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Thierry. Ich beginn' zu spüren
Eine Veränderung in meinem Wesen.
Und plötzlich fiel in seinem vollen Zutraun'n
Ein leichter Regenschauer auf das Feuer
Und löscht' es aus.
– – – – –
Wie ist mein Herz getheilt
Zwischen des Sohnes Pflichten und der Liebe!
Beaumont und
Fletcher:
»Thierry und Theodoret.«
Vaudemont war jetzt einen Monat in Beaufort-Court gewesen. Der Aufenthalt in einem Landhause mit den Belustigungen, die ihm Reiz verleihen, und den Fertigkeiten und Talenten, die er in Thätigkeit setzt, war ganz für ihn geeignet, zu glänzen. Er war als Knabe ein vortrefflicher Schütze gewesen, und obgleich lange nicht mehr an die leichte Jagdflinte gewöhnt, hatte er sich doch in Indien eine todtbringende Fertigkeit im Schießen mit der Büchse erworben, so daß er in wenigen Tagen auf den Stoppeln und in den Gebüschen, in der Umgebung von Beaufort-Court, der Gegenstand des Gesprächs der Gäste und die Bewunderung der Jäger war. Die Jagd zu Pferde begann, und dies war eine Uebung, worin er sich noch mehr auszuzeichnen geeignet war, denn wenn dieselbe schon für jeden thätigen und kräftigen Mann eine Leidenschaft ist, so war sie es noch mehr für die stürmische Aufregung seiner halbgezähmten Brust und den Wahnsinn der Hoffnung und Furcht, die sich darin austoben konnten und Erleichterung fanden. Seine Kunst im Reiten, die Kühnheit, womit er über Steinmauern setzte und sein Pferd durch Bäche schwimmen ließ, lieferte seinen Begleitern bei ihrer Rückkehr Stoff zu Erzählungen und Bemerkungen der Verwunderung. Marsden, der nebst einigen andern von Arthurs ehemaligen Freunden nach Beaufort-Court eingeladen worden war, um den erwarteten Erben willkommen zu heißen, und der noch alle die Klugheit zeigte, die ihn früher ausgezeichnet hatte, wo er den alten Simon überritt und abstieg, um die Kniee seines Pferdes zu untersuchen – Marsden, ein geschickter Reiter, der die geübtesten Pferde ritt, und der es gewöhnlich so einzurichten wußte, bei dem Tode des Wildes zugegen zu sein, ohne daß er über etwas Höheres als eine Hürde gesetzt wäre, da er das kühnere Thier – im Fall ihn »die Kenntniß des Landes,« das heißt die Kenntniß der Oeffnungen und Thore im Stiche ließ – die gefährlicheren Sprünge allein ausführen ließ, selbst ruhig hinüber- oder hindurchkletterte und das gutgeschulte Thier nach Vollendung des Unternehmens gesund und wohl wieder bestieg – Marsden erklärte, er habe nie einen Reiter mit so wenig Ueberlegung gesehen, als Herrn von Vaudemont, und gewiß habe er den Teufel im Leibe.
Diese Art des Rufs, obgleich sich derselbe nur auf körperliche Eigenschaften gründete, und an sich von eben nicht hohem Werthe, übte doch einen gewissen Einfluß auf Camilla, vielleicht den der Furcht. Ich sage es nicht, denn ich weiß es nicht, von welcher Art ihre Gefühle gegen Vaudemont eigentlich waren. Da die ruhigsten Naturen oft von den entgegengesetzten Charakteren hingerissen werden, blendete und erschreckte er sie vielleicht mehr, als er ihr gefiel; gewiß ist es wenigstens, daß er ihr Interesse fesselte. Dennoch würde sie erschrocken zurückgebebt sein, wenn Jemand zu ihr gesagt hätte: »Liebst du deinen Verlobten weniger, als da ihr an dem glücklichen See verweiltet? – und ihr Herz wäre über die Frage entrüstet gewesen. Die Briefe ihres Geliebten waren noch immer lang und häufig; die ihrigen kürzer und gemäßigter. Die Correspondenz war auch mit einem Zwange verbunden – sie mußte ihrer Mutter vorgelegt werden.
Welches auch Vaudemonts Benehmen gegen Camilla sein mochte, wenn der Zufall sie allein zusammenführte – so ist doch gewiß, daß er seine Aufmerksamkeit nicht so auffallend machte, daß sie bemerkt wurde. Sein Auge beobachtete sie mehr, als seine Lippe sie anredete. Er hielt sich von den übrigen Mitgliedern ihrer Familie so fern als möglich, und sein gewöhnliches Wesen war schweigsam, fast düster. Doch gab es Augenblicke, wo er sich dem Uebermaß der guten Laune hingab, die etwas Gezwungenes und Unnatürliches an sich hatte. Er hatte Lord Lilburne's kurzes Gefallen überlebt, denn seit er beschlossen hatte, das Spiel jenes vornehmen Spielers nicht mehr zu beobachten, spielte er selber nur sehr wenig, und da Lord Lilburne sah, daß er nicht das Mittel in Händen habe, ihn zu Grunde zu richten, so war auch keine Ursache vorhanden, freundschaftlich gegen ihn zu sein. Aber dieß war noch nicht Alles. Als Vaudemont etwas über vierzehn Tage im Hause war, hinkte Lilburne ungeduldig und ärgerlich, entweder über seine Weigerung mitzuspielen, oder über die Mäßigung, wenn er es that, sein Unglück auf kleine Verluste zu beschränken, eines Tages auf ihn zu, als er in einer Fenstervertiefung stand und die weite Landschaft betrachtete, und sagte: »Vaudemont, Sie sind kühner auf der Jagd, als beim Whistspiel.«
»Die Honneurs springen Einem nicht über die Hecke entgegen!«
»Was meinen Sie damit?« sagte Lilburne stolz.
Vaudemont war in dem Augenblick in einer bittern Stimmung, wo er seine Lage tief empfand und der Anblick des Räubers seines Vermögens die milderen Gedanken verscheuchte, die seine unheilvolle Leidenschaft ihm einflößte. Und Lord Lilburne's Ton und sein Widerwillen gegen den Mann waren ihm zu viel bei seiner jetzigen Stimmung.
»Lord Lilburne,« sagte er, und seine Lippe verzog sich, »wären Sie arm geboren, so hätten Sie sich ein großes Vermögen erwerben können – Sie spielen sehr glücklich!«
»Wie soll ich dieß nehmen, Herr?«
»Wie Sie wollen,« antwortete Vaudemont kalt, aber mit feuersprühendem Auge. Und er wendete sich ab.
Lilburne blieb sehr nachdenkend stehen. »Hm! er hegt Verdacht gegen mich. Ich kann deßhalb keinen Streit anfangen – schon der Verdacht entehrt mich – ich muß eine andere Veranlassung suchen.«
Am folgenden Tage fragte Lilburne, der mit Marsden sehr vertraut war – obgleich der Letztere nie an demselben Tische mit ihm spielte – diesen Herrn nach dem Frühstück, ob er vielleicht Pistolen bei sich habe?
»Ja; ich nehme sie immer mit auf's Land – man darf sich wohl üben, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Ueberdies sind die Jagdliebhaber oft händelsüchtig, und wenn es bekannt ist, daß man gut schießt, so erspart man sich Händel!«
»Sehr wahr,« sagte Lilburne mit fast bewunderndem Ausdruck; »als ich jünger war, habe ich dieselbe Bemerkung gemacht. Ich habe seit mehreren Jahren nicht mit Pistolen geschossen. Ich bin jetzt wohl genug, um am Stock auszugehen. Wie wäre es, wenn wir uns eine halbe Stunde übten?«
»Von Herzen gern,« sagte Marsden.
Die Pistolen wurden gebracht und sie gingen aus; Lord Lilburne fand, daß er aus der Uebung gekommen sei.
»Da ich jetzt nie zu Pferde auf die Jagd gehe,« sagte der Pair zähneknirschend und auf seine verwundete Hüfte niedersehend, »denn obgleich mich die Lähmung nicht hindern würde, fest im Sattel zu sitzen, so schadet doch die heftige Bewegung meinem Beine, und Brodin sagt, jeder neue Unfall könnte sehr schmerzlich sein – und da mein Podagra mir nicht erlaubt, an der Jagd Theil zu nehmen, so würden Sie mir eine große Gefälligkeit erweisen, wenn Sie mir Ihre Pistolen borgen wollten – ich würde mir damit zuweilen eine Stunde die Zeit vertreiben können; obgleich, dem Himmel sei Dank, das Duelliren für mich vorüber ist!«
»Sehr gern,« sagte Marsden, und die Pistolen wurden Lord Lilburne übergeben.
Vier Tage später trafen Marsden, Vaudemont und einige andere Herren, als sie in den Wald gingen, Lord Lilburne, der in einem Theile des Parks, der vom Hause entfernt war, sich mit Marsdens Pistolen die Zeit vertrieb, während Dykeman bei ihm war, um sie wieder zu laden. Er wendete sich um, durch die Störung nicht aus der Fassung gebracht.
»Sie haben keinen Begriff, welche Fortschritte ich gemacht habe, Marsden – sehen Sie nur!« und er deutete auf einen an einen Baum genagelten Handschuh. »Ich habe dieses Ziel in fünf Mal zweimal getroffen, und jedesmal bin ich in der geraden Linie geblieben, um meinen Mann zu tödten.«
»Ja, das Ziel selbst hat nicht viel zu sagen,« entgegnete Marsden, »wenigstens nicht beim wirklichen Duell – die Hauptsache ist, in der Linie zu bleiben.«
Während er sprach, traf Lord Lilburne's Kugel zum dritten Mal den Handschuh. Sein kaltes, klares Auge richtete sich auf Vaudemont und er sagte lächelnd: »Man sagt mir, Sie schießen gut mit der Jagdflinte, mein lieber Vaudemont – sind Sie eben so geschickt mit der Pistole?«
»Sie können es sehen, wenn Sie wollen; aber Sie zielen, Lord Lilburne; das würde bei einem englischen Duell nicht nützen. Erlauben Sie.«
Er ging zu dem Handschuh und riß einen Finger davon ab, den er besonders an den Baum befestigte, nahm im Vorübergehen Dykeman die Pistole ab, trat auf den Platz, von wo Lilburne geschossen, drehte sich rasch um, scheinbar ohne zu zielen, und der Finger fiel auf den Boden.
Lilburne stand erschrocken da.
»Das ist wunderbar!« sagte Marsden – »wunderbar! Wo, zum Teufel, lernten Sie einen solchen Kunstgriff? – denn eigentlich ist es doch nur ein Kunstgriff!«
»Ich lebte manche Jahre in einem Lande, wo ich beständige Uebung hatte, und wo das Schießen eine nothwendige Fertigkeit war – in einem Lande, wo der Mensch oft mit den wilden Bestien kämpfen muß. In civilisirten Staaten vertritt der Mensch selber die Stelle der wilden Bestien – aber auf ihn machen wir nicht Jagd. Lord Lilburne –« setzte er mit verächtlichem und lächelndem Flüstern hinzu, »Sie müssen sich noch ein wenig mehr üben.«
Aber Lord Lilburne befolgte diesen Rath nicht, sondern stellte seine Morgenbeschäftigung ein. Er dachte nicht mehr an ein Duell mit Vaudemont. Sobald die Jäger ihn verlassen hätten, befahl er Dykeman, die Pistolen fortzutragen, und ging geradezu nach Hause in das Bibliothekzimmer, wo Robert Beaufort, der die Jagd nicht liebte, gewöhnlich seine Morgenstunden zubrachte.
Er warf sich in einen Lehnsessel und sagte, indem er mit ungewöhnlicher Heftigkeit das Feuer schürte: »Beaufort, es thut mir sehr leid, daß ich dich gebeten, Vaudemont einzuladen. Er ist ein sehr unangenehmer Mensch, ohne Erziehung.«
Beaufort ließ das Rechnungsbuch seines Hausmeisters fallen, womit er sich beschäftigte, und erwiderte: »Lilburne, ich habe keinen ruhigen Augenblick gehabt, seit der Mensch im Hause ist. Da du ihn eingeladen, wollte ich bisher nichts sagen, aber bemerkst du nicht – du mußt es bemerkt haben – wie ähnlich er den alten Familienbildern ist. Je mehr ich ihn angesehen, desto klarer wird mir noch eine andere Aehnlichkeit. Mit einem Wort,« sagte Robert, indem er inne hielt und schwerer athmete, »wäre sein Name nicht Vaudemont – wäre seine Geschichte nicht allem Anscheine nach so bekannt – so würde ich sagen – ja ich würde schwören, daß es Philipp Morton ist, der unter diesem Dache schläft.«
»Ha!« sagte Lilburne mit einem Ernst, der Beaufort in Erstaunen setzte, da er vorbereitet war, von seinem Schwager spöttische Bemerkungen über seine Furcht zu hören; »die Aehnlichkeit mit den alten Familienbildern, wovon du sprichst, fiel mir auch auf; auch Marsden bemerkte sie in diesen Tagen, als wir durch die Gemäldegallerie gingen; und Marsden machte laut eine Bemerkung darüber gegen Vaudemont. Mir fällt jetzt ein, daß er die Farbe veränderte und nicht antwortete. Still! still! erwähne nichts davon – laß mich nachdenken. Dieser Philipp – ja – ja – ich und Arthur sahen ihn mit – mit – Gawtrey – in Paris –«
»Gawtrey! war das der Name des Schurken, mit dem er, wie man sagt –«
»Ja – ja – ja. Ha! nun errathe ich die Bedeutung jener Blicke – jener Worte,« murmelte Lilburne zwischen den Zähnen. »Sein Anspruch an den Namen Vaudemont war immer zweifelhaft – die Geschichte wurde immer nur halb geglaubt – die Erfindung einer in ihn verliebten Frau – der Anspruch an dein Vermögen, der zu derselben Zeit gemacht wird, wo er in England ankommt – Ha! hast du eine Zeitung hier? gib sie mir. Nein! es ist nicht dieses Blatt. Klingle und laß die älteren Nummern bringen!«
»Was ist? Du erschreckst mich!« stöhnte Beaufort, indem er klingelte.
»Hast du nicht die Aufforderung gelesen, die im letzten Monat mehrmals wiederholt wurde?«
»Ich lese nie in Anzeigen, außer in der Zeitung der Grafschaft, wenn Güter zu verkaufen sind.«
»Ich auch nicht oft; aber diese fiel mir auf. John« – hier trat der Bediente ein – »bringe die Zeitungen vom letzten Monat. Der Name des Zeugen, auf den sich Mrs. Morton berief, war Smith, derselbe Name wie der des Kapitäns; welches war der Vorname?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Hier sind die Zeitungen – schließe die Thür – und hier ist die Aufforderung: ›Wenn Herr William Smith, Sohn des Jeremias Smith, der früher Shipdale-Bury unter dem sehr ehrenwerthen Charles Leopold Beaufort (das ist dein Oheim) gepachtet hatte, und der im Jahre 18.. nach Australien auswanderte, sich an den Advokaten Barlow, Essex-Street, Strand, wenden will, so wird er etwas für ihn Vortheilhaftes erfahren.‹«
»Guter Himmel! warum sagtest du mir dieß nicht früher?«
»Weil ich es nicht für wichtig hielt. Es konnte ja dem Manne ein Legat vermacht sein, welches nichts mit deiner Sache zu thun hatte. In der That, das war die wahrscheinlichste Vermuthung – oder selbst, wenn sie mit jenen Ansprüchen in Verbindung stand, konnte diese Aufforderung nur ein verächtlicher Versuch sein, dich zu schrecken. Nimm es dir nicht zu Herzen – werde nicht so blaß – am Ende ist es doch nur ein Beweis, daß der Zeuge nicht aufgefunden worden – daß Kapitän Smith weder jener Smith ist, noch entdeckt hat, wo jener Smith ist!«
»Wahr!« sagte Beaufort; »wahr – sehr wahr!«
»Hm!« sagte Lord Lilburne, der noch immer rasch die Zeitungen überblickte – »hier ist noch eine Aufforderung, die ich nie zuvor sah; dieß sieht verdächtig aus: ›Wenn der Mann, der am ... September zu Herrn Morton, Leinwandhändler in N*, kam, sich wieder persönlich oder schriftlich an ihn wenden will, so kann er die gewünschte Auskunft erhalten.‹«
»Morton! – des Weibes Bruder! ihr Oheim! Es ist zu klar!«
»Aber was führt diesen Mann hieher, wenn er wirklich Philipp Morton ist? – Will er spioniren oder drohen?«
»Ich will ihn noch heute aus dem Hause schaffen.«
»Nein – nein! wir wollen ihn beobachten. Ich sehe es jetzt – deine Tochter zieht ihn an. Forsche sie aus, sage ihr, sie soll sein Vertrauen nicht zurückweisen; mache ausfindig, ob er je von diesen Mortons spricht. Ha! ich erinnere mich – er hat schon mit mir von den Mortons gesprochen – ich habe aber vergessen, was es war. Ha! dieß ist ein Mann von Geist und Kühnheit – beobachte ihn, sage ich – beobachte ihn! Wann kommt Arthur zurück?«
»Er ist so langsam gereist, denn er klagt noch immer über seinen Gesundheitszustand und hat Verzögerungen gehabt; aber er wollte diese Woche in Paris sein, vielleicht ist er jetzt dort. Guter Himmel! er darf diesen Mann nicht treffen!«
»Thu' was du willst, bringe Alles von deiner Tochter heraus. Fürchte nichts; er kann nichts gegen dich ausrichten, als durch das Gesetz. Aber wenn er Camilla wirklich liebt –«
»Er! Philipp Morton – der Abenteurer – der –«
»Er ist der älteste Sohn; bedenke, du wolltest schon den jüngeren annehmen. Er kann den Zeugen finden – er kann den Prozeß gewinnen – wenn er Camilla liebt, könnte es zu einem Vergleich kommen.«
Herrn Beaufort war es, als würde er zu Eis.
»Du hältst es also für wahrscheinlich, daß er diesen schmachvollen Prozeß gewinnen wird?« stotterte er.
»Wolltest du dich nicht schon gegen den Bruder sichern? Um so mehr ist es der Mühe werth, es mit diesem Manne zu versuchen. Höre! die Politik des Privatlebens ist der des öffentlichen gleich – wenn der Staat einen Demagogen nicht vernichten kann, so sollte er suchen, ihn für sich zu gewinnen. Wenn du diesen Hund zu Grunde richten kannst –« und Lilburne stampfte heftig mit dem Fuße auf den Boden, ohne an seine Gicht zu denken – »so vernichte ihn! Bringe ihn an den Galgen! Wenn du es nicht kannst –« und hier streichelte er mit verzogenem Gesicht seinen verletzten Fuß – »wenn du es nicht kannst – Teufel, welch' ein Schmerz! – und er dich zu Grunde richten kann – so bringe ihn in die Familie und mache seine Geheimnisse zu den unsern! Ich muß gehen und mich niederlegen, ich habe mich zu sehr aufgeregt.«
In großer Verwirrung ging Beaufort sogleich zu Camilla. Seine nervöse Aufregung verrieth sich, obwohl er ein gräßliches Lächeln erzwang und außerordentlich kalt und gefaßt zu sein sich bestrebte. Seine Fragen, die sie verwirrten und beunruhigten, brachten bald die Thatsache von ihr heraus, daß Vaudemont gleich das erste Mal, als er ihr vorgestellt worden, von den Mortons gesprochen, später oft den Gegenstand wieder berührt und anfangs der festen Ueberzeugung zu sein geschienen habe, daß der jüngere Bruder unter Beauforts Schutze sei; obgleich er sich endlich widerstrebend von dem Gegentheil überzeugt zu haben schien. So aufgeregt Robert auch war, so besaß er doch genug von seiner natürlichen Schlauheit, um nicht zu erkennen zu geben, daß er den Argwohn hege, Vaudemont sei Philipp Morton selber, denn er fürchtete, seine Tochter möchte diesem seinen Verdacht verrathen.
»Aber,« sagte er mit einem Blicke, der Vertrauen einflößen sollte, »ich vermuthe, er kennt diese jungen Leute. Ich möchte gern selber mehr von ihnen wissen. Suche Alles, was du kannst, von ihm zu erfahren, und sage es mir, Camilla – hi! hi! hi! – Du hast eine Eroberung gemacht, du kleine Närrin! Sagte dieser Vaudemont je, wie sehr er dich bewundere?«
»Er! – nimmer!« sagte Camilla erröthend und dann sehr blaß werdend.
»Aber er zeigt es durch seine Blicke. Ach! Du sagst also nichts. Gut, gut, entmuthige ihn nicht, das heißt – ja, entmuthige ihn nicht. Sprich mit ihm so viel als du kannst – frage ihn nach seinem früheren Leben. Ich wünsche es besonders zu wissen – es ist mir von großer Wichtigkeit.«
»Aber, mein lieber Vater,« sagte Camilla zitternd und verwirrt, »ich fürchte diesen Mann – ich fürchte – ich fürchte –«
Wollte sie hinzusetzen: »Ich fürchte mich selber?« Ich weiß es nicht! aber sie hielt inne und brach in Thränen aus.
»Zum Henker mit diesen Mädchen!« murmelte Beaufort, »stets greinen sie, wenn sie uns von Nutzen sein sollten. Geh' hinunter, trockne deine Augen, thue wie ich dir sage – suche Alles, was du kannst, von ihm zu erfahren. Ihn fürchten! – ja ich glaube wohl, daß sie ihn fürchtet!« murmelte der arme Mann, als er die Thür schloß.
Ist es zu verwundern, daß Camilla's Benehmen gegen Vaudemont von der Zeit an noch verlegener war als je? Ist es zu verwundern, daß er diese Verlegenheit nach seiner eigenen Art erklärte? Beaufort trug Sorge, sie mehr als sonst in seine Nähe zu bringen; er nahm plötzlich eine kriechende, schmeichelnde Höflichkeit gegen Vaudemont an; er sei gewiß, daß er die Musik liebe; wie möchte ihm wohl die neue Arie gefallen, die Camilla so sehr liebte? Er müsse ein Urtheil über Landschaften haben, da er so viel gesehen: es seien schöne Aussichten in der Umgegend, und wenn er seine Jagd einstellen wolle, so zeichne Camilla ganz hübsch, habe ein Auge für dergleichen Dinge und reite so gern.
Vaudemont erstaunte über diese Veränderung, aber sein Entzücken war größer als sein Erstaunen. Er begann zu bemerken, daß man entdeckt habe, wer er sei; vielleicht wollte Beaufort, großmüthiger als er ihn sich gedacht, jedes Unrecht und jede Härte, die er ihm in früheren Jahren zugefügt, durch jenen unschätzbaren Segen vergelten. Die Edelmüthigen erklären die Beweggründe Anderer stets im äußersten Sinne – stets zu milde oder zu strenge. Vaudemont war es, als habe er den Beleidiger beleidigt; er begann sogar seinen Widerwillen gegen Robert Beaufort zu überwinden. Einige Tage lang war er viel in Camilla's Nähe; die Fragen, die sie ihm auf Befehl ihres Vaters vorlegen mußte, wurden bebend und furchtsam ausgesprochen und schienen ihm ihr Interesse an seinem Schicksal zu beweisen. Seine Gefühle für Camilla, so plötzlich in ihrem Entstehen – so gereift und so begünstigt durch die untergeordneten Beherrscher der Welt – die Verhältnisse – hatten vielleicht nicht die Tiefe und ruhige Vollkommenheit jener einzig wahren Liebe – von der es so viele Nachbildungen gibt – und die bei dem Manne wenigstens, wenn nicht durch die Zeit, doch durch viele Erinnerungen reifen muß – die der vollkommenen und erprobten Ueberzeugung von der Treue, dem Werthe und der Schönheit des Herzens bedarf, an welches er sich hängt – aber jene Gefühle waren dennoch stark, glühend und innig. Er glaubte geliebt zu sein – er war im Elysium. Aber er erklärte die Liebe noch nicht, die aus seinen Augen strahlte. Nein! er wollte Camilla Beauforts Hand noch nicht fordern; denn er glaubte, die Zeit werde bald kommen, wo er sie nicht als untergeordnete Person oder als Bittender, sondern als Herr des Schicksals ihres Vaters fordern könne.