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Constanze. Mein Leben, meine Freude, meine Nahrung,
Für mich die ganze Welt, mein Wittwentrost.
König Johann.
Bei dem Schimmer der Lampen – bei dem Rasseln der Kutschen – bei dem Geklapper der Karren und Lastwagen – bei dem Gedränge und dem mißtönenden Geschrei und Gebrüll Londons erwachte Philipp aus seinem glücklichen Schlafe. Er erwachte verwirrt und unbewußt, wo er war, und sah fremde Augen freundlich und wachsam auf sich gerichtet.
»Sie haben gut geschlafen, mein Junge!« sagte der Passagier mit der tiefen und volltönenden Stimme, die sich bei all dem Lärm hörbar machte.
»Und Sie haben sich so von mir belästigen lassen?« fragte Philipp mit mehr Dankbarkeit in seiner Stimme und in seinem Blick, als er vielleicht je seit seiner Geburt gegen irgend Jemand außer seiner Familie gezeigt hatte.
»Sie müssen wenig an Freundlichkeit gewöhnt sein, mein armer Junge, wenn Sie dieß so hoch anschlagen?«
»Nein – einst waren alle Leute sehr freundlich gegen mich, und damals schätzte ich es nicht.« Hier rollte der Wagen schwer durch den finstern Eingang des Gasthauses.
»Tragen Sie Sorge für sich, mein Junge! Sie sehen übel aus.« Und der finstere Mann steckte Philipp ein Goldstück in die Hand.
»Ich bedarf kein Geld, obgleich ich Ihnen dennoch herzlich danke; es wäre eine Schande, in meinem Alter zu betteln. Aber wissen Sie nicht eine Anstellung für mich, wobei ich etwas verdienen kann? – Was man mir anbietet, ist so sehr wenig. Ich habe eine Mutter zu Hause und einen kleinen Bruder.«
»Anstellung!« wiederholte der Mann, und als der Wagen jetzt an der Thür anhielt, fiel das Licht der Lampe voll auf sein ausdrucksvolles Gesicht. »Ja, ich weiß eine Anstellung, aber Sie sollten sich an Jemand anders wenden, um sie zu erhalten! Was mich betrifft, so ist es nicht wahrscheinlich, daß wir uns wiedersehen werden!«
»Das thut mir sehr leid! Wer und was sind Sie?« fragte Philipp mit unbefangener Neugierde.
»Ich?« entgegnete der Passagier mit lautem Lachen. »O! ich weiß einige Leute, die mich einen ehrlichen Kerl nennen. Nehmen Sie die Ihnen angebotene Anstellung an, so unbedeutend sie auch ist – suchen Sie sich nur dem Untergange zu entziehen. Gute Nacht, mein Junge!«
Mit diesen Worten stieg er rasch von der Decke des Wagens herunter und gab dem Kutscher Anweisungen, wo er seinen Reisesack finden werde. Philipp sah drei oder vier wohlgekleidete Männer auf ihn zukommen, mit Wärme seine Hand schütteln und ihn dem Anscheine nach mit großer Herzlichkeit begrüßen.
Philipp seufzte. »Er hat Freunde,« murmelte er bei sich selber; dann bezahlte er sein Fahrgeld, entfernte sich aus dem geräuschvollen Gasthofe und trat seinen einsamen Heimweg an.
Eine Woche nach diesem Besuche in R* trat Philipp zur Probe in das Geschäft des Herrn Plaskwith ein, und Mrs. Morton's Gesundheit hatte so sehr abgenommen, daß sie sich entschloß, ihr Schicksal zu erfahren und einen Arzt zu befragen. Das Orakel war anfangs unbestimmt in seiner Antwort; doch als Mrs. Morton mit Festigkeit sagte: »Ich habe Pflichten zu erfüllen; von Ihrer aufrichtigen Antwort hängen meine Pläne hinsichtlich meiner Kinder ab – wenn ich plötzlich sterbe, so sind sie ganz verlassen in der Welt,« sah der Arzt ihr fest in's Gesicht, bemerkte ihre ruhige Entschlossenheit und erwiderte offen: »Verlieren Sie keine Zeit, Ihre Pläne in Ausführung zu bringen. Das Leben aller Menschen ist unsicher – das Ihrige ganz besonders; Sie können noch eine Zeitlang leben, aber Ihre Constitution ist sehr erschüttert – ich fürchte, Sie haben Wasser in der Brust. – Nein, Madame – kein Honorar. Ich werde Sie wieder besuchen.«
Der Arzt wendete sich zu Sidney, der mit seiner Uhrkette spielte und lächelnd zu seinem Gesicht aufblickte.
»Und dieses Kind, Herr?« sagte die Mutter besorgt, indem sie das schreckliche Urtheil vergaß, welches er über sie ausgesprochen hatte – »er ist so zart!«
»Nicht im geringsten, Madame – ein sehr hübscher kleiner Kerl.« Und der Arzt streichelte den Kopf des Knaben und entfernte sich plötzlich.
»Ach! Mama, ich wollte, du rittest spazieren – ich wollte du nähmest das weiße Pferd!«
»Armer Junge!« murmelte die Mutter, »ich darf nicht selbstsüchtig sein.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und begann nachzudenken.
Konnte sie nach dieser Erklärung des Arztes sich entschließen, Ihres Bruders Anerbieten abzulehnen? Wurde nicht ihrem Kinde wenigstens Brod und Obdach gewährt? Wenn sie todt war, konnte da nicht ein Band zwischen dem Oheim und Neffen zerreißen? Würde er so freundlich gegen den Knaben sein, wie jetzt, da sie ihn mit ihren eigenen Lippen seiner Sorgfalt anvertrauen – dieses kostbare Pfand seinen Händen übergeben konnte? Mit diesem Gedanken faßte sie einen von jenen Entschlüssen, die alle Stärke aufopfernder Liebe haben. Sie wollte den Knaben von sich entfernen, ihren letzten Trost; sie wollte allein sterben – allein!