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II.

Marcus Friis-Brockenberg oder, wie er gewöhnlich genannt wurde, Baron Marcus Friis war ein Typ, wie man ihn nicht selten in alten Kulturländern trifft, wo zahlreiche Adelsgeschlechter wohnen, deren Reichtümer eingegangen oder in wenigen Familien vereinigt sind. Als Folge davon gibt es viele verarmte Adlige, die ihren Unterhalt durch einen bescheidenen bürgerlichen Beruf verdienen. Sie übernehmen gern eine Arbeit, die den Eindruck macht, als gehöre sie zum Staatsorganismus, und die für knappen Lohn nicht zu viel Arbeit verlangt. Baron Friis gehörte dem Postwesen an und sein Gehalt war sicher so gering, daß nach Abzug der Pensionskosten nicht viel für den Adelsmann übrigblieb.

Er war zwischen Dreißig und Vierzig und hatte eine gewinnende Art, seine ganze Persönlichkeit aber war auffallend unbedeutend. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die man unmöglich beschreiben kann, weil es ihnen an Anhaltspunkten dazu fehlt. Man erinnert sich ihrer nur auf Grund ihrer angenehmen Manieren und ihrer liebenswürdigen Augen. Schon oft habe ich mir ein ähnliches Aeußere gewünscht, das jedes Erkennungszeichen entbehrt, es wäre mir bei meinen Experimenten sehr nützlich gewesen. Leider aber muß ich bekennen, daß ich ein stark persönliches Wesen besitze, mit ausgeprägten Zügen, die gleich ins Auge fallen.

Man brauchte kein scharfer Beobachter zu sein, um festzustellen, daß Marcus Friis bis über beide Ohren in Frau Dr. Gravenhag verliebt war. So hieß die geschiedene Frau, die neben ihm saß. Vielleicht ist es richtiger, wenn man sagt, daß die meisten Herren am Tische in sie verliebt waren, denn keiner konnte ihrer Schönheit widerstehen; Marcus Friis aber war tödlich getroffen. Man sah es an der nervösen Art, mit der er die ganze Zeit ihre Aufmerksamkeit zu fesseln und die Kurmacherei der übrigen auf andere Spuren zu lenken versuchte.

Der sonst so klatschsüchtigen Stadt war es nicht gelungen, der Ehescheidung von Herrn und Frau Dr. Gravenhag einen Skandal anzuhängen. Es war eine jener typischen Ehen der guten Gesellschaft, bei der eigentlich nichts Entscheidendes passiert, das Zusammenleben gefriert nur, sozusagen, bis es auseinanderkracht und die Eheleute mit Ueberdruß und vor Kälte zitternd auseinandergehen. Frau Merete hatte diese mondäne Pension aufgesucht, weil deren Mischung von Boheme und Bourgeoisie ihrem Temperament zusagte. Solche Pension ist immer voller Möglichkeiten, dort spielen sich stets seltsame Schicksale ab, und ein kleiner Skandal oder eine kleine Tragödie sind an der Tagesordnung.

Denn Merete Gravenhag gehörte zu den Frauen, die nach Tragödien dursten. Aus ihrer kühlen Eleganz, ihrem trägen und gleichgültigen Wesen, aus ihrer ganzen abweisenden Schönheit, vor allem aber aus der kalten Arroganz ihrer Augen leuchtet der Hunger nach Sensation. Katastrophen sind auf die Dauer das einzige, das die Intelligenz solcher Frauen befriedigen kann. Treffen keine ein, verschmachten sie vor Langeweile, und verfallen dem Morphium oder dem Patiencespiel. Schließlich pflegen sie sich mit ihrem Selbstmord zu befriedigen. Sie werden viel geliebt, lieben aber nie und hassen Kinder. Wie deutlich las man in Frau Meretens Augen das Bewußtsein, daß sie den Baron bereits mit Haut und Haaren besaß. Man sah es an dem verächtlichen, abweisenden lieblosen Seitenblick, der sicher auf den Unglücklichen wirkte, als ob eine Stahlklinge mitten durch ihn hindurchginge. Ihr ermunterndes Spiel mit den anderen Herren am Tische ließ indessen ahnen, daß sie ihrer noch nicht ganz sicher sei.

So war die Situation Anfang Mai. Es fiel mir nicht ein, in die Ereignisse einzugreifen, ich folgte ihnen nur wie ein interessierter Zuschauer. Im Grunde aber war es eine langweilige und tote Periode, in den Zeitungen nichts als die ungenießbaren politischen Nachrichten, und der Frühling ging seinen Gang – die Schönheiten der Natur aber haben nie Anziehung für mich gehabt. Als ich mich darum schließlich doch in die Sache mischte, geschah es hauptsächlich aus Langeweile. Dazu kam allerdings noch, daß ein Moment eintrat, das, wie ich mich ausdrücken möchte, zu meinem Fach gehörte. Ich entschloß mich zum Zeitvertreib ein wenig wieder mit Menschenschicksalen zu spielen, um für die größeren Aufgaben, die mich erwarteten, nicht aus der Uebung zu kommen.

Wie bedeutungslos das Ganze für mich war, wird man begreifen, wenn ich sage, daß es sich anfangs nur um einen Postdiebstahl oder eine Betrügerei einfachster Art zu handeln schien. Doch sollten andere und merkwürdigere Dinge eintreffen. Wie gesagt, Baron Friis war bei der Post angestellt. Als ich entdeckte, daß seine Geldsachen nicht ganz in Ordnung waren, studierte ich seine Verhältnisse näher. Zuerst untersuchte ich seine Familienverhältnisse und erfuhr, daß er mit dem Hauptzweig der Familie nur ganz entfernt verwandt sei, also auf Hilfe von dort nicht rechnen konnte. Das Geschlecht der Friis-Brockenberg gehört überhaupt zu den unbemitteltsten des Landes. Wenn eine Unterschlagung entdeckt würde, blieb Marcus Friis nichts anderes übrig, als so unbemerkt wie möglich ins Loch zu kriechen.

Was hatte sich also ereignet? In dem Verhältnis zwischen Frau Merete und Baron Marcus war eine Veränderung eingetreten. Oder richtiger gesagt: es war ein Verhältnis geworden. Frau Merete behandelte Marcus Friis plötzlich ganz anders. Sie zeigte ihm nicht mehr diese unbeschreibliche Kälte, sie war offenbar ganz still in sein Leben, in sein Schicksal hineingeglitten, und Marcus Friis hatte mehr Sicherheit, mehr Form bekommen. Die Sache hatte sich mit großer Diskretion entwickelt, die Veränderung aber konnte auf die Dauer den Augen der Pensionäre nicht verborgen bleiben. Vor einer Tatsache zogen die anderen Ritter sich taktvoll zurück.

Während das Interesse der anderen erlahmt war, war das meine gewachsen. Ich witterte Aas, mein Instinkt war geweckt. Die Sache fing mit Mahlzeiten in teuren Restaurants und Autofahrten nach Nachbarstädten an. Dabei aber blieb es nicht. Marcus Friis streute Geld mit der Großartigkeit eines Edelmannes aus. Da dachte ich von ihr: Sie sind nicht sehr wählerisch, schöne Frau! Ist es wirklich ein Erlebnis für Sie, stolze und schöne Dame der Bourgeoisie, diesen kleinen Postsekretär zur Verzweiflung zu bringen? Wenn die Kassenunterschlagungen nun an den Tag kommen und die Geschichte mit Gefängnis oder einem Schuß endigt – ist das dann wirklich eine Befriedigung für Ihren Hunger nach Sensation? Fehlt dann nicht gerade jener Nimbus von Unheimlichkeit, der den Hauptbestandteil einer Sensation bildet?

Das Ganze paßte so wenig zu Frau Meretens kaltem Verstand, daß ich argwöhnte, es läge etwas anderes dahinter.

Und als ich dann eines Nachmittags einige Worte mit Marcus Friis im Rauchzimmer wechselte, ging mir eine Ahnung auf, daß sich hinter den Masken eine wirkliche Tragödie verbarg. Ich sah sein Gesicht im Sonnenschein, der durchs Fenster fiel, und in dieser scharfen Beleuchtung, in der jeder Zug klar zutage trat, durchschaute ich ihn.


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