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Achtzehntes Kapitel.

Und welchen Lohn gedenket Ihr zu geben?
Es muß wohl meine Liebe sein.

Die Doppelhochzeit.

Während diese düsteren und stürmischen Ereignisse die Familie seiner Verlobten betroffen, hatte Sidney Beaufort (wie wir ihn jetzt nennen können) sein ruhiges Leben an den Ufern des lieblichen See's fortgesetzt. Nach wenigen Wochen überwand sein Vertrauen auf Camilla's Treue alle seine Befürchtungen und schlimmen Ahnungen. Ihre Briefe, obgleich gezwungen vermöge der Durchsicht, der sie unterworfen waren, gewährten ihm unaussprechlichen Trost und Entzücken. Er bemerkte indessen bald, daß eine Veränderung in dem Tone derselben vorging. Die Briefe waren noch von derselben Länge, doch schienen sie einen Gegenstand zu vermeiden, gegen den alle anderen nichts waren. Sie handelten meistens von den zu Beaufort-Court versammelten Gästen, und die kurzen Worte, die dem Herrn von Vaudemont gewidmet waren, erfüllten ihn mit unruhigem und schrecklichem Verdacht, obgleich eigentlich nichts darin lag, was zur Eifersucht Anlaß geben konnte. Er gab sich diesen Gefühlen so weit hin, als er es zu thun wagte, da er wußte, daß sein Brief vor fremde Augen kommen würde, und Camilla erwähnte den Namen Vaudemont nicht wieder. Dann trat eine lange Pause ein – dann wurde ihm ihres Bruders Ankunft und Krankheit gemeldet – dann erhielt er von Zeit zu Zeit einige flüchtige Zeilen – dann folgte ein langes und schreckliches Schweigen – und endlich erhielt er folgenden Brief mit breitem, schwarzem Rande und schwarzem Siegel von Herrn Beaufort:

»Mein lieber Herr!

»Ich habe den unaussprechlichen Schmerz, Ihnen und Ihrem würdigen Oheim den unersetzlichen Verlust zu melden, den ich durch den Tod meines einzigen Sohnes erfahren habe. Vor einem Monat schied er aus dieser Welt. Er starb, wie ein Christ sterben sollte – demüthig, reuevoll – und übertrieb die wenigen Fehler seines kurzen Lebens, doch – ich kann diesen Gegenstand nicht fortsetzen.« – Hier wich die Heuchelei des Schreibenden, die ihm so natürlich war, daß er nicht wußte, daß es Heuchelei sei, der wirklichen und menschlichen Qual, wofür es keine Worte gibt.

»Da ich mich jetzt nach und nach der Pflichten erinnere, die ich zu erfüllen habe, so kann ich nicht umhin, den wesentlichen Unterschied der Aussichten meines noch übrigen Kindes zu bemerken. Miß Beaufort ist jetzt die Erbin eines alten Namens und eines großen Vermögens. Sie stimmt mit mir in der Nothwendigkeit überein, diese Rücksichten zu bedenken, welche ein so trauriges Ereigniß ihrem Geiste aufdrängt. Die unbedeutende Neigung, die durch eine kurze Bekanntschaft veranlaßt wurde und zwischen zwei liebenswürdigen, jungen Personen, die sich auf dem Lande trafen, ganz natürlich entstehen konnte, muß nun aus unseren Gedanken verbannt werden. Als Freund wird es mir stets lieb sein, von Ihrem Wohlergehen zu hören, und sollten Sie je einen Stand wählen, wobei ich Ihnen dienen kann, so dürfen Sie auf meinen Einfluß und meine lebhaftesten Bemühungen mit Sicherheit rechnen. Ich stelle mir vor, mein junger Freund, was Sie Anfangs empfinden werden, und wie bereit Sie sein werden, mich wankelmüthig und selbstsüchtig zu nennen. Der Himmel weiß, ob das wirklich mein Charakter ist! Aber in Ihrem Alter werden die Eindrücke leicht verwischt, und jeder welterfahrene Freund kann Ihnen sagen, daß ich unter diesen veränderten Umständen keine andere Wahl habe. Aller Verkehr und alle Correspondenz hören natürlich mit diesem Briefe auf – wenigstens so lange, bis wir Alle uns mit keinen anderen Gefühlen, als denen der Freundschaft und Achtung, wieder sehen können. Ich bitte, mich Ihrem würdigen Oheim zu empfehlen, worin Mrs. und Miß Beaufort übereinstimmen; und ich bin überzeugt, daß es Sie freuen wird, zu hören, daß meine Frau und Tochter, obgleich noch in großer Betrübniß, hinsichtlich ihrer Gesundheit weniger gelitten haben, als man hätte erwarten können.

»Ich verbleibe, lieber Herr,

»Ihr aufrichtiger

» Robert Beaufort

Als Sidney diesen Brief erhielt, war er bei Herrn Spencer, und der Letztere las ihn über des jungen Mannes Schulter, auf welche er sich zärtlich stützte. Als sie zu den Schlußworten kamen, wendete sich Sidney mit leerem Blicke und mattem Lächeln um und sagte: »Sie sehen, Herr, Sie sehen –«

»Mein lieber Sohn – du erträgst dieß, wie du solltest. Verachtung wird bald jede Spur erlöschen –«

Sidney sprang auf und sein ganzes Gesicht veränderte sich.

»Verachtung! – Ja, für ihn, aber für sie – sie weiß es nicht – sie hat keinen Theil daran – ich kann und will es noch nicht glauben! Ich – ich –« und er stürzte aus dem Zimmer. Er war bis zum Anbruch der Nacht abwesend, und als er zurückkehrte, versuchte er, ruhig zu erscheinen – doch es war vergebens.

Der nächste Tag brachte einen Brief von Camilla, den sie ohne Wissen ihrer Eltern geschrieben; er war kurz und bestätigte das Urtheil der Trennung, welches ihr Vater ihm bereits mitgetheilt hatte. Sie bat ihn, nicht darauf zu antworten, und sprach dabei so viel mildes und trauervolles Gefühl aus, daß er dadurch nicht nur beruhigt, sondern auch zu einer Hoffnung veranlaßt wurde.

Als Robert Beaufort seine gewohnte Stimmung so weit wieder erlangt hatte, um den eben gelesenen Brief an Sidney schreiben zu können, sah er zugleich vollkommen die Nothwendigkeit ein, die Verbindung zwischen Philipp und Camilla vor der Oeffentlichkeit des Rechtsstreites zu schließen. Die Verhandlung wegen Entsetzung konnte nicht vor dem folgenden März oder April stattfinden. Er wollte die gewöhnliche Trauerzeit bei Seite setzen und Alles vorher anordnen. Für's Erste konnte er so vermöge der Vermächtnisse sogleich alle Bedingungen sichern, die am meisten zu seinem Vortheil waren; zweitens schwebte er in stündlicher Furcht, Philipp möchte entdecken, daß er einen Nebenbuhler an seinem Bruder habe, und die Heirath nebst den damit verbundenen Vortheilen aufheben. Die erste Ankündigung eines solchen Rechtsstreites in den Zeitungen konnte zu den Spencers gelangen, und wenn der junge Mann, wie er nicht zweifelte, Sidney Beaufort war, so würde er natürlich zum Vorschein kommen und die gefürchtete Erklärung erfolgen. In Folge dieser Furcht sprach Robert Beaufort mit Philipp und mit so lebhaftem Gefühl von seinem Verlangen, so bald als möglich den letzten Wunsch seines Sohnes durch die jetzt bestimmte Verbindung zu erfüllen – er sprach mit so viel scheinbarer Rücksicht und gesundem Verstande von der Vermeidung alles Skandals und aller Mißdeutung bei dem Rechtsstreite selbst, der sich als ein freundschaftlicher darstellen werde, wenn die Verbindung zwischen dem Kläger und seiner Tochter vorher stattfinde, daß Philipp, der Camilla innig liebte, nicht umhin konnte, in die Beschleunigung seines unerwarteten Glückes zu willigen, in so weit sie mit dem Anstande verträglich war. Er kam mit Beaufort überein, die frühere Bekanntmachung durch die Zeitung zu widerrufen. Dann kam aber die Frage: welchen Namen sollte er inzwischen führen?

»Was das betrifft,« sagte Philipp etwas stolz, »so überredete ich meine Mutter nach dem unglücklichen Ausgang ihres Prozesses, nicht den Namen Beaufort zu führen, obgleich er ihr mit Recht zukam; und ich schätzte meinerseits ihren eigenen bescheidenen Namen, der unter so finsterem Anscheine in der That makellos war, eben so sehr, wie den höheren, den Sie führen und mein Vater führte, und ich werde den Namen, den das Gesetz mir verweigert, nicht eher wieder annehmen, als bis das Gesetz ihn mir wiedergibt. Das Gesetz allein kann das Unrecht wieder gut machen, welches das Gesetz mir gethan hat.«

Beaufort war mit diesen Gründen zufrieden, so irrig sie auch waren, und hoffte jetzt, daß Alles mit Sicherheit würde zu Stande gebracht werden. Daß ein Mädchen in Camilla's Lage und von einem Charakter, der nicht kräftig oder tief, sondern unterwürfig und schüchtern war, sich den Gründen ihres Vaters und dem Wunsche ihres sterbenden Bruders fügte – daß sie nicht wagte, sich zu weigern, das Werkzeug des Friedens für eine getheilte Familie, das rettende Opfer für ihres Vaters gefährdetes Vermögen zu werden – kurz, daß sie, als ihr Vater sie etwa einen Monat nach Arthurs Tode in das Zimmer führte, wo Philipp mit klopfendem Herzen ihre Fußtritte erwartete, ihre Hand in die seine legte – und Philipp, auf seine Kniee fallend, sagte: »Darf ich hoffen, diese Hand für mein ganzes Leben behalten zu dürfen?« – Worte hervorstotterte, die er für eine widerstrebende Einwilligung halten konnte – daß dieß Alles geschah, ist so natürlich, daß der Leser bereits darauf vorbereitet ist. Dennoch dachte sie mit bitteren und reuevollen Gefühlen an ihn, den sie auf vorbedachte und treulose Weise aufgab. Sie fühlte, wie innig er sie geliebt – sie wußte, wie schrecklich sein Kummer sein würde. Sie sah traurig und gedankenvoll aus; doch ihres Bruders Tod war hinreichend, das zu erklären. Das Lob und die Dankbarkeit ihres Vaters, für den sie plötzlich ein Gegenstand noch größeren Stolzes und innigerer Zärtlichkeit zu werden schien, als selbst Arthur gewesen war – die Beruhigung eines edlen Herzens, welches Vergnügen an jedem Opfer empfindet, welches es darbringt – die Freisprechung ihres Gewissens hinsichtlich der Beweggründe ihres Betragens begannen indeß nach und nach ihre Wirkung zu äußern. Und da sie in der letzten Zeit Philipp häufiger gesehen – konnte sie unempfindlich für seine Neigung – für seine vielen edlen Eigenschaften – für den Stolz sein, den die meisten Frauenzimmer bei seiner Annäherung würden empfunden haben, wenn sein Rang einmal rechtlich begründet worden? Und da sie sich vermöge ihres Charakters stets mehr durch Pflicht, als durch Leidenschaft hatte leiten lassen, so hätte man sehen können, daß das, was in ihrem Geiste vorging, wenig Veranlassung zur Furcht für Philipps künftiges Glück gab – wenig Furcht, daß, wenn sie einmal mit ihm verheirathet sei, ihre Neigungen sich von ihren Pflichten trennen würden, und wenn sie sich auch ihrer ersten Liebe erinnere, es mit einem Seufzer geschehen würde, den sie mehr einer romantischen Erinnerung, als einem beständigen Bedauern weihe. Wenige von beiden Geschlechtern werden je mit dem Gegenstande ihrer ersten Liebe vereint; aber verheirathete Leute fügen sich darein und nennen einander nichtsdestoweniger »mein Lieber« und »meine Liebe«. Freilich würde Philipp wohl schwerlich mit der Innigkeit geliebt worden sein, mit der er liebte; aber wenn Camilla's Gefühle fähig waren, den glühenden und leidenschaftlichen Gefühlen jener starken Natur zu entsprechen, so waren wenigstens solche Gefühle noch nicht entwickelt; das Herz des Weibes konnte in der jungfräulichen Unschuld noch halb verborgen sein. Philipp selber war zufrieden – er glaubte, geliebt zu sein; denn die Liebe in einem großen und edlen Herzen hat das Eigene, daß sie sich reflektirt und ihr eigenes Bild in den Augen sieht, in die sie blickt. So wie der Dichter irgend einem gewöhnlichen Kinde Eva's idealische Schönheit und Vortrefflichkeit verleiht, indem er weniger das Wesen, welches ist, als das Wesen, welches seine Phantasie ihm vorstellt, verehrt, so wirft die Liebe, die uns Alle auf eine Weile zu Dichtern macht, ihr eigenes, göttliches Licht auf ein Herz, welches in der That vielleicht kalt ist, und läßt sich durch denselben Glanz, womit sie ihren Gegenstand umgibt, blenden, und zu der Wonne eines täuschenden Glaubens verlocken.

Je mehr Camilla Philipp sah, je mehr sie nach und nach ihren früheren geheimnisvollen und abergläubischen Schrecken vor ihm überwand, je mehr sie mit seinem eigenthümlichen Charakter und seiner Denkungsart bekannt wurde, desto mehr begann sie Mißtrauen gegen die Behauptung ihres Vaters zu hegen, daß er ihre Hand als einen Preis – als eine Waare – als einen Ersatz für das Aufgeben einer schrecklichen Rache gefordert habe. Und mit diesem Gedanken kam ein anderer. War sie dieses Mannes würdig? Täuschte sie ihn nicht? – Sollte sie ihm nicht wenigstens sagen, daß sie eine frühere Neigung gehabt, so entschlossen sie auch sein mochte, dieselbe zu überwinden? Oft bebte der Wunsch dieses redlichen und ehrenvollen Bekenntnisses auf ihren Lippen, und eben so oft wurde er durch irgend einen zufälligen Umstand oder durch mädchenhafte Scheu unterdrückt. Ungeachtet ihres Verhältnisses waltete zwischen ihnen noch nicht jene köstliche Vertraulichkeit, die das Verlöbnis zweier Herzen und Seelen begleiten sollte. Die Trauer im Hause, der Zwang, den ein noch so neuer Todesfall selbst der Sprache der Liebe auferlegt, rechtfertigte gewissermaßen diese Zurückhaltung, und überdieß ließ ihnen Robert Beaufort absichtlich sehr wenige und sehr kurze Gelegenheit, allein zu sein. Philipp, der sich jetzt überzeugt hielt, daß die Beauforts nichts von dem Schicksale seines Bruders wüßten, hatte inzwischen Barlows Tätigkeit in Anspruch genommen, um Sidney aufzusuchen, und seine schmerzliche Aengstlichkeit, einen so theuren und auf so geheimnißvolle Weise verlorenen Bruder zu entdecken, war die einzige Ursache zur Unruhe, welche die aufgehellte Zukunft ihm zu geben schien.

Während diese bisher fruchtlosen Nachforschungen angestellt wurden, begann London sich wieder zu füllen, das Tagesgespräch belebte sich wieder, und es verbreitete sich ein Gerücht, Niemand wußte, woher es kam – wahrscheinlich von den Dienern – daß Herr Vaudemont, ein ausgezeichneter französischer Offizier, bald die Tochter und einzige Erbin des Parlamentsmitgliedes Robert Beaufort zum Altare führen werde. Dieses Gerücht fand auch bald seinen Weg in die Londoner Zeitungen, ging dann in die Provinzialblätter über und kam so Sidney in seiner düsteren und verzweiflungsvollen Einsamkeit vor Augen. An demselben Tage, wo er es las, verschwand er.


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