Karl Emil Franzos
Deutsche Fahrten I
Karl Emil Franzos

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Ob ich auch einem Zapfensteiger begegnet bin oder nicht, weiß ich nicht; ein junger Mensch, mit dem ich vor einigen Tagen einen Waldweg ging, sagte es von sich, aber ich glaubte ihm nur anfangs. Da erzählte er anschaulich, auch in fast dialektfreiem Deutsch, was das für ein lustiges Handwerk sei, man schwinge sich, den Sack für die Tannenzapfen auf dem Rücken, von einem Baum zum andern, Stunde um Stunde, und dünke sich in der luftigen Höhe wie ein Vogel. Nun kam uns aber ein Forstwart entgegen, und mir fiel der finstere Blick auf, mit dem er meinen Begleiter maß; der wieder vergalt's redlich, während eine dunkle Röte über sein hübsches, keckes, scharfgeschnittenes Gesicht flog – recht wie Todfeinde sahen sich die beiden an, und ich dachte mir mein Teil. Er sagte aber nichts darüber, sondern erzählte nur von seiner Dienstzeit als Soldat; das sei er gern, herzlich gern gewesen. Dabei kamen wir an eine Stelle, wo sich im Moos die Fährte eines Wildes zeigte. Der junge Mensch fragte, ob ich wüßte, was das wäre. So weit reichte noch von den Karpaten her mein Wissen; es war eine Hirschfährte. »Ja, aber was für ein Hirsch?« examinierte er weiter, und das wußte ich nicht. »So ein Siebenender«, sagte er dann, »ein feistes Stück, und ganz gemächlich ist's hier spaziert!« – »Das wissen Sie so genau?« – »Freilich, wie jeder im Wald.« Nun fragte ich harmlos, ob es hier Wilderer gebe. »Ja«, sagte er lächelnd, »die gibt's hier. Diese dummen Leute glauben nämlich, daß der liebe Gott zuerst die Hirsche und die Rehe erschaffen hat und dann erst bedeutend später das hochfürstliche Oberforstamt. Und darum meinen sie, man weiß nicht ganz genau, ob der liebe Gott bei der Erschaffung der Welt schon ans Oberforstamt gedacht hat oder nicht. Wenn nicht, so wäre ja das Wildern keine Sünde.« – »Aber jedenfalls«, meinte ich, »verboten und darum gefährlich.« Er zuckte die Achseln und hieb mit der leichten Gerte, die er trug, durch die Luft. »Verboten? Es ist gar viel ohne Recht verboten und gar viel erlaubt, wofür Zuchthaus gebührt. Und gefährlich? – was ist nicht gefährlich? Da müßte man sein Leben lang fein im Bett liegen und stürbe schließlich doch.« Kurz darauf empfahl er sich. Nach fünf Minuten hörte ich im Wald hastige Schritte, da kam er wieder, aber nicht auf dem Pfad, sondern seitab, so hundert Schritte von mir, daß ich die Gestalt zwischen den Stämmen kaum erkannte, aber daß er nun keine Gerte mehr trug, sondern einen auffallend dicken Stock, sah ich doch. Wieder nach einer Weile setzte ich mich hin und ruhte ein wenig aus; da fiel ein Schuß in der Richtung, wo er verschwunden war. Wildfrevel kommen alle Tage vor, und es ist auch hier wie überall im Waldland: zwischen dem Förster und dem Wilderer ist ewiger Krieg, und alle Strafen schaffen das Wildern nicht hinweg. Auch Menschenblut fließt zuweilen, aber der Krieg wird doch minder grausam und erbarmungslos geführt als anderwärts, zum Beispiel in Oberbayern. Der Volkscharakter ist eben, ich will nicht sagen gutmütiger, aber zahmer. Auch ist der Waldreichtum dieser Forste ein so enormer, daß der Wilderer weder dem Vergnügen noch dem Geldsack des Jagdherrn erheblich Abbruch tut. Zudem hört man von häßlichem Massenmord der Tiere aus Blutdurst oder Tücke, wie sie anderwärts vorkommen, hier niemals. Die Wildsau abgerechnet, liebt der Wäldler alles Lebende, namentlich Hirsche und Rehe, und wenn er von ihnen erzählt oder den Fremden auf ein solches Tier aufmerksam macht, klingt seine Stimme fast zärtlich. Genaue Kenner des Wildes haben mich versichert, daß der Hirsch nirgendwo so zahm ist wie im Schwarzatal; das wäre er nicht, wenn ihm die Menschen gar zu übel mitspielten. In strengen Wintern flüchtet das hungernde Wild bis hart an die Dörfer, und dann hilft der arme Wäldler seine Not stillen und denkt nicht daran, daß es fürstlich ist. Das mag ein wenig mit der Tatsache versöhnen, daß er zur Jagdzeit auch nicht daran denkt.

Bedenklicher als das Wildern und Wildfischen ist ein anderer Erwerbszweig in diesem Tal, der auch mit dem Wald zusammenhängt, wenngleich nur locker: das Laborantenwesen. Volksmedizin gibt's ja überall auf Erden, unter den Eskimos und den Kamerunern, den amerikanischen Rothäuten und den Rixdorfern; in abgelegenen Winkeln der Erde – wie dieser hier – wuchert sie nur eben stärker. Gegen alles Siechtum des Körpers, alle Grausamkeit der Natur, alle Tücken der Menschen versucht man's hier wie überall vor allem mit dem Besprechen. Die uralten Feuer- und Wassersegen gehen noch von Mund zu Mund; da in neuester Zeit auch freiwillige Feuerwehren gebildet und Dämme gebaut wurden, so ist dies unschädlich; auch die Schutzsprüche gegen den bösen Blick, gegen wütende Hunde oder die Sperlinge, welche die Saat aus der frischen Furche picken, haben noch niemand geschadet. Schlimmer ist es schon, wenn die Leute ihr bißchen Vieh, statt es bei der Viehassekuranz anzumelden und in Krankheitsfällen den Tierarzt zu rufen, dadurch geborgen glauben, daß sie ihm den Segen, auf Papier geschrieben, zu fressen geben. Die beliebteste Formel dieser Art, die vor Jahrhunderten in ganz Deutschland üblich war, jetzt aber nur noch abseits der großen Heerstraße der Kultur angewendet wird, ist bekanntlich: »Sator arepo teret opera rotas«, was von vorn und hinten gelesen denselben Unsinn gibt. Das Schlimmste aber ist natürlich, daß sie es bei Krankheiten der Menschen genau ebenso halten. Zuerst das Besprechen, dann, wenn dies nichts hilft, Purganzen, daß ein Ochse davon zusammenbräche, Blutegel oder ein Aderlaß, dazu allerlei zum Teil recht bedenkliche Pflanzensäfte aus dem Wald; die harmlosesten Mittel sind noch die für Wunden: Arnika und Fichtennadelöl. Wie's nun geht: »Bauernmagen kann viel vertragen«; die Leute werden alt dabei, und daß im Wald tiefgeheime Kräfte wirken, ist uralter deutscher Volksglaube. Darum mühten sich schon im Mittelalter die Leute des Flachlands um die Heilmittel des Schwarzatals, bis sich ein findiger Kopf fand, der den Handel organisierte. J. G. Mylius hieß er und stammte aus Oberweißbach; seine Boten, die Öle, Fichten- und Schwefelbalsam vertrieben, nannte er Balsamträger; er starb um 1680 als schwerreicher Mann. An seine Stelle traten viele andere »Laboranten«, die dieselbe Ware erzeugten und bald durch Hunderte von Balsamträgern vertreiben ließen. Im 18. Jahrhundert florierte das Geschäft in kaum zu schildernder Weise; die Königsseer (so genannt, weil das Amt Königssee ihnen die Pässe ausstellte) überschwemmten ganz Mittel- und Osteuropa bis tief nach Polen hinein. Die harmlosen Pflanzenöle und die Kuriositäten, die sie feilboten (zum Beispiel Zigarren, die Harzwaldgeruch verbreiteten!), machten ihren Erfolg nicht; sie verkauften eben Mittel, die der Arzt nicht verschreiben wollte oder durfte: Aloe, Opium, Krotonöl, Arsenik, Quecksilber, Gummigutt usw. Die wachsende Fürsorge der Medizinalpolizei legte ihnen Hindernisse in den Weg; auch die heimische Regierung mußte schließlich, so ungern sie dies aus wirtschaftlichen Gründen in dem armen Lande tat, zum mindesten dem gröbsten Unwesen steuern, es blieb aber noch genug übrig. Um 1860 nahm der brave Keil in der »Gartenlaube« den Kampf gegen die Laboranten auf; da griff auch die Regierung nochmals ein; nun deckt aber die Gewerbefreiheit das Unwesen. Aus eigener Anschauung weiß ich da nichts; in ein Laborantenhaus Zutritt zu erlangen ist mir nicht gelungen; die Balsamträger aber, die einem in den Weg laufen, beteuern, sie hätten nur harmlose Sachen: Tannenpomade, Wacholdersaft, daneben Kindertropfen, Flußtinktur, Morrisonpillen usw. »Das hat schon vielen lieben guten kranken Nebenmenschen genützt«, sagte mir so ein Händler scheinheilig, aber da die Flußtinktur Aloe, die Kindertropfen Opium und die Morrisonpillen Krotonöl enthalten, so hätte ich diesem lieben guten gesunden Nebenmenschen gern eine Tracht Berichtigungen a posteriori gegönnt. Mit alledem ist aber noch das Schlimmste nicht gesagt. »Jedes Laborantenhaus«, berichtet ein so unbedingt verläßlicher Gewährsmann wie Fritz Regel, »hat seinen Giftschrank, aus welchem Arsenik, rotes und weißes Quecksilberpräzipitat pfundweise, Strychnin lotweise in unbekannte Hände wandert.« Ja, ja, der verwegene junge Mensch hatte nicht so unrecht: »Es ist gar viel erlaubt, wofür Zuchthaus gebührt.«

Auch eine andere, aber ehrliche und gesunde Industrie, die nun Brot ins Tal bringt, ist dem Wald zu danken: die Holzwarenfabrikation. Angefertigt werden Holzgeräte, Spielsachen für Kinder, als Wichtigstes aber Kisten und Schachteln. Die kleinsten Schächtelchen, die Safranschachteln, sind kaum einen Pfennig groß, die Pillenschachteln wie ein Zweipfennigstück, die Pomadeschachteln wie ein Zehnpfennigstück und größer, die Wichseschachteln wie ein Markstück usw. Das Sägen der Brettchen, das Ausmeißeln der Deckel besorgt die Maschine, das Zusammenfügen Knabenhand. Die Jungen sahen mit hellen Augen drein und förderten hurtig die Arbeit. Auch das Brot, das die Holzsägen ins Tal bringen, ist dem Wald zu danken. Zum guten Teil stammen die massiven Gebäude aus alter Zeit und waren einst Hüttenwerke. Als ich jüngst mit sinkender Sonne von Sitzendorf talaufwärts ging, die Station zu erreichen, überholte ich einen älteren Mann, der mich um Feuer bat; seines feierlichen schwarzen Rocks und seiner umständlichen Redeweise wegen hielt ich ihn für einen Küster; es war aber ein Schneider aus Oberrottenbach, der mit der Bahn heimkehren wollte, nachdem er in Sitzendorf Pate gestanden. »Gern ist's nimmer geschehen«, gestand er, »denn solches kostet zu Weihnachten ein Spielzeug oder ein Tüchlein, zu Ostern einen Wecken und zur Konfirmation gar ein Gewand, und es wäre eine falsche Philosophie zu glauben, daß der Schneider dieses umsonst hat.« Er habe es aber nicht abschlagen können, weil er diese Ehe gestiftet habe. Der junge Mann sei ein sehr tüchtiger Arbeiter in der Sitzendorfer Porzellanfabrik, sie eines wohlhabenden Bauern Tochter aus Rottenbach. »Darum haben sie füreinander gepaßt, aber ich habe viel reden müssen, bis sie es eingesehen haben, denn junge Leute haben eine falsche Philosophie und glauben, daß man von der Liebe satt wird. Nun, jetzt haben sie das dritte Kind und sind aneinander gewöhnt.« Da ich bereits gehört hatte, daß Schuster und Schneider im Tal die Heiratsvermittler seien, so war es pure Heuchelei von mir, als ich fragte, warum er so eifrig zugeredet habe. Er aber war kein Heuchler, denn wohl begann er: »Weil solches Gott wohlgefällig ist«, fuhr dann aber fort: »und weil man von der Schneiderei alleine schwer leben dhun dhäte. Auch ist dieses nur ein Geschäft für feine Hände, die den Zwirn einzufädeln verstehen; die Schuster pfuschen freilich drein, aber bei denen ist immer Pech dabei.« Nachdem er seinen Witz genügend belacht, kam jene Äußerung, um derentwillen ich die Begegnung an dieser Stelle erwähne: »Auch dhue ich es jetzunder als Agent für Versicherungen versuchen, denn so ist es in diesem Tale: immerzu muß sich der Mensch drehen und wenden, sein Leben zu fristen, und solches müssen hier sogar die Häuser dhun, wenn sie lebig bleiben wollen, also, zum Beispiele und Exempel, wofür halten Sie das Haus dort?« Er deutete auf einen großen grauen Kasten, auf den wir zuschritten. »Eine Fabrik?« riet ich. – »Nee«, lachte er. »Erst war's ein Blechhammer und dann eine Mühle und jetzt eine ›Bansionk‹ (Pension); da werden nun die Fremden gehämmert und gemahlen, aber alles in Ehren. Und Blechhammer heißt's noch heute. Ja, so ist es hier im Tale!«

Es wäre aber eine falsche Philosophie, zu glauben, daß es anderwärts nicht so ist, nur sieht man's hier deutlicher. Als Gold und Eisen versagten, schufen sie eben alle diejenigen Industrien, die Wald, Boden und Fluß ermöglichten. Im Quarz der Felsen war neben den winzigen Goldäderchen ein anderer größerer Reichtum verborgen: er gab gutes Material für feines, kalkreiches Glas; nun sind einige Glashütten im Tal. Noch Besseres barg die Tonerde; vortreffliches Kaolin; die Schwarza aber gab die Wasserkraft zum Reinigen und Zerkleinern. So entstand hier eine Reihe von Porzellanfabriken; die älteste von ihnen, die von Sitzendorf, ist noch heute die berühmteste. Ihr Begründer war ein seltsamer Mensch; Macheleidt hieß er, wie so viele im Tal. Er war ein Laborantensohn und sollte selber Laborant werden. Das aber mißfiel ihm; sein Sinn stand nach einem höheren, vor allem jedoch nach einem reineren Leben, er wurde Theolog. Daneben trieb er, wie er's von Kindesbeinen gewohnt war, allerlei chemische Allotria, studierte auch Chemie. Theologie und Naturwissenschaften vertragen sich selten; über den Mann kamen schwere Stunden; er predigte wohl zuweilen, konnte sich aber zum Pfarramt nicht entschließen und wurde so ein armer alter Kandidat. Bei der Heimkehr von einer Probepredigt, wo er recht erkannt hatte, daß ihm der Glaube fehle, warf er sich verzweifelt am Wege nieder und starrte das Erdreich an. Dann prüfte er es mit Augen, Hand und Zunge und schnellte plötzlich trunken vor Freude empor, ein neuer Mensch, der ein neues Lebensziel hatte. So wenigstens pflegte er selbst die Art zu erzählen, wie er den Reichtum dieses Bodens an Kaolin entdeckt habe. Nun baute er 1760 einen kleinen Brennofen in Sitzendorf und machte seine Versuche; sie gelangen über alle Erwartung; so glückte es ihm leicht, Teilhaber mit reichen Mitteln zu finden. Damals gab's ja noch keine Patente; so suchte er sich dadurch zu schützen, daß er das Geheimnis der Fabrikation auch vor seinen Teilhabern hehlte. Sein Mißtrauen war nicht grundlos, denn nach einigen Jahren erkundeten die feinen Herren Sozien durch Bestechung der Arbeiter das Verfahren und setzten ihn vor die Türe. Die Fabrik aber blühte nun ohne ihn empor, und was sie heute leistet, beweist ein Blick in ihre pompösen Schaufenster zu Sitzendorf, die sich von den ärmlichen Häusern ringsum seltsam abheben. Auch in Katzhütte und Scheibe wie in anderen Orten Thüringens entstanden bald Porzellanfabriken, die Macheleidts Entdeckung ausnutzten; heute wird weit über die Hälfte allen deutschen Porzellans in Thüringen erzeugt. Man sieht, die Schicksalsstunde im Leben des armen Kandidaten ist Hunderttausenden zum Segen geworden. Übrigens hat Macheleidt das traurige Los der meisten Erfinder nicht geteilt; ihm blieb so viel, daß er in Schwarzburg bequem leben konnte. Dort errichtete er das erste Aussichtshäuschen auf dem Trippstein, »um den Menschen den Tempel der Natur zu erschließen«.

Als Letztes, aber vielleicht auch als Geringstes ist unter den Erwerbszweigen des Gaus die Fremdenindustrie zu nennen. Sommergäste sitzen nun freilich in mehreren Orten des oberen Tals, in Blechhammer und Mellenbach, Katzhütte und Scheibe, aber allzuviel wird ihnen nicht geboten, und allzuviel Geld lassen sie nicht hier. Die meisten kommen her, weil ihnen der Luxus im unteren Tal verhaßt ist, was ins Deutsche übersetzt bedeutet, daß ihnen Schwarzburg oder Blankenburg zu teuer sind. Dagegen ist wahrlich nichts zu sagen; billige Sommerfrischen sind sehr nötig, denn der Ärmere ist einer Erholung erst recht bedürftig. Aber mir mißfiel das Geschimpfe auf den Wirt, das bei Tische der einzige Gesprächsstoff war; erkundigte man sich dann nach dem Pensionspreis, so wunderte man sich, daß er's überhaupt leisten konnte. Leute, die den Wald lieben und verstehen, habe ich freilich auch gefunden, aber die meisten klagten, die Spaziergänge seien zu einförmig, auch gehe man so ohne rechtes Ziel, denn Kaffeepunkte seien selten. Die heftigsten Anklägerinnen des Tals waren zwei Berliner Damen, Mutter und Tochter, die in Begleitung eines Herrn im »Wurzelberg« zu Katzhütte, dem Dorf, in dessen Nähe ich einige Stunden zuvor meine Enquete über das Beerenlesen abgehalten hatte, Kaffee tranken. Er bat sich meine Zeitung aus; so kamen wir ins Gespräch. Ich meinte, den Wald abgerechnet, seien doch auch die Dörfer ganz hübsch und das Leben in ihnen lustig und interessant, worauf die junge, oder sagen wir lieber, die jüngere Dame spitz meinte, es käme darauf an, wieviel man sonst von der Welt gesehen habe; sie seien schon im Harz gewesen, an der Ostsee und im Riesengebirge. Sie sah dabei noch gelber aus als sonst, das konnte leicht die mit dem Erdbeerteig sein, und so hätte ich sie gern gefragt, ob ihre Köchin nicht Auguste heiße. Aber das hätte mich ja bei so gebildeten und weitgereisten Leuten in Mißkredit gebracht.

Ich bleibe aber dabei: die Dörfer sind an sich hübsch und das Leben in ihnen lustig und interessant. Die meisten liegen an der Mündung von Nebentälern; bei Sitzendorf fließt die Sorbitz, unweit Blechhammer die Lichte, bei Glasbach, Mellenbach und Oelze der gleichnamige Bach, bei Katzhütte die Katze in die Schwarza, also überall zwei Täler und zwei Gewässer, was das Bild belebt. Einen malerischen Anblick gewährt nur Glasbach, weil hier die Bergwände eng zusammenrücken, aber einen hübschen jedes Dorf. Merkwürdige Bauten darf man in Walddörfern nicht suchen; Katzhütte hat eine stattliche Kirche aus der Zopfzeit, Mellenbach eine moderne Fachwerkkirche in gotischem Stil, die hübsch und eigenartig aussieht. Nur in diesem Dorf sieht man auch einige alte Häuser, etwa um 1600 erbaut; sie sind die einzigen Überreste des stattlichen Fleckens, den die Schweden der Erde gleichmachten; auch das alte Franziskanerkloster zerstörten sie, obwohl es längst eine evangelische Kirche war. So die Verteidiger der Lutherlehre; milder waren, sagen die Chronisten, die katholischen Kroaten, die nach ihnen kamen. Die alten Mellenbacher Häuser abgerechnet, ist im Tal schwerlich ein Wohnhaus mehr als hundert Jahre alt; die älteren sind aus Schiefer erbaut, der mit Brettern verkleidet ist, die neueren sind Fachwerk mit Kalk überstrichen. Hinter dem Haus ist nicht immer ein Garten, aber vor demselben fast immer ein Düngerhaufen und ein Holzstoß; dafür fehlen auch die Blumen und das Vogelbauer am Fenster selten. Das einzige Geschoß enthält außer dem Flur meist eine Stube und Kammer; in der Kammer stehen die Schränke, in denen Kleider und Wäsche aufbewahrt werden – einen schönen alten Schrank habe ich nirgendwo gesehen –, die Stube wird durch den Kachelofen mit Bank und das Bette fast ganz ausgefüllt. Je wohlhabender der Bauer, desto höher der Bettenberg, der zuweilen bis an die Decke reicht, aber auch in der Hütte des Armen stattlicher ist als in einem großstädtischen Bürgerhaus. Sonst gibt's nur Tisch und Stühle, eine lange Bank und an der Wand das »Tresorchen«, wo Porzellanteller, plumper Schmuck aus Halbedelsteinen, silberne Löffel und dergleichen aufbewahrt werden. Vom Flur führt eine Leiter zum Dachboden empor, wo Kinder und Gesinde schlafen. Viel Unterschied in der Einrichtung bedeutet es nicht, ob da ein Wald- oder Fabrikarbeiter haust; auch diese sind zum größten Teil Eingeborene, bestellen daneben ihr Kartoffelfeld und halten ein paar Tauben und eine Ziege oder gar eine Kuh. Richtige Bauern, die nur von ihrem Acker leben, gibt's hier wohl kaum; wichtiger als der Ackerbau ist die Viehzucht. Man sieht wenig Pferde, nie einen Esel, aber viel Schweine und Hornvieh. Die Rinder des Schwarzatals sind ein schwerer, kräftiger Schlag; das gute Futter auf den Bergmatten rundet ihnen die Flanken. Da sie hoch hinauf getrieben werden, so haben sie Schellen um, daß man sie weithin hört; gegen Abend aber vernimmt man in der Nähe der Herden ein anderes Getön: es klingt wie das Tuten einer Kindertrompete, nur etwas lauter. Es ist aber in der Regel eine ausrangierte Militärtrompete, auf der der Hirt seine Herde zusammenbläst, so gut er's eben gelernt hat.

Lustig ist das Leben in diesen Dörfern, weil es die Leute sind. Ein munterer, beweglicher, anstelliger, allzeit zum Scherzen und Necken bereiter Menschenschlag; das gilt von den beiden Typen, von denen ich schon gesprochen habe, den Blonden tiefer unten, den Schwarzen oben. Auch dies trifft bei beiden zu, daß die Männer, wie so oft auf dem Lande, dem flüchtigen Blick als die schönere Hälfte erscheinen. In Wahrheit sind sie's auch hier so wenig wie irgendwo; die Frauen haben immer den feineren Gesichtsschnitt, die besseren Farben; von den Formen zu schweigen, die auch der objektivste Mann doch immer nur mit Männeraugen sieht. Die Frauen im Schwarzatal erscheinen uns deshalb minder hübsch als die Männer, weil sie durch ihre hier allerdings nicht zu harte Arbeit doch mehr angegriffen werden als die Männer durch die härtere und die frühen Bündnisse sowie der durchschnittlich große Kinderreichtum die Blüte rascher zum Welken bringen. Ein gesunder Menschenschlag; wenig Fett, nicht viel Fleisch, aber kräftige Sehnen trotz der Kartoffelkost; Jammergestalten, wie zum Beispiel im Riesengebirge so oft, trifft man hier selten und dann eben nur in den ärmsten Dörfern. »Die Leut hier sind vor dem Ach und Pfui bewahrt«, meinte eine Gastwirtin, die in Erfurt, sogar in Berlin gedient hatte, also Vergleichungen anstellen konnte; die kluge Frau hatte recht; das »Ach, wie schön!« nötigt dieser Menschenschlag einem ebenso selten ab wie das »Pfui, wie häßlich!«


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