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Und die neuen Denkmäler?
Ich habe mir diese Denkmäler angesehen, auch Augen habe ich dazu gemacht, aber ich fürchte, andere, als der in steter Förderung der Kunst dünnbeinig gewordene Mäzen erhoffte. Gleich in den Anlagen vor dem Bahnhof, dann im Grün des Kaiserplatzes stehen deren nicht weniger als vier: die Büste Moses Mendelssohns und die des Hofkapellmeisters Schneider, dann ein Standbild Kaiser Wilhelms und ein großes Kriegerdenkmal.
Schon vor diesem Denkmal wird man bedenklich den Kopf schütteln: vier große Bären starren von den vier Seiten eines gewaltigen Sockels, auf dem eine Viktoria steht, in sinnender Trauer auf den Beschauer nieder; »Der Tapferkeit und Pflichttreue das dankbare Anhalt«, lautet die Inschrift. Die Viktoria ist gut; was die Inschrift betrifft, so hätte immerhin auch ein Wort daran erinnern können, daß der Krieg von 1870/71 doch nicht allein zwischen dem Herzogtum Anhalt und Frankreich ausgefochten wurde, aber dies nebenbei – die Bären jedoch wirken wirklich nicht so, wie der Künstler wollte. Ich weiß sehr wohl, das ist das Wappenbild der Askanier, aber Meister Petz bleibt deshalb doch ein plump-groteskes Tier, und wo man gar ihrer vier beisammen sieht, alle sehr naturalistisch modelliert und alle trauernd und alle sinnend, da teilt sich leider diese Trauer dem Beschauer nicht mit, und stehe er noch so lange vor den vier melancholisch gesenkten Schnauzen – im Gegenteil... Gewiß läßt sich auch der Bär plastisch für andere als lustige Zwecke verwenden, aber dann nur hübsch einer und nicht für ein Denkmal der Toten. Ein ganzer Haufe Bären aber taugt nur zur Erzielung heiterer Wirkungen, dazu sogar durch die gravitätische Komik dieses Tierleibes vortrefflich. Das sieht man an einem anderen Dessauer Kunstwerk, dem sehr hübschen, von Sehring modellierten Prinz-Wilhelm-Brunnen auf dem Neumarkt, in dessen Becken eine ganze Bärenfamilie vergnügt badet und sich mit Wasserstrahlen neckt. Aber hier ist die Komik eine gewollte...
Dem Kriegerdenkmal gegenüber steht ein großes, pomphaftes, unglaublich schlechtes Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Der greise Monarch ist hier in schneidiger Offizierspose hingestellt, aber nein – so markiert nur ein schlechter Schauspieler diese Pose. Man traut seinen Augen nicht: dieser vornehme Greis, dessen große Schlichtheit sich in unserer Phantasie unwillkürlich zur schlichten Größe steigert, als Poseur... Und obendrein am Sockel rechts und links je ein Medaillon, nicht etwa Bismarck und Moltke, sondern Kaiser Friedrich und Kaiser Wilhelm II.... Also ein Drei-Kaiser-Denkmal... »Wie war derlei in einer größeren Stadt möglich?« fragte ich einen Dessauer Bekannten, der mir freundlich einige Stunden widmete. »Aber dafür können wir ja nichts!« erwiderte er. »Lesen Sie doch nur die Inschrift auf der Rückseite des Sockels!« Diese Inschrift lautet: »Errichtet von dem Baron Moritz von Cohn zu Dessau 29. April 1892.« »Sie sehen«, sagte der Dessauer, »einem geschenkten Gaul usw. Die Inschrift sollte ursprünglich lauten: ›Seinem Kaiser der Baron...‹, das haben wir abgelehnt. Aber mehr konnten wir doch nicht tun.« Ich mußte ihm erwidern, daß ich da anderer Meinung sei. Es ist ja eine Taktfrage, ob sich eine so reiche Stadt, die doch ihr rapides Emporkommen zum großen Teil gewiß nicht bloß der 1863 erfolgten Vereinigung Anhalts, sondern auch der acht Jahre später erkämpften Einheit Deutschlands verdankt, ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal von einem einzelnen schenken läßt, statt es auf eigene Kosten zu errichten, wie es schon viel ärmere und kleinere Städte getan haben. Aber will sie dies, so muß sie dem Spender sagen: »Herr Baron, wir müssen den Entwurf sehen, ehe wir unseren schönsten Platz für das Denkmal einräumen. Denn steht es da, so ist es nicht mehr das Baron Cohnsche, sondern das Dessauer Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Und die Idee mit den drei Kaisern müssen Sie jedenfalls aufgeben; so taktlosen Byzantinismus darf nur ein einzelner auf seine eigene Kappe nehmen, eine Stadt nicht.«... Dies etwa sagte ich meinem freundlichen Begleiter, worauf er meinte, lange werde das Denkmal ohnehin nicht stehen; das Material des Sockels drohe zu verwittern. Ich weiß nicht, ob dies zutrifft – äußerlich ist nichts davon zu sehen, aber ist's richtig, so ist den Dessauern zu raten, nicht bloß einen neuen Sockel zu spendieren, sondern ein neues Denkmal. Was sie dann mit dem alten tun, dafür weiß ich ihnen keinen Rat. »Wir schenken's den Posemucklern!« meinte der Dessauer. Aber ich glaube, die Posemuckler werden's nicht nehmen, denn es ist für Posemuckel zu schlecht.
Anders die beiden Büsten in den Anlagen. Die des Komponisten Fr. Schneider eine hübsche, die Büste Moses Mendelssohns (von Hoffmeister) eine vortreffliche Arbeit, sehr realistisch und dabei doch nicht bloß im gewöhnlichen, sondern im edelsten Sinne lebensvoll: man ahnt den Zauber, der von diesem häßlichen, verwachsenen Männchen ausging, dem kleinen Kaufmann, dem niemand näher trat, ohne besser zu werden... Der Sockel ist unhübsch, auch zu hoch, man muß an einen eisernen Fabrikofen denken, zudem ist die Verbindung mit dem Brunnen davor – freilich ein schweres Problem – nicht glücklich durchgeführt, aber die Büste an sich macht einem immer mehr Freude, je eingehender man sie betrachtet. Ich habe lange davor gestanden; es läßt sich so viel dabei denken, wenn man 1901 vor dem Denkmal dieses edlen, tapferen Mannes steht, der an den Sieg der Menschlichkeit über alle Vorurteile glaubte wie an ein Evangelium... Aber wir wollen nicht bitter werden; sein Mahnwort an seine Glaubensgenossen, Deutsche und Juden zugleich zu sein, ist nicht verklungen; es hat tausend-, tausendfache Frucht getragen, und auch sein Vertrauen in den Adel der deutschen Volksseele, der sie immer zur Gerechtigkeit zurückführen werde, wird kein Wahn bleiben – trotzdem und alledem... Auch seinen Charakter, nicht bloß seine geistige Bedeutung gibt die Büste schön wieder (nebenbei bemerkt, auch kulturhistorisch ein interessantes Denkmal: das einzige öffentliche Denkmal, das in Deutschland einem Juden, der auch dem Glauben nach Jude geblieben ist, errichtet wurde). Wie gut war er, bei aller Klugheit, was nun freilich kein Gegensatz ist: nur der Kluge kann wahrhaft gut sein; der Dumme ist im besten Fall harmlos. Wie gut, wie klug! – ein Mensch, der durch jeden neuen Brief, den man von ihm entdeckt, liebenswerter erscheint. Ich besitze zwei solcher ungedruckten Briefe. In dem ersten, aus seinen Anfängen, bittet er ein Leipziger Haus, ihm eine Sendung jener Südfrüchte, welche die Juden beim Laubhüttenfest zu Ritualzwecken brauchen, zu kreditieren; er wolle einen kleinen Handel damit etablieren und werde gewiß als ehrlicher Mann bezahlen – man kann derlei nicht würdiger schreiben. Dann eine Perle von Brief: er übersendet einem Freunde sein Bildnis und macht dabei wehmütig-humoristische Äußerungen über sein Antlitz, seine Gestalt. Er war ein wahrhaft Weiser, er konnte selbst der Natur verzeihen, die so hart gegen ihn war...
Auch die älteren Denkmäler der Stadt, die ich bereits kannte, habe ich mir wieder angesehen. Sie sind zum Teil besser als die neuen; so das Standbild des Alten Dessauers auf dem Großen Markt, freilich kein selbständiges Werk, sondern nach der Schadowschen Statue auf dem Berliner Wilhelmsplatz gearbeitet; dann das Erzbild des besten Dessauer Fürsten, Leopold Friedrich Franz, auf dem Neumarkt, vielleicht etwas zu napoleonhaft, in der Haltung von Pose nicht frei, aber eine achtungswerte Arbeit (von Kiß); auch das Marmordenkmal Wilhelm Müllers, des Dichters der Griechenlieder, eines geborenen Dessauers, das vor dem Gymnasium steht, ist gut. Hingegen ringt das Jubeldenkmal auf dem Kleinen Markt mit dem Cohnschen Kaiser Wilhelm, wenn auch ohne Erfolg, so doch redlich um die Palme der Geschmacklosigkeit. Es wurde 1867 »zur Erinnerung an die Wiedervereinigung Anhalts im Jahre 1863« aufgerichtet. Ich gebe zu: es war für Dessau, Hof und Stadt, höchst erfreulich, daß 1797 Friedrich August von Anhalt-Zerbst an der Väter und eigenen Sünden kinderlos zur Grube fuhr, dann 1847 der bedeutendste Schürzenjäger und Schuldenmacher seiner Zeit, Heinrich von Anhalt-Köthen, und 1863 der arme, schließlich auch offiziell für blödsinnig erklärte Alexander Karl von Anhalt-Bernburg; auch wir anderen Deutschen haben keinen Grund, über die Tatsache betrübt zu sein, daß die drei Geschlechter durch ihr lustiges Leben der traurigen Kleinstaaterei selbst ein Ende machten. Es ist uns also verständlich, daß die Dessauer diese drei Tatsachen durch ein Denkmal zu ehren gedrängt waren, und daß es offiziell Jubeldenkmal heißt, ist Geschmackssache, aber gleichgiltig; daß es hingegen gar so häßlich und lächerlich ist, ist zwar auch Geschmackssache, aber betrüblich. Vier Männer sind da zu sehen und vier Mädchen; die Männer sind Fürsten, die Mädchen sind Städte: Dessau, wie bereits berichtet, mit einer Lyra, Bernburg mit einem Bergmannshammer, Köthen mit einem Ährenbündel und Zerbst mit einem Buch, was auch seltsam ist. Die Männer sind allesamt steif und hölzern und langweilen sich sichtlich sehr; auch die Mädchen werden, nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, die Geschichte bald satt haben, nur Dessau ausgenommen; die Heuchlerin stellt sich so, als ob ihre Lyra sie interessiere. Im übrigen sehen auch sie einander sehr ähnlich, dieselben faden Gesichter, viel Bildung, viel Gefühl, aber wenig, ach so wenig Fleisch! Wären die Gestalten nicht zum Teil unbekleidet, ich würde die Vermutung wagen, daß dem glücklichen Künstler vier Töchter eines und desselben Geheimrates und einer und derselben Geheimrätin Modell gestanden haben. Das Beste an diesem Denkmal ist es noch, daß es zugleich ein Brunnen ist, da ist doch wenigstens etwas daran lebendig. Als ich davor stand, strömten eben die Kinder aus der Schule am Platze, am Brunnen vorbei. Da werden sie sich nun anspritzen, dachte ich und blieb stehen; übermütige Kinder seh ich noch lieber als das schönste Denkmal. Aber das taten nur die Kleinsten, die anderen schritten gesittet vorbei, kleine würdige Geschäftsonkel und -tanten... O du Stadt der guten Sitte und zahlungsfähigen Moral!...
Übrigens – vielleicht tue ich den Dessauern unrecht, vielleicht bessern sie sich schon jetzt in künstlerischen Dingen; ihr jüngstes Denkmal ist sehr gut. Ich verdanke es nur dem Zufall, daß es mir in die Augen fiel; Baedeker nennt das schöne Werk noch nicht, und darum kennt es auch der neueste »Führer durch Dessau und Wörlitz« nicht, denn er ist, obwohl im Verlag einer Dessauer Hofbuchhandlung erschienen, nichts weiter als ein zum Teil wörtliches, zum Teil verballhorntes Plagiat aus Baedeker und irgendeinem Konversationslexikon, durchsetzt mit den denkbar aufdringlichsten Geschäftsreklamen; zum Beispiel: »Fortschreitend gelangt man... zu dem Denkmal des Dichters Wilhelm Müller... Auf derselben Seite liegt das Geschäft von..., gleichfalls befindet sich die Konditorei von... hierselbst usw.«
Über die Ballhorniaden kann man hinwegsehen. Aber daß Buchhändler einen Spezialführer ihrer Stadt lediglich aus dem Baedeker und dem Brockhaus zusammenstellen und als einzige Zutat aus Eigenem solche Reklamen einfügen, ist ein so ungehöriges Beginnen, wie es bisher (ich kenne einige hundert derlei Führer) niemand in Deutschland gewagt hat. Ist es doch die einzige Existenzberechtigung eines solchen Spezialführers, eben mehr zu bieten als die Reisebücher! Es soll aber diese neue Art auch nicht Mode werden, und darum nenne ich hier die Firma: Birkner und Teetzmann, Hofbuchhandlung, Dessau.
Diese Herren kennen das Funckdenkmal nicht; ihnen, aber auch jedem schönheitsfreudigen Menschen, der Dessau besucht, sei es gesagt, daß es auf dem Funckplatz liegt. Ich meinte vorhin, es sei ein schweres Problem der Plastik, eine Büste mit einem Brunnen in eine gewisse Beziehung zu bringen; hier hat es der Künstler, Emanuel Semper, wohl ein Sohn Gottfried Sempers, trefflich gelöst. Der Funckplatz ist ein neuer, nicht ganz regelmäßiger Platz, auf den an einer Stelle eine überbreite Straße mündet, die in das Bild des Platzes, auch von seiner Mitte besehen, ein häßliches Loch reißt; zudem war Funck nur eben ein braver Oberbürgermeister von Dessau; mit Emblemen und Allegorien konnte hier also nicht gearbeitet werden; man sieht, die Sache war besonders schwer. Semper hat es nun wie folgt angefangen. Er stellte die Büste hart an den Rand des Platzes, gerade an die Stelle, wo jene unheimlich breite Straße mündet, und setzte sie in ein hohes Halbrund hinein, ähnlich wie es in der Berliner Siegesallee die Statuen von den Bäumen scheidet. In die Mitte des Platzes aber setzte er den Brunnen, aus dessen Becken sich eine ganz prächtige Gruppe erhebt: ein Germane, der einen Biber fängt, ein anderer Biber streckt den Kopf ängstlich aus dem Becken, vermutlich eine Anspielung auf die Anfänge der Stadt, die sich ja zweifellos aus einem Fischerdorf entwickelte.
So ist alles erreicht: der Beschauer sieht Büste und Brunnenfigur auf einen Blick, die Erinnerung an den dürftigen Ursprung der Stadt steht zu dem Bildnis des Mannes, der das moderne Dessau hat schaffen helfen, in einer hübschen inneren Beziehung, und zudem ist durch den Rundbau das häßliche Loch geschlossen. Ich beschreibe dies so ausführlich, weil in Berlin, wenn wir erst darangehen, im neuen Berlin W, in Charlottenburg, in Schöneberg, Wilmersdorf usw. die vielen neuen Plätze auch durch Werke der Plastik zu schmücken – und das ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit –, ähnliche Probleme in Hülle und Fülle zu lösen sein werden.
Im übrigen sieht der Funckplatz heute genau so aus wie etwa der Wittenbergplatz vor drei Jahren, und was die umliegenden, bereits ausgebauten Straßen betrifft, so gleichen sie unserer Nürnberger-, Achenbach- oder Schaperstraße wie ein Ei dem andern. Das ganze Viertel ist in den letzten Jahren weit jenseits des Wörlitzer Bahnhofs entstanden. Denn gewaltig reckt und streckt diese jählings anwachsende Stadt ihre Glieder, und die Bahnhöfe liegen längst nicht mehr an ihrer Peripherie. In zehn Jahren wird der hübsche Georgengarten weit draußen vor der Stadt von Häusern umschlossen sein wie heute der Berliner Tiergarten.
Nun, ich gönne es den Dessauern, aber der eine Funckbrunnen macht das Kraut nicht fett; was tun sie heute für die bildenden Künste, die hier einst so schöne Pflege fanden? Aber – »das ist Sache des Hofes!« wird mir der alte Fachmann für junge Künstlerinnen auch hier erwidern, und hier mit mehr Recht als in Sachen des Theaters oder der Musik. Denn wohl gibt es in vielen Städten, was die Dessauer gewiß interessieren wird zu hören, städtische Museen, die namentlich gute moderne Bilder anschaffen, aber die würdige Sichtung und Gruppierung der vorhandenen Kunstschätze und ihre Mehrung wäre allerdings Sache des Hofes. Wieviel Herrliches ist in Dessau vorhanden! Ich will es hier, wie gesagt, nicht beschreiben; es war nie mein Ehrgeiz, Stoffe zu behandeln, die andere vor mir besser, als ich es könnte, bearbeitet haben, und über die Dessauer Sammlungen gibt es eine ganze Literatur; zudem sind ja die wichtigsten Werke hundertmal reproduziert worden, und Hunderttausende haben sie bewundert. Aber – und hier setzt die bescheidene, aber notwendige Randglosse ein, die ich zu machen habe – leicht wird einem diese Bewunderung wahrhaftig nicht gemacht. Willst du dich an den prächtigen Handzeichnungen von Lucas Cranach und Altdorfer, von Holbein und Albrecht Dürer erfreuen (darunter wahre Kleinodien, die an die Schätze der Wiener Albertina erinnern und allein eine Reise hierher lohnen würden), so mußt du in die Bibliothek in der Friedrichstraße; interessierst du dich für alte Italiener und Niederländer, für Lippi und Tiepolo, Perugino und Garofalo oder – um wieder nur die Meister zu nennen, die besonders schön vertreten sind – für Jan Steen und Netscher, Ruysdael und Wynants, so wandere ins Schloß; erfreut dich Lucas Cranach der Jüngere, so mußt du in die Schloßkirche; willst du so anschaulich wie sonst nirgendwo erfahren, wie reich und schön die vielgescholtene Kunst des 18. Jahrhunderts war, so mußt du in die Zerbster Straße, in die »Amalien-Stiftung«, und auch dieser Gang wird sich dir, um in der Sprache des neuen Dessau zu reden, mit hundert Prozent Nutzen bezahlt machen, denn außer diesen braven, tüchtigen Meistern, den Pesne und Seekatz, den Lisiewsky und Schütz, triffst du so nebenbei dort auch ganz große Herren – van Dyck, Frans Hals und Holbein –, dieselben, die man auch in Wörlitz findet und die in der Phantasie meiner kunstfreudigen Nachbarin mit der neuen Kußtechnik als »Wandick« und »Halsbein« fortleben. Gewiß, es ist alles, alles der Mühe wert, aber vier Gänge und viermal aus der Stimmung gerissen sein – man macht das anderwärts den Leuten bequemer und angenehmer. Und anderwärts ist auch die Anordnung der einzelnen Sammlungen eine bessere und die Bestimmung der Bilder sorgfältiger, aber davon werde ich noch, wenn ich von Wörlitz erzähle, ein Wort zu sagen haben. Nun sind aber zudem die Kunstschätze der Dessauer Fürsten nicht einmal in Dessau selbst vereinigt; eine ganz vorzügliche Sammlung, schon für sich allein betrachtet kostbarer und köstlicher als sie die meisten kleineren Residenzen Deutschlands aufzuweisen haben, ist in Mosigkau, 7 Kilometer von Dessau, zu finden; eine sehenswerte Porträtgalerie 14 Kilometer entfernt in Oranienbaum, und 19 Kilometer sind's nach Wörlitz, wo sich wieder 7 – schreibe sieben – zum Teil weit auseinanderliegende Sammlungen finden.
Macht zusammen wohlgezählt dreizehn Sammlungen, und findet man, daß die Schloßkirche keine Bildergalerie ist, auch nicht unter Verletzung religiöser Empfindungen zu Kunstzwecken ihrer Schätze beraubt werden darf, was auch ich wahrlich nicht wünsche, so bleibt doch noch ein volles Dutzend von Sammlungen übrig. Oder richtiger: von Orten, wo die Dessauer Herzoge ihre Bilder und Statuen aufbewahren; denn es handelt sich, genau besehen, hier um keine einzige organisch gewordene, in sich geschlossene Sammlung, sondern um Kunstschätze, die nur deshalb getrennt wurden, weil es an einer einzigen würdigen Heimstätte für sie fehlt. Nur deshalb, betone ich, denn die paar hübschen modernen Bilder im Schloß abgerechnet, die mir nicht eben imponiert haben, weil ich ein halbes Dutzend Berliner Bürgerhäuser aufzählen könnte, wo die Kunst des 19. Jahrhunderts unendlich viel reicher und schöner vertreten ist, ist ja der gesamte Besitz auf zwei Glieder dieser Dynastie zurückzuführen: auf die Prinzeß Amalie, die Gemahlin eines Oraniers, die namentlich die Holländer zubrachte, und den Herzog Franz; die andern haben nur einzelne Bilder gekauft; mehrere gar keine. »Sie haben sich eben nicht dafür interessiert«, wird man mir einwenden, »man kann deshalb doch ein guter Fürst sein.« Ich sage nicht nein, aber ich meine doch: »Noblesse oblige!« Der Schatz, den Prinzessin Amalie und der edle Freund alles Schönen zusammengebracht haben, findet leider nur eben in den größten Städten Deutschlands seinesgleichen; aber die Art, wie er aufbewahrt, gruppiert, bestimmt und zugänglich gemacht wird, ist ein Unikum, das gottlob nirgendwo seinesgleichen findet... Wäre ich – Anfälle von Größenwahn hat ja heutzutage jeder Mensch – Sekretariats-Adjunkts-Stellvertreter des Herrn Konservators für die Kunstdenkmäler Anhalts, oder wäre ich gar – mir schwindelt's, aber man weiß ja, daß ein solcher Wahn dann lawinenhaft wächst – der Herr Konservator selbst, ich würde vor Seine Hoheit den regierenden Herzog hintreten und sagen: »Hoheit, so geht es nicht weiter! Lassen wir in Wörlitz, was dorthin gehört, um den Charakter dieser einzigartigen Schöpfung Ihres Urgroßvaters zu bewahren, aber bauen wir für alles andere eine würdige Heimstätte. Dann erst wird ersichtlich sein, wie Herrliches wir besitzen, dann erst bringt dies Herrliche den vielen Tausenden, die hierher strömen werden, gewiß in zehnfacher Zahl wie bisher, den rechten Nutzen, die rechte Labung für Aug und Herz!« Und haben Seine Hoheit nicht bereits nach diesen Sätzen dem Lakaien geklingelt, um mich hinauszuweisen, so würde ich fortfahren: »Hoheit! Neben Ihrem herzoglichen Schloß steht Ihre herzogliche Hofmühle. Das ist ganz in der Ordnung, kein verständiger Mensch wird was dagegen sagen. Aber auf die andere Seite gehört die herzogliche Gemälde-Sammlung, zu der dann die Menschen andächtig pilgern werden wie zu den Berliner Museen und der Dresdener Galerie. Und tun Sie dies, Hoheit, so reihen Sie Ihren Namen würdig an den Ihres Urgroßvaters!« Und wiese er mich hinaus, so würde ich diese Rede mutatis mutandis dem Erbprinzen halten, von dem man soviel Gutes hört... Aber das ist ein Traum, ich werde niemals Sekretariats-Adjunkts-Stellvertreter des Konservators für die Kunstdenkmäler Anhalts, geschweige denn der Herr Konservator selbst sein, und zwar, von einer Reihe triftigster Gründe abgesehen, auch deshalb nicht, weil es keine solche Stellungen in Dessau gibt.
Jawohl, und auch keinen Rat für künstlerische Angelegenheit gibt es im Ministerium. Ich würde dies Unglaubliche nicht niederzuschreiben wagen, wenn es mir nicht zwei Dessauer Herren, die es wissen müssen, übereinstimmend versichert hätten.
Nun aber lege ich heute die Feder hin, um sie morgen für Wörlitz wieder aufzunehmen, und gehe zum Abendessen in den »Goldenen Beutel«, wo es kein »eingemachtes Kalbfleisch nach Dessauer Art« gibt. Auf dem Wege will ich den »Dessauer Marsch« pfeifen und das schöne Lied vor mich hin summen, das nach dieser Melodie geht: »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage...« Ich höre dies Lied hier überall und aus allem heraus: aus den Gesprächen der stattlichen Kaufherren in den Cafés und Restaurants, aus den Unterhaltungen der Herren Rentner in den Anlagen, aus dem Geräusch der elektrischen Bahnen, die rastlos und wohlgefüllt, auch rasch genug, die Stadt durchqueren, aus dem Pusten der Maschinen, sogar aus dem Geklapper der herzoglichen Hofmühle an der Mulde. Nur ist der Text zum Teil ein anderer:
»So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage in der allerrentabelsten Mehl-, Zucker-, Sprit-, Maschinen-, Eisen-, Wollgarn-, Bier- und Tapetenkompanie.«
Metrisch richtig ist mein Text nicht, aber im übrigen stimmt er.
Dessau, im August 1901