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Das Schloß abgerechnet, das für sich eine ganze Siedelung mit allem Zubehör ist, besteht der Ort aus zwei Teilen, dem Hotelviertel auf dem Schloßberg, dem Dorf Talschwarzburg an seinem Abhang und im Flußtal. Das Hotelviertel besteht aus fünf stattlichen Häusern, von denen dem Gebieter des »Weißen Hirsch« drei zugehören, lebt schlecht und recht oder vielmehr, da Friedrichroda und Oberhof zu seinen Ungunsten emporgekommen sind, mehr schlecht als recht vom Taler des Fremden und wird im Durchschnitt nicht besser noch schlechter verwaltet als das Thüringer Gasthofwesen überhaupt. Die herrliche Waldlandschaft, die günstige Lage im Herzen Deutschlands sorgt für Zuspruch; der Mensch tut nicht viel dazu. Gründliche Wandlung könnte nur ein Gesetz bewirken: »Jeder Thüringer Wirtssohn muß, eh er das väterliche Geschäft übernimmt, ein Jahr im Schwarzwald, zwei am Rhein und drei in der Schweiz Kellner sein und bei Übernahme des Geschäfts seine Eltern ins Ausgedinge setzen. Dreinzureden haben sie nichts, namentlich nicht bezüglich der Betten, der Küche und der Notwendigkeit des Staubwedels.« Wer in Thüringer Gasthöfen Bescheid weiß, wird diesen Gesetzentwurf nicht allzu drakonisch finden, auch hier nicht die Stimme eines Feindes, sondern die eines Freundes des schönen Landes heraushören.
Das Dorf Schwarzburg gleicht hundert anderen in Thüringen, höchstens daß es der vielen neuen, für die Sommergäste in städtischem Stil aufgeführten Häuser wegen noch etwas unhistorischer, man möchte sagen künstlicher aussieht als viele seinesgleichen; selbst die Kirche ist ein Neubau und nur die Barockkanzel von 1712. Und doch ist es eine uralte Wohnstätte; zwar erst 1072 in Urkunden genannt (»Swartzinburc«), aber zweifellos noch Jahrhunderte älter. Gleichwohl trügt der erste Eindruck nicht; es ist ein Ort, der gleichsam nie um seiner selbst willen bestand, und solche Orte haben keine charakteristische Prägung, weil sie keine eigene Geschichte haben. Lange war »Swarsburg villa« nur um des »castrum Swarsburg« willen da, der Wohnsitz der Dienstleute, Tagelöhner und Handwerker, die im Schloß nötig waren, und jetzt ist's daneben auch gleichsam die Arbeitsstube des Hotelviertels: hier wird für die Fremden gebacken, geschlachtet, die Wäsche gewaschen. Daneben ist's eine bescheidene Konkurrenz dieses Viertels: an jedem Haus ein Aushang: »Möblierte Zimmer mit Frühstück« und fast an jedem das Schild eines Handwerkers. In einem der Häuser am Bergabhang zu hausen mag nicht übel sein; der Blick auf dies Tal ist zwar nicht mit der Waldaussicht zu vergleichen, aber doch hübsch; auch ist die Luft rein. Warum aber die Leute, die unten im schwülen Tal bei Schuster und Gerber, Tischler und Fleischer ihre Sommerfrische halten, nicht lieber – es sind viele Berliner – in ihren Wohnungen bleiben, verstehe ich nicht; denn wenn sie etwa in Berlin C hausen, so haben sie im August auch dort ähnliche Düfte. Übrigens sieht man auch in Talschwarzburg viele elegante Toiletten und hübsche Gesichter; gestern, als ich auf einem Bänkchen am Schwarzaufer saß, sah ich sogar ein traumhaft schönes. Es war ein herrlich erblühtes blondes Mädchen mit einem Antlitz, in dem jede Linie »Reiz und Geist und Leben« war; sie saß auf dem nächsten Bänkchen neben ihrer Mutter und sah träumend in die Wellen; ihr Antlitz hatte dabei einen Ausdruck so heißer Sehnsucht, daß er mich ergriff und rührte. Was das arme schöne Kind so bewegen mag, dachte ich. Da rührten sich die Lippen, und sie flüsterte: »Mama, gelbe Schuhe muß ich haben!«
Das interessanteste Bauwerk Schwarzburgs ist natürlich das Schloß. Es ist an sich nicht schön, aber es hat eine herrliche, unter allen Fürstensitzen Deutschlands vielleicht die herrlichste Lage, und vor allem: es hat Charakter. Etwas nüchtern, aber gediegen und heiter, nach Zweck und Emblemen ein riesiges Jagdschloß, paßt es zu dem gesunden, frohgemuten, nie hervorragenden, aber im Durchschnitt pflichttreuen Geschlecht der Wald- und Jagdgrafen, deren Wohnstätte es seit grauen Tagen ist, der einstigen Erbjägermeister Deutschlands. Mit den Schwarzburgern verglichen sind, was ihren Stammbaum betrifft, die meisten deutschen Fürstenhäuser Emporkömmlinge; zwar ihr Ahnherr Günther, der von Bonifacius getaufte heidnische Thüringer, ist in Wahrheit nicht von trotzigen Helden, sondern von devoten Christen erzeugt worden, von Hofgenealogen des 16. Jahrhunderts, aber wenn nicht schon vor 1 300, so saßen doch die Schwarzburger sicherlich bereits vor 1 000 Jahren auf dieser Burg und waren die Beherrscher dieser Jagdgründe, anfangs als Dynasten, dann als Reichsgrafen. Ihre Geschichte war immer die ihres Gaus; ihr Tun, ob nun weise oder töricht, nutzlos oder erfolgreich, immer nur auf dies Waldland gerichtet und in seine Grenzen gebannt; einen einzigen abgerechnet, haben sie sich nicht um die Welt gekümmert und die Welt nicht um sie. Auch diesen einzigen hat nicht sein eigener Wille, sondern das Drängen anderer zu kurzem, ihm verhängnisvollen Glanz erhoben; Günther XXI. war schön und stark, tapfer und ritterlich, aber weder klug noch ehrgeizig; 1349 von den Gegnern des Papstes und der Luxemburger zum deutschen König gewählt, wurde er wenige Monate später durch Gift hinweggeräumt. Zur Erinnerung nahmen seine Nachkommen den Reichsadler zum Wappen an, aber hervorgetan hat sich seither keiner von ihnen, durch Gutes so wenig wie durch Schlimmes. Die Herren taten immer wie ihre Nachbarn, sie fügten sich der thüringischen, dann der sächsischen Oberhoheit, so lang es sein mußte, und schüttelten sie ab, so bald es sein konnte, sie rafften an Land und Rechten zusammen, was erreichbar war, teilten es, als dieser verhängnisvolle Brauch unter die deutschen Fürsten kam, in die winzigsten Parzellen und suchten sie dann, als er aufhörte, wieder zu vereinigen, mit Güte, noch öfter mit Gewalt. Gleich den anderen wurden sie im 16. Jahrhundert evangelisch, kauften sich im 17. Jahrhundert einen höheren Stand (die Reichsfürstenwürde) und die damals gleichfalls allgemein üblichen Mätressen, trieben im 18. die Soldatenspielerei und wurden im 19. konstitutionell, um es mit kleinen Seitensprüngen ins Reaktionäre zu bleiben. Viel Geld hatten sie nie, aber auch nie viel Schulden. Und dies sieht man auch ihrem Hause an; es ist stattlich und wohnlich, aber nicht prunkvoll.
Die Erbauung des Schlosses wird von der Sage auf Karl den Großen zurückgeführt; kein Wunder, im frühen Mittelalter wurde ihm fast alles zugeschrieben, was den Menschen verdienstvoll erschien. Denn es ist auf Erden mit dem Ruhm genauso bestellt wie mit dem Gelde; der Besitz des Reichen wächst ohne sein Zutun immer mehr, der des Ärmeren zersplittert sich und geht auf den Reichen über. Vielleicht auch stand hier schon zur Frankenzeit ein Kastell gegen die Sorben; die Lage spricht dafür, denn die Grenze war nahe und der Schloßberg ist an sich eine natürliche Festung: steil ragt er aus dem tiefgerissenen Tal empor, auf drei Seiten von der wilden, raschen Schwarza umschlossen. Dann, als die Slawen verdrängt waren, wurde es das Jagd- und Sommerhaus des Geschlechts, bis nicht der freie Wille, sondern die harte Notwendigkeit es vom 16. Jahrhundert ab auch zum Wintersitz machte: die Erbteilungen hatten den Besitz so zersplittert, daß wer Schloß und Dorf Schwarzburg bekam, kein anderes Obdach hatte. Aber damit nicht genug; als die Teilungen noch immer weiter gingen, wurde es Residenz und wichtigster Besitz zweier souveräner Grafen, die nun natürlich mittelst Vertrags ihr »Reich« gegeneinander abgrenzten, so gut es gehen wollte. Es sind zwei solche Urkunden erhalten, die Hesse in seinem Buch »Thüringen und der Harz« mitgeteilt hat; da ich den Schmöker hier auftreiben konnte und diese Grenzverträge eine köstliche Illustration der mittelalterlichen Zwergstaaterei sind, so teile ich einiges daraus mit. Als 1371 Johann II. von Wachsenburg-Schwarzburg und Günther XXII. von Schwarzburg-Schwarzburg die Burg teilten, bekam Johann ein Haus für sich und eins für seine Jäger; nicht größer war die Grafschaft Günthers, obwohl er der Sohn des deutschen Königs war; die Türme und Ringmauern, das Back- und Hundehaus sowie ein gewisser unscheinbarer, nicht gern zu nennender, aber unbedingt nötiger Raum waren gemeinsamer Besitz, was immerhin auf gutes Einvernehmen zwischen den beiden Souveränen schließen läßt. Achtzig Jahre später (1450) teilten Heinrich XXVI. von Schwarzburg-Arnstadt und Heinrich XXV. von Schwarzburg-Leutenberg das Schloß; das Reich des Sechsundzwanzigsten begann »am Pfeiler rechts vom Eingang« und ging »bis an die Mauer der Vogtei, wo selbige einen Riß zeigt«; dort begann die Monarchie des Fünfundzwanzigsten und endete am Pfeiler links. Gemeinsamer Besitz waren auch diesmal die oben genannten oder zart angedeuteten Lokalitäten. Wie man sieht, wurde der Riß in der Mauer wie etwas Unabänderliches, ja Heiliges betrachtet; ein Überstreichen mit Kalk hätte die Grenze verwischt und leicht einen Krach zwischen beiden Staaten verursacht, der angesichts des Umstandes, daß unentbehrliche Räumlichkeiten gemeinsamer Besitz waren, gewiß zu schlimmen Dingen, ja zu Katastrophen hätte führen können. Erwägt man, daß sowohl der Fünfundzwanzigste als der Sechsundzwanzigste sonst nur karges Gut ihr eigen nannten, so wird man sich von dem Glanz ihrer Hofhaltung leicht ein Bild machen können; der notleidendste Agrarier der Gegenwart ist dagegen ein Krösus. Gut, daß es dabei blieb und nicht oben noch ein drittes Reich gegründet wurde, sonst hätte sein armer Herrscher wohl gar nur über den gemeinsamen Besitz verfügt. Es kam anders; bald wurde Schloß Schwarzburg wieder nur ein Reich und, seit es 1584 an die Linie Schwarzburg-Rudolstadt kam, nur Sommerresidenz wie im frühen Mittelalter; des Winters hausten die Herren lieber in Rudolstadt, dem lustigen Nest an der Saale. Nur einer, Friedrich Anton, ein Zeitgenosse Friedrich Wilhelm I., kam auf den schrulligen, sein langes Leben lang hartnäckig festgehaltenen Einfall, das Schloß zum Sitz der Landesverwaltung zu machen; ein Land müsse regiert werden, gab er zu, aber ob dies von einer »Hauptstadt« oder von einem »Hauptschloß« geschehe, sei gleichgiltig. Nur der Brand des Schlosses (1726) verzögerte die Ausführung, und als es wieder aufgebaut war, war Friedrich Anton tot.
Es ist also in seiner heutigen Gestalt ein Bau aus der Zeit, wo noch das Rokoko in Deutschland herrschte, wirkt aber in seiner Nüchternheit und Steifheit wie ein Vorläufer des Zopfstils; einige Partien, die später hinzukamen, namentlich der Mittelbau des westlichen Flügels mit seinen ionischen Säulen und korinthischen Pilastern zeigen diesen Stil in scharfer Ausprägung, namentlich auch in der rein äußerlichen Anfügung antikisierenden Schmucks an ungegliederte Kasernenwände. Der Bau ist natürlich von allen Höhen um Schwarzburg sichtbar, und das weißgraue gewaltige Gemäuer wirkt durch seine Lage, durch den Gegensatz zum Grün ringsum dem Auge immer freundlich; in der Nähe hat es wohl noch niemand schön gefunden. Aber gediegen und stattlich, sagt ich schon, ist es, und er auf dem Schloßhof steht, übersieht ein Städtchen im kleinen: eine Kapelle, ein Palais, ein Zeughaus, eine Schloßwache, Wohnhäuser der Beamten, Dienerhäuser, Ställe und Schuppen, alles praktisch und sauber und ebenso solid wie nüchtern.
Selbst die offenbar kürzlich restaurierte Kapelle macht diesen Eindruck; im Innern ist sie mit schwarzen Marmor- und weißen Alabasterplatten geschmückt. Als ich eintrat, waren zwei Damen in der Kapelle. »Herrlich schön!« sagte die eine. »Und sieh nur: die preußischen Farben!« fügte die andere begeistert hinzu. Das letztere finde ich richtig, das erstere nicht. Unter der Kapelle ist eine Gruft, in der Schwarzburger Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts beigesetzt sind. Sie ist nicht zugänglich, aber ein Kaufmann aus Bremen erzählte mir an der Table d'hôte stolz, er habe sich durch Geld und gute Worte den Eingang verschafft. »Ordentlich appetitlich sieht's da aus«, versicherte er, »wie in einer Küche! Und wenn man so denkt: das waren einst Fürsten« – er hob den Zeigefinger – »regierende Fürsten, und jetzt sind sie tot! Denken Sie mal darüber nach: wie vergänglich ist irdische Größe!« Der Mann hat überhaupt viel für meine innere Vertiefung getan, einige andere Proben davon werde ich noch mitteilen.
Das Innere des Schlosses habe ich gesehen. Das Schönste daran ist die herrliche Aussicht, fast aus jedem Raum ein anderes Landschaftsbild und jedes gleich entzückend, aber hübsch ist auch die Einrichtung mehrerer Gemächer, einheitlich in Rokoko oder Zopf, nichts Besonderes, aber geschmackvoll. Nur von den Bildern ist bei bestem Willen wenig Gutes zu sagen; viele sind nur Kuriosa. So enthält zum Beispiel das Pferdezimmer 246 (kein Schreibfehler!) kleine Porträts von Pferden und Reitern; die meisten hat Fürst Ludwig Günther IV. (1767-1790) eigenhändig gemalt. Wie die Gemälde Friedrich Wilhelm I. im Potsdamer Stadtschloß eine kleine Eigentümlichkeit aufweisen – die Menschen haben zwei linke Beine –, so auch diese eines kleineren Potentaten: die Köpfe der Pferde und Reiter sind zu klein, hingegen die Hälse zu lang und dick und die Hinterteile von Mensch und Tier geradezu gigantisch. Anders als in anderen Köpfen malte sich in diesem der allerdings unentbehrliche Körperteil. Mein Bremer war entzückt. »Dritthalb hundert Bilder – und dabei hat er immerzu regiert! Wenn das ein Künstler tut, so tut er's für Brot; er hat's für die Kunst getan. Und die rechte Schulung fehlt, sagen Sie? Nun also! Denken Sie mal darüber nach: jedes Talent ist angeboren!«
Weniger verschieden urteilten der Kaufmann und ich über den Kaisersaal; wir hatten beide was auszusetzen, nur eben jeder anderes. Das ist in seiner Bauart wohl der seltsamste Raum, den ich je im Leben gesehen habe: er geht durch zwei hohe Stockwerke, aber die Wände sind nur etwa von doppelter Mannshöhe, darüber beginnt bereits in drei Absätzen die Decke. Der erste Absatz ist – derlei Schätzungen mit den Augen sind ja allerdings unsicher – etwa drei Meter hoch, sacht abgeschrägt und gewölbt, darüber erhebt sich senkrecht aufstehend, etwa acht Meter hoch, der zweite Absatz; ein spitzes, steiles Spiegelgewölbe bildet hoch oben den Abschluß. Wer unten steht, hat gar nicht den Eindruck, als stünde er in einem Saal, sondern im Unterbau eines gewaltigen Kamins, der eigentlich die Hauptsache ist. Auch die gleich unerhörte Lichtverteilung erhöht den Eindruck, als ob das Ganze um jenes Riesenschlots willen geschaffen wäre; in ihn flutet durch breite hohe Fenster an der Decke von allen Seiten Licht herein, während der eigentliche Saal überall da, wohin nicht das Licht von oben dringen kann, fast dämmrig ist, denn er hat nur kleine Fenster, deren Scheiben zudem bunt bemalt sind. Der Kaisersaal, vermutlich um 1600 erbaut, ist bei dem Brande von 1726 verschont geblieben; weniger glimpflich hat die Restaurierung von 1869 mit ihm verfahren. Hier war, glaub ich, jede Modernisierung von vornherein ein bedenkliches Beginnen; es handelte sich ja um ein Kuriosum, eine historische Reliquie, die gewiß nur der individuellen Laune des Erbauers ihr Dasein verdankt; derlei kann man wegtun, wenn das künstlerische Empfinden die Pietät überwiegt, oder erhalten, wenn das Gegenteil der Fall ist, aber modernisieren darf man's nicht; »sint, ut sunt, aut non sint«. Zudem war hier die Renovierung keine glückliche; der untere Saal macht durch die bunt bemalten Fensterscheiben, die kleinen, durch Spruchbänder unterbrochenen Friese mit Tuschbildchen aus der Geschichte des Geschlechts und Landes, die modernen, alten Mustern kümmerlich nachgeahmten Kamine einen schielenden Eindruck: Pseudorenaissance; so was macht man für einen Bankier, der sich ein Nürnberger Zimmer bestellt hat. Dem untersten, dem schrägen Absatz der Decke waren einst Medaillons eingefügt, welche die Brustbilder römischer Kaiser von Julius Cäsar bis auf Karl VI. enthielten; die Rahmen sind erhalten, aber die Porträts mit hellgelber Farbe übertüncht. Die Bilder mögen nicht schön gewesen sein, das glaube ich gerne; sie waren eben kurios wie der ganze Raum und ihm angepaßt; heute machen die getünchten Flächen innerhalb des erhaltenen Rahmens nicht bloß den Eindruck des Unbegreiflichen, sondern auch der Leere und Öde. Nicht viel besser ist bei der Umgestaltung der hohe, helle Schlot fortgekommen. Auch er war einst mit Kaiserbildern bedeckt, heute hat man darüber helle Rahmen gespannt und auf diese Rahmen je ein Bild eines deutschen Kaisers gehängt: so baumeln da oben Karl der Große, Heinrich I., Friedrich Barbarossa und Günther von Schwarzburg ganz verloren im grellen Licht auf den großen kahlen Flächen; einige winzige Putten, die man außerdem angebracht hat, machen die Kahlheit dem Auge noch empfindlicher. Der Bremer nun war in allem anderer Meinung; ihm schien der Kaisersaal »einfach erhaben – erhaben, verstehen Sie – wie das ganze Schloß«. Vielleicht war's ehrlicher Enthusiasmus, vielleicht auch hatte ein Tischnachbar aus Rudolstadt recht, der mir sagte: »Hätte ich ihm nur nicht erzählt, daß Schwarzburg-Rudolstadt ein so hübsches Ehrenkreuz am blaugelben Bande verleiht!« Eins aber, was mir begreiflich schien, tadelte der Republikaner: daß keines der vier Kaiserbilder von 1869 den Kaiser Wilhelm darstellte. Als ich ihn auf die Jahreszahl aufmerksam machte, stutzte er einen Augenblick und rief dann: »Nun gut, aber jetzt müßte einer von ihnen 'runter und Kaiser Wilhelm 'rauf!« – »Ja, aber welcher?« Er dachte nach. »Mein Liebling Günther von Schwarzburg muß natürlich bleiben, aber von den drei anderen hat keiner solche Verdienste wie Kaiser Wilhelm. Denn« – der Zeigefinger hob sich – »denken Sie mal darüber nach: die Einigung Deutschlands war ein wichtiges Ereignis!« Gewiß, es wirft mir sogar ein Licht aufs ganze Leben, daß ich dies »wichtige Ereignis« bereits als denkender, fühlender Mensch mit erleben durfte – aber hm! das mit dem Ehrenkreuz war doch wohl richtig. Hätten die Karolinger, die Nachkommen Heinrich I. und die Staufen, dachte ich, auch noch Orden zu vergeben, dann wäre am Ende gar nicht Günther von Schwarzburg sein »Liebling«!
Besser als die Kunst ist im Schwarzburger Schlosse das alte Kunstgewerbe vertreten, namentlich im Zeughause, der Bau ist dürftig, der Inhalt wertvoll, in mancher Hinsicht einzig. Schönere Jagdgeräte aus dem 15. und 16. Jahrhundert habe ich nirgendwo gesehen; schönere Gewehre und Schwerter aus derselben Zeit selten. Sehr merkwürdig sind die Männerhüte, Filz mit Silberstickerei; nicht bloß dies, sondern auch wunderschön die Rokokoschlitten, einer, der Drachenschlitten, offenbar das Werk eines wirklichen Künstlers voll überschäumender Phantasie. Auch die Kummetgeschirre mit reichster Holzschnitzerei mag man sich genau ansehen, um zu erkennen, wie reich selbst eine vergleichsweise öde Zeit – das 17. Jahrhundert – noch an guten Traditionen und künstlerischen Talenten war. Zu loben ist auch, daß die bedenklichen Kuriosa nun ausgemerzt sind; so gab es hier auch das breite Ehebett des Grafen von Gleichen; nun ist es verschwunden.
Auch im Schloß selbst findet sich manches hübsche Schnitz- und Gießwerk. Da ist – auf einem der Kamine des Kaisersaals aufgestellt – ein aus Holz geschnitzter Löwe, mit Pergament überzogen, mit Reliefs geschmückt; sicherlich uralte, etwa aus dem 13. Jahrhundert stammende oder nicht viel später einem Meister jener Zeit nachgebildete Arbeit. Der Löwe ist ein Kasten; ein anderes Schaustück, die »güldene Henne« (eine Auerhenne aus vergoldetem Silber), ein Trinkgefäß. Aus der Henne tranken im 16. Jahrhundert die Gäste, die zum ersten Mal an der fürstlichen Tafel erschienen, den Willkomm und bekamen dabei das »Geschmeide«, einen schweren Holzklotz, an einer Kette um den Hals gelegt. Das war ein Spaß im Stil jener Zeit, aber daß er noch heute geübt wird, hörte ich mit Staunen. Der Bremer aber mit Entzücken: »Das muß 'n Hochgenuß sein!« – »Der Klotz um den Hals?« – »Aber als Gast eines Fürsten! Und der Klotz muß wohl ein Symbol sein!« Wieder hob sich der Zeigefinger. »Denken Sie mal darüber nach: Symbole haben oft ihre Bedeutung.«