Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Aber sind sie auch Kunstwerke? Ich will die Frage, ob sie es sein können, nicht erst des weiteren erörtern, nicht weil mir die Theorie zu tief, sondern weil sie mir zu seicht ist. Sagt mir jemand: »Mir ist ein Wald lieber als ein Park«, so verstehe ich ihn und muß sogar wahrheitsgemäß antworten: »Mir auch!«, sagt er mir aber: »Kein Parkbild kann künstlerisch wirken, denn es ist stilisierte Natur«, so muß ich erwidern: »Liebster, dann negierst du alle Kunst, denn alle Kunst ist mehr oder minder stilisierte Natur. Dann mußt du dir auch deine Konzerte nur von den lieben Vögelein vorpfeifen, dein Theater von den Leuten um dich her vormachen lassen.« Widersinnig aber wäre auch der Grundsatz: unmoderne Landschaften auf Leinwand können Kunst und ewig jung, aber unmoderne Landschaften aus wirklichem Baum und Rasen müssen »veraltete Natur« sein!... Nur so also liegt hier die Frage: Sind diese Wörlitzer Bilder von künstlerischem Wert? Und ich antworte: Ja, meines Erachtens viele von ihnen, mehrere wieder nicht.
Mancherlei freilich wird man dabei berücksichtigen müssen. Vor allem das Allgemeine. Eine derartige plastische Landschaft wird nie so künstlerisch rein wirken wie die gemalte. Der Maler taucht seine Landschaft in ein bestimmtes Licht und malt den Himmel dazu; dem Gartenkünstler beschert das Wetter wechselvolle, auch ungünstige Beleuchtung. Der Maler kann störende Zufälligkeiten des Wachstums und der Farbe beseitigen, der Gartenkünstler nicht. Endlich aber: leicht ist für die Leinwand, schwer für das natürliche Parkbild der günstigste Standpunkt zu finden; der Gartenkünstler muß den Beschauer durch leise oder deutliche Winke auf diesen Punkt hinlenken. Nebenbei bemerkt, gerade in der Erfindung solcher leiser Mittel – scheinbar absichtslos verstreutes Buschwerk, eine auffallend geformte Baumgruppe, die das Auge bannen, eine zurückfliegende Laubwand, die es ins Weite verlocken soll usw. – war der Herzog bewunderungswürdig geschickt, und selbst gröbere Mittel, wie Ruhebänke, hat er angewendet, trotzdem kann der Beschauer oft nur suchend den richtigen Standpunkt finden.
Aber auch Besonderes ist hier zu erwägen, wenn man gerecht urteilen will. Das Terrain war für einen Park wenig geeignet. Auch mußte der Herzog sein eigener Pfadfinder sein; es gab, als er 1768 zu schaffen begann, noch keinen Park in Deutschland, dessen Schöpfer künstlerische Absichten verwirklicht hätte. Endlich aber: diese Bilder sind im Laufe eines halben Jahrhunderts entstanden, das Revolutionen im Gartenbau brachte, den Untergang des französischen, den Sieg des englischen Stils; einige hat ein ungestümer, schaffenskräftiger junger Mann ohne Erfahrung gestaltet, andere ein erfahrener Greis, dessen Schaffenskraft erlahmt war. Wie könnten sie gleichmäßig sein?
Auch wer dies alles nicht erwägt, wird schon auf dem Deichweg empfinden, daß hier ein Künstler zu ihm rede, aber selbst für den, der's voll anschlägt, bleibt noch genug des Rätselhaften übrig. Neben feinsten Bildern so viel Künstelei, ja kleinliche Tändelei! Was soll dies Kinderspielzeug von Felsen und Klippen? Und was selbst im Guten der Mangel an Maß? Die Natur darf alles; berauscht sie binnen einer Wegstunde unser Auge mit einer Welt voll wechselvoller Schönheit, so scheint's uns herrlich; die Häufung von Gartenbildern ermüdet; heute abend habe ich die Wörlitzer Rübenäcker gern angesehen; die waren wenigstens nicht malerisch... Woran fehlt es hier? An rechtem Einblick in das Wesen der Natur und dieser Kunst? Gewiß nicht! Ein besseres Programm hat nie ein Gartenkünstler aufgestellt, als das dieser Fürst aussprach: »Man soll die Natur in ihren idyllischen Bildungen nachahmen und sie sich zum Muster nehmen, wie sie die Wälder mit ihren stillen Schatten schafft, die Waldränder mit blühenden Gesträuchen ziert, ihre Bäume gruppiert, ihre Flächen und Wiesen in Blumenteppiche verwandelt und ihre Gewässer in Seen, Flüsse und Bäche verteilt.« Und diesen Worten entspricht ja auch zumeist die Tat! Fast überall im einzelnen, häufig in dem Gesamtbilde redliche, tiefe Ehrfurcht vor der Natur. Von »Daumschrauben« kann hier wahrlich keine Rede sein; die paar verschnittenen Taxushecken abgerechnet, die der Herzog zudem gar nicht schuf, sondern nur als Überbleibsel eines alten französischen Gartens beließ, ist nirgendwo auch nur ein Zweig verstümmelt; jeder Baum, jeder Strauch steht in dem Erdreich, in dem Licht, das für ihn am besten taugt. Und wenn Herzog Franz – um ein einziges, sein beliebtestes Kunstmittel zu nennen – den Kern einer Gruppe aus dunklen Farben und derben Formen gestaltet, gegen den Rand hin aber die Bäume immer feiner und heller wählt, so widerspricht dies der Natur nicht, es ist ihr vielmehr abgelauscht. Wie stimmen dazu die Felschen, die Effektchen, wie die Tempelchen und Ruinchen? Tribute an den Geschmack der Zeit? Ein wirklicher Künstler wird ihm sonst in solchem Maß nicht untertan. Hier muß, sagt man sich, noch ein anderes Element mitgewirkt haben, das die reine, künstlerische Intention immer wieder störend durchkreuzte.
Die Bauwerke am Deich steigern diesen Eindruck; keines wirkt künstlerisch, einige komisch, andere lassen kalt. So gleich die erste Anlage, auf die man von Westen her trifft, die Einsiedelei, ein Grottchen, ein paar dunkle Gängchen. Hier brachten sich noch Lavater und Matthisson in feierliche Stimmung; wir können es nicht mehr: »Einsamkeit und Stille führen zu Gott, wie einiges Unglück zum Guten führt« – die Inschrift am Rotundchen ist in ihrer nüchternen Bedächtigkeit für das Ganze bezeichnend: »einiges Unglück!« Als Elisa von der Recke, die eine recht schwatzhafte und zerfahrene Dame war, hier zu Besuch bei ihrer Freundin, der Herzogin Luise, verweilte, schickte sie der Herzog – »Wenn doch die gute Elisa einmal bei sich einkehren und stiller werden wollte!« klingt ein Stoßseufzer aus jener Zeit – oft zur Kur in die Einsiedelei; sie aber wandelte mit ihrem Tiedge lieber zum nahen Venustempel, was man ihr allerdings eigentlich nicht verübeln kann. Es ist eine offene Säulenhalle am Deich, die eine nun ganz kränklich aussehende Nachbildung der mediceischen Venus enthält. Dann folgen die Luisenklippen; sie sehen wie Morcheln aus, die eine Köchin phantastisch zerschnitten hat; eine Riesenköchin brauchte es nicht zu sein. Mit drei Schritten hatte ich die ganze schauerliche Romantik hinter mir, sah mir dann aber bald nicht ohne Bangen wieder ein Gebirge von etwa zehn Fuß Höhe entgegenwachsen. Doch erwies es sich, als ich davor stand, etwa doppelt so hoch: das Monument. »Meinen Vorfahren Franz« lautet die Inschrift. Eine aus Granitsteinen geformte Höhle, durch Fenster in der Decke erleuchtet, enthält sie hübsche Hautreliefbüsten der Dessauer Fürsten, Vasen und Wandgemälde im pseudoantiken Stil. Daß die Nässe das »Freßgoh« an der Decke, die Verschenkung der »allerscheensten Kabriele«, unkenntlich gemacht habe, konnte ich nun mit eigenen Augen sehen. Bedeutender ist der künstlerische Inhalt eines anderen Baus am Deich, des Pantheon, eines Rundbaus mit Säulenhalle. Es enthält die vom Herzog in Rom angekauften, durch Abgüsse und Abbildungen bekannten zehn Statuen: Apoll und die neun Musen, Arbeiten der Antike, eine (Urania, Melpomene, Kalliope) sehr schön, alle sorgsam und geschickt restauriert; am Apoll freilich ist nur – ein Stück der Leier alt. Sammler von heute werden mit Neid vernehmen, daß die zehn Statuen einschließlich der Restaurierung 1500 Scudi kosteten! Daneben andere spätrömische Büsten, zahllose Bruchstücke; es ist erstaunlich, wieviel der Herzog auch davon zusammengebracht hat.
An der Stelle, wo sich Elbdeich und Feldstraße schneiden, erwartete mich mein Willem; die Ostgrenze befuhr ich wieder. Abermals hübsche Veduten, aber bescheidener; viel Äcker, mitten drin ein italienisches Bauernhaus – hier im Osten sollte der Übergang von der Horti- zur Agrikultur verbildlicht werden, der Tod nahm dem greisen Schöpfer Setzling und Richtmaß aus der Hand. Aber warum sollte auch nach seinem Plan der Westen reicher und farbiger sein als der Osten, warum trifft dies auch bei den meisten anderen Städte- und Parkanlagen zu? Es scheint ein Naturgesetz, aber ein Grund ist nicht zu ergrübeln...
Nun die Südgrenze, die armseligen Gäßchen von Wörlitz, und die Rundfahrt war beendet. Sie hatte mir neben so vielem Schönen und Seltsamen ein Bild der Gestaltung, eine Ahnung vom Wesen dieser Anlagen geboten, nebenbei auch die Frage beantwortet, warum sich ihr Umfang so verblüffend verschieden angegeben findet, 15, 12, ja 8 Kilometer, eben je nachdem die Vorposten, die »Schönheitspflästerchen«, einbezogen werden oder nicht. Je nach dieser Auffassung wird die Gesamtfläche größer geschätzt als die des Berliner Tiergartens oder gleich groß (250 Hektar) oder auch kleiner. Aber auf die mir unendlich wichtigere Frage: »Wie erklären sich die ungeheuren Widersprüche im Geiste dieser Schöpfung?« hatte ich noch keine Antwort.
»Du mußt mehr, mußt alles sehen«, wiederholte ich mir und trat die Nachenfahrt an. Es ist eine wahrhaft erquickliche Fahrt, namentlich wenn man, wie ich heute, von keinem Friedchen, sondern von einem rüstigen Ruderer geführt wird. Hier hat der überschwengliche Rode recht: ein empfänglicher Mensch wird das nie vergessen. Das Seebecken durchschneidet die Anlagen etwa in ihrer Mitte von Westen nach Osten; schmalere Arme gehen nach Süden und Norden ab, zahlreiche Kanäle durchqueren alle Gärten. Schon ein Blick auf den Plan läßt den dreifachen Zweck erkennen: die Landschaft zu beleben, die unzähligen Bauten leicht zugänglich zu machen, die Gärten zu bewässern – wie trefflich dies alles erreicht ist, lehrt erst die Fahrt. Nebenbei bemerkt, der See, ein abgedämmter Elbarm, hat wenig Zu- und Abfluß, doch hat selbst an glühheißen Augusttagen kein anderer Sinn zu leiden, während das Auge schwelgt; es ist also auch mit dem »Tümpel« nicht so schlimm. Und wie Schönes kann man da genießen! Mit Überraschung wurde ich gewahr, daß dem Park mit einiger Mühe – man muß eben die Absichten des Künstlers zu erraten suchen und den Ruderer ein wenig dirigieren – von der Seeseite weitaus die schönsten Bilder abzugewinnen sind, schönere als vom Deichweg, schönere als ich vorgestern in Schochs Garten gesehen. Also auch dieser dritte Gesichtspunkt war bei der Anlage maßgebend! Welche Mühe, welche Kunst, welche – Künstelei! Ja, auch dies mußte ich mir zuweilen sagen, namentlich wenn der Nachen nah dem Lande war und die – ich finde kein anderes Wort – raffinierten Mittel zur Erzielung des Effekts deutlich zu erkennen, zu zergliedern waren. Aber, mußte ich mir selbst vorhalten, ist das nicht ein Unrecht gegen den Künstler? Bedarf nicht jedes Bild einer Perspektive? Freilich, der Natur darfst du dich straflos nähern, sie bleibt immer einfach und groß und schön. Aber du bist ja in einem Park, genieße, was er dir bieten kann. Und ich ließ den Nachen weiter vom Ufer halten. Da war wieder alles schön, selbst die Bauten störten nicht mehr, und zuweilen erhöhten sie sogar den Reiz des Bildes. So, als wir am heiter-stillen Schlößchen mit den korinthischen Säulen mitten im hellen Park vorbeiglitten, während zur Linken die Halle des Pantheon grüßte und vor uns ein Grottenbau mit weiß schimmernden Statuen der Flut entstieg – wie soll ich schildern, wie mir da zumut war?! Kein Hauch der Antike mehr streifte meine Stirn, wie da ich vorgestern das Nymphäum zum ersten Mal erblickt; dazu hatte ich diese Tempelchen nun zu nahe gesehen, und ich träumte nicht mehr von Göttern und Hirten. Oder doch, aber anders, als da ich in Hellas wandeln durfte und am sizilischen Strand – so wie ich ihrer gedenke, wenn ich im Wieland lese. Sie sind's, und sie sind's wieder nicht, es ist alles fröhlicher Mummenschanz, das sind keine Götter, auch keine Griechen, sondern diesen klugen Männern fällt auf die Chlamys das gepuderte Zöpfchen im Nacken nieder, und aus dem Himation, in das sich diese anmutigen Frauen gehüllt, blickt ein pikantes Gesichtchen mit Schönheitspflästerchen und ein wenig Rouge auf den Wangen... Ja, dich grüße ich, du liebes, weises, graziöses Jahrhundert...
Lang blieb mir die seltsame Stimmung ungestört, denn erst am Nachmittag kommt der Menschenstrom aus Dessau; auf dem See, in den Gärten begegnete mir kaum ein Mensch. Es sind vier Gärten, verschieden in ihrem Charakter, obwohl sie derselbe Geist schuf, aber wie wandeln uns die Jahre! Der Schloßgarten ist der älteste Teil; da war der junge Fürst noch so heiter, so verliebt in seine feine, kluge, ein wenig gezierte Luise; ihr baute er das schöne Schlößchen, ihr schuf er aus dem steifen französischen Garten, den er vorfand, durch helles Laub und anmutige Blumenterrassen den fröhlichsten Platz, ihr aus Kastanien und Ahorn schattige Alleen zum beschaulichen Wandeln und aus immergrünem, hellem, fremdländischem Nadelholz eine Stätte für stillere Stimmungen. Und wo wieder ließ sich hübscher Ball spielen als auf dem prächtigen Rasenplan vor dem Schlößchen? Aber die Jugend weiß ja gar nicht, wie glücklich sie ist, und es gehört zu ihrem Glück, zuweilen zum Sterben traurig zu sein. Da ist der Englische Sitz, eine offene Halle, von der der Blick auf ein feierlich-ernstes Parkbild geht, oder die Bank, von der man in ein Dickicht düsterer Föhren und Zypressen blickt. Der Schloßgarten ist die Lyrik in dieser Parkdichtung, wie man bei Schochs Garten mit den kräftigen Eichen, den weitgestreckten Wiesenplänen wohl ohne allzuviel Künstelei an das Epos denken kann. Aber der »Neumärkische Garten« bietet tatsächlich nicht das geringste Häkchen, einen Vergleich mit dem Drama dranzuhängen. Hinter dem seltsamen Eisenhart, der die großen ethnographischen Sammlungen Georg Forsters und dergleichen enthält, öffnen sich da weite, in altenglischer Art durch Kulissen abgeteilte Pläne, dann offene Wiesen und Haine, auch das kindliche Spielzeug eines Labyrinths ist hier zu finden. Hingegen läßt sich die Schöpfung des Herzogs in seinen alten Tagen, der Garten am Weidenheger, wieder zwanglos der didaktischen Poesie vergleichen. Er ist weniger schön als nützlich: Obstbäume, Gemüsebeete, Äcker.
Ein Werk der Jugend wie des Alters, eine Frucht vierzigjähriger Mühen ist der allmähliche Übergang vom stolzen Park zum armseligen Städtchen, den Herzog Franz schuf. Der Gelehrte hat unrecht gehabt; dies schwierigste Problem hat den Fürsten am längsten beschäftigt. Er löste es dadurch, indem er an der Grenze des Parks die Kirche und die Synagoge erbaute, beide – wie bezeichnend ist dies für das Jahrhundert der Toleranz! – zum größten Teil aus eigenen Mitteln, beide sehr geschmackvoll: die Kirche in Anlehnung an den gotischen Stil, die Synagoge ein zierlicher Rundbau; beide durch Gartenanlagen mit dem Park verbunden. Der Wanderer soll – ist der schöne Grundgedanke – aus dem Alltag an den Tempeln Gottes vorbei in die Tempel der Natur und Kunst treten. Auch rein künstlerisch betrachtet, ist die Lösung des Problems vortrefflich zu nennen; wer von der Kirche am Englischen Sitz vorbei zum Schloß geht, trifft auf eine Reihe der schönsten Bilder, die sich scheinbar ganz zwanglos aneinanderreihen. Auch dachte der Herzog an die Verschönerung von Wörlitz, nur starb er darüber hinweg. Man sieht, meine Vermutung war richtig, für den Stadtduft von Wörlitz ist das Zeitalter der Humanität nicht verantwortlich zu machen.
Stadt und Gärten liegen tief; die schützenden, mit Alleen bepflanzten Deiche sind wahrlich kein bloßer Schmuck – und wie oft versagte ihr Schutz! Zerrissene Inseln, versumpfte Wiesen, die nicht wieder zu entwässern sind, zwei kleine Seen (die Wallöcher) sind die Spuren der Elbe. Aber sooft sie ihm sein Werk zerstörte, der Mann mit dem eisernen Willen stellte es wieder her; dem heutigen Schloßherrn eine ungemütliche Nachbarin, war die Elbe dem Herzog Franz eine Todfeindin, aber er hielt ihr stand. Und als ich bei jedem Ruderschlag neue Zeichen dieses tapferen, unerhört zähen Ringens sah, da sagte ich mir: »Nein, nicht im Geschmack der Zeit, nicht in äußeren Einflüssen, in dieses Mannes Brust ist die Lösung der Rätsel von Wörlitz zu suchen. Wer sich nicht der Elbe beugte, der hat sich auch nur mit Willen der Mode gebeugt!« Zur vollen Gewißheit aber wurde mir diese Erkenntnis, als ich sein feinstes und sein trivialstes Werk kennenlernte. Sein feinstes das Schloß, sein trivialstes der Stein.
Das Schloß (von 1773), ein Werk Erdmannsdorffs, der auch die Innendekoration für die Schlösser zu Berlin und Sanssouci leitete, ist von außen und innen das Muster eines schlicht vornehmen Hauses im Stil der Zeit; der runde Vorsaal mit Oberlicht, die Verhältnisse der Gemächer wie ihre Einrichtung, alles fast bescheiden, ohne Prunk, aber von feinstem Geschmack; der einzige Schmuck Kunstwerke, aber welche! Herrliche antike Vasen, Büsten und Statuen, von den letzteren einige leider von Cavaceppi in seiner Art restauriert, andere von schönster Erhaltung. Und die Bilder, nicht eben viele, aber fast alle trefflich, einige Meisterwerke. Es gibt wahrscheinlich nicht viele so kleine Schlösser, wo wir Bilder wie in dem einen Zimmer die entzückende »Venus« des Domenichino, im nächsten die schönsten Van Dycks und Wouvermanns, im dritten Rubens' herrliche »Vermählung Alexanders mit Roxane«, im vierten zwei prächtige Veronese bewundern können. Ich war der Fügung dankbar, welche die herzogliche Familie in einer anderen Sommerfrische festhielt; in ihrer Anwesenheit ist das Schloß unzugänglich, was wohl begreiflich ist; um so dankenswerter ist, daß die Prinzeß Friedrich Karl, die es jetzt bewohnt, die Besichtigung gern gestattet, »sogar ganz gründlich«, wie mir der Kastellan, nebenbei bemerkt das Muster eines verständigen, taktvollen Cicerone, versicherte. Die greise Fürstin ist auch Malerin; ich konnte zwei ihrer Landschaften sehen; da sie nicht für die Öffentlichkeit schafft, so verbietet sich jedes Wort des Lobes und darum auch des Tadels. Wer dies Muster einer Fürstenwohnung sehen darf, wird das Haus gleich mir mit dem Gedanken verlassen: Wahrlich, der Mann, der diese Räume schmückte, war der Bildung seiner Zeit voll!
So das Schloß. Und der Stein? Landschaften von Canaletto und anderen, im übrigen die trivialste Kuriositätensammlung der Erde, nur die Jahrmarktsbuden (aber nicht alle) abgerechnet. Der Hüter dieser Schätze ist wahrlich noch das Erheiterndste am Hause. »Haben Sie die Nymphe« – statt Grotte – »der Egeria gesehen?« beginnt der Alte wörtlich und zeigt dann: ein winziges Amphitheaterchen (»So hielten die Griechen Stiergefechte ab!«), eine Blaue Grotte (»An Festtagen ist sie auch hier blau, weil wir solche Lampen haben«), eine »Nymphe der Kalypso« (»Eine römische Person mit einem Zauber auf sieben Jahre«), eine Scylla und Charybdis (»Bei Rom groß, hier klein«, zwei winzige Klippchen), einen Sterbenden Gladiator (»Er schreibt sich Pollux, war ein sehr starker Mann und wurde doch verstochen; Castor, was sein Freund war, hat dann sehr geweint«), einen Vesuv (»Ein Berg bei Aetna; nicht bange, meine Herrschaften, hier speit er nur an Herzogs Geburtstag, und zwar Wasser«), eine durch ein Glasfenster von oben matt erleuchtete Höhle als Tempel der Nacht (»Vesta tut sie sich schreiben, weil sie die Göttin der Nacht ist; die vom Tag ist hier nicht fertig; sie hat in Pompeji, was die Antike ist, Eris geheißen«), dann einige dunkle Gänge (»Der Hochselige wollte Ihnen dadurch die Eingeweide der Erde darstellen« usw.). Ich fürchte, man wird mir sogar diese Erläuterungen eher glauben als einen solchen Inhalt eines großen Bauwerks desselben Fürsten, der das Schloß und das Gotische Haus schuf, aber ich sage in beidem die Wahrheit.
Wie nun erklärt sich dieses Rätsel? Psychologische Analysen lassen sich nicht präzis anstellen wie chemische; niemand darf mehr geben wollen als eine subjektive Anschauung. Die meine versuche ich so zusammenzufassen: Ein edel veranlagter Jüngling von reichen Gaben, aber auch von brennendem Ehrgeiz besteigt, kaum achtzehnjährig, einen kleinen Thron. Wie gleichzeitig seine Gaben nützen und seinen Durst nach Ruhm stillen? Er zeichnet, malt, fühlt sich im Freien am wohlsten und studiert darum in England und Frankreich die dortigen Parks. Heimgekehrt, faßt er den Gedanken, einen solchen Garten größten Stils in Deutschland zu schaffen. Er geht ans Werk und wählt Wörlitz für seine Schöpfung. Fruchtbarer Boden, viel Wasser, das lockt ihn; daß es zuviel Wasser werden könnte, daran denkt er nicht. Und die Ebene? Gerade die gefällt ihm! Wer darüber lächelt, denke daran, daß noch ein Mann von Goethes Naturempfinden von hier aus 1775 der Geliebten als einen Vorzug dieser »elysäischen Felder« rühmt: »Keine Höhe zieht das Auge und das Verlangen an einen einzigen Punkt!« Der Park wird. Aber man spricht nicht viel davon, und der Fürst verfügt ja auch über reiche Kunstschätze, ist selbst Sammler. So weitet sich bald der Plan: auch eine Kunstsammlung ersten Ranges soll hier erstehen. Keineswegs bloß aus Ehrgeiz; diesem Manne ist es innerstes Bedürfnis, allem Schönen und Guten zu dienen, sein Leben mit tausend Fäden anzuknüpfen an das der anderen um sich her. Darum wird er Mäzen, darum Philanthrop, darum ein Vater für seine Untertanen. Sein Ruf wächst, aber auch sein Ehrgeiz stellt sich immer höhere Ziele. Da lernt er durch Winckelmann das Wirken Hadrians kennen, und der Besuch der Trümmer von Hadrians Villa in Tivoli gießt Feuer in seine Adern. »Dort«, erzählt er immer wieder, »hat Hadrian alles zusammengestellt und nachgeahmt, was er auf seinen Reisen an Kunst und Naturwundern gesehen hatte«, jedoch meines Wissens nur einmal läßt sich der Greis das Wort entschlüpfen: »Ich glaube, ich habe an Hadrian gedacht, als ich das Werk hier unternahm!« – und dies Wort scheint mir wie ein Blitz das tiefste Innere dieser rastlosen Seele zu enthüllen. Freilich, er hat nur begrenzten Raum, beschränkte Mittel – nun, so müssen Klippen wie Morcheln genügen und ein Vesuv wie der im Stein. Und die Leute können's ja in natura nicht sehen und strömen darum nach Wörlitz und rühmen ihn. Er aber ist nicht bloß ehrgeizig, sondern auch wahrhaft leutselig, ja kindlich weich – wittert er doch zuweilen sogar an Goethe »etwas Inhumanität«! –, ihm tut das Vergnügen, das er dem Volke bereitet, innigst wohl; auch die populärste Schöpfung soll sein Wörlitz sein! Für die »Armen im Geiste« diese Künste, für die Feineren die Kunstschätze und seine eigenen Gartenbilder. Denn er war ja selbst ein Feiner, ein Echter, wenn auch kein Großer. Sein künstlerischer Stil ist der seiner Zeit, der ideale; die Ausdrucksweise immer klar, fast möchte man sagen verständig; das Erhabene, das Leidenschaftliche, das Groteske ist ihm versagt, um so besser gelingt ihm die Idylle, die Elegie. Tut man sich nach den Landschaftsmalern um, denen er zunächst verwandt war, so mag man an die Nachstreber Josef Anton Kochs denken, an diesen selbst nicht, Koch ist ja voll Schwung... Aber wenn man auch von Goethes Urteil über den Herzog: »Eine feine und große Natur« nur das erste gelten läßt, auch ein Feiner handelt nicht straflos gegen sein Wesen. Als Greis erkennt und bereut der Herzog seine Irrtümer. Da nennt er den Stein unter anderem »verfehlt« und »ein kostbares Spielzeug«, da beklagt er seine Felschen: »Alles kleinlich und gedrückt!« Und ihn tröstet nur der Gedanke, daß er auch »einiges für die echte Kunst getan!«. Wahrlich, das hat er! Einiges? Mehr als irgendein Fürst seiner Zeit!
So Wörlitz, so sein Schöpfer – ich sage nicht, wie sie sind, sondern wie ich sie in ehrlichem Mühen, ihnen gerecht zu werden, sah. Und nun will ich meinen Koffer schließen und über Dessau und Bitterfeld nach Westen fahren, in einem Zug so weit, wie der Lokomotive der Atem reicht.
Wörlitz, im August 1901