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Neunzehntes Kapitel.

Julie.
O, liebt ihn, gute Dame!
Ihr habt 'nen redlichen und edlen Herrn.
So habe ich ihn stets gefunden. Liebt ihn
Nicht weniger als ich gethan, und dient ihm.
Der Himmel segne Euch – Ihr meine Asche.

Die Doppelhochzeit.

Wir haben Fanny zu lange aus den Augen gelassen. Es ist Zeit, zu ihr zurückzukehren. Das Entzücken, welches sie empfand, als Philipp sie von all' den Wohlthaten und Segnungen unterrichtete, die ihr Muth und ihr Verstand ihm gewährt – die Wonne, womit sie, als sie an jenem verhängnißvollen Morgen ihrer Befreiung an seiner Seite nach H* zurückkehrte, wo er ihre Hand in der seinen hielt und häufig an seine dankbaren Lippen drückte, sein Lob, seinen Dank, seine Besorgniß wegen ihrer Sicherheit, seine Freude, sie gerettet zu haben, anhörte – Alles dieß war eine Seligkeit, die sie bisher von dem Leben nicht erwartet hatte. Und als er sie in H* verließ, um mit dem aufgefundenen Dokument zu seinem Advokaten zu eilen, war er nur eine Stunde abwesend. Er kehrte zurück und verließ sie in mehreren Tagen nicht. Und während dieser Zeit bemerkte er ihre erstaunenswerthe und für ihn wunderbare Zunahme in allen Dingen, die den Geist dem Geiste gleich machen – wunderbar, denn er ahnte nicht den Einfluß, der so leicht Wunder hervorbringt. Und jetzt hörte er ihr aufmerksam zu, wenn sie sich mit ihm unterredete – er las mit ihr, obgleich das Lesen nicht eben seine Beschäftigung war – sein nicht allzu wählerisches Ohr wurde von ihrer Stimme entzückt, wenn sie jene einfachen Lieder sang – und sein Benehmen gegen sie, welches zugleich durch Dankbarkeit wegen des ausgezeichneten Dienstes, den sie ihm geleistet, so wie auch durch die Entdeckung bestimmt wurde, daß Fanny nicht mehr, weder an Geist, noch an Jahren ein Kind sei, war, wenn gleich nicht weniger milde als früher, doch weniger vertraut, weniger vornehm, respektvoller und ernster. Es war eine Veränderung, die sie in ihrer Selbstachtung erhob. Ach, dieß waren rosige Tage für Fanny!

Ein weniger scharfsichtiger Beurtheiler von Charakteren, als Lilburne, würde vielleicht Zweifel wegen Philipps Interesse für Fanny gehegt haben. Doch er begriff sogleich die brüderliche Theilnahme, die ein Mann, wie Philipp, sehr wohl für ein Geschöpf, wie Fanny, empfinden konnte, wenn es seiner Sorgfalt von einem Beschützer anvertraut worden, der ein so schreckliches Ende genommen, wie Wilhelm Gawtrey. Lilburne dachte Anfangs daran, sie zurückzufordern, doch, da er nicht die Macht hatte, sie zu zwingen, bei ihm zu wohnen, so wollte er nach weiterer Ueberlegung nicht wieder mit Philipp auf so gefährlichem Boden in Berührung kommen, der so voll von demüthigenden Erinnerungen war, und wo ihm die Bilder Gawtrey's und Mariens beständig entgegentraten. Er begnügte sich damit, einen künstlichen Brief an Simon zu schreiben, worin er angab, daß er aus Fanny's Aufenthalt bei Herrn Gawtrey und aus ihrer Aehnlichkeit mit ihrer Mutter, die er nur als Kind gesehen, ihre Verwandtschaft mit ihm selbst geschlossen, und da er noch anderes Zeugniß darüber erhalten – er sagte nicht, worin dasselbe bestanden – so habe er kein Bedenken getragen, sie in sein Haus zu bringen, indem er Herrn Simon Gawtrey am nächsten Tage Alles habe erklären wollen. – Diesem Briefe war ein anderer von einem Advokaten beigefügt, worin Simon Gawtrey mitgetheilt wurde, daß Lord Lilburne ihm jährlich 200 Pfund in vierteljährlichen Raten auszahlen lassen wolle; auch habe er Auftrag, hinzuzufügen, daß die junge Dame, die er so wohlwollend erzogen, wenn sie volljährig werde, oder sich verheirathe, eine gleiche Versorgung erhalten solle. Als diese letzte Nachricht ihm vorgelesen wurde, erwachte Simon aus seinem Stumpfsinn, obgleich er nicht begriff und auch nicht zu wissen verlangte, warum Lord Lilburne so großmüthig war, noch auch, was sein Brief an ihn eigentlich zu bedeuten habe. Zwei Tage lang war sein Geist wieder lebhaft, als er aber die erste Vorauszahlung in Händen hatte, schien ihn die Berührung des Geldes wieder in seinen Stumpfsinn zurückzuversetzen – die Aufregung des Wunsches erstarb in dem Gefühle des Besitzes.

Und gerade um diese Zeit ging auch Fanny's Glück zu Ende. Philipp erhielt Arthur Beaufort's Brief, und dann erfolgten lange und häufige Abwesenheiten. Wenn er je auf eine Stunde zurückkehrte, so sprach er nur von Kummer und Tod; die Bücher waren geschlossen und die Lieder verstummt. Alle Furcht wegen Fanny's Sicherheit war natürlich vorüber – sie hatte nicht mehr nöthig, für ihren Unterhalt zu arbeiten – ihr kleiner Haushalt hatte sich vergrößert. Sie ging niemals ohne Sarah aus; doch hätte sie es lieber gesehen, wenn ihr irgend eine Gefahr gedroht hätte, damit er sie hätte schützen können, oder irgend eine Bekümmerniß, die sein Lächeln gemildert. Seine langen Abwesenheiten wurden ihr schmerzlich – die Bücher hörten auf, sie zu interessiren – kein Studium füllte die öde Leere aus – ihr Schritt wurde nachlässig – ihre Wange blaß – sie bemerkte endlich, daß seine Gegenwart zu ihrem Leben nothwendig geworden war. Eines Tages kam er früher als gewöhnlich nach Hause, und sein Gesicht zeigte einen glücklicheren und heitereren Ausdruck, als in der letzten Zeit. Simon schlummerte auf seinem Stuhle, und sein Hund, der jetzt kaum noch so viel Kraft hatte, zu bellen, lag gekrümmt zu seinen Füßen. Weder der Mann, noch der Hund bemerkten mehr, was um sie her vorging, als der lederne Stuhl oder der Herd, worauf sie ruhten.

Fanny's seltsames Loos hatte ein Interesse an sich, welches ich dem Leser nicht hinlänglich erklären kann. Dieß war ihr Verhältniß zu dem Greise und ihr Aufenthalt bei ihm. Ihr Charakter bildete sich erst, der seine war gänzlich verschwunden – hier füllte sich das leere Blatt – dort erlosch die Schrift auf dem Blatte. Der lebendige Tod Simons – der freilich einen mächtigen Eindruck hervorbringt, wenn man Zeuge desselben ist, macht es unmöglich, ihn in seinem ausdrucksvollen Contraste zu der jungen Psyche darzustellen. Er sprach selten – oft nicht von Morgen bis zum Abend – und regte sich selten. Es ist vergebens, das Unbeschreibliche beschreiben zu wollen – der Leser wolle sich das Bild selber ausmalen. Und wenn er zuweilen die Idee heraufbeschwört, die er mit dem Namen unserer Heldin verbindet (was er zuweilen thun wird, wie ich denke, wenn er das Buch geschlossen hat), so mag er in ihrer Nähe, wenn sie durch das bescheidene Zimmer dahinschwebt – wenn sie der Stimme des Geliebten horcht – wenn sie nachdenkend am Fenster sitzt, von wo der Kirchthurm gerade sichtbar ist – wenn Tag für Tag die Seele in ihr sich erhellt und entfaltet – so mag der Leser innerhalb derselben Wände, silberhaarig, blind, allen Gefühls beraubt, kalt für das Leben, jenes steinerne Bild der Zeit und des Todes vor sich sehen! Vielleicht wird er dann begreifen, warum die, welche die wirkliche und lebende Fanny blühend unter jener kalten Masse von Schatten sahen, fühlten, daß ihre Anmuth, ihre Einfalt, ihre reizende Schönheit durch den Contrast erhöht wurde, bis sie mit geheimnißvollen und tiefen Gedanken und Bildern vertraut wurden, die nicht mehr dem Liebenswürdigen als dem Erhabenen angehörten.

So saß also der Greis da, und Philipp, obgleich er seine Gegenwart bemerkte, sprach, als wäre er mit Fanny allein, und redete sie so an, nachdem er einige unbedeutendere Gegenstände erwähnt hatte:

»Meine treue und liebe Freundin, dir verdanke ich nicht nur die Wiedererlangung meiner Rechte und meines Vermögens, sondern auch die Rechtfertigung des Andenkens an meine Mutter. Du hast nicht nur Blumen auf jenen Grabstein gestreut, sondern zunächst nach der Vorsehung bist du die Ursache, daß endlich der Name darauf wird geschrieben werden, der aller Verleumdung trotzt. Jung und unschuldig, wie du bist, meine sanfte und geliebte Wohlthäterin, kannst du noch nicht wissen, welch' ein Segen es für mich sein wird, den Namen in den einfachen Stein eingraben zu lassen. Später, wenn du selber Gattin und Mutter bist, wirst du den Dienst begreifen, den du den Lebenden und den Todten geleistet hast!«

Er hielt inne und bekämpfte die Fluth der Empfindungen, die sein Herz überströmte. Ach, die Todten! – Welchen Dienst können wir ihnen leisten? – Was half es jetzt dem Staube, der dort unten ruhte, oder dem unsterblichen Geiste droben, ob die Thoren und Schurken dieser Welt den Namen Katharina, deren Leben dahin und deren Ohren taub waren, mit mehr oder weniger Respekt erwähnten? Die Verleumdung hat das an sich, daß, selbst wenn der Charakter sich von der üblen Nachrede frei macht, das Herz von der Wirkung derselben krank bleibt. Man sagt, daß die Wahrheit früher oder später an den Tag kommt; aber es geschieht selten, ehe die Seele, die von der Qual zur Verachtung übergeht, abgehärtet worden ist gegen die Urtheile der Menschen. Wenn man ein menschliches Wesen in der Jugend verleumdet – demselben Wesen im Alter schmeichelt – was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wird die Schmeichelei Ersatz bieten für die Qual oder die Abstumpfung, welche die Qual endlich zurückläßt? Und wenn, wie in Katharinens Falle, der so gewöhnlich ist, die Wahrheit zu spät kommt – wenn das Grab geschlossen ist – wenn das Herz, welches man verwundet, nicht mehr kann verwundet werden – so ist ja die Wahrheit so werthlos, wie die Grabschrift für einen vergessenen Namen. Die Ueberzeugung von der Leerheit seiner Worte, als er von einem der Todten geleisteten Dienste sprach, fiel Philipp schwer auf's Herz und hemmte den Strom seiner Worte. Fanny, die sich nur seines Lobes, seines Dankes und der Zärtlichkeit, die seine Stimme ausdrückte, bewußt war, stand mit niedergeschlagenen Augen und wallendem Busen schweigend da.

Philipp fuhr fort:

»Und nun, Fanny, meine geehrte Schwester, möchte ich dir, wenn möglich, noch für mehr als dieses danken. Ich werde dir nicht nur Namen und Vermögen, sondern auch Glück verdanken. Und die Rechte, zu denen du mir verholfen, und die ich in kurzer Zeit werde beweisen können, haben mich in den Stand gesetzt, auf eine Hand Anspruch zu machen, nach der ich schon lange strebte – die Hand einer Person, die mir so theuer ist, wie du. Mit einem Worte, heute ist die Zeit bestimmt worden, wo ich dir und diesem alten Manne eine Heimath anbieten – wo ich dir eine Schwester werde vorstellen können, die dich schätzen wird, wie ich es thue; denn ich liebe dich so aufrichtig – ich verdanke dir so viel – daß selbst jene Heimath die Hälfte ihrer Lieblichkeit verlieren würde, wenn du nicht dort wärest. – Verstehst du mich, Fanny? Die Schwester, von der ich rede, wird mein Weib sein!«

Das arme Mädchen, welches diese Rede der grausamsten Zärtlichkeit hörte, fiel nicht um, wurde nicht ohnmächtig, und zeigte keine andere äußere Bewegung, als daß sie todtenblaß wurde. Sie schien wie in einen Stein verwandelt. Selbst ihr Athem stand auf einige Augenblicke still und kehrte dann mit einem langen und tiefen Seufzer zurück. Sie berührte leicht seinen Arm und sagte dann ruhig: »Ja – ich verstehe. Wir sahen einst eine Trauung. Du wirst verheirathet werden – ich werde deine Trauung sehen!«

»Das wirst du, und später werde ich auch die deine sehen. – Ich habe einen Bruder. Ach, wenn ich ihn nur finden könnte – er ist jünger, als ich, und fast eben so schön, wie du!«

»Du wirst glücklich sein,« sagte Fanny noch ruhig.

»Ich habe lange meine Hoffnung auf eine solche Verbindung gesetzt! Halt, wohin gehst du?«

»Für dich zu beten,« sagte Fanny mit einem Lächeln, welches etwas von ihrem früheren leeren Ausdruck hatte, und ging stille aus dem Zimmer. Philipp folgte ihr mit nassen Augen. Er argwöhnte ihr Geheimniß nicht, und ihr Benehmen hätte jetzt auch einen Eitleren täuschen können. Bald darauf verließ er das Haus und kehrte in die Stadt zurück.

Drei Stunden später fand Sarah Fanny am Boden ihres Zimmers ausgestreckt – so still – so bleich – daß die alte Frau Anfangs meinte, ihr Leben sei erloschen. Nach und nach erholte sie sich aber, fuhr mit den Händen über die Augen, murmelte einige unverständliche Worte und erschien dann wie gewöhnlich, nur daß sie stiller war und ihre Lippen farblos und ihre Hände kalt wie Stein blieben.


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