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Es gibt eine alte Schnurre, die so tiefsinnig ist, wie solche harmlosen alten Schnurren oft sind: zwei Gänsejungen besprechen miteinander, was sie tun werden, wenn sie Kaiser wären. Der eine sagt: »Ich äße den ganzen Tag Speck« und der andere: »Ich hütete meine Gänse nur noch zu Pferde.«
Nach dem Beispiel der beiden Jungen kann man das Betragen aller Menschen einteilen, welche in höhere Verhältnisse kommen: entweder sie essen den ganzen Tag Speck, das heißt, sie genießen ein sinnliches Wohlbehagen, das ihnen nach ihren alten Verhältnissen angemessen ist, oder sie hüten ihre Gänse zu Pferde, das heißt, sie betreiben ihre alten Tätigkeiten mit einem größeren Aufwand.
Wir haben seit einigen Jahrzehnten eine Aufwärtsbewegung der Arbeiterklasse gesehen. Jetzt im Krieg ist diese Bewegung sehr schnell vor sich gegangen; und wenn wir im Frieden erst überschauen können, was der Krieg denn nun alles gebracht hat, so werden wir diese Bewegung an erster Stelle anmerken müssen.
Das nächste Ergebnis ist, daß die arbeitenden Klassen ihre sinnlichen Genüsse sehr stark gesteigert haben, was man als Steigerung der Lebenshaltung bezeichnet. Da unser Zeitalter ganz materialistisch gesinnt ist, so nimmt es an, daß das ein Glück für die Leute ist. Es würde ziemlich vergeblich sein, wollte man gegen diese Anschauung kämpfen. Das zweite Ergebnis wird sein, daß die größere Macht, welche die unteren Klassen haben, so angewendet wird, wie sie es nach ihrer ganzen geistigen Verfassung verstehen. Diese Verfassung ist aber, auch wenn man die Lebenshaltung noch so hoch steigert, immer nur die geistige Verfassung von Arbeitern, welche in ihrer Arbeit von der Leitung und Ordnung durch Höhergestellte abhängig sind und mehr oder weniger durch Maschinen bestimmt werden: man darf sie also nicht etwa mit den früheren Handwerkern gleichsetzen.
Man muß sich das einmal ganz klarmachen, wenn man ein Bild der kommenden Zeit gewinnen will. Es wird in diesen Dingen ja sehr viel mit Lehrmeinungen gewirtschaftet. Die Lehrmeinung ist, daß die Menschen im bürgerlichen Leben wohl sehr verschieden sind; aber wenn sie am Wahltag ihren Sonntagsanzug anziehen und den Wahlzettel in die Hand nehmen, dann sind sie alle gleich. Sie sind eben nicht alle gleich. Und zwar liegen die Unterschiede gar nicht so sehr in der Bildung, soweit diese auf Wissen beruht: diese Unterschiede sind vielmehr sehr fragwürdiger Natur; sie ruhen in der gesamten Willensrichtung, welche durch die ganze Lebensart gegeben ist. Man denke zum Beispiel nur daran, wie innerhalb einer gesellschaftlichen Klasse schon die Tätigkeit das Wesen der Menschen bestimmt; wie ein alter Schuster und ein alter Schneider etwa so verschiedene Geschöpfe geworden sind, daß sie auf die meisten Reize verschieden antworten werden; und mache sich dann klar, was es bedeuten muß, wenn eine neue Klasse einen großen Einfluß auf die öffentlichen Geschäfte gewinnt, den sie bis dahin noch nicht hatte: wie ganz andere Aufgaben in den Vordergrund rücken werden, wie man die verschiedenen Zwecke des Staates ganz anders gegeneinander bewerten wird, wie die Gangart der Verwaltung sich ändern muß, und so vieles Andere. Da der Staat schließlich doch die Summe seiner Tätigkeiten ist, so kann man sagen, daß der Staat ein anderer werden wird.
Bis heute war jeder Staat das, was die Sozialdemokraten »Klassenstaat
« nennen, das heißt, eine oder einige Klassen bestimmten im wesentlichen seine Tätigkeit; es ist natürlich, daß diese Klassen ihr Wohl für das Wohl des gesamten Volkes hielten; so weit aber, wie die Sozialdemokratie lehrt, ging das nicht, daß nun der Staat eine eigennützige Vertretung dieser Klassen gewesen wäre, denn so einfach geht es in den gesellschaftlichen Dingen nicht zu; auch die stummen Klassen wußten durch unbewußten Druck Dinge durchzusetzen, die ihnen nötig waren. Nach der sozialdemokratischen Lehre würde der Staat das Klassengepräge verlieren, wenn die unterste Klasse zur Herrschaft käme. Lassen wir dahingestellt, ob das überhaupt dauernd möglich wäre; jedenfalls wäre das etwas Anderes, als der Zustand, zu dem wir heute gelangen, daß nämlich die besitzlosen Arbeiter vom Staat vertreten werden.
Wir wollen hier nur die abgezogenen Fragen untersuchen und uns auf Wünschenswertes oder Bedenkliches nicht einlassen. Was wird der veränderte Zustand ergeben?
Unzweifelhaft war schon vorher der Staat der Schauplatz von Klassenkämpfen; er wird das nun in verstärktem Maße sein, denn die Gegensätze der neuen Klasse zu den alten sind sehr tief. Wir werden also sehr heftige innerpolitische Kämpfe bekommen.
Nun, der Kampf ist der Vater aller Dinge; man muß sich vor dem Kampf nicht fürchten.
Aber es fragt sich, um was gekämpft wird; es handelt sich um viel mehr als um das Ringen der Selbstsucht der verschiedenen Klassen.
Der Landwirt möchte so teuer wie möglich verkaufen, der Arbeiter möchte so billig wie möglich einkaufen. Das Interesse des Landwirts steigt, je mehr er auf den Markt bringt, und dem Rittergutsbesitzer liegt also mehr an hohen Preisen als dem Bauern. Ein solcher Gegensatz ist kennzeichnend für die wirtschaftlichen Kämpfe, die sich auf dem Boden des Staates abspielen; und es ist natürlich das Gesunde, daß sie zu solchem Ergebnis führen, wie dem Machtstande der Klassen angemessen ist.
Jedoch der Staat hat noch Aufgaben, welche von diesen Gegensätzen der Klassen an sich unabhängig sind, doch mit in den Streit hineingerissen werden.
Man denke etwa daran, daß er auch für die Zukunft des Volkes zu sorgen hat. Diese wird sich, wenn sie angebrochen sein wird, wieder durch den Kampf der Klassen gestalten: aber eben deshalb dürfen die einzelnen Klassen nicht jetzt schon einen Einfluß auf ihre Gestaltung haben wollen; denn diese Klassen denken ja eben immer nur an sich und nicht an die Gesamtheit, die erst das Ergebnis des Kampfes ist. Wenn man die Geschichte durchsieht, dann wird man finden, daß hier von allen Völkern, bei welchen der Staat sehr viele gegnerische Klassen zu vertreten hatte, gesündigt ist, indem man schlecht für die Zukunft sorgte: durch Schuldenmachen, durch Erbschaftssteuern und dergleichen. Es ist auch ganz klar, daß eine Klasse, welche ohne Besitz lebt, wenig Verständnis dafür haben wird, daß für das gesamte Volk für die Zukunft Besitz vorhanden sein muß. Ein solches Verständnis hat ja mit den Bedürfnissen nichts zu tun, es kommt aus der ganzen Lebensstimmung; so werden etwa heute alle Behörden, welche Bezugscheine für Kleidungsstücke ausstellen, die Erfahrung machen, daß bei diesen doch völlig gleich gehandhabten Bestimmungen es am schwersten ist, der Arbeiterbevölkerung klarzumachen, um was es sich handelt.
Aber auch noch andere Gebiete, wo der Staat sich betätigt, werden in Mitleidenschaft gezogen, ohne daß Lebensbedingungen der Klassen in Frage stehen. Man denke an die höhere Bildung.
Die höhere Bildung ist für das sinnliche Leben völlig nutzlos. Wenn Klassen im Staat den Ausschlag geben, deren Gesichtskreis durch das sinnliche Leben bedingt ist, so wird der Staat die höhere Bildung weniger befördern.
Wir sehen das in der Tat schon seit einigen Jahrzehnten bei uns, seit die bürgerlichen Klassen einen größeren Einfluß gewonnen haben. Etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die sechziger Jahre, also vielleicht zwei Menschenalter hindurch, war das Beamtentum die eigentlich herrschende Schicht bei uns. Wir brauchen die Zeit durchaus nicht an sich sehr hoch einzuschätzen; jedenfalls hat das Beamtentum eine gewisse Sorge für die höhere, nicht für den Erwerb verwendbare Bildung ausgeübt. Das Beamtentum wurde durch das Unternehmertum abgelöst. Daß die bürgerlichen Gedanken über diese Bildung barbarisch sind, ist wohl klar; und das zeigt sich wohl auch am Rückgang unserer höheren Bildungsanstalten; die Gedanken der Arbeiter werden noch barbarischer sein.
Wenn der Staat sich auf einem Gebiet zurückzieht, dann tritt nach einiger Zeit eine Selbstversorgung der gesellschaftlichen Mächte ein. Umgekehrt, wie – seitdem der Staat sich den, wie man sie vorzugsweise nennt, »sozialen« Aufgaben zuwendet – manches staatlich wurde, was vorher der Vorsorge Einzelner gehörte, wird nun manches dieser Vorsorge anheimfallen, was früher staatlich war. Wir sehen, wie in Amerika, wo der Staat am meisten die bürgerlichen Erwerbsziele befördert, die höhere Wissenschaft durch einzelne reiche Leute gefördert wird durch Stiftungen und Beihilfen, und man hat bei uns ja das Beispiel schon nachgeahmt. Wir sehen auch an den Museumsstiftungen dieselbe Erscheinung für die Kunst. Da das eine notwendige Zeiterscheinung ist, so erscheint sie uns auch als gesund; und wahrscheinlich wäre es für die Kunst wenigstens heute am besten, wenn der Staat sich überhaupt nicht mit ihr befassen wollte. Wir leben inmitten dieser Wandlungen, ohne sie uns ganz klarzumachen und meistens ohne zu bedenken, daß die eine immer in engem Zusammenhang mit der andern steht. Aus letzter Ursache entstehen manche Klagen und manche Schwarzseherei.
Wohin die heutige Menschheit geht, das können wir nicht wissen. Ob wir uns in einer Zeit der Auflösung befinden oder der Neubildung, das kann niemand heute sagen. Daß gerade die Besten unter uns schwere Besorgnisse haben, das wollen wir uns nicht verhehlen. Aber schon oft haben die Unbekümmerten recht gehabt, welche gedankenlos dem Leben folgten, gegenüber den Sorgenvollen: denn der Einzelne kann ja das Leben doch nicht überschauen. Nur müssen wir Eines uns klarmachen: wir stehen in einer Wandlung aller Verhältnisse, welche den Späteren als eine Umwälzung erscheinen wird von einer Gewalt, wie sie bisher noch nie auf der Erde gesehen ist.