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Siebenzehntes Kapitel.

Warwick. Vortrefflich; seine Sorgen sind zu Ende.

Heinrich IV.

Die Aufregung, welche diese Unterredung hervorbrachte, überwältigte Arthur bald, und als Philipp mit Beaufort das Zimmer verließ, bat er diesen um eine Unterredung, und sie gingen in dasselbe Zimmer, aus dem der reiche Mann einst den zerlumpten Bittenden hatte hinaustreiben wollen. Philipp sah sich in dem Zimmer um, und die ganze Scene stand ihm wieder vor Augen. Er winkte Beaufort, sich zu setzen, und begann nach einer Pause folgendermaßen:

»Herr Beaufort, lassen Sie das Vergangene vergessen sein. Wir bedürfen vielleicht Beide der gegenseitigen Verzeihung, und ich, der ich Ihrem edlen Sohne Unrecht gethan habe, bin bereit, anzunehmen, daß ich Sie unrichtig beurtheilt habe. Diesen Rechtsstreit kann ich freilich nicht aufgeben.«

Beauforts Gesicht verlängerte sich.

»Ich habe kein Recht dazu. Ich muß die Ehre meines Vaters und den guten Namen meiner Mutter rechtfertigen – ich kann diesen Rechtsstreit nicht aufgeben. Doch wenn ich mich einst herabließ, in dieses Haus einzutreten – damals nur mit der Hoffnung, wo ich jetzt Gewißheit habe, meine Erbschaft zu erlangen – so geschah es mit dem Entschlusse, jedes Gefühl in Vergessenheit zu begraben, welches die mäßigste Gerechtigkeit überschreiten würde. Auch jetzt will ich nicht mehr thun. Wenn das Gesetz gegen mich entscheidet, so stehen wir wie früher – wenn für mich – hören Sie mich an – so will ich Ihnen die Besitzung der Beauforts auf Ihre und Ihres Sohnes Lebenszeit lassen. Ich fordere für mich und die Meinen nur so viel von Ihrem Reichthum, als mich in den Stand setzen wird, für meinen Bruder zu sorgen, wenn er noch am Leben sein sollte; und wenn Sie die Wahl billigen, die mein größter Wunsch auf Erden ist, der, die ich mein Weib nennen möchte, so viel zu geben, als zu einem feineren Leben, woran mir wenig liegt, nöthig ist. Robert Beaufort, in diesem Zimmer bat ich Sie einst, mir das einzige Wesen wiederzugeben, welches ich damals liebte; ich bitte jetzt wieder, und dießmal steht es in Ihrer Macht, meine Bitte zu erfüllen. Lassen Sie Arthur in Wahrheit meinen Bruder sein; geben Sie mir, wenn ich beweise, daß ich berechtigt bin, den Namen zu führen, den mein Vater führte, geben Sie mir Ihre Tochter zur Gattin; geben Sie mir Camilla, und ich will Sie um die Besitzung nicht beneiden, der ich meinerseits gern entsage – und wenn Sie auf meine Kinder übergeht, so sind diese Kinder die Ihrer Tochter!«

Beauforts erste Bewegung war, die ihm dargebotene Hand zu ergreifen, sich in einem unzusammenhängenden Strome des Lobes, der Betheuerungen und Versicherungen zu ergießen, daß er nichts von einer solchen Großmuth hören könne, daß Recht Recht bleiben müsse, daß er stolz auf einen solchen Schwiegersohn sein werde und noch viel mehr dergleichen. Doch plötzlich fiel Beaufort ein, daß, wenn Philipps Sache wirklich so gut stehe, wie er sagte, er unmöglich so kalt davon reden könne, die Besitzung, die ihm dadurch zufallen werde, auf den Zeitraum eines so ungewöhnlich sicheren Lebens (Beaufort dachte an sein eigenes) aufzugeben – um nichts von Arthurs Leben zu sagen. Bei diesem Gedanken hielt er es für das Beste, sich nicht zu weit einzulassen, und beschränkte sich, so gut er konnte, bis er Lord Lilburne und seinen Advokaten um Rath gefragt, und da er sich auch erinnerte, daß er hinsichtlich Camilla's und ihrer früheren Neigung noch Manches zu beseitigen habe, begann er von seiner Bekümmerniß um Arthur zu sprechen, von der Nothwendigkeit, noch ein wenig zu warten, ehe er mit Camilla reden könne, während sie um ihren Bruder so besorgt sei; wie sein Advokat ihm sage, daß seine Sache sehr gut stehe – nicht als wolle er sie lieber dem Gesetze als der Gerechtigkeit anheimstellen – denn wenn das Gesetz für ihn entscheiden sollte, so werde er nicht weniger glücklich sein, Camilla's Hand dem Sohne seines Bruders zu geben, nebst einer solchen Mitgift, die Jeder für sehr hübsch erklären müsse – vorausgesetzt, daß er die Neigung seiner Tochter nicht zwingen dürfe, was übrigens nicht zu befürchten sei.

Es begegnet uns oft in dieser Welt, wenn wir einer Person mit unserem Herzen in der Hand entgegen kommen – wenn wir unsere Gefühle in so enthusiastischem und aufopferndem Ergusse aussprechen, daß ein Zuschauer uns einen Thoren und Don Quixote nennen würde – es geschieht oft, sage ich, daß unser warmes Ich auf unser warmes Ich zurückgeworfen wird – daß wir entdecken, wie gänzlich man uns mißversteht, und daß das Schwein, welches die Eicheln zerkaut haben würde, nicht weiß, was es mit der Perle anfangen soll. Jenes plötzliche Eis, das über uns hinfriert, jene äußerste Verachtung und jener Ekel an der Welt, die wir in dem Augenblick mit dem einen Weltling verwechseln – wer dieß gefühlt hat, wird solche Empfindung mit Recht Philipp zuschreiben. Er hörte Beaufort in verächtlichem Schweigen an und erwiderte dann nur:

»Mein Herr, auf jeden Fall ist dieß eine Frage, die das Gesetz zu entscheiden hat. Wenn es entscheidet, wie Sie glauben, so ist es an Ihnen, zu handeln; wenn, wie ich denke, so ist es an mir. Bis dahin will ich nicht weiter mit Ihnen von Ihrer Tochter, noch von meinen Absichten reden. Alles, um was ich Sie inzwischen bitte, ist die Erlaubniß, Ihren Sohn besuchen zu dürfen. Ich wünschte nicht, aus seinem Krankenzimmer verbannt zu sein!«

»Mein lieber Neffe!« rief Beaufort, wieder beunruhigt werdend, »betrachten Sie das Haus als das Ihre.«

Philipp verbeugte sich, ging zur Thür und sein Oheim folgte ihm unterwürfig. Es traf sich, daß Lord Lilburne und Blackwell hinsichtlich der Handlungsweise, die Beaufort zu befolgen habe, derselben Meinung waren. Lord Lilburne suchte nur einen feindseligen Prozeß mit einem freundschaftlichen Rechtsgange zu vertauschen, doch er war eben so begierig, rücksichtlich seiner selbst das Siegel der Verwandtschaft auf ein Geheimniß zu setzen, welches ein Mann, der 20,000 Pfund jährlich erben konnte, bekannt zu machen für gut halten möchte. Dieß war der Grund, sich eifriger in die Angelegenheiten anderer Leute zu mischen, als sonst der Fall gewesen sein möchte. Er sprach wie ein Weltmann mit Beaufort – Blackwell wie ein Rechtsgelehrter.

»Feßle den Mann durch seine Großmuth, ehe er sein Vermögen erlangt,« sagte Lord Lilburne. »Der Besitz macht einen großen Unterschied in der Schätzung des Geldes. Bei alledem kannst du das Vermögen nicht genießen, wenn du todt bist; er gibt es zunächst Arthur, der unverheirathet ist; und wenn dem armen Arthur etwas Menschliches begegnen sollte, fällt es an den Gemahl und die Kinder deiner Tochter und geht auf die rechte Linie über. Feßle ihn durch seine Großmuth, gib dir vor der Welt das Ansehen des edelsten und uneigennützigsten Benehmens, indem du deinem Anwalt sagen lässest, so bald du das verlorene Dokument entdeckt, habest du der gesetzlichen Bestätigung der Ehe kein Hinderniß in den Weg legen wollen, und es sei nur zu untersuchen, ob die Trauung wirklich bewiesen sei; wenn das sich bestätige, so würdest du der Erste sein, der sich freue u. s. w. – Du weißt so gut, wie jeder Andere, die gewöhnlichen Redensarten!«

Blackwell gab denselben Rath, doch in verschiedenen Worten, und machte den Vorschlag, daß die Prüfung der Thatsachen einem aus drei der ausgezeichnetsten Rechtsgelehrten bestehenden Schiedsgericht übergeben und nach deren Urtheil die Vertheidigung entweder muthig begonnen, oder auf edle Weise niedergeschlagen werden solle. Dieser Gedanke gefiel Beaufort. Man theilte Philipp diesen Vorschlag mit und Barlow billigte ihn nach einigem Zögern. Die Schiedsrichter wurden gewählt, und sie kamen bald zu dem einmüthigen Entschlusse, daß die Ehe könne bewiesen und Philipp Beauforts Ansprüche geltend gemacht werden. So bald dieser Bericht ertheilt wurde, sprach Beaufort mit Philipp. Es wurde beschlossen, daß der Rechtsstreit nur der Form wegen stattfinden solle; kurz, er gab Philipp zu verstehen, daß er seine Großmuth erkenne und nicht abgeneigt sei, Vortheil aus derselben zu ziehen.

Während dieß geschah, verschlimmerte sich Arthurs Gesundheitszustand immer mehr. Philipp war stets bei ihm. Der Leidende empfand eine lebhafte Neigung für seinen so lange gefürchteten Verwandten, für diesen Mann von eisernen Muskeln und Sehnen. Es war so viel Leben in Philipp, daß es Arthur vorkam, als liege in seiner Gegenwart ein Gegenmittel gegen den Tod. – Und Camilla sah ihren Vetter täglich und stündlich im Krankenzimmer, wie er sich mit der sanften Zärtlichkeit eines Weibes bemühte, die Qual zu lindern, die Mattigkeit zu heben, die Niedergeschlagenheit zu erheitern. Philipp sprach nie mit ihr von Liebe; bei einer solchen Scene wäre es unmöglich gewesen. Bei ihrer wechselseitigen Sorgfalt überwand sie die Verlegenheit, die sie früher in seiner Gegenwart empfunden hatte; welches auch ihre anderen Gefühle sein mochten, sie konnte wenigstens nicht umhin, einem Manne dankbar zu sein, der so zärtlich gegen ihren Bruder war. Drei Briefe von Charles Spencer hatte sie in ihrer Betrübniß nur mit wenigen Zeilen beantwortet. Jetzt benutzte sie eine augenblickliche und täuschende Besserung Arthurs, um ihm einen längeren Brief zu schreiben. Sie brachte, wie gewöhnlich, den Brief ihrer Mutter, als Beaufort ihr begegnete und ihr den Brief aus der Hand nahm. Er schien einen Augenblick verlegen zu sein und befahl ihr dann, ihm in sein Studirzimmer zu folgen. Erst jetzt erfuhr Camilla deutlich die Rechte und Ansprüche ihres Vetters; jetzt erfuhr sie auch, um welchen Preis der schätzbare Theil jener Rechte sollte aufgeopfert werden. Beaufort stellte ihr den Fall natürlich in lebhaften Farben vor Augen. Er sei ruinirt – gänzlich ruinirt; ein Armer – ein Bettler – wenn Camilla ihn nicht rette. Der Herr seines Schicksals fordere seiner Tochter Hand. Gewohnt, jeder Laune ihrer Eltern zu gehorchen, wurde sie von dieser Nachricht, von der Bitte und dem Befehl, wovon dieselbe begleitet war, überwältigt. Sie antwortete nur mit Thränen, und Beaufort, ihrer Unterwürfigkeit versichert, verließ sie, um über den Brief nachzudenken, den er selbst an Herrn Spencer schreiben wollte. Er hatte sich eben zu diesem Geschäfte niedergesetzt, als er in Arthurs Zimmer gerufen wurde. Es war plötzlich mit seinem Sohne schlimmer geworden; Krämpfe, die Gefahr drohten, quälten und erschöpften ihn, und als sie vorüber waren, blieb er drei Tage lang so schwach, daß Beaufort, der den Verlust, welcher seiner wartete, jetzt klar vor Augen sah, nicht einmal an seine weltlichen Interessen denken konnte.

Am Abende des dritten Tages standen Philipp, Robert Beaufort, nebst Frau und Tochter um Arthurs Sterbebette. Der Leidende war eben vom Schlafe erwacht und winkte Philipp, ihn aufzurichten. Beaufort erschrak, als er bei dem dunklen Lichte seinen Sohn in den Armen von Katharinens Sohne erblickte! Und ein anderes, früher gesehenes Sterbezimmer stand ihm vor Augen. Vor langer Zeit ausgesprochene Worte tönten ihm in die Ohren: »Es wird noch ein Sterbebette kommen, wo Sie ihre Gestalt, die jetzt so ruhig ist, sich zur Vergeltung aus dem Grabe werden erheben sehen!« Sein Blut gefror in ihm – sein Haar richtete sich empor – er sah sich hastig und scheu in dem Dämmerlichte des verdunkelten Zimmers um und hielt mit mattem Schrei seine bebenden Hände vor das bleiche Gesicht. Aber Arthurs Lippen umschwebte ein heiteres Lächeln; er wendete seine Augen von Philipp zu Camilla und murmelte: »Sie wird dir vergelten!« Eine Pause und das Geschrei der Mutter hallte durch das Zimmer. Robert Beaufort erhob das Gesicht von seinen Händen – sein Sohn war todt!


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