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LIV.

Ich fuhr in meinem Bericht fort. In Dr. Gravenhags Ohren muß er wie die ernste und wohldurchdachte Anklage eines Staatsanwaltes geklungen haben. Er hörte aufmerksam zu, oder gab sich den Anschein, es zu tun. Gleichzeitig aber schien er auch auf etwas anderes zu lauschen. Lauschte er auf eine Chance, einen Ausweg?

»Ich bewundere Ihre zielbewußte Arbeit,« fuhr ich fort, »ich glaube, daß in der ganzen Kriminalgeschichte nie ein Mord bester vorbereitet wurde, als dieser. Sie hatten sich vorgenommen, daß der Mord nicht entdeckt werden sollte, und er würde auch wohl für immer verborgen geblieben sein, wenn nicht dieser unvorhergesehene Umstand hinzugekommen wäre, daß ein ganz zufälliger Mensch Ihren Weg kreuzte. Dieser Mensch war ich. Sie haben Pech gehabt, Dr. Gravenhag. Ist es nicht wie das Eingreifen einer höheren Macht, daß gerade ich während dieser schicksalsschweren Tage in Ihre Nähe geriet? Während dieser Tage versuchten Sie der Welt einzubilden, daß Sie geistig ruiniert seien. Mit bewunderungswürdiger Voraussicht spielten Sie eine bestimmte Komödie, so daß die Leute nach der Katastrophe sagen mußten: Jetzt können wir alles verstehen … Dr. Gravenhag hat irgendeinen Schmerz gehabt und hat gewußt, daß sein Leben bedroht war. Darum hat er sich verborgen gehalten. Und heute nacht hat der Mörder ihn gefunden und überwältigt. Ja, ja, ich sehe. Sie lächeln, ein bitteres Lächeln. Damals wußten Sie noch nicht, daß der Rächer Ihnen wirklich auf den Fersen war.

Und jetzt kommen wir zu dem Tage vor dem Morde. Zittern Sie nicht? Schreckt die Erinnerung Sie nicht? Oder betrachten Sie das Ganze wie ein Arzt eine Operation, kalt und gefühllos? Sie hatten beschlossen, daß das Ereignis in der Nacht zwischen dem 15. und 16. Juni eintreffen sollte. Alle Vorbereitungen für Marcus Friis' und Meretens Abreise waren getroffen. Und für Ihre eigene auch. Sie wußten, daß zwei reisen würden. Der Dritte sollte bleiben.

Ueber die Szene in Ihrer Wohnung am Abend des 16. Juni habe ich bereits nachgedacht. War auch Marcus Friis in der Wohnung, während Sie mit Professor Hektor bei einem Glas Whisky plauderten? Der arme Bursche mußte sich ja versteckt halten. Wenn das der Fall war, bewundere ich Ihre Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit, die es Ihnen möglich machte, vor Ihrem alten Freund diese Komödie zu spielen in dem Bewußtsein, daß das unschuldige Opfer im Nebenzimmer wartete.

Ferner habe ich darüber nachgedacht, unter welchem Vorwand Sie Marcus Friis mit in die Wohnung gebracht hatten. Er kannte Sie ja nicht als Dr. Gravenhag, er kannte ja nur den exzentrischen amerikanischen, bärtigen Arzt. Oder hatten vielleicht gar nicht Sie ihn dort hingelockt? War es vielleicht Frau Merete, die zum Beispiel einige Dokumente holen wollte, die sie für ihre Reise brauchte? Aber dies alles sind Nebensächlichkeiten. Es ist gleichgültig, ob er zuerst kam, oder Professor Hektor, es ist gleichgültig, ob Sie oder Frau Merete ihn an jenem letzten Abend in den Tod schickten, sein Schicksal war vorausbestimmt. Die Hauptsache war, daß er Punkt zwölf Uhr Ihnen am Schreibtisch gegenübersaß. Vorher hatten Sie den Abschiedsbrief an Professor Hektor geschrieben, der dadurch, daß er abbrach, beweisen sollte, daß der Mörder Sie plötzlich überfallen hatte. Wenn ich mir die Sache jetzt näher überlege, komme ich zu der Ueberzeugung, daß Marcus Friis unter dem Vorwand in die Wohnung gelockt war, ein Dokument zu unterschreiben, denn es war wichtig, ihn im Schreibtischstuhl zu placieren. Er sollte Sie ja bis ins kleinste verkörpern. So saß er denn dort genau wie Sie selbst gekleidet, vielleicht hatte Ihr eigener Schneider ihm den Anzug geschickt, und bei dem grünen Schein der Schreibtischlampe konnten Sie mit Befriedigung feststellen, daß die Ähnlichkeit mit Ihnen schlagend war, derselbe Körperbau, dasselbe Haar, dieselbe Kopfform, und zudem wußten Sie, daß er das unverkennbare Zeichen besaß, die Narbe in Form des Kreuzes. Ist es nicht ein unheimlicher Zufall, daß gerade dieses Symbol das Entscheidende bei Ihrer Untat war? Ich sehe Sie einige Schritte in das Dunkel des Zimmers gehen und den Revolver mit Ihrem blauseidenen Taschentuch umwickeln. Darauf nähern Sie sich Ihrem Opfer und strecken die Hand aus, um ihm zu zeigen, wo er seinen Namen hinschreiben soll. Dort, sagen Sie, dort … auf diese Weise nähern Sie die Waffe seinem Gesicht, ohne daß er es sieht, und Sie können den Schuß aus nächster Nähe abgeben, was Ihre Absicht ist …«

Als ich in meinem Bericht bis hierher gekommen war, erhob Dr. Gravenhag sich plötzlich vom Stuhl. Auch ich stehe auf. Er geht einige Schritte durchs Zimmer. Ich folge ihm. Es ist wie in einem Duell, wir verfolgen unsere Bewegungen genau.

Plötzlich bleibt er stehen und sieht mich an.

»Sie lügen gut,« sagt er.

»Und Ihre Stimme ist sehr heiser,« antworte ich, »sie klingt, als ob Sie Blut im Halse hätten. Es war Ihr eigener Wunsch zu hören, was ich wußte. Jetzt habe ich einen Teil davon berichtet. Und Sie entgehen mir nicht, bevor Sie den Rest mitangehört haben. Setzen Sie sich.«

Er warf einen unsicheren Blick durchs Zimmer. Es war, als ob er sich die vorteilhafteste Stellung aussuchen wollte. Darauf nahm er wieder am Tische Platz.

»Ich nehme an, daß Sie die Wohnung so schnell wie möglich nach vollbrachter Tat verließen. Nicht einmal der hartgesottenste Verbrecher kann es ertragen, seinem Verbrechen Auge in Auge gegenüberzustehen. Vorher aber nahmen Sie noch die meisterhaften Handlungen vor, die Sie als den hervorragenden Verbrecher kennzeichnen. Sie steckten Ihre eigenen Papiere in die Taschen des Toten. Ebenfalls Ihre Brieftasche, damit es nicht wie ein Raubmord aussehen sollte. Dann gingen Sie auf den Gang hinaus, wo Sie Marcus Friis' und Ihren eigenen Mantel anzogen. Von dem Augenblick an aber, wo Sie aus der Haustür traten, war ich Ihnen auf den Fersen.«


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