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Was wir heute erleben, das sind die notwendigen Folgen der Anschauungen, welche bis dahin in den Köpfen waren; denn alles, was in den Köpfen ist, das wird auch einmal Wirklichkeit. In den Köpfen war die Vorstellung von der Unhaltbarkeit des Kapitalismus.
Nur ist die Wirklichkeit nachher denn aber doch wieder sehr verschieden von der Vorstellung, welche sie darstellt. Man wird gewiß glauben, daß mancher Sozialist und Revolutionär sich die Sache ganz anders gedacht hat, als sie nun wirklich gekommen ist.
Die Ursache könnte sein, daß die Vorstellung von der Unhaltbarkeit entstand durch einen allgemeinen Druck, der ja nicht bloß von den Proletariern empfunden wurde, sondern ebenso – vielleicht noch mehr – von dem großen Teil der Menschen, die weder Proletarier noch Kapitalisten sind, ja von den Kapitalisten selber. Aber nur die Tatsache des allgemeinen Druckes war richtig. Es wäre möglich, daß die Menschen sich diese Tatsache durch eine falsche Erklärung hätten verständlich machen wollen und daß aus dieser falschen Erklärung dann falsche Vorstellungen über Besserungen, Veränderungen und eine Höherentwicklung gefolgt wären; mit einem Wort, daß der Sozialismus und Kommunismus zwar insofern berechtigt wären, daß sie ein Unbehagen der Menschen an ihren Zuständen bewiesen, als Forderungen einer neuen Gesellschaftsform aber falsch. Es würde dann also der fürchterliche und scheinbar hoffnungslose Zustand von heute sich daraus erklären, daß man etwas Unmögliches aufzubauen versucht.
Jede Forderung muß vernünftigerweise auf Grund des Bestehenden gemacht werden. Auch Sozialismus und Kommunismus wurden auf Grund des Bestehenden gefordert. Aber die Wirklichkeit ist unendlich vieldeutig. Wenn man auf Grund des Bestehenden fordert, dann muß man erst eine Abziehung machen, vorher kann man mit der Wirklichkeit nicht geistig arbeiten. Hier aber kann der Fehler liegen. Man kann eine falsche Abziehung gemacht haben.
Sozialismus und Kommunismus drücken zwar seelische Ansprüche aus, nämlich die Ansprüche auf die menschliche Freiheit und Würde, welche im Kapitalismus dadurch unterdrückt werden, daß in ihm der Mensch nur als Mittel der Gütererzeugung behandelt wird; sie sind aber wirtschaftlich abgeleitete Formen. Hier muß der Fehler liegen. Man hat einfach die falsche Abziehung des Kapitalismus beibehalten, indem man die Menschen immer noch lediglich als Mittel der Gütererzeugung betrachtet, und will nichts ändern, als die Ordnung dieser Gütererzeugung, die nicht mehr privatkapitalistisch sein soll, sondern gesellschaftlich. Mit andern Worten: Sozialisten und Kommunisten sind überhaupt nicht Revolutionäre, sie wollen nur eine – in bezug auf den wichtigen Punkt nebensächliche – Umformung. Es tut mir leid, daß ich es sagen muß, ich habe sonst etwas für die Spartakisten übrig, sie scheinen wenigstens Mut zu haben, und der ist heute eine seltene Ware; aber auch die Spartakisten sind gar keine Revolutionäre. Sie werden mich ja auf das tiefste verachten und werden finden, daß ich bürgerlich bin. Ja, auch die Gegensätze von bürgerlich und proletarisch sind keine revolutionären Gegensätze. Bürgerlich und proletarisch sind Gegensätze in dem Kreise der Gütererzeugung. Das Falsche der heute zusammenbrechenden Gesellschaft war, daß sie die Gesellschaft nur auf die Gütererzeugung abzog: ein offener Blick in das Leben hätte ihr genügen müssen, um zu zeigen, daß die Gütererzeugung nur ein kleiner und durchaus nicht bedeutender Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Revolutionär ist erst der Schritt, welcher den Kreis der Gütererzeugung verlaßt; dieser Schritt ist noch niemand eingefallen, der Bolschewismus ist gerade deshalb so fürchterlich, weil er noch tiefer in sie hineinführt. Die Ursache für den Druck, der zu seelischen Zuständen führte vom Unbehagen bis zur Verzweiflung, war nicht der Kapitalismus an sich, sondern die durch ihn verursachte falsche Abziehung des gesellschaftlichen Menschen auf den Gütererzeuger; und was die Menschen in Wirklichkeit heute wollen, das ist, daß sie nicht mehr Gütererzeuger sein wollen, sondern Manschen. Die wirkliche Revolution, die an die Wurzel fassende Revolution wird erst kommen, wenn die Leute das einsehen.
Vielleicht blitzt dann der erste Hoffnungsstrahl durch die düstern Wolken, welche jetzt den ganzen Himmel umziehen, denn dann erscheint die erste Möglichkeit eines vernünftigen Wollens. Alles, was heute gewollt wird, ist entweder Verlegenheitsauskunft bei den ruhigeren Menschen, oder Verzweiflung bei den leidenschaftlicheren. Bei den Deutschen haben bis heute die ruhigeren Menschen die Oberhand, bei den Russen sind die leidenschaftlicheren Naturen zur Herrschaft gekommen; beide wissen aber selber in ihrem tiefsten Innern, daß ihre Bestrebungen nichtig sind und auf Wichtiges hinausgehen.
Die nun verflossene Zeit hat den Irrtum begangen, daß sie überall an die leitenden Stellen den Juristen setzte. Ein Jurist ist ein Mann, der genau weiß, wie ein Vertrag gemacht werden muß, aber er weiß nicht, was in dem Vertrag stehen soll. Der Jurist gehört an die zweite Stelle, als Ausführer gewisser Befehle; an die erste Stelle gehört ein Mann, der nicht an die Mittel denkt, sondern an die Zwecke. Im höheren Kreis, im politischen, hat man denselben Fehler gemacht. Man hat den Volkswirtschaftler an die erste Stelle gesetzt. Der Volkswirtschaftler kann aber wohl wissen, wie eine Gesellschaft ist; er kann nicht wissen, wie sie sein soll. Marx war ein ausgezeichneter volkswirtschaftlicher Gelehrter. Aber wenn er ein Bild des künftigen Zustandes der Menschheit entwarf – er hat es entworfen trotz aller gescheiten Entwicklungslehre –, dann überschritt er die Grenze seiner Fähigkeiten. Dieses Bild hat nicht ein Teilmensch oder Fachmann zu entwerfen, sondern jener Vollmensch, den Plato als den Philosophen bezeichnet, den ein Anderer Propheten nennen kann, ein Dritter den schöpferischen Staatsmann. Dieser geht dann nicht von der zufällig vorhandenen Wirklichkeit aus, sondern von den ewigen Bedürfnissen der menschlichen Seele, und dem Volkswirtschaftler mag die Aufgabe zufallen, die von dem Vollmenschen gesteckten Ziele durch Entwerfung von Straßen mit dem Heutigen zu verbinden. Sieht man genauer zu, dann wird man auch bei Marr finden, daß seine Wirksamkeit nicht darauf ruht, daß ei ein ausgezeichneter volkswirtschaftlicher Gelehrter war, sondern darauf, daß er auch ein Philosoph war: wenn man erst einsehen wird, daß seine Philosophie das Platteste und Seichteste von Geschwätz war, das man sich nur vorstellen kann, dann wird die Welt von dem furchtbaren Alpdruck befreit sein, der heute auf ihr lastet. Dann wird die wirkliche Revolution kommen, gegen welche das, was wir jetzt erleben, ein Kinderspiel ist, die Revolution, welche die Welt wirklich umgestaltet.
Wir wollen den Punkt, auf den es ankommt, zu finden suchen. Ein siebenjähriger Knabe beschäftigt sich in der Wirtschaft des Vaters mit allerhand Arbeiten: er tragt das Holz ins Haus, er hackt Reisig, er sammelt Tannäpfel und dergleichen. Einige dieser Arbeiten tut er gern, andere nur gezwungen auf Befehl. Gern tut er Arbeiten wie das Reisighacken, wo eine körperliche Bewegung mit einer gewissen Freiheit und Selbständigkeit verbunden ist, denn das Hackmesser muß beim Reisig immer anders gerichtet werden, das erfordert immer einen besonderen Entschluß. Aber von allen diesen Arbeiten berichtet er prahlerisch als von besonderen Leistungen. Außerdem beschäftigt er sich mit ganz selbständiger Tätigkeit: er zeichnet und malt seine Kinderbildchen, schreibt Briefe an seine kleinen Basen und ähnliches. Er hält auch diese Betätigung für wichtig, aber er prahlt nie mit ihr, sondern weist sie immer mit einem eigentümlichen bescheidenen Stolz auf.
Man vergleiche den Charakter des Handwerkers mit dem Charakter des Proletariers. Beim urbildlichen Handwerker wird man immer den bescheidenen Stolz auf die Leistung finden, beim Proletarier die hohle Prahlerei nach dem Muster von »Alle Räder stehen still«, bei welcher nie bedacht wird, was denn nun wäre, wenn einmal der Mann versagte, der die Räder entwirft.
Man stößt hier auf etwas allgemein Menschliches, das bis in die letzte Tiefe geht: der Handwerker arbeitet menschlich angemessen, er arbeitet frei wie das Kind, welches zeichnet und Briefe schreibt; seine Arbeit ist ein Spiel, das außer seiner Eigenschaft als Spiel noch einen Nutzen für die andern abwirft. Noch beim Hacken des Reisigs ist etwas Spieleigenschaft der Arbeit vorhanden. Wenn die Arbeit aber ganz mechanisch ist, also keine freie Betätigung möglich bleibt, dann wird das menschliche Selbstbewußtsein unterdrückt; es muß irgendwie wieder zum Vorschein kommen; es kommt als leere Prahlerei zum Vorschein.
Selbstüberhebung, Unbotmäßigkeit, Haß gegen den weiter der Arbeit sind notwendige Eigenschaften des Proletariers. Sie kommen nicht daher, daß er nur seine Arbeitskraft besitzt, also ans seiner eigentlichen Proletariereigenschaft, sondern sie kommen aus der Art seiner Arbeit. Diese aber wird durch keinen Sozialismus und Kommunismus als solche geändert. Heute bekommt ein Berliner Müllkutscher 35 Mark Lohn den Tag. Besser kann es dem Mann im kommunistischen Wolkenkuckucksheim nicht gehen, denn dieses Geld ist natürlich mehr wert als seine Arbeit, und auch im Kommunismus geht es nicht, daß man zehn Kuchen unter zwanzig Leute so verteilt, daß jeder einen ganzen Kuchen bekommt. Aber zufrieden ist der Müllkutscher auch mit den 35 Mark nicht, er ist es nicht mit hundert, nicht mit tausend: denn er hat eine Seele, die unzufrieden ist; und die hat er, weil er eine Arbeit tut, welche eine solche Seele erfordert.
Wir wollen uns nicht in die heutigen wehleidigen Untersuchungen verirren, ob aus dem Mann hätte ein Goethe werden können, wenn er nicht als Müllkutscher geboren wäre. Ob seine Gesinnung entsteht durch seinen Beruf, oder ob sein Beruf erst dadurch möglich wird, daß seine Gesinnung vorhanden ist: das ist ja gänzlich gleichgültig. Die Tatsache ist, daß die bestehende Gesellschaft – mit Absicht ist der Ausdruck gebraucht: denn was heute zusammenbricht, das ist nicht diese – dadurch, daß es in ihr seelenlose Arbeiten gibt, seelenlose
Menschen in sich schließt, Menschen, welche nie das göttlich gesetzte Ziel der Menschheit erreichen können und immer Zerrbilder bleiben.
Wenn wir eine wirkliche Revolution wollen, so müssen wir damit anfangen, daß wir die Arten von Arbeit aufheben, welche den Menschen zum Zerrbild seiner selbst erniedrigen. Wir haben uns eine Gesellschaftsverfassung auszudenken, in welcher diese Aufhebung möglich ist. Diese wird gewiß nicht kapitalistisch sein: aber auch Sozialismus und Kommunismus können da nicht helfen: helfen wird nur, wenn die Menschen eine solche Seele bekommen, daß es keine seelenlosen Arbeiten für sie gibt.