Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVII.

Meistens mache ich solche Sensation zu meinem eigenen Vergnügen, es macht mir Spaß, mein Opfer vor Schreck erlahmen zu sehen, sein Entsetzen rieselt mir angenehm über den Rücken. In diesem Fall aber handelte ich in einer blitzschnellen Eingebung von Notwehr. Nur auf diese Weise konnte ich sie einschüchtern, im nächsten Augenblick würden ihre Worte mich vor der Gesellschaft bloßgestellt haben. Und sie ließ sich einschüchtern.

Zum erstenmal bewunderte ich Frau Merete ohne Vorbehalt. Sie bewies eine Kaltblütigkeit, wie ich sie einer Frau nie zugetraut hätte. Sie richtete ihre schönen Augen auf mich, diese winterkalten Augensterne. Ich konnte in ihrem Blick wie in einem offenen Buch, lesen. Sie hatte das Signal, daß sie sich nicht übereilen solle, sofort verstanden. Die Worte, die sie bereits auf der Zunge hatte, erstarrten. Darauf verrieten ihre Augen die hastige Frage: Wer ist er und was weiß er? Ich meinte zu verstehen, daß sie mich wiedererkannte. Stieg in der Tiefe ihrer Erinnerung vielleicht die Mittagstafel in der Pension auf, wenn ihr Blick bisweilen vollständig uninteressiert über mein Gesicht geglitten war? Oder erinnerte sie sich aus dem Garten in Gentofte eines langhaarigen Künstlers mit einem Malkasten über der Schulter? Mittlerweile zählte ich mein Geld. Ich hatte viel gewonnen. Da sagte sie:

»Das ist ein häßlicher Scherz von Ihnen, mein Herr. Warum erinnern Sie mich auf so rohe Weise an jene traurige Geschichte?«

Sie will Zeit gewinnen, dachte ich, darum greift sie mich an.

»Erinnern Sie sich meiner?« fragte ich.

»Ich weiß nicht.«

»Aus der Pension in Kopenhagen.«

»Jetzt erinnere ich mich.«

»Auch später sind wir uns begegnet.«

»Wo denn?«

»Im Garten der Villa Lindenhof.«

Wieder bekam ich einen kalten, forschenden Blick. Plötzlich schob sie die Spielmarken zurück und sagte mit einem unverkennbaren Ton von Gereiztheit in der Stimme:

»Das Spiel langweilt mich.«

»Mich auch,« antwortete ich.

Die anderen am Tische waren ganz in das Spiel vertieft und beachteten uns nicht.

»Und dennoch«, sagte ich zu ihr, »haben Sie mehr Talent für dieses Spiel als für ein anderes.«

»Welches?«

»Klavierspiel,« antwortete ich, »Irmelin Rose, himmlische, Güte!«

Sie blickte sich hastig um. Durch eine Flucht von Zimmern sah man ganz im Hintergründe einen kleinen eleganten Billardsalon, wo einige Personen gerade die Queues niederlegten. Von weitem hörte man gedämpfte Tanzmusik und fröhliche Stimmen.

Plötzlich sagte Frau Merete zu mir, auf deutsch:

»Lieber Freund, Sie haben mir Revanche versprochen, damals im Hotel d'Angleterre, wissen Sie nicht mehr?«

»Ja, ganz richtig, Sie sind eine ausgezeichnete Billardspielerin.«

Warum spricht sie deutsch, dachte ich bei mir. Da hörte ich ein Geräusch hinter mir, es war der Offizier, der ungeduldig wartete. Aha, darum.

»Ich muß mir etwas Bewegung machen,« sagte Frau Merete, »ach, lieber Herr Hauptmann,« fuhr sie an ihren Kavalier gewandt fort, »melden Sie uns für eine Partie Billard an.«

Der Offizier schlug die Hacken zusammen und lachte ein wenig gezwungen. »Wie Euer Gnaden befehlen,« sagte er und begab sich ins Billardzimmer, um das Billard zu belegen. Wir standen vom Spieltisch auf und traten etwas beiseite. Frau Merete blickte dem hübschen, schlanken Offizier nach, der sich hastig entfernte. Darauf musterte sie mich.

»Sind Sie Offizier?« fragte sie hastig.

Ich lachte. Denn ich durchschaute sie.

»Nein,« antwortete ich.

»Was sind Sie denn?« fragte sie von neuem und sehr ungeduldig.

Ich zeigte auf die Karten.

»Das haben Sie ja selbst gesehen,« antwortete ich, indem ich ihr den Arm bot.

»Falschspieler,« sagte sie gereizt, »ja, ich habe es gesehen. Führen Sie mich ins Billardzimmer.«

Auf dem Wege dorthin sagte ich zu ihr:

»Ihnen wäre es lieber, ich wäre Offizier, nicht wahr?«

»Warum?«

Ich zeigte auf den Offizier:

»Damit Sie mich mit dessen Hilfe aus der Welt schaffen könnten.«

»Ja,« sagte sie.

»Sie können aber unmöglich einen Offizier dazu bewegen, sich mit einem Falschspieler zu schlagen.«

Wir begannen die Billardpartie. Da der Offizier hörte, daß wir uns in skandinavischer Sprache unterhielten, und sie gar keine Notiz von ihm nahm, zog er sich zurück. Er unterhielt sich im Nebenzimmer mit einigen Herren, behielt uns aber durch die Glastüren die ganze Zeit im Auge. Der arme Junge war eifersüchtig. Das Monokel fiel ihm unausgesetzt aus dem Auge.

Frau Merete spielte überraschend gut, elegant, fast lautlos, wie Billard bei den großen Wettspielen in Paris gespielt wird. Es war, als ob die Kugeln nicht zusammenstießen, sondern mit musikalischem Klang gegeneinanderfielen und sich darauf wie von unsichtbaren Fäden gesteuert über das grüne Tuch verteilten.

»Sie spielen heute ausgezeichnet, Frau Merete,« sagte ich, »haben Sie sich vielleicht in der Zwischenzeit geübt? Dann haben Sie sich gelangweilt, und wenn Sie sich langweilen, sind Sie gefährlich.«

Sie spielte, ohne zu antworten. Jetzt hatte sie einen sehr schwierigen Stoß zu machen, der große Geschicklichkeit und Berechnung erforderte.

»Glauben Sie wirklich, daß Sie den Stoß machen können?« fragte ich.

Sie nickte und zielte. Was sie für eine schöne und weiße Hand hatte.

»Ich wette, daß Sie nicht treffen,« sagte ich.

Darauf beugte ich mich zu ihr nieder und flüsterte:

»Mörderin!«

Ihre Finger zuckten nicht. Sie stieß und traf die Kugel.


 << zurück weiter >>