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Während der folgenden Stunden beobachtete ich, daß Frau Merete in voller Tätigkeit war. Sie tanzte und flirtete nicht nur mit ihrem Hauptmann, sondern auch mit einigen Herren in Zivil. Sie konnten ebensogut Attachés wie Taschendiebe sein, denn der Frack und das Monokel sind ja eine Verkleidung, eine Uniform, die alle Individuen unter einer Maske verbergen. Ich sah wohl, daß ihre Unterhaltung sich hauptsächlich um mich drehte. Sie wollte in Erfahrung bringen, wer ich sei. Ich konnte es an den verstohlenen, forschenden Blicken sehen, die man mir sandte. Ich bemerkte unter anderem, daß einer ihrer zivilgekleideten Kavaliere eine Unterredung mit Baron Auffenbach hatte, dem österreichischen Edelmann, der mich im »Circolo« eingeführt hatte, einem älteren, aber noch eleganten Herrn aus vornehmer Familie. Das beruhigte mich, denn jetzt wußte ich, daß ihr Kavalier einen unzweideutigen Bescheid bekommen würde: daß ich der schwedische Gutsbesitzer Albert von Wrede sei, reich, am schwedischen Hofe sehr beliebt, Frauen-, Wein- und Pferdekenner. Es verhielt sich nämlich so, daß Baron Auffenbach von der vornehmen österreichischen Familie und ich einst während einer Saison in Ostende zusammen gearbeitet hatten. Wir hatten es damals hauptsächlich auf eine englische Landadelsfamilie und einen Boten des Crédit Lyonnais abgesehen. Baron Auffenbach war jetzt zu alt und zu steif in den Fingern für solche geschickten kleinen Operationen, andererseits aber gab ihm diese Steifheit ein noch vornehmeres Ansehen, es war, als ob seine Knochen von alten Ahnen knackten. Zur Zeit hatte er eine leichte und anspruchslose Beschäftigung, indem er älteren heiratslustigen und reichen jüdischen Damen den Hof machte und sie anpumpte.
Während ich durch die Salons schlenderte, beobachtete ich die Gesellschaft näher. Was unruhige Zeiten für seltsame Menschentypen zusammenwürfeln! Hier gab es Mitglieder der Gesandtschaften, verkleidete Detektive, Gutsbesitzer, die zur Stadt gekommen waren, um Neuigkeiten zu erfahren und sich zu amüsieren, Spekulanten des bekannten frechen Typs, die sich immer mehr breit machten, hier gab es Offiziere, Diplomaten, Taschendiebe, Falschspieler, nicht nur deutsche, sondern auch ausländische. Die Typen waren dieselben, wie man sie in der Hochsaison in den Badeorten sieht, wo gespielt wird; in den Gesichtern las man dieselbe Wut über Verluste, dieselbe nervöse Verwirrung über unerwartetes Glück. Und mitten in dem Gewimmel, das durch die Anwesenheit vieler schöner Damen Glanz und Leben bekam, konnte man auf ruhige, beobachtende Physiognomien stoßen – Verbrecher oder Polizeispione. Ich wußte nicht, wie groß Frau Meretens Bekanntschaften zwischen diesen Leuten waren, doch wollte ich auf dem Nachhausewege auf alle Fälle vorsichtig sein. Ich hatte keine Lust, etwas durch Leichtsinn zu riskieren. Es war eine regnerische und dunkle Nacht, und ich hatte einen weiten Weg zu meinem Hotel. Darum entschloß ich mich, den Klub »Circolo« zu verlassen, solange ich noch Aussicht hatte, ein Auto zu bekommen.
In der Halle kam Baron Auffenbach wie zufällig auf mich zu. Ich steckte die Hand in die Tasche. Wir Kollegen haben immer einen merkwürdigen Instinkt füreinander.
»Bob,« sagte er, »man beobachtet dich, halte die Augen offen, alter Ziegenbock.«
»Solche Ausdrücke passen sich nicht für einen Adelsmann der alten Schule,« antwortete ich.
»Ah, bah, ich habe eine großartige Auskunft über dich gegeben, aber sei trotzdem auf der Hut. Hast du etwas Neues auf der Pfanne? Brauchst du vielleicht einen klugen Rat und eine sichere Hand?«
»Nein, danke,« antwortete ich.
»Du hast viel gewonnen, Bob, ich glaube, eine recht bedeutende Summe.«
Ich zog die Hand aus der Tasche und reichte sie ihm. Er drückte sie warm und mit einer verbindlichen Geste. Einige Scheine raschelten dabei.
»Wie geht's mit der kleinen Jüdin?« fragte ich.
»Puh,« sagte er und schüttelte sich, »sie ist so geizig wie ein Rabe. Man wird alt. Ich wünschte, ich fände eine, die etwas leichter auszupumpen wäre.«
Und das alles sagte er mit einer Miene, als ob er nach dem Befinden meiner hochadligen Frau Großmutter fragte. Er fügte noch hinzu:
»Soll ich vielleicht noch etwas von einem schwedischen Prinzen verlauten lassen, der zu deinem intimen Umgangskreis gehört?«
»Ist nicht nötig,« antwortete ich abwehrend, »vorläufig tut der Gutsbesitzer aus Schweden seine Schuldigkeit.«
Damit empfahl ich mich.
Draußen glänzten die Straßen regennaß, und spärliche Laternen leuchteten durch den Nebel. Droschken rollten vorbei, mit nassen Menschen unter der Kalesche, keine ledigen Autos, es war eine traurige Sommernacht. Ich blieb unter dem Schutzdach stehen, den Rücken gegen die Mauer, und wartete. Und der Zufall war mir günstig. Ein Auto kam langsam herangefahren und hielt vor dem Hause. Ein Herr stieg aus, schlug den Kragen über die Ohren und begann mit dem Chauffeur zu unterhandeln. Ich machte diesem ein Zeichen zu, daß ich mit ihm fahren wolle, und näherte mich dem Auto. Auf dem Fußsteig stieß ich auf den Herrn, der ausgestiegen war. Er wollte in den Klub, war im Frack und Zylinder und ging etwas vornübergebeugt. Der Schein der Laterne fiel geradeswegs auf sein Gesicht. Ich zuckte zusammen und stellte mich ihm in den Weg.
»Ihre Frau erwartet Sie, Herr Dr. Gravenhag,« sagte ich.
Er beugte hastig den Kopf und starrte mich an. Ich habe nie solchen versteinerten Blick und solche Blässe gesehen, vielleicht aber lag es an dem Licht der Laterne, das durch bläuliches Glas fiel. Als er nicht antwortete, fuhr ich fort:
»Sie haben sich verändert, aber nicht genug. Und Sie sind älter geworden.«