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»Sie sind zu feige,« sagte Dr. Gravenhag stolz, »Sie haben Angst.«
Ich lachte.
»Ich könnte Ihnen Dinge aus meinem Leben erzählen, die Sie leicht vom Gegenteil überzeugen würden. Wenn ich feige wäre, stünde ich nicht hier.«
»Meinen Sie,« fragte Dr. Gravenhag, »daß Sie sich waffenlos in dieses Haus begeben haben?«
»Dummheiten begehe ich selten. Niemand hat schneller einen Revolver zur Hand als ich, wenn es darauf ankommt. Wollen Sie es sehen? Es ist eine Art Taschenspielerkunststück.«
Dr. Gravenhag machte eine abwehrende Handbewegung.
»Keine Szenen,« sagte er, »ich bleibe bei meiner Behauptung, daß Ihre Weigerung Feigheit ist. Sie sind vermutlich ein ausgezeichneter Revolverschütze?«
»Hervorragend.«
»Und ein guter Säbelfechter?«
»Glänzend.«
»Dann haben Sie ja alle Karten in der Hand.«
»Ich bin aber kein Arzt,« sagte ich, »und kann die Gifte nicht voneinander unterscheiden.«
Ich sah, daß ich ihn beleidigt hatte, und daß er zusammenzuckte. Ich fuhr fort:
»Wir sind beide ehrlos im bürgerlichen Sinne. Wenn wir uns schlagen wollen, haben wir darum nur den Wunsch, uns aus der Welt zu schaffen. Wollen Sie das leugnen?«
»Nein, ich könnte alles tun, um Sie zu töten.«
»Und ich sage dasselbe. Warum also alle diese Anstalten mit Sekundanten und der ganzen Feierlichkeit? Bringen Sie mich doch ohne weiteres um. Ich werde es auch bei Ihnen versuchen. Das ist auch eine Art Duell, und noch dazu ein viel vornehmeres, würdig Leuten unseres Kalibers. Was hat es für einen Zweck, sich mit offenem Visier gegenüberzustehen und aufeinander loszuschlagen, das kann jeder dumme Leutnant auch. Nein, das richtige Duell ist, wenn wir einander überlisten. Sie möchten mich töten, und ich Sie. Gut. Keiner von uns aber will die Polizei in die Sache verwickeln. Darum müssen wir so schlau zu Werke gehen, daß der Täter nicht entdeckt wird. Das nenne ich ein Duell, wo auch der Verstand mitzusprechen hat.«
»Meuchelmord,« murmelte Gravenhag.
»Schön, fordern wir uns auf Meuchelmord heraus. Wir kämpfen auf Leben und Tod, dieser Kampf ist stets berechtigt.«
»Ich bin bereits auf meiner Hut,« sagte Dr. Gravenhag.
»Seit wann?«
»Seit ich Sie gestern abend zum erstenmal traf.«
»Seien Sie auch auf Ihrer Hut,« sagte Frau Merete sanft.
Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, ich könnte schwören, daß in ihrem sanften Ton etwas wie eine eindringliche Warnung lag. Später habe ich noch oft über diese Situation nachgedacht und bin meiner Sache fast sicher geworden. Sie hatte plötzlich Angst bekommen, wie sie dort stand und ihren schönen Körper gegen den hohen Stuhl lehnte, Angst, daß sich etwas ereignen könnte – und diese Angst teilte sich mir auf geheimnisvolle Weise mit, es war, als ob ihr stiller Warnungsruf mir ins Herz drang. Seien Sie auf Ihrer Hut, mein Gehirn hielt ihre Worte eigensinnig fest, ich stutzte und fühlte mich einen Augenblick ratlos. Und in dieser Ratlosigkeit fühlte ich nichts anderes als die starke Nachmittagsbeleuchtung, die durch die dünne Gardine drang und meinen Hinterkopf und meinen Nacken wie mit einem mystischen Fluidum umgab. Und plötzlich wurde mir bewußt, daß in diesem Schein die Gefahr lag, plötzlich wurde mir eisigkalt – und ich wich unwillkürlich zur Seite und duckte mich in den Schatten.
Ich bin überzeugt, daß die Kugel in demselben Augenblick, als ich das eisige Gefühl im Nacken hatte, abgeschossen wurde. Hätte ich nur eine Sekunde gezaudert, wäre ich getroffen worden. Ich hörte die Kugel an meinem Ohr vorbeipfeifen – und mit furchtbarem Gepolter stürzte eine der griechischen Vasen zur Erde und zerbrach in tausend Stücke, während sich in der Wand dahinter plötzlich ein tiefes Loch zeigte, von dem Risse wie Sterne ausstrahlten.
Nach dem Lärm trat tiefe Stille ein, und ich zog mich noch tiefer in den Schatten zurück. Ich versichere, daß ich in jenem Augenblick weniger erschüttert war über die überstandene Todesgefahr als über das Echo, das ich noch von Frau Meretens stummem Warnungsruf in meinem Herzen spürte. Eine Stimmung von Ausgelassenheit kam über mich.
»Sie haben Pech heute,« sagte ich, »vorhin ein geschliffenes Kristallglas und jetzt diese griechische Vase. Wahrscheinlich aber ist sie nicht echt.«
Keiner antwortete. Ich fuhr fort:
»Jetzt verstehe ich Ihr geheimnisvolles In-die-Ferne-schauen, Frau Merete. Ich glaubte, es sei mystische Träumerei, und dabei war es nur ein Signal für die da drüben auf der anderen Seite der Straße. Kam der Schuß von dem Balkon mit den vielen Kindern? Es schien ein Meisterschuß zu sein. Das Duell hat also begonnen, doch dünkt mich, daß viele gegen einen sind. Na, ja, alles soll ja erlaubt sein.«