält zsämme zu gegenseitiger Wehrmanns-, Waisen- und Armen­unter­stützung und häi’s i G’sellschafts­räben aag’läit. So die 1648 erstmals erwähnten zu Ins. In dem Maße, wie die ortsfremden Besitzer ihre Rebgüter an einheimische abtraten, erstarkten diese Gesellschaften bis zur faktischen Identisierung mit den allmählig als politische Einheiten sich herausbildenden Einwohnergemeinden. Diese versammeln sich daher im Seeland zu gewissen Zeiten als Räbgüeter­g’mäine. Sie bestellen auf eine Reihe von (etwa vier) Jahren die Räbekumission und verhängen bei beginnender Traubenreife den Weinbergbann. Das mäint (das wott säge): das Verbot, eigene oder fremde Rebgebiete zu betreten unter Androhung von Bueß (in der Regel vo mene Fụ̈ffränkler). Bloß für das bräche ( S. 278) eigener Trauben und das Lesen i de Vorräbe (s. u.) wird in gewissen Stunden eine Ausnahme gestattet, sonst si d’Räbe im Bann, im Baan, im Plan (Tw.) oder «i der Pahn» («Bahn»), wie auch anderwärts (z. B. um Bern vom Jagdbann sprechend), das verdunkelte Wort umgedeutet wird. D’Baan gäit ụụf: der Rebbann ist aufgehoben (gleich einer Schranke). Die lange Reihe der letzten Mißjahre veranlaßte freilich z. B. in Twann und Ligerz zu stillschweigender Unterlassung des Banns, soweit dieser wenigstens 351 die Lesezeit betrifft: mi li̦st jetz, we nn mḁ will. Ob spätere Reihen guter Jahre diesen Lesebann, diese «Herbstbähne» (1783) wieder bringen werden, steht dahin. Einstweilen gibt es, wo heute faktische wie früher (z. B. 1433 für den Ängelbärg) 3 förmliche «Bahn-Befreyung» statt hat, natürlich auch keine Aufhebung des Banns als Bewilligung des Erntebeginns. Es gibt keinen «außgehebten» (1730), «genommenen» (1790 u. ö.) Bann, keine «Reben Bahnnehmung» (um 1750), keinen «aufgethanen» (1732) oder «eröffneten Bann zum Läßet» (1776). Wie sonst, kann «Bann» auch hier den mit Bann belegten Bezirk bedeuten. So hat man am 25. Oktober 1821 zu Gampelen «angefangen Herbsten der erste Bahn auf der Seite gegen Gals».

Solche Aufhebung wie die vorgängige Auskündung des Banns: das verbiete oder vermache der Reben, wurden vormals durch öffentliche Ausrufer unter Trommelwirbel ( ụụstru̦mme) publiziert. Heute werden sie gleich andern örtlichen Bekanntmachungen durch den Dorfwäibel ụụsg’lütet, ụụsg’schällt, ụụs’kringelet.

Die Ausführung des Bannes ist undenkbar ohne Wacht. Die wurde früher als Ehrensache von Bụụresü̦hn übernommen, die gegenseitig sich ablösten. Hü̦tzu̦daag bestellt der Gemeinderat für die Zeit zwischen Traubenreife und Leset arpártigi (Ins: abártigi) Fäldhüeter. Je drei solche werden in Twann und in Ligerz aag’stellt. In diesen und andern ausschließlichen Rebgebieten heißen sie etwa Räbhirte oder Räbhüeter, teilen aber gewöhnlich mit dem Holz- (Wald-) Bannwart als Räb-Bannwarte sich in dessen Titel, der sich 1841 als «Bahnwart», 1825 als «Bannwärter» schrieb und welsch­schweizerisch zu brevard 4 wurde. Im Gegensatze zum staatlichen Waldbannwart aber bezeichnet er sich als Gemeindsbannwart. Den vollen Namen Bannwart hört man z. B. noch in Brüttelen und Gäse̥rz, indes jüngere Inser und Erlacher vom Holz- und Räbbannercht oder banne̥cht, ältere vom ebensolchen Banne̥rch sprechen. Links des Sees gilt Bamme̥rt. Es liegt offenbare Anlehnung an die Formen für «Mannwerk» ( S. 230) vor; nur die vollständige Parallelisierung mit dem enttonten Grundwort und dem von diesem infizierten Bestimmungswort ist unterblieben.

Jeder Twanner Rebhüter erhält nunmehr 9 Franken p’här Daag. Er wurde vor 1921 z’sämmethaft mit hundert Franken pro Herbst entlöhnt, aber (wenigstens uf em Bapịịr) mit Haftbarkeit für jeden Frevelschaden belegt. Früher zahlte die Gemeinde ihm vier Franken im Tag, legte aber, wie noch heute, die Kosten ratenweise als Räbetäll 352 auf die Rebgüter. Diese Telle wird nunmehrzu Twann als Bamme̥rtlohn (z. B. 1920 mit 20 Rp. per a) zugleich mit der Grundstụ̈ụ̈r von den Rebbesitzern erhoben. Ein Rebgut von 3½ Mannwerk zahlte noch um 1850 laut Verschreibung 2¼ Maß Wein und einen Kreuzer; das Tị̈ị̈rigerhụụs (Thüringerhaus, S. 204) zu Tüscherz hatte 1840 60 Maß Wein und 15 Batzen zu entrichten. Laut Vorschrift von 1783 genossen die «Rebbahnwarten» das Vorrecht, z’erst z’läse. Fremde Besitzer großer Komplexe, wie z. B. der Bu̦chsi- und Fraubrü̦̆nne-Räbe (1824), wiesen zur Unterkunft am Platze bloßer offener Windschi̦i̦rme (z. B. i den Egge der Dornreben, S. 182) kleine Gebäude an. So stand noch 1825 am Chapf die Bamme̥rthï̦tte oder das Bamme̥rthị̈ị̈sli. Es hatte zur Umgebung die Hï̦tterääbe, 1274: ze der Huton ( S. 146), welche nordwärts von der Hï̦tteflue begrenzt werden. Und das Ligerzer Schützenhaus steht auf der Bamme̥rthị̈ị̈sliflue.

 
1  Vgl. Dr. A, Zesiger in der BW. 1912, 108 ff.   2   Mül. 187.   3   Schlafb. Tw. 54.   4  Vgl. M-L. 937; Favre 202.  
 

III.

Mit dem Schlapphut für schön u wüest und mit dem Stäcke (Ins: Stäck) zieht heute der Bannwart auf seinen nichts weniger als beneidenswerten «Posten», wenn die Verpflichtung zum steten lạuffe so heißen darf. Häi d’Bamme̥rt scho aafa̦a̦ lạuffe? Und lạuffe si̦? Haben die Rebhüter ihr Amt bereits angetreten? Und üben sie es? — Mit dem müeße g’lü̦bde vor dem Regierungs­statthalter als Nachklang des landvögtlich verhängten Rebbannes steht in keinem Einklang der Respäkt städtischer Sonntagsbummler und selbst von Kindern, denen «gestohlene Wasser süß schmecken». Bedauern doch jene, wenn sie häi müeße fụ̈f Fränkli schwitze, bloß, daß sie wider das änglifte Gebot gesündigt und si ch häi lo verwü̦tsche. Und rufen letztere aus sicherer Ferne mit den entsprechenden Gebärden:

Räbbannech mit dem tüüre Huet,
Di Trüübel si gar tüüflisch guet!

Ein Nachklang aus früherer Zeit aber birgt sich im twannerischen Spottruf:

Bammert, Bammert mit dem Spieß,
Gäll, die Trübel si so süeß!

Nebst dem versteckt gehaltenen Sackg’wehr für auf raubende Vögel z’bulvere, und nebst dem Stäcke als Rudiment des Spieß trug nämlich der ehemalige Rebbannwart einen Respekt gebietenden Spieß erst als wirkliche Waffe, dann noch lange Zeit als stolzes Berufsinsigne. Ja, noch früher stand dem Mann ein Hund zur Seite; und mit dem Pfịffli konnte er so lụt pfịffe, daß eine Twannerin beim 353 ersten Durchfahren des Eisenbahnzugs (1861) rief: Mị’r Läbtig han i no nie käi Bamme̥rt ḁ lsó g’chëëre pfịffe, wi di Máschine pfịffet het! 1 Des Bannwarts Pfịff war also jederzeit weittragend genug, um zum Ergreifen eines Flüchtigen die nächsten Kollegen aaz’rüef fe: Häit ’nḁ (haltet ihn)!

Helene Mürset,
Twann

Alte Vorschriften ergingen sich aufs genauste im regliere der Obliegenheiten eines Rebbann­warten. Hören wir, unter welchen Gedingen 1426 der Twingherr von Twann zum «behütten» seiner Reben einen «Banwart» zu Twann bestellte, die Rebenbesitzer von Twann ebenfalls einen, und die des eine Viertelstunde entfernten Weilers Wịngreis («Wingrebs») einen dritten. Diese Abmachete fand statt anläßlich eines große G’richt von vornehmen Bernern, von Burgern zu Biel, Nidau und Büren zum Zwecke der Festsetzung der Twingrechte zu Twann. 2 Diese drei Bannwarte sollen, nachdem sie von jeder «Bursame» als «füglich» erfunden worden, von dem Twingherrn oder dessen Statthalter in Gelübd genommen werden mit einem gelehrten leiblichen Eid zu Gott 354 und den Heiligen, die Reben zu hüten dem Armen wie dem Reichen, niemand zu Lieb noch zu Leid, keinen Dieb zu hehlen und sälber nị̈ị̈t z’näh.

Das Faulende oder Abgehende ausgenommen, setzt der Twingherr oder dessen Statthalter den Läset fest. Das G’lääsne mueß der Bamme̥rt g’seh; und er soll als «Gezeuge» dienen, ob (wenn) der Twingherr ihm gehässig und feind wäre und die Abnahme nicht erlauben wollte. Widerhandelnde schulden 3  H als Buße und die Tageslese zuhanden des Twingherrn.

Die Frevler soll der Bannwart fangen, die Nacht über im Schloß des Twingherrn hüten und z’moornderist nach Nidau führen. Kann er das nicht, so hat er um Hilfe zu rufen. Wer dem Rufe nicht folgt, wird dreifach gestraft. Macht der Bannwart den Frevler leiblos ( tood), so verliert er damit weder im Land noch in der Herrschaft sein Heimatrecht. Er sei aber vor des Getöteten Freunden auf der Hut.

Für Weindiebstähle über einem halben Sester waren die Bannwarte verantwortlich.

Über die Ausführung der Hut gab es weitläufige Vorschriften, aus denen wir hier (ohne aufdringliche Anführungszeichen) einige Ausdrücke wörtlich in unsere Inhaltsangabe einflechten:

«Die Bannwardt söllend by ihrem Eydte in dhein ( käi’r) haußröiche schlaffen. (Dafür 1628: 3 in keinem Geräukten Haus, welches g’räükt oder b’räükt, also bewohnt wird.) 3a Wa sy der Schlaff angeth, da söllend sy ihr spieß zwüschen Ihr Arm vnd ein Kißling ( Chĭ̦slig = Stäi) vnder Ihr Haupt Leggen vnd Ihr schlaff also thun, vnd nach dem Schlaff vfstohn vnd hütten. Bedörffte auch ein (= der) 4 Twingherr eines Banwarts vff dem See vmb Fisch, oder vmb Bottschafften gahn Nydauw oder gan Erlach, sölliche Bottschafft vnd Vert soll ein Banwart thun, doch alßo, daß er seinen g’sellen sag, daß sy dester bas hütten, vnd auch by derselben tagzyt har wider kom, ob (wenn) er sein ( officium) vfgericht habe.

Jeder Bannwart darf für sich drei Tage lang lesen. — Geluste auch die Banwart Trübel zeeßen, so mag ihr Jeglich drey Trübel in dem Nechsten stuck neben by im Nemmen, vnd deß Jahrs in dem ( däm = diesem) stuck nüt mehr. Auf dem Hutweg angetrvffene Birnen 355 mag er dagegen eßen, so vill er will, vnd darzu Nemen als vill er In siner handt vor an syner brust getragen mag. 5 Wo Nußbäume sind, da jemand Sanfel (das Anfall- oder Überfall-Recht) 6 hätte, da mag der Bannwart sagen, daß er seinen Anfall (Überfall) hole.

Item näm ouch ein frömbder man an einem fürgang (im Vorbeigehen) Trübel vnd aber keinen sackete (vgl. ịịsacke), den sollen die Banwardten nit pfänten, dann (sondern) ihn heißen fürbaß gahn vnd den rechten weg, ob (falls) er gejrret häte ( veri̦i̦ret wär), weisen; aber einen heimschen mögent sy wol pfänden. Denne kähm ein Graff geritten vnd einem Banwart trübel hiesche ( hiesch, vgl. g’heusche, s̆s̆), 7 der soll ihm sein hut vollen (vgl. die Hand ‹volle› = Hampfe̥le) Trübel 8 geben, einem Ritter, was an dreyen Schoßen stath, einem Priester drey Trübel, einer Tragenden frouwen dem kindt ein Vndt ihra zwen (zwee) in der Nechsten reben by ihm, vnd deß Jahrs an dem stuck nit me. 9

Sodane söllend die herren von Engelberg den dreyen Banwart eine pfiff ( Pfịffe) vnd einen hundt ( Hun͜d), [ferner] Jeglichem ein mahl gesotten vndt gebradtens, Neüwen vnd alten wein In dem herbst (Läset) zehen vnd ze trinken geben.

Item so sol der, so den Hut [voll] Trübel 10 vff nimbt, ... den Twingherren vfnemmen guts, saurs vnd fauls an geuarde (ohne Gefährde, ụụfächt u redlich)... Der Hut soll auch in der maßen sein, daß ihn ein Banwart dem andern mit gestrecktem arm über ein gedörnten Zaun auß möge bieten.

Auch mag ein Banwart ze märkt ( Määrit) faren vmb ein bar schu, doch daß er [als der] letzt 11 dahin vnd [als] der erst har wider sy.

356 1628 erging das Verbot, vorm Herbst Trüblen ze brächen und ze rappen (rapple, S. 277), bei 4 H Buße. Niemand soll dem rappen nachgahn.»

 
1  Schwache Biegung neben starker: vgl. schwz. Id. 5, 1075 ff.; Gb. 488. 167, wo auch «g’singt» neben «g’sunge».   2   Schlafb. Tw. 3 b; Pagans (handschriftliche) Beschreibung der Vogtei Nidau und des Tessenbergs, 1768. (Im Archiv der ökonomisch-gemeinnützigen Gesellschaft Bern.) Hiernach referierte der «Schweizer. Geschichtsforscher II (Bern, 1817) 308-312, und Grimm nahm dieses Referat auf in seine Weistümer (Göttingen, 1840) I 182 f.   3   Tw. Schlafb.   3a  Der schwz. Geschforsch. (II 309) deutete diese Husröichi als Umkreis, innert dessen man den Rauch eines Hauses riechen mag. Vgl. jedoch (im schwz. Id. 6, 100, 805) die Hus-Räuchi und -Räuki als Wohnrecht im Wohnhaus und dieses letztere selbst. Auch der Zusammenhang fordert diese Deutung.   4  Ein so hervorragender Mann wie der Twingherr von Twann. Solenn wie «ein Eidgno ssenschaft» u. dgl.   5  Vgl. I ma daas nit g’fergge; i ma nid g’choo, ma daas nid g’mache. (Meine Kräfte reichen nicht so weit.) Dagegen: I ma daas nid mache, i ma nid choo (ich habe keine Lust dazu).   6  Gschforsch. 2, 311; schwz. Id. 1, 738. Eine Agglutination wie en Ast = e Nast u. dgl.   7  Mhd. ( Wb. 1, 425) ich eische und ich iesch, woneben aber ich eischete und ich habe geeischet (schwache Konjugation wie ahd. eiscôn sie fordert). Die starke Biegung ist wie z. B. die von «schreiben» analogistisch dem Typus «reiten» angeglichen. Im 13. Jhd. sodann trat, angezogen durch «heißen», h- vor das Verb.   8  Als Weßfall zu denken.   9  Vgl. den Artikel 49 der Ordnung für Landeron vom 22. September 1403: Si un chevalier ou un gentilhomme ou une femme enceinte errans par les chemins dedans le ban, désirent des raisons, en doivent demander au brévard; et s’il ne leur en veut donner, ils doivent entrer dans la vigne et iceux en prendre chacun plein son chapeau pour lui et son serviteur, et la femme tant comme enceinte elle peut en soutenir sur sa main devant elle. (Quartier 3, 339.)   10  Wieder Genitiv, wie «eine Kanne Wein[s], «es Glas Wii», wofür aber der alte Twanner es Glas voll Wii (es Chachcheli voll Gaffee u. dgl.) sagte.   11  Noch als Superlativ zum Beiwort «laß» ( Kluge 288) gefühlt.  
 


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