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Denn der Mensch ist eitel und hilflos; seine
Lage so dem Ungemach ausgesetzt, daß ein Steinchen
ihn tödten kann: ein Soldat aus der ägyptischen
Armee – eine Fliege kann es thun, wenn
es Gottes Wille ist.
Jeremias Taylor.
»Ueber die Trüglichkeit des Herzens.«
Die beiden Brüder saßen nach dem Mittagessen bei ihrem Wein. Robert schlürfte Rothwein und der rüstige Philipp schüttete seinen edleren Portwein hinunter. Katharina und die Knaben waren in geringer Entfernung bei dem Lichte des sanften Augustmondes unter den Gesträuchen und Anlagen auf dem Rasenplatze sichtbar.
Philipp Beaufort war etwa fünfundvierzig Jahr alt, groß, rüstig, ja von großer Stärke des Körperbaus, und hatte ein Gesicht, welches außerordentlich einnehmend war, nicht so sehr wegen der zierlichen Züge, sondern wegen der Offenheit, Männlichkeit und Gutmüthigkeit derselben. Er hatte eine gebräunte Gesichtsfarbe, Neigung zur Wohlbeleibtheit, eine breite, kräftige Brust, was auf Fülle der Gesundheit, heiteres Temperament und lebhaftes Blut deutet. Robert, der in Städten gelebt hatte, war ein Jahr jünger als sein Bruder, beinahe eben so groß, aber bleich, mager, gebückt, hatte einen sorgenvollen, ängstlichen und hungrigen Blick, welcher machte, daß das Lächeln seiner Lippen hohl und künstlich erschien. Seine Kleidung, obgleich einfach, war zierlich und gesucht; sein Wesen einschmeichelnd und freundlich; seine Stimme süß und leise; er hatte etwas an sich, was Respekt erregte, wenn er gleich keinen angenehmen Eindruck machte – etwas Anständiges, eine namenlose Schicklichkeit in der Erscheinung und ein Wesen, was sich ein wenig der Förmlichkeit näherte. Jede seiner Bewegungen war langsam und gleich der eines Mannes, der innerhalb des Kreises einherschreitet, welcher den Sitten und Gebräuchen der Welt als Schranke gezogen ist.
»Ja,« sagte Philipp, »ich war stets entschlossen, diesen Schritt zu thun, sobald der Tod meines armen Oheims es mir gestatten würde. Du hast Katharina gesehen, aber du kennst nicht die Hälfte ihrer guten Eigenschaften: sie würde ein Schmuck sein, und überdies pflegte sie mich letztes Jahr so sorgfältig, als ich bei jenem verdammten Jagdrennen mir das Schlüsselbein brach. Wahrhaftig, ich werde zu schwer und zu alt zu solchen Possen für Schulbuben.«
»Ich zweifle nicht an Mrs. Morton's Vortrefflichkeit und ehre deine Beweggründe; doch wenn du davon redest, daß sie ein Schmuck für jeden Rang sein wird, so darfst du nicht vergessen, mein lieber Bruder, daß man sie als Mrs. Beaufort nicht besser behandeln wird, wie jetzt als Mrs. Morton.«
»Aber ich sage dir, Robert, daß ich bereits wirklich mit ihr verheirathet bin; sie hat nur unter der Bedingung ihr Vaterhaus verlassen, daß wir an demselben Tage getraut würden, wo wir uns nach ihrer Flucht träfen.«
Roberts schmale Lippen verzogen sich zu einem spöttischen und ungläubigen Lächeln.
»Mein lieber Bruder, du thust recht, dies zu sagen – jeder Mann in deiner Lage würde es thun. Aber ich weiß, daß unser Oheim sich alle Mühe gab, sich zu überzeugen, ob das Gerücht von einer geheimen Heirath unwahr sei.«
»Und du halfest ihm getreulich bei der Nachforschung. Nicht wahr, Bob?« Bob erröthete ein wenig. »Ha, ha, ha, gewiß thatest du es; da du wußtest, wie sehr mir eine solche Entdeckung in der guten Meinung des alten Herrn würde geschadet haben. Aber ich blendete euch Beiden die Augen, ha, ha! Wir wurden nämlich in der größten Stille und Verborgenheit getraut, so daß es selbst jetzt für Katharina schwierig sein würde, die Sache zu beweisen, wenn ich es nicht wünschte. Ich schäme mich sogar, wenn ich daran denke, daß ich ihr nie gesagt habe, wo ich den Hauptbeweis über unsere Trauung aufbewahre. Den einen Zeugen bewog ich, das Land zu verlassen, der andere muß längst gestorben sein; auch mein armer Freund, der die Trauung vollzog, ist nicht mehr. Selbst das Trauungsregister, Bob, selbst das Register ist zerstört worden, und dennoch will ich die Trauung beweisen und den guten Ruf der armen Katharina wieder herstellen, denn ich habe den beglaubigten Auszug aus dem Register. Katharina sollte nicht verheirathet sein! Sieh sie nur an, Bruder!«
Robert Beaufort sah einen Augenblick aus dem Fenster, doch sein Gesicht trug noch immer den Ausdruck, als sei er nur halb überzeugt.
»Nun, Bruder,« sagte er, indem er seine Finger in das Glas Wasser tunkte, »es ist nicht meine Sache, dir zu widersprechen. Es ist eine sehr seltsame Geschichte; der Pfarrer todt – die Zeugen nicht da. Aber dennoch, wie ich schon vorher sagte, wenn du zu einer öffentlichen Trauung entschlossen bist, so handelst du weise, zu behaupten, daß eine geheime Trauung vorhergegangen. Doch glaube mir, Philipp,« fuhr Robert mit feierlichem Ernste fort, »die Welt –«
»Zum Henker mit der Welt! was kümmere ich mich um die Welt? Ich will nicht in Gesellschaften und auf Bälle gehen und feinen Leuten Diners geben. Ich werde fast eben so leben, wie ich bisher gethan; nur werde ich mir bessere Hunde halten und eine Jacht und die besten Lehrer für die Knaben annehmen. Philipp will nach Eton; aber ich kenne Eton, und des armen Jungen Gefühle möchten dort verletzt werden, wenn Andere ebenso zweifelhaft sind, wie du. Ich denke, meine alten Freunde werden nicht weniger höflich sein, jetzt da ich 20,000 Pfund jährlich habe, und was die Gesellschaft der Weiber anbetrifft, so kann ich dir im Vertrauen sagen, daß mir an keiner andern das Geringste liegt als an der armen Katharina!«
»Nun, du bist der beste Richter über deine eigenen Angelegenheiten und wirst meine Beweggründe nicht verkennen?«
»O nein, mein lieber Bob. Ich erkenne sehr wohl, wie freundlich es von dir ist – von einem Manne von deinen steifen Gewohnheiten und strengen Ansichten, meinem Käthchen ein solches Zeichen der Achtung zu gewähren« – Robert rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her – »selbst ehe du die geheime Verheirathung wußtest, und ich tadle dich gewiß nicht, daß du es nie vorher gethan. Du thatest ganz recht, dein Glück bei unsrem Oheim zu versuchen.«
Robert rückte noch unruhiger auf seinem Stuhle hin und her und räusperte sich, um zu sprechen. Aber Philipp leerte sein Glas und fuhr fort, ohne auf seinen Bruder zu achten: »Und obgleich der arme alte Mann dich nicht mehr geliebt zu haben scheint, obgleich du auf seine Bedenklichkeiten eingegangen, so müssen wir doch die Parteilichkeit seines Testamentes wieder gut zu machen suchen. Laß mich sehen – mit dem Vermögen deiner Frau hast du nur 2000 Pfund jährlich?«
»Nur 1500, Philipp, und Arthurs Erziehung wird kostbar. Im nächsten Jahr geht er auf die Universität. Er ist freilich sehr talentvoll und ich hege große Hoffnungen –«
»Daß er uns Allen Ehre bringen wird – so denke ich auch. Er ist ein edler junger Bursche, und ich denke, mein Philipp wird viel von ihm lernen können – Philipp ist ein sehr träger Bursche, hat aber einen Geist so scharf wie eine Nadel. Ich wollte, du sähest ihn reiten. Nun, um wieder von Arthur zu reden. Mache dir wegen seiner Erziehung keinen Kummer – dafür will ich sorgen. Er soll in Christ-Church eintreten, und wenn er volljährig ist, wollen wir ihn in's Parlament bringen. Und nun, was dich betrifft, Bob, so will ich das Haus in Berkeley-Square verkaufen, und was es einbringt, sollst du haben. Ueberdies will ich noch 1500 Pfund jährlich zu deinen 1500 hinzufügen – so wäre dies also gesagt und gethan. Pah! Brüder müssen brüderlich gegen einander handeln. Komm, laß uns hinausgehen und mit den Knaben spielen!«
Die beiden Beauforts gingen durch die offene Glasthür auf den Rasenplatz.
»Du siehst bleich aus, Bob, sowie ihr Alle in London. Was mich betrifft, ich fühle mich so stark wie ein Pferd und befinde mich viel besser, als da ich einer von Euren geputzten Jungen war und mich in der Stadt umhertrieb! Wahrhaftig, ich bin noch keinen Augenblick unwohl gewesen, außer hie und da von einem Fall; es ist mir, als solle ich ewig leben, und das ist der Grund, weßhalb ich mich nie dazu entschließen konnte, mein Testament zu machen.«
»Hast du denn wirklich noch kein Testament gemacht?«
»Bis jetzt noch nicht. Ich hatte auch inzwischen wenig genug zu hinterlassen. Doch jetzt, da das ganze Vermögen unseres Oheims zu meiner Verfügung steht, muß ich daran denken, Katharinen etwas auszusetzen. Beim Jupiter! nun da ich daran denke, will ich morgen nach N. hinüberreiten, um den Advokaten dort sowohl über das Testament, als auch über die Heirath zu befragen. Du wirst doch bis zur Hochzeit da bleiben?«
»Nun, ich muß morgen Abend in der benachbarten Grafschaft sein, um Arthur zu seinem Lehrer zu bringen. Aber ich will zur Hochzeit zurückkehren, wenn du es besonders wünschest; doch Mrs. Beaufort ist so pünktlich in ihren Gewohnheiten –«
»Ich wünsche es ganz besonders,« fiel Philipp ernsthaft ein, »denn ich möchte um Katharinens willen, daß du, mein einziger noch übriger Verwandter, dieser Handlung der Gerechtigkeit deine Billigung nicht vorenthieltest. Und was deine Frau betrifft, so glaube ich, werden die 1500 Pfund sie schon damit aussöhnen, daß ich keine von so hohem Range heirathe.«
Robert verbeugte sich, hustete und sagte: »Ich schätze deine edlen Gesinnungen, Philipp.«
Am nächsten Morgen, während die älteren Personen noch beim Frühstück waren, trieben sich die jungen Leute in der Nähe des Hauses umher. Es war sehr schönes Wetter am Ende des August – und als Arthur um sich blickte, glaubte er nie einen schöneren Ort gesehen zu haben. Es war in der That ein Ort, um eine jugendliche und empfängliche Phantasie einzunehmen. Das Dorf Fernside, wenn schon in einer von den an Middlesex grenzenden Grafschaften, und London so nahe, als die leidenschaftlichen Jagdbelustigungen es nur gestatteten, war dennoch so ländlich und abgeschieden, als wäre es hundert Meilen von dem Rauche der ungeheuren Stadt entfernt gewesen. Obgleich die Wohnung ein Landhäuschen genannt wurde, so hatte Philipp das ursprünglich bescheidene Gebäude in eine Villa von einigen Ansprüchen verwandelt. Zu beiden Seiten erstreckte sich ein zierlicher und wohl proportionirter Säulengang, mit Rosen und Geißblatt umwunden; zur Rechten war eine lange Reihe kostbarer Gewächshäuser, die mit Gängen von Gitterwerk endigten, welche elegante Alleen bildeten und dazu dienten, nützlichere Theile des Gartens zu verdecken. Der Rasenplatz war mit amerikanischen Pflanzen und blühenden Gesträuchen besetzt und auf der einen Seite von einem kleinen See begrenzt, an dessen gegenüberstehendem Ufer Linden und Cedern ihre Schatten auf das klare Wasser warfen. Auf der andern Seite trennte eine leichte Einzäunung den Garten von einem Weideplatze, wo drei oder vier Jagdpferde in müßigem Ergötzen grasten. Solche Landhäuschen zeigen einen Wohlstand und Luxus, wie er so oft in prächtigeren Wohnungen nicht gefunden wird – sie sind ein Aufenthalt, den der junge Gast von sechzehn Jahren mit unbestimmten Gefühlen von Poesie und Liebe betrachtet, den er mit vierzig Jahren für langweilig und verdammt kostbar – mit sechzig für feucht im Winter und im Sommer für ein Nest von Ohrwürmern erklären würde. Der junge Philipp lehnte sich auf seine Lieblingsflinte; Sidney jagte einen bunten Schmetterling; Arthur blickte schweigend den schimmernden See und das schöne Laubwerk an, das sich über seine Oberfläche neigte. In dem Gesichte dieses jungen Mannes lag etwas, was ein gewisses Interesse erregte. Er war weniger schön als Philipp, aber der Ausdruck seiner Züge war einnehmender. Die Stirn hatte etwas Stolzes, und es lag etwas Gutmüthiges, nicht ohne Unentschlossenheit und Schwäche, in dem Schnitt seines Mundes. Er war von zarterem Körperbau als Philipp, und die Farbe seines Gesichtes war nicht die einer kräftigen Constitution. Seine Bewegungen waren anmuthig und gesetzt und er hatte seines Vaters liebliche Stimme.
»Hier ist's in der That schön! – Ich beneide dich, Philipp.«
»Hat dein Vater kein Landhaus?«
»Nein, wir wohnen entweder in London oder in einem heißen und vollen Badeorte.«
»Ja, hier ist's sehr hübsch während der Jagdzeit. Aber meine alte Amme sagt, wir werden jetzt einen viel schöneren Wohnort bekommen. Es gefiel mir hier sehr gut, bis ich Lord Delville's Wohnung sah. Aber es ist sehr unangenehm, nicht das schönste Haus in der Grafschaft zu haben: entweder Alles oder nichts, das ist mein Wahlspruch. Ei, siehst du jene Schwalbe? Ich will eine Guinee mit dir wetten, daß ich sie treffe.«
»O nein, thu dem armen Thiere nichts zu Leide.« Aber ehe noch das Wort ausgesprochen war, lag schon der Vogel zappelnd am Boden.
»Es ist gerade September und man muß in der Uebung bleiben,« sagte Philipp, als er seine Flinte wieder lud.
Arthur erschien diese Handlung als eine übermütige Grausamkeit; es war vielmehr die übermütige Sorglosigkeit, die einem wilden Knaben eigen ist, der sich bemüht hat, den Trieb des Augenblicks zu befriedigen – die Sorglosigkeit, die an dem Knaben noch nicht Grausamkeit ist, die an dem Manne aber durch Glück zur Grausamkeit werden kann. Kaum hatte er seine Flinte wieder geladen, als das Wiehern eines jungen Hengstfüllens von dem nahen Weideplatze erscholl, und Philipp sprang zu der Einzäunung. »Er ruft mich, der gute Kerl; du sollst ihn aus meiner Hand fressen sehen. Laufe hinein und hole ein Stück Brod, ein großes Stück, Sidney.« Der Knabe und das Thier schienen einander zu verstehen. »Ich sehe, du liebst die Pferde nicht,« sagte er zu Arthur. »Was mich betrifft, ich liebe Hunde, Pferde – jedes stumme Geschöpf.«
»Mit Ausnahme der Schwalben!« sagte Arthur mit halbem Lächeln und ein wenig erstaunt über die Inconsequenz der Behauptung.
»O! auf der Jagd ist alles recht – es geschieht nicht, um die Schwalbe zu verletzen, sondern nur um Geschicklichkeit zu erlangen,« sagte Philipp erröthend; doch dann, als könne er sich bei seiner eigenen Erklärung nicht beruhigen, wendete er sich plötzlich um.
»Dies ist ein langweiliges Stück Arbeit – was sagst du dazu, wenn wir fischen. Beim Jupiter!« – er hatte sich seines Vaters Ausdruck angeeignet – »jener Dummkopf hat das Zelt dennoch auf der unrechten Seite des Sees aufgeschlagen. Holla, höre!« und der unglückliche Gärtner blickte von seinem Blumenbeet auf; »was ist das mit dir? Ich habe große Lust, es meinem Vater zu sagen – du wirst jeden Tag dummer. Ich sagte dir, du solltest das Zelt unter den Lindenbäumen aufschlagen.«
»Es ließ sich nicht machen, Herr; die Zweige waren im Wege.«
»Warum schnittest du die Zweige nicht ab?«
»Ich wagte nicht, es ohne Befehl des Herrn zu thun,« sagte der Mann mürrisch.
»Meine Befehle sind hinreichend, sollte ich denken, darum nichts weiter von deiner Unverschämtheit,« rief Philipp mit erhöhter Farbe, indem er die Hand erhob, in der er seinen Ladstock hielt, den er drohend um den Kopf des Gärtners schwang – »ich habe große Lust –«
»Was hast du vor, Philipp?« rief die gutmüthige Stimme seines Vaters.
»Dieser Kerl beachtet nicht, was ich ihm sage, Vater.«
»Ich wollte die Zweige von den Lindenbäumen nicht ohne Ihre Befehle abschneiden, Herr,« sagte der Gärtner.
»Nein, es wäre auch Schade, sie abzuschneiden. Du solltest mich doch befragen, Philipp!« Und der Vater schüttelte ihn mit gutmüthiger und zärtlicher, aber rauher Liebkosung am Kragen.
»Laß mich, Vater!« sagte der Knabe dreist und stolz, und setzte dann mit leiserer Stimme hinzu, die eine schlau verstellte Bewegung ausdrückte, »sonst möchte mein Vetter denken, du meintest es weniger gütig mit mir, als wirklich der Fall ist, Vater.«
Der Vater war gerührt: »Geh und schneide die Lindenzweige ab, John, und thue stets, was Philipp dir sagt.«
Die Mutter war nicht weit zurück und seufzte hörbar: »Ach, ach! Theuerster, ich fürchte, du wirst ihn verziehen.«
»Ist er nicht dein Sohn – und sind wir ihm nicht um so mehr Respekt schuldig, weil er bisher Andern gestattet hat zu sagen –«
Er hielt inne und die Mutter konnte nichts weiter sagen. Und so war es geschehen, daß man diesen Knaben von kräftigem Charakter und starken Leidenschaften aus den liebenswürdigsten Beweggründen aus einem Liebling in einen Despoten verwandelt hatte.
»Und nun, Käthchen, will ich, wie ich dir gestern Abend sagte, nach N. hinüberreiten und den nächsten Tag zu unserer Hochzeit bestimmen. Ich will den Rechtsgelehrten einladen, hier zu speisen und mit ihm die Schritte verabreden, um die geheime Trauung zu beweisen.«
»Wird das schwierig sein?« fragte Katharina mit natürlicher Aengstlichkeit.
»Nein – denn du erinnerst dich, daß ich die Vorsicht getroffen, mir einen beglaubigten Auszug aus dem Trauungsbuch senden zu lassen; sonst, muß ich dir gestehen, würde ich unruhig sein. Ich weiß nicht, was aus Smith geworden ist. Ich hörte vor einiger Zeit von seinem Vater, daß er die Colonie verlassen habe – ich sagte es dir nicht vorher, es hätte dich nur unruhig gemacht – und vor wenigen Jahren, als mein Oheim es sich wieder in Kopf setzte, daß wir vielleicht verheirathet sein möchten, fürchtete ich, der Nachfolger des armen Caleb möchte uns zufällig verrathen. Darum reiste ich selber nach A*, da ich gerade in der Nähe war und mich bei Lord C. aufhielt, um zu sehen, in wie weit es nöthig sein möchte, sich des Pfarrers zu versichern; und denke nur, ich hörte, es sei mit dem Register ein Unfall geschehen, so daß der Geistliche nichts wissen könne, und da behielt ich denn mein Geheimniß für mich. Welch ein Glück, daß ich die Abschrift habe! Ohne Zweifel wird der Rechtsgelehrte Alles in Richtigkeit bringen; und während ich Vermächtnisse aussetze, kann ich auch eben so gut mein Testament machen. Ich habe genug für beide Jungen, aber der schwarzköpfige muß der Erbe sein. Ist er nicht wie zu einem ältesten Sohne geboren?«
»Ah, Philipp!«
»Pah! Man stirbt nicht früher, weil man sein Testament macht. Seh ich aus, wie ein Mann, der die Auszehrung hat?« Und der rüstige Jäger blickte wohlgefällig auf die Stärke und das Ebenmaß seiner kräftigen Glieder. »Komm, Phil, komm, laß uns in die Ställe gehen. Nun, Robert, will ich dir etwas zeigen, was mehr der Mühe werth ist zu sehen, als diese elenden Blumenbeete.« Hierauf führte Beaufort seinen Bruder auf den Hofplatz hinter dem Hause. Katharina und Sidney blieben auf dem Rasenplatze und die Uebrigen folgten dem Wirthe. Die Stallknechte, deren Abgott Beaufort war, beeilten sich zu zeigen, wie gut sie die Pferde während seiner Abwesenheit behandelt hätten.
»Sehen Sie nur, Herr, wie die braune Beß sich herausgelegt hat; aber gewiß, Master Philipp erhält sie in der Uebung. O Herr, er wird noch einst ein eben so guter Reiter werden wie Euer Gnaden.«
»Das sollte er auch wohl, Tom! denn ich denke nicht, daß er je eine solche Last wird zu tragen haben, wie ich. Nun, so sattle die braune Beß für Master Philipp. Welches Pferd soll ich nehmen? – Ah! hier ist mein alter Freund Puppet!«
»Ich weiß nicht, was Puppet angekommen ist; er will nicht fressen und ist starrköpfig geworden. Ich wollte ihn gestern über den Zaun setzen lassen, aber er war stetisch geworden.«
»Ei der Teufel! So, so, alter Junge, du sollst heute über das hohe Thor setzen, oder ich will wissen warum nicht.« Und Beaufort streichelte den glatten Hals seines Leibrenners. »Lege ihm den Sattel auf, Tom.«
»Ja, Euer Gnaden. Ich denke zuweilen, er muß irgendwo an den Schenkeln verwundet sein – er macht nicht gerne einen Satz und versucht immer zu beißen, wenn wir ihn aufzäumen. Sei ruhig, Alter!«
»O, er geberdet sich nur so,« sagte Philipp. »Ich wußte es nicht, sonst hätte er mit mir über das Thor setzen sollen. Warum sagtest du es mir nicht, Tom?«
»O Herr, Sie hätten ihn zu sehr angespornt, und wenn Ihnen etwas begegnet wäre –«
»Ganz recht; du bist nicht schwer genug für Puppet, mein Junge, und er ließ sich nie gern von Jemand anders als von mir reiten. Was sagst du, Bruder, willst du mit uns reiten?«
»Nein, ich muß heute noch mit Arthur nach N*. Ich habe die Postpferde bis zwei Uhr bestellt; aber ich werde morgen oder übermorgen bei dir sein. Sein Lehrer erwartet ihn und da er in der Mathematik zurück ist, so hat er keine Zeit zu verlieren.«
»Nun, so lebe wohl, Neffe!« und Beaufort steckte dem Knaben ein Taschenbuch in die Hand. »Still! wenn du Geld bedarfst, so belästige deinen Vater nicht damit – schreibe an mich – es wird uns stets lieb sein, dich zu sehen; und du mußt Philipp lehren seine Bücher ein wenig mehr zu lieben – he, Philipp?«
»Nein, Vater, ich werde reich genug sein, um ohne Bücher fortzukommen,« sagte Philipp etwas derb; aber als er dann die geröthete Wange seines Vetters bemerkte, ging er auf ihn zu und sagte mit edlem Gefühl: »Arthur, du hast diese Flinte bewundert, ich bitte dich, sie anzunehmen. Nein, sei deßhalb nicht bedenklich – ich kann so viele haben als ich will, ich darf nur meinen Vater darum bitten; du bist nicht so gut daran, das weiß ich wohl.«
Die Absicht war gütig, doch das Wesen so vornehm, daß Arthur sich beleidigt fühlte. Er schob die Flinte zurück und sagte trocken: »Ich werde keiner Flinte bedürfen, ich danke dir.«
Wenn Arthur durch das Anerbieten beleidigt war, so war Philipp es durch die Weigerung noch mehr. »Wie du willst; ich hasse den Stolz,« sagte er und übergab die Flinte dem Stallknecht, als er sich mit der Leichtigkeit eines jungen Merkur in den Sattel schwang. »Komm, Vater!«
Beaufort hatte jetzt auch seinen Lieblingsrenner bestiegen – ein großes prächtiges Pferd, wohlbekannt durch seine Stärke und Schnelligkeit auf der Jagd. Der Reiter trabte ein- oder zweimal durch den geräumigen Hof.
»Unsinn, Tom; er ist nicht mehr an den Schenkeln verletzt als ich. Oeffne das Thor, wir wollen über den Weideplatz und dort über jenes Thor setzen – nicht wahr, Phil?«
»Vortrefflich! – Ich bin dabei!«
Das Thor wurde geöffnet – die Stallknechte standen da, um den Sprung zu sehen, und eine ähnliche Neugierde fesselte Robert und seinen Sohn.
Wie schön sahen sie aus, diese beiden Reiter; die Gewandtheit, die Leichtigkeit, der Muth des Einen mit dem feingegliederten feurigen Renner, der sich unter ihm bäumte – so heiter, so glühend, so stolz, wie ein knabenhafter Reiter es nur sein kann. Und die männliche, fast herkulische Gestalt des älteren Beaufort, der vermöge der Elasticität seiner Bewegungen und der zierlichen Anmuth, die zur vollkommenen Meisterschaft der athletischen Kunst, besonders zu Pferde, gehört, eine Eleganz und Würde besaß, die sich selten bei so vollen Proportionen findet. Es war in der That etwas Ritterliches in dem Wesen des älteren Beaufort – in seinen schönen römischen Gesichtszügen, in seiner aufrechten Haltung, in dem Schwung seiner Hand, als er von dem Hofplatze galoppirte.
»Welch ein schöner Mann mein Onkel ist!« sagte Arthur mit unwillkürlicher Bewunderung.
»Ja, er ist lauter Leben und bewundernswürdig stark!« entgegnete der blässere Vater mit einem leichten Seufzer.
»Philipp,« sagte Beaufort, als sie über den Weideplatz trabten, »ich denke doch, das Thor ist zu hoch für dich. Ich will mit Puppet hinübersetzen und dann wollen wir es für dich öffnen.«
»Pah! lieber Vater! du weißt nicht, wie sehr ich mich gebessert habe!« Er ließ den Zügel nach und berührte die Seite des Pferdes, dann eilte er vorwärts und setzte über das Thor, welches von nicht gewöhnlicher Höhe war, mit einer Leichtigkeit, die seinem stolzen Vater ein lautes Bravo entlockte.
»Nun, Puppet,« sagte Beaufort, indem er sein Pferd anspornte. Das Thier trabte bis zum Thor und wendete sich dann plötzlich mit ungeduldigem und zornigem Schnarchen um. »Pfui! pfui, Puppet! alter Junge!« sagte der Weidmann, das Pferd wieder zu der Barriere herumlenkend. Das Thier schüttelte mit dem Kopfe, als wollte es ihm Vorstellungen machen; aber die kräftig angewendeten Sporen zeigten ihm, daß sein Herr nicht auf stumme Vernunftgründe hören wolle. Es sprang vorwärts – machte den Satz – schlug mit den Hufen an die oberste Stange und warf seinen Reiter mit dem Kopfe voran auf den Weg der andern Seite hin. Das Pferd erhob sich augenblicklich – nicht so der Herr. Der Sohn stieg beunruhigt und erschreckt ab. Sein Vater war sprachlos! Das Blut stürzte ihm aus Mund und Nase und der Kopf fiel schwer auf des Knaben Brust. Die Umstehenden hatten den Sturz beobachtet – sie eilten zu der Stelle – sie nahmen den gestürzten Mann aus den schwachen Armen des Sohnes – der erste Stallknecht untersuchte ihn mit den Augen eines Mannes, der in solchen Fällen einige Erfahrungen gesammelt hat.
»Sprich, Bruder! – wo bist du verletzt?« rief Robert Beaufort.
»Er wird nicht mehr sprechen!« sagte der Stallknecht in Thränen ausbrechend. »Sein Genick ist gebrochen!«
»Schickt zum nächsten Wundarzt!« rief Robert. »Guter Gott! mein Sohn! besteige nicht dieses verteufelte Thier!«
Aber Arthur saß schon auf dem unglücklichen Pferde, welches die Ursache dieser Trübsal war. »Welchen Weg?«
»Geradezu nach R*. Es ist nur zwei Meilen – Jedermann weiß das Haus des Herrn Powis. Gott segne Sie!« sagte der Stallknecht.
Arthur verschwand.
»Hebt ihn sorgfältig vom Boden auf und bringt ihn in's Haus,« sagte Robert. »Mein armer Bruder! Mein lieber Bruder!«
Er wurde von einem Schrei, von einem einzigen, durchdringenden, herzbrechenden Schrei in seiner Rede unterbrochen und Philipp stürzte bewußtlos zu Boden.
Niemand achtete zu der Stunde auf ihn – Niemand achtete auf den vaterlosen Bastard. »Sachte, sachte,« rief Robert, als er den Dienern und ihrer Last folgte. Und dann murmelte er bei sich selber, während seine bleiche Wange sich röthete und sein Athem stockte: »Er hat kein Testament gemacht – er hat nie ein Testament gemacht!«