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Monarchie, Republik und Gottesträgertum

(1919)

Die Würde des Königtums besteht in der innigen Verbindung mit Gott. Diese Verbindung wird in den verschiedenen Zeiten der Menschheit verschieden aufgefaßt. Der Grund für diese Verschiedenheit liegt in der sich entwickelnden Vorstellung von Gott, durch welche auch an das andere Glied der Verbindung, an den Menschen, andere Ansprüche gestellt werden. In den barbarischen Zeiten ist der König eine Art Fetisch des Gottes; der Gott ist roh und ohne Sittlichkeit, er ist lediglich eine gefährliche oder nützliche Macht. Denn der Gottesbegriff sich höher entwickelt, dann muß auch der König, der in inniger Beziehung zu Gott steht, eine andere Art von Mensch sein. Der deutsche Kaiser Heinrich, welcher mit dem Ehrennamen des Heiligen geschmückt ist, hatte auf dem Höhepunkt des Mittelalters die Verbindung mit dem Gott, welcher die höchste Vorstellung von Gott war, die im Mittelalter gebildet werden konnte.

Der Gottesbegriff der heutigen Menschheit ist derartig verinnerlicht, daß auch das Letzte von vermenschlichtem Rest in ihm verschwunden ist. Man kann sich vielleicht so ausdrücken, daß für uns Heutige Gott reine Form geworden ist. Wer diesen Gedanken schwer verstehen kann, der denke an die künstlerische Form: die Form der Tragödie oder die Form des Flachbildwerks etwa. Diese reine Form ist in der Wirklichkeit nie vorhanden, in der Wirklichkeit gibt es nur die einzelnen Tragödien oder Flachbildwerke; wir können sie uns vorstellen nur als menschliche Abziehung. Der König, welcher der Welt der Wirklichkeit angehört und dessen Würde in der innigen Verbindung zu Gott besteht, muß so aufgefaßt werden, daß er die innigste Verbindung mit dem hat, was die Menschheit werden soll, denn in der Wirklichkeit ist heute unser Gott, der an sich reine Form ist, das, was wir werden sollen.

Es stellt sich also heraus, daß der heutige König eine ungeheure Aufgabe hat. Wenn sich Menschen fanden, welche sie erfüllen könnten, dann gäbe es nur Monarchien in der Welt. Aber vielleicht hat der Begriff des Königs in seiner Entwicklung heute seinen tragischen Punkt erreicht. Da das Königtum erblich ist, so kann man bei seinem Träger naturgemäß nur auf eine mittelmäßige sittliche Begabung rechnen; vielleicht werden durch die Verhältnisse, unter denen die Fürsten aufwachsen, sogar noch einige Abstriche von dieser Mittelmäßigkeit gemacht. Um die Aufgabe des heutigen Fürsten zu erfüllen, gebrauchte es aber einer bedeutenden sittlichen Persönlichkeit, die sich naturgemäß so selten findet, wie Bedeutung überhaupt selten ist: und das würde denn erklären, daß das Königtum verschwindet und die republikanischen Einrichtungen an seine Stelle treten.

Es kommt dazu, daß die Entstehung der neuzeitlichen Monarchie der Verbindung mit Gott nicht günstig ist. In den alten Zeiten waren Familien da, deren Ursprung sich in der Sage verlor, bei denen von vornherein die Beziehung geglaubt wurde. Von dem vorigen König von Schweden wird eine hübsche Geschichte erzählt. Die heutigen Könige von Schweden sind bekanntlich Nachkommen Bernadottes. Der König saß mit seinen Hofherren nach einer Jagd zusammen, und es kam das Gespräch auf die Familien; da stellte sich heraus, daß die Hofherren alle alten Geschlechtern entsprossen waren und zum großen Teil von Odin abzustammen glaubten. Der König sagte zu seinem Leibarzt, der mit zugegen war: »Kommen Sie, Doktor, wir einfachen Bürgerlichen passen nicht in eine so vornehme Gesellschaft, wir wollen uns allein setzen.« Fast alle Monarchen der Gegenwart waren eines Ursprungs, der irgendwie menschlicher, allzu menschlicher Art war, denn seit es geschriebene Geschichte gibt, kann natürlich nicht mehr der Glaube an einen Gott als Ahn aufkommen; und seit Gott sich immer mehr vergeistigt hat, stört jeder rein menschliche Einschlag in der Vergangenheit der Geschichte. Die Hohenzollern etwa waren groß geworden durch Empörung gegen ihren göttlich gesetzten Oberherrn, den Kaiser; man mag die Tatsache notwendig finden, und es war ja auch ein geschichtlicher Vorgang wie andere, wo eine junge, kräftige Macht eine zerfallene ablöst; aber die Verbindung mit einem ganz geistig gedachten Gott ist in einem solchen Mall doch nur schwer zu glauben. Auf das Glauben aber kommt es an, das heißt, nicht auf ein bewußtes Denken, welches sich sagt, daß es versinnbildlicht.

Die alten Vorstellungen leben noch immer lange Zeit als leere Redensart nach, auch wenn sie nicht bei den verwandelten Umständen einen neuen Inhalt bekommen haben. Wir wissen, daß der frühere deutsche Kaiser sein Gottesgnadentum immer stark betonte und für sich selber an eine enge Verbindung mit Gott glaubte. Das hat nichts bedeutet und wurde allgemein als Romantik und Theater aufgefaßt. Die heutige Vorstellung von der Monarchie kommt auch bei ihren Verfechtern, wenn man von den wenigen Romantikern in der Art des früheren Kaisers absieht, lediglich aus dem Verstande. Man beweist, daß die Monarchie dadurch, daß das Wohl einer Herrscherfamilie dauernd mit dem Wohl des Landes verknüpft ist, eine bessere Staatsform ist als die Republik, wo zufällige und sich ablösende Machthaber voraussichtlich die Vorteile von Klassen, Ständen und Klüngeln vertreten werden.

Wir haben gesehen, daß diese Annahme nicht richtig ist. Wenn einmal eine Gesellschaft erst soweit aufgelöst ist, daß die Monarchie dergestalt verstandesmäßig begründet werden muß, dann hat sie auch nicht mehr ihre feste und selbständige Stütze im ganzen Volk, sondern muß sich, wie jede verstandesmäßig begründete Macht, auf einzelne Klassen oder Klüngel stützen. Weit entfernt, über den Parteien zu stehen, ist sie genau so Ausdruck einer Klassen- und Klüngelherrschaft wie eine republikanische höchste Gewalt, nur mit dem Unterschied, daß diese den seinen Machtverschiebungen der Klassen und Klüngel im Staat viel besser nachgeben kann, so daß bei der Monarchie zu allem noch die Gefahr kommt, daß sie Herrschaft einer eigentlich schon gar nicht mehr herrschaftsfähigen Klasse oder Gruppe bedeutet. Wir haben das bei unserm Zusammenbruch bitter genug erfahren. Denn unser Zusammenbruch, das wollen wir uns nur ja recht klarmachen, kam daher, daß wir von Männern geführt wurden, welche keine einzige der Fähigkeiten hatten, die zur Führung berechtigten, so daß im Augenblick der höchsten Gefahr das Schiff völlig steuerlos war und ein Soldat, welcher gerade zur Hand war, das Ruder in die Hand nehmen mußte und es so führen, wie er als Soldat es nun eben verstand.

Der Einwurf, daß die Staatsgewalt dem Wohl nur eines Teiles des Volkes dient, trifft also nicht nur die republikanische Staatsform, sondern auch die monarchische in Zeiten, wie die jetzigen sind, wo die Gesellschaft nicht einheitlich ist, sondern sich in einander befehdende Klassen aufgelöst hat.

Dieser Zustand der Auflösung der Gesellschaft nun erscheint uns heute als der natürliche, weil wir in ihm leben. Er ist es aber nicht. Es gab andere Zeiten, wo die Gesellschaft sich einheitlich fühlte. Solche Zeiten sind immer Höhepunkte der Menschheit gewesen, denn sie schweben den Vorzüglichsten als ein Leitbild vor, werden durch Kämpfe der Klassen erstrebt, für eine Zeit erreicht, bis dann wieder eine Zersetzung beginnt mit Neubildungen von sich befehdenden Klassen. Das Mittelalter auf seiner Höhe stellte eine solche Zeit vor. Offenbar stehen wir heute in einer Entwicklung zu einer solchen Zeit hin. Wenn es unserm Volk gelingt, durch die furchtbaren Gefahren des Augenblicks zu einer geordneten Verfassung zu kommen, dann werden wir zwar noch nicht die sozialistische Republik haben, aber eine Republik, welche im Begriff ist, sich in eine sozialistische Republik zu verwandeln. Dieses bedeutet, daß es nicht mehr die Herrschaft einer einzelnen Klasse oder gar eines Klüngels geben wird, sondern daß die gesamte Nation verwaltet wird in der Art, wie es für sie als Gesamtheit gut ist. Wie man dann nicht mehr von Herrschaft sprechen kann, kann man auch nicht mehr von Staat im alten Sinn sprechen.

Ist dieser Zustand der Gesellschaft erreicht, dann ist auch wieder die Möglichkeit einer Verbindung des an der Spitze des Volkes stehenden Mannes mit Gott gegeben.

Das alte Deutsche Reich konnte man als eine Republik bezeichnen, in welcher alle Männer wahlberechtigt waren, die es bildeten, zu denen natürlich die Unfreien und Lehensleute nicht gehörten. Der Kaiser war der Präsident der Republik, er wurde auf Lebenszeit gewählt, und es war Regel, daß man seinen Sohn als Nachfolger wählte. Die Vorstellung der Gottesverbundenheit des Kaisers hat sich bei diesem Zustand, der doch nicht allzusehr verschieden von dem heutigen ist, erhalten können; es ist also anzunehmen, daß sie wieder eintreten kann und sich an den Mann knüpfen, den wir ja nun wohl als Präsidenten bezeichnen werden, wenn die Republik immer sozialistischer wird. Wohlgemerkt aber nun: die Vorstellung der Verbundenheit mit einem Gott, welcher den Menschen von heute angemessen ist.

Wer Augen hat, der wird schon jetzt die ersten Anfange dieser zu erwartenden Zustande sehen: schnurrigerweise in der Auffassung, die viele, gerade revolutionäre Männer von unserm Feinde, dem Präsidenten Wilson, haben.

Es handelt sich hier nicht um die Wirklichkeit. Wilson ist der Herrscher eines uns feindlichen Staates. Seine Persönlichkeit kann uns gleichgültig sein, und vernünftigerweise werden wir uns immer sagen, daß er eben unser Feind ist. Aber über die Wirklichkeit hinaus, oder gegen sie, macht sich das seelische Bedürfnis des Volkes geltend: das Volk will einen Mann auf dem Thron haben, an den es als einen Gottesträger glauben kann. In diesem Krieg hat Wilson eine Reihe von moralischen Sätzen geäußert, die vielleicht nicht allzu tief waren und vielleicht auch gewisse praktische Zwecke hatten, welche mit der Sittlichkeit nichts zu tun haben; aber immerhin stehen sie in einer gewissen Nähe zu dem, was für die heutigen Menschen Gott ist. Schließlich weiß man ja auch nicht, wie weit in früheren Zeiten der Monarch nicht Träger des Gottes, sondern nur sein Schauspieler war, und man erinnert sich vielleicht, daß auf der Bühne – es wird wohl auf der Bühne der Welt nicht anders sein – das Messing wie Gold wirkt und der Plüsch wie Samt. Kurz: für viele, selbst im deutschen Volk, ist heute Wilson ein Mann, wie Kaiser Heinrich der Heilige es zu seiner Zeit war.

Der Gang, welchen die Entwicklung nehmen wird, liegt ziemlich klar vor uns: vielleicht ist es dem deutschen Volk beschieden, als erstes an das Ziel zu kommen.


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