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Der Künstler

(1916)

Wir Heutigen fassen Maler, Bildhauer, Tonsetzer und Dichter unter einem Wort als »Künstler« zusammen; zu den Künstlern rechnen wir auch die Schauspieler und ausübenden Musiker, indem wir sie als nachschaffende Künstler von den andern unterscheiden.

Bekanntlich war das nicht zu allen Zeiten so. Etwa in der Blütezeit Athens rechnete man den Bildhauer zu den Handwerkern, und dem Dichter gab man eine sehr viel höhere Stellung, als er jetzt einnimmt. Auch die allgemeine Hochschätzung des Künstlers, die wir heute haben, war nicht immer; es gab Zeiten, wo der Dichter in der allgemeinen Meinung etwa mit dem heutigen Seiltänzer gleichstand.

Verschiedene Auffassungen sind auch heute noch gleichzeitig vorhanden. Der Deutsche sieht den Künstler, bei seinen allgemeinen Betrachtungen

wenigstens, immer mit dem Auge Schillers, der Franzose betrachtet ihn in solchen Fällen weit nüchterner; die wirkliche Wertschätzung hat mit solchen Urteilen ja nichts zu tun, sie richtet sich, wie das nun einmal allgemein menschlich ist, nach dem Geldverdienen. Auch andere Berufe und Stände werden in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern verschieden beurteilt, aber man steht dann immer die gesellschaftlichen Gründe: daß in einem Kaufmannsstaat der Kaufmann und in einem Kriegerstaat der Krieger an erster Stelle steht, ist verständlich aus der geschichtlichen Lage der Stände; bei den Künstlern erklärt sich die verschiedene Wertschätzung und Stellung aus den inneren Gründen ihrer Tätigkeit und ihrer Persönlichkeit. Jedes Kunstwerk ist eine Darstellung und hat einen Gehalt. Die Darstellung ist Sache der Begabung und des Handwerks, der Gehalt ist Sache der Persönlichkeit. Das erste ist das eigentlich Künstlerische, das zweite etwas allgemein Menschliches.

Bedeutende Persönlichkeiten flößen immer Achtung ein, und die Achtung kann sich zur Verehrung steigern. Die Begabung und das Können wird immer als etwas Seltenes und Schwieriges bewundert werden; aber eine solche Bewunderung kann ebensogut einem geschickten Taschenspieler zuteil werden, sie geht auf die Seltenheit und Schwierigkeit, nicht auf den seelischen Wert der Leistung.

Wir sehen hier schon den Grund, weshalb man die nachschaffenden Künstler nicht gern mit den andern ganz zusammennimmt: bei ihrer Leistung hat naturgemäß die Persönlichkeit nur eine geringe Bedeutung, sie ist im wesentlichen Leistung von Begabung und Handwerk. Das Verhältnis wird ganz klar, wenn wir zwei Männer sich gegenüberstellen, die jeder nach einer Seite das Übergewicht haben. Man zählt Klopstock zu unsern großen Dichtern, obwohl er eigentlich nur eine sehr kleine Begabung hatte; aber er war eine große Persönlichkeit: er hatte Leidenschaft, Geist und großen Sinn. Amadeus Hoffmann hatte eine sehr große, in unserem deutschen Schrifttum recht seltene Darstellungsgabe, aber er war keine große Persönlichkeit, und so wird man ihn immer zu den geringeren Dichtern rechnen. Klopstock liest man nicht, und Hoffmann liest man; trotzdem wird auch heute noch Klopstock auf die Manschen wirken und sie über sich erhöhen, denn seine Persönlichkeit wirkt; an Hoffmanns Persönlichkeit aber wird niemand denken, der nicht etwa eine seelenkundliche Neugier hat und das Künstlertemperament als Liebhaber schätzt; seine Werke, die noch durchaus lebendig sind, unterhalten, erfreuen, funkeln und blitzen; aber sie werden nie eine tiefe Wirkung ausüben, eine Wirkung, welche die Menschen verändern würde.

Dadurch, daß man die beiden Dinge zusammenwirft, entstehen große Irrtümer und falsche Wartungen, welche sehr üble Folgen haben können. Es stehen in der Menschheit große Persönlichkeiten auf, welche als Führer zu Höherem angenommen werden; diese Persönlichkeiten bewegen sich in bestimmten Lebenskreisen, es sind die Denker, Propheten, Staatsmänner, Feldherren. Ihnen rechnet man auch die großen Künstler zu, und mit Recht. Aber man rechnet sie nicht zu, weil sie Künstler sind, sondern weil sich in ihnen eine große Persönlichkeit durch Kunstwerke äußert.

Wir sind heute sehr geneigt, die Persönlichkeit in der Wertung der Künstler zu vergessen und damit dem nur Kunstfertigen – der Ausdruck soll nicht herabsetzend sein – einen Einfluß auf die Menschheit zuzugestehen, der ihm nicht gebührt. Es gibt ja in den andern Lebenskreisen ähnliche Erscheinungen. Ein Mann wie Ludwig XI. hatte sicher eine außerordentliche staatsmännische Begabung und Technik: aber niemand würde ihm den Beinamen des Großen geben, den man dem vielleicht nicht so klugen Großen Kurfürsten etwa gibt. Es ist durchaus richtig, daß die Kunst die Menschen bildet; auch die Kunst eines guten Künstlers, der keine große Persönlichkeit ist: sie bildet aber nur Auge oder Ohr oder seelenkundliche Einsicht, und bildet nicht die Seele. Wenn man nun, durch die Unklarheit über Begabung und Persönlichkeit verführt, sich in der Wahl der Lehrer der Menschheit vergreift, so kann es kommen, daß geringe Persönlichkeiten eine Gewalt ausüben, die schädlich ist.

Die Schwierigkeit ist, zu erklären, was man eigentlich als große Persönlichkeit, ja als Persönlichkeit überhaupt auffaßt. Wie kommt es, daß man Tolstoi und Dostojewski etwa als große Persönlichkeiten empfindet und einen Mann wie Flaubert nicht, den man als Künstler nur mit Ehrfurcht betrachten kann? Ganz abgesehen davon, daß die beiden Russen als Künstler durchaus fragwürdig sind, was Flaubert sicher nicht ist: der Gehalt ihrer Werke ist doch auch fragwürdig. Es muß offenbar im letzten Grunde eine Kraft sein, die irgendwie im Religiösen wurzelt, welche uns bestimmt, einem Künstler die Bezeichnung zu gewähren.

Damit sagen wir aber schon, wie schwierig es nun wird, seine Wirkung abzuschätzen. Der Mann, der Amerika entdeckte, der die erste Dampfmaschine baute, der das Gesetz von der Erhaltung der Kraft aufstellte oder den Blutkreislauf fand – sie haben alle etwas tatsächlich Wertvolles geleistet, etwas unzweifelhaft Richtiges gefunden, das man vorher nicht wußte und das den Menschen nützlich ist. Aber wo ist das Wertvolle, das etwa Dostojewski gibt? Und bringt er nicht durch seine Schriften vielleicht etwas ganz Falsches in die Menschheit? Vielleicht schadet er nicht nur, wenn er mißverstanden, sondern auch, wenn er richtig verstanden wird? Dennoch ist er durch seinen Gehalt ein großer Dichter, denn es ist in ihm jene merkwürdige Kraft, von der man eben auch nichts weiter sagen kann, als daß der eine große Persönlichkeit ist, der sie hat, und die man nicht notwendig zu haben braucht, wenn man etwa die erste Dampfmaschine baut.

Ganz schwierig aber wird nun die Sache, wenn wir bedenken, daß bei dem vollkommenen großen Künstler bedeutende Persönlichkeit und bedeutende Begabung und Handwerk vereinigt sein müssen, und uns nun fragen: wie weit hat die Begabung gewisse menschliche Minderwertigkeiten zur Voraussetzung?

Wir brauchen uns durchaus nicht auf den Standpunkt der gewöhnlichen bürgerlichen Moral zu stellen, um am Künstler Bedenkliches zu finden. Die bürgerliche Moral hat den Zweck, die bürgerliche Gesellschaft ohne Reibungen im Gang zu erhalten, und da der Künstler notwendig außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehen muß, so kann man ihn natürlich nicht ihren Gesetzen unterwerfen. Die Moral hat mit diesen Fragen überhaupt nichts zu tun. Ganz allgemein gefaßt: Voraussetzung für den Künstler ist leidenschaftliches Erleben. Das ist aber nur möglich, wenn die sittlichen Widerstände bei ihm gering sind. Wenn etwa Dostojewski den Mord 99 Raskolnikows schildert, soll man vielleicht glauben, er stellt das nur so von außen her dar? Dostojewski war ein Mörder, sonst hätte er den Mord nicht so darstellen können. Er hat keinen Mord begangen; aber wie wenig bedeutet für die Seele das äußere Tun! So abgeschmackt die Lombrososche Lehre ist, einen richtigen Punkt hat sie doch, nur daß die Grenze zwischen Genie, Wahnsinn und Verbrechen woanders liegt, wie er denkt: es kommt eben im Seelischen immer nur auf die Unterschiede an und nicht, wie der Mann glaubt, der mit Statistik und festen Begriffen arbeitet, auf die wirklichen Taten. Wir haben im Evangelium bereits das ausgedrückt: was für den einen ein Mord ist, das ist für den andern schon ein böses Wort. Man kann sagen, daß die künstlerische Begabung zu neun Zehnteln im Temperament steckt; nun, Temperament ist jene Beweglichkeit und Reizbarkeit der Seele, die dem großen, auf ein Ziel gerichteten Willen naturgemäß feindlich sein muß, der doch zum mindesten die Eigenschaft einer großen Persönlichkeit ist.

Wie die großen Künstler diesen inneren Widerspruch ausgeglichen haben, das ist immer die Sache jedes Einzelnen gewesen und wohl sehr schwer von Andern zu verstehen. Wenn nun aber ein großer Künstler die ihm angemessene Wirkung auf sein Volk hat, dann geschieht etwas sehr Merkwürdiges: in der Auffassung der Menschen verschwindet der Widerspruch zwischen Begabung und Persönlichkeit, und die Manschen machen sich von dem großen Künstler ein ganz anderes Bild, als er in Wirklichkeit war.

Es tritt durchaus nicht etwa eine Verfluchung ein. Man kann sich den Vorgang etwa so vorstellen, daß die Menschen die metaphysische Persönlichkeit, wenn der Ausdruck erlaubt ist, ahnen, welche hinter dem geschichtlichen großen Künstler steht, und daß sie in seiner Begabung, die ja nur im Diesseitigen wirkt und wirken kann, die Äußerung dieser jenseitigen Persönlichkeit sehen und alle Mangel der diesseitigen ruhig zur Seite lassen. Es tritt ein Idealisieren ein in dem Sinn, wie unsere klassische Zeit das Wort verstand.

Es ist sehr merkwürdig, wie notwendig dieser Vorgang offenbar sein muß. Unsere Zeit ist doch so sorgfältig in bezug auf alles Wirkliche, schafft mit solcher Mühe die kleinsten Züge und Vorgänge zusammen,

wenn sie ein Bild eines früheren Menschen gestalten will; trotzdem ist etwa bei Goethe von Jahr zu Jahr der Idealisierungsvorgang weiter fortgeschritten, ganz in dem Verhältnis, wie er für unser Volk wichtiger geworden ist.


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