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Volpone . Ein Weniges im Düster, nicht im Kummer;
Niemals – doch stets ich selber.
– – –
Peregrine. Bin ich genug verkleidet?
Mer. Ja gewiß.
Per. Gott schütz' euch, schöne Dame.
Ben Jonson.
Es ist ein böser Wind, der Niemanden wohlthut. Der böse Wind, der dem Lord Lilburne das Podagra zugeweht, hatte ihn von der Bewegung des beabsichtigten Unrechts gegen den Gegenstand seiner Neigung, wie er sich ausdrückte, abgebracht. Wie [vollkommen] Lord Lilburne's Gefühle von seinem Gesundheitszustande abhingen, kann man aus der Antwort sehen, die er seinem Kammerdiener gab, als am Morgen nach dem ersten Anfall der Gicht dieser würdige Mann zu Aufheiterung seines Herrn ihm den Vorschlag machte, sich nach einer Person zu erkundigen, in die Lord Lilburne heftig verliebt zu sein vorgab.
»Zum Henker mit dir, Dykeman!« rief der Kranke, »was schwatzest du mir von Weibern vor, wenn ich in diesem Zustande bin? Mir ist es gleich, und wenn sie alle am Grunde des Meeres lägen! Gib mir das Colchicum; ich muß meinen Geist ruhig erhalten.«
Wenn Lord Lilburne erträglich wohl war, so kümmerte er sich wenig um seine Gesundheit; so wie er aber krank war, widmete er derselben die größte Aufmerksamkeit. Wenn gleich ein Mann von festen Nerven, in seiner Jugend von ausgezeichneter Keckheit, und noch immer, obgleich nicht mehr tollkühn, ein Mann von hinlänglichem persönlichen Muthe, liebte er durchaus nicht den Gedanken an den Tod – das heißt an seinen eigenen Tod. Nicht, als hätten ihn religiöse Befürchtungen wegen des furchtbaren Unbekannten gequält, sondern nur darum, weil dasjenige Leben, von dem er allein eine erfahrungsmäßige Kenntnis hatte, ihm ganz vorzüglich angenehm erschien. Er hatte eine Art instinktmäßiger Ueberzeugung, daß es dem Lord John Lilburne nirgend anders besser ergehen werde. Stets der Einsamkeit abgeneigt, haßte er sie noch mehr als sonst, wenn er krank war, und er hieß daher den Besuch seiner Schwester und die zarte Hand seiner Nichte willkommen. Beaufort dagegen war dem Kranken langweilig und lästig, und als dieser bei seiner Ankunft, Frau und Tochter ausschließend, Lilburne zuflüsterte: »Keine weiteren Nachrichten von dem Betrüger?« antwortete Lilburne mürrisch:
»Ich rede nie von Geschäften, wenn ich an der Gicht leide! Ich habe Sharp aufgetragen, ein wachsames Auge auf ihn zu haben; aber er hat bisher noch nichts von ihm erfahren. Und jetzt geh' in deinen Club. Du bist ein würdiger Mann, aber in diesem Augenblicke zu feierlich für meine Laune. Es kommen einige Herren zum Mittagessen zu mir, deine Frau wird die Honneurs machen – und du kannst auf den Abend kommen.«
Obgleich Robert Beauforts Gefühl von seiner eigenen Wichtigkeit durch diesen unceremoniösen Abschied verletzt wurde, erzwang er doch ein Lächeln und sagte: »Nun, es ist kein Wunder, wenn du ein wenig wunderlich bist beim Podagra. Ich habe genug in der Stadt zu thun, und Mrs. Beaufort und Camilla können nach Hause fahren, ohne auf mich zu warten.«
»Dein Koch ist ja krank, und da sie nicht im Club speisen können, so kannst du sie eben so gut hier lassen, bis ich ein wenig besser bin; nicht, als läge mir etwas daran, denn ich kann eine bessere Wärterin dingen, als Beide sind.«
»Mein lieber Lilburne, sprich doch nicht davon, Wärterinnen zu dingen: es macht mich in der That nur zu glücklich, wenn sie dir einige Erleichterung verschaffen können.«
»Nein, wenn ich es genauer überlege, du kannst deine Frau wieder mitnehmen, sie schwatzt immer von ihren eigenen Leiden, und mir Camilla lassen; du wirst sie auf ein paar Tage nicht sehr vermissen.«
»Wie du willst. Und du meinst wirklich, ich habe die Sache mit dem jungen Manne so gut ich konnte, eingeleitet – he?«
»Ja – ja! Und du gehst also in wenigen Tagen nach Beaufort-Court?«
»Ich beabsichtige es. Ich wünschte, du wärest wohl genug, uns zu begleiten.«
»Hm! Chambers sagt, es wäre eine sehr zuträgliche Luft für mich – besser als Fernside, und was mein Schloß im Norden betrifft, so ging' ich lieber nach Sibirien. Gut, wenn ich besser werde, will ich euch einen Besuch abstatten, nur hast du immer einen solchen stupiden Schwarm von respektablen Leuten um dich. Ich erschrecke sie, und sie erdrücken mich!«
»Nun, da ich Arthur bald zu sehen hoffe, so werde ich es ihm so angenehm als möglich machen und dir sehr verbunden sein, wenn du einige von deinen Freunden einladen wolltest.«
»Ei, du bist ein guter Kerl, Beaufort, und ich will dich beim Wort nehmen, und da ein Dienst den andern werth ist, so trage ich kein Bedenken, dir zu erklären, daß du nach meiner festen Ueberzeugung, keine weitere Belästigung von diesem Zeugen zu erwarten hast.«
»In dem Falle,« sagte Beaufort, »kann ich vielleicht eine bessere Partie für Camilla auffinden! Lebe wohl, lieber Lilburne!«
»Form und Ceremonie der Welt!« murrte der Pair, als die Thür sich hinter seinem Schwager schloß, »ihr macht kleine Menschen sehr moralisch, doch darum nicht im Geringsten besser!«
Vaudemont kam an diesem Tage zufällig früher, als alle anderen Gäste, und während der halben Stunde, die Doktor Chambers seinem vornehmen Patienten widmete, so daß, als er eintrat, nur Mrs. Beaufort und Camilla im Gesellschaftszimmer waren.
Vaudemont trat unwillkürlich zurück, als er in dem verwelkten Gesichte der älteren Dame Züge erkannte, die mit einem der dunkelsten Punkte seines früheren Lebens in Verbindung standen; aber das anmuthige Lächeln der Mrs. Beaufort, ihr freundlicher, obgleich etwas matter Willkommen versicherte ihm, daß das Erkennen nicht beiderseitig war. Er näherte sich ihr und blieb dann wieder stehen, als sein Auge auf die schöne und noch immer kindliche Gestalt fiel, die einst neben ihm gekniet und mit dem Waisen um die Zurückgabe seines Bruders gebeten hatte. Während er mit ihr sprach, durchbebten mancherlei Erinnerungen, manche trübe und herbe – aber die auf Camilla bezüglichen sanft und heiter – sein Herz. So sehr ihre eigenen Gedanken und Gefühle nothwendig mit Sidney beschäftigt waren – lag doch etwas in Vaudemonts Erscheinen, in seinem Wesen, seiner Stimme, was in Camilla ein seltsames, unerklärliches Interesse erregte, und selbst Mrs. Beaufort wurde aus ihrer gewohnten Gefühllosigkeit erweckt, als sie dieses dunkle und gebieterische Gesicht mit einer Mischung von Bewunderung und Furcht betrachtete. Vaudemont hatte indeß kaum zehn Worte gesprochen, als andere Gäste gemeldet wurden, und bald darauf rollte man Lord Lilburne auf seinem Sopha herein. Vaudemont blieb indeß neben Camilla sitzen, und die Verlegenheit verschwand, die er Anfangs empfunden. Er besaß, wenn er wollte, jene Art von Beredtsamkeit, die Männern eigen ist, die viel gesehen und tief gefühlt haben, und deren Gespräch nicht zu dem alltäglichen Tone der Welt zerrieben ist. Selbst seine Ausdrücke waren scharf und eigenthümlich, und er besaß jenen seltensten aller Reize im feinen Leben, Originalität des Gedankens und Benehmens. Camilla erröthete, als er sich bei der Tafel zu ihr setzte. Vaudemont nahm diesen Abend keinen Antheil am Spiel, aber der Tisch wurde auch ohne ihn leicht besetzt, und er unterhielt sich fortwährend mit der Tochter des Mannes, den er als seinen ärgsten Feind ansah. Allmälig gab er dem Gespräche eine Richtung, die ihn zu der gewünschten Auskunft führen konnte.
»Es war mein Schicksal,« sagte er, »einst mit einem vertrauten Freunde des verstorbenen Herrn Beaufort bekannt zu werden. Werden Sie mir verzeihen, wenn ich wage, ein Versprechen zu erfüllen, welches ich ihm gab, und Sie um Auskunft bitte, was aus einem – einem – das heißt, aus Sidney Morton geworden ist?«
»Sidney Morton! Ich erinnere mich nicht einmal des Namens. O ja, ich habe ihn doch gehört,« setzte Camilla unschuldig und mit einer Offenheit hinzu, welche zeigte, wie wenig sie von den Geheimnissen der Familie wußte; »es war einer von den beiden armen Knaben, an welchen mein Bruder so lebhaften Antheil nahm – Verwandte meines Oheims. Ja – ja! Jetzt erinnere ich mich. Ich kenne Sidney nicht, aber seinen Bruder sah ich einst.«
»Wirklich! Und Sie erinnern sich –«
»Ja, ich war damals noch sehr jung. Ich besinne mich kaum was vorging; es war Alles so verwirrt und seltsam; aber ich weiß, daß ich Papa sehr zornig machte und man mir verbot, je wieder den Namen Morton zu nennen. Ich glaube, sie betragen sich sehr schlecht gegen Papa.«
»Und Sie erfuhren nie – nie – das Schicksal von einem derselben – von Sidney?«
»Nie!«
»Aber Ihr Vater muß es wissen?«
»Ich denke nicht! aber sagen Sie mir doch,« sagte Camilla mit mädchenhafter, unverstellter Unschuld, »ich bin immer so begierig gewesen, es zu erfahren, wer und was waren diese armen Knaben?«
Wer und was waren sie? So schwarz war also der auf ihrem Namen haftende Makel, daß die sittsame Mutter und der auf Anstand haltende Vater nie diesem Mädchen gesagt hatten: »Es sind deine Vettern – die Kinder des Mannes, in dessen Gold wir schwelgen!«
Philipp biß sich in die Lippen, und der Zauber von Camilla's Gegenwart schien verschwunden zu sein. Er murmelte eine unverständliche Antwort, wendete sich zu dem Spieltische und Liancourt nahm den leeren Stuhl ein.
»Und wie gefällt Ihnen mein Freund Vaudemont, Miß Beaufort? Ich kann Ihnen versichern, ich habe ihn selten so empfänglich für den Zauber weiblicher Schönheit gesehen.«
»O,« sagte Camilla mit ihrem silberhellen Lachen, »Ihre Nation verwöhnt uns unsern Landsleuten gegenüber. Sie vergessen, wie wenig wir an Schmeichelei gewöhnt sind.«
»Schmeichelei! Welche Wahrheit vermöchte zu schmeicheln auf den Lippen eines Verbannten? Aber Sie beantworten meine Frage nicht – was halten Sie von Vaudemont? Wenige werden mehr bewundert. Er ist schön!«
»Ist er's?« sagte Camilla und warf einen Blick auf Vaudemont, der gedankenvoll und zerstreut in einiger Entfernung stand. Jedes Mädchen bildet sich einen unausgesprochenen Traum von dem, was sie für das Schönste hält. Und Vaudemont besaß nicht die zarte, fehlerlose Schönheit Sidney's. In seinen ausdrucksvollen Zügen und seiner gebieterischen Gestalt war nichts, was ihrem Ideal entsprach. Aber sie gestand sich mit Widerstreben, daß sie unter den geputzten, eleganten Herren des Alltagslebens selten eine so auffallende und ansprechende Gestalt gesehen habe. Seine Haltung war die eines bestimmten Berufes – der flüchtigste Blick entdeckte in ihm den Soldaten. Aber er schien der Krieger einer früheren Zeit oder aus einem wilderen Klima zu sein. Er erinnerte sie an jene Köpfe, die sie in der Familiengallerie und andern, noch berühmteren Sammlungen gesehen – an Titians Portraits von jenen kriegerischen Staatsmännern, die in den alten Republiken Italiens in beständigem Kampfe mit ihrem Geschlechte lebten – an die Bilder finsterer, entschlossener, ernster Männer. Selbst was in seinem Gesichte Geistiges lag, verrieth, wie bei jenen Bildern, einen Geist, der mehr durch das thätige Leben, als durch Studien geschärft war; denn keine blasse Farbe, keine abgemattete Erschöpfung und keine hohle Wange verrieth die Intelligenz des Bücherwurmes und Träumers, sondern in der strengen Ruhe, in der stillen Tiefe, die unter dem Feuer der Augen lag, zeigte sich sein Geist, und der starke Wille in den geschlossenen, vollen Lippen und der hohen, aber nicht wolkenfreien Stirne.
Und als sie auf ihn blickte, wendete sich Vaudemont um – ihr Auge senkte sich vor seinem Blicke, und sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie erröthete. Vaudemont sah das niedergeschlagene Auge, sah das Erröthen, und der Zauber von Camilla's Erscheinung war wieder hergestellt. Er wollte sich ihr nähern, aber in diesem Augenblicke trat Beaufort selber ein, und seine Gedanken nahmen wieder eine finstere Richtung.
»Ja,« sagte Liancourt, »Sie müssen gestehen, Vaudemont erscheint auch, was er ist – als ein edler Mann und tapferer Soldat. Hörten Sie nie von seinem Kampfe mit der Tigerin? Er machte Aufsehen in Indien. Ich muß Ihnen die Geschichte erzählen, wie ich sie gehört habe.«
Und während Liancourt das erwähnte Abenteuer, welches es auch sein mochte, erzählte, war das Spiel beendet, und Lord Lilburne, noch immer auf seinem Sopha ruhend, stellte seinen Schwager denjenigen von seinen Gästen vor, die ihm noch fremd waren, und unter diesen auch Vaudemont. Beaufort hatte Philipp Morton nie mehr als dreimal gesehen; einmal zu Fernside und die andern beiden Male bei unvollkommener Beleuchtung, wo sein Gesicht von Leidenschaft verzerrt und seine Gestalt durch seine Kleidung entstellt war. Und hätte auch Robert Beaufort jenes Gedächtniß besessen, welches man Königen und Fürsten beilegt, und vermöge dessen man sich jedes einmal gesehenen Gesichtes erinnert, so hätte ihm doch diese Gabe im höchsten Grade eigen sein müssen, um in dem gebräunten, mit Orden geschmückten Ausländer, dem er jetzt vorgestellt wurde, die Züge des wilden, längst verlorenen Knaben zu entdecken. Dennoch war ein unbestimmtes, ahnungsvolles Vorgefühl, oder ein ringendes, unangenehmes Bestreben der Erinnerung in seiner Seele, als er mit Vaudemont sprach und dem kalten, ruhigen Tone seiner Antwort horchte.
»Wer, sagst du, daß dieser Franzose sei?« flüsterte er seinem Schwager zu, als Vaudemont sich von ihm entfernte.
»O, ein gewandter Abenteurer – ein feiner Mann – er spielt Whist – er hat viel von der Welt gesehen – er unterhält mich sehr – ganz verschieden von anderen Leuten. Ich denke, ihn auch nach Beaufort-Court einzuladen.«
Beaufort hustete trocken, da er aber keinen vernünftigen Einwurf dagegen zu machen hatte, und die schlummernde Hyäne von Lord Lilburne's Sarkasmus nicht wecken wollte, so sagte er nur: »Wie du willst.« Und indem er sich nach Jemand umsah, an dem er seinen Unmuth auslassen konnte, bemerkte er Camilla, die noch Liancourt's Erzählung zuhörte. Er schritt auf sie zu, und als Liancourt, wie er sie aufstehen sah, auch aufstand und sich entfernte, sagte er ärgerlich: »Du lernst doch nie, dich schicklich zu betragen; du sollst hier bleiben, um deinen Oheim zu pflegen und aufzuheitern, und nicht, um dem Geplauder jedes französischen Abenteurers zuzuhören. Nun, der Himmel sei gelobt, daß ich einen Sohn habe! Mädchen sind eine große Plage!«
»Du hast Recht, Beaufort,« seufzte seine Frau, die eben zu ihm gekommen und eifersüchtig war, daß Liancourt ihrer Tochter den Vorzug vor ihr gegeben. »Und so selbstsüchtig,« setzte sie hinzu; »sie sorgen nur für ihre Unterhaltung und kümmern sich nicht darum, wie viel ihren Eltern fehlt, wenn sie dieselbe entbehren müssen.«
»O, liebe Mama, reden Sie nicht so – lassen Sie mich mit Ihnen nach Hause gehen – ich will mit meinem Oheim reden.«
»Unsinn, Kind! – Komm, Beaufort!« Und die zärtlichen Eltern entfernten sich Arm in Arm. Sie bemerkten nicht, daß Vaudemont dicht hinter ihnen stand; aber Camilla, die jetzt mit thränenvollen Augen aufblickte, begegnete wieder seinem Blicke; er hatte Alles gehört.
»Und sie mißhandeln sie,« murmelte er; »das unterscheidet sie von ihnen! – Sie bleibt hier – ich werde sie wieder sehen.«
Als er gehen wollte, winkte ihm Lilburne. »Sie wollen doch unsern Tisch nicht verlassen?«
»Nein, aber ich bin diesen Abend nicht ganz wohl – morgen, wenn Sie es mir erlauben?«
»Ja, morgen; und wenn Sie Vormittags eine Stunde übrig haben, so wird es eine Barmherzigkeit sein. Sie sehen,« fuhr er fort, »ich habe eine Wärterin, wenn gleich keine Kinder. Meinen Sie, das sei Liebe? Pah! mein Herr – ein Vermächtniß! – Gute Nacht!«
»Nein – nein – nein!« sagte Vaudemont bei sich selber, als er durch die mondhellen Straßen ging, »nein, obgleich mein Herz glüht – armer, ermordeter Verbrecher! – das dir widerfahrene Unrecht und deine Verbrechen zu rächen, so kann doch von mir die Rache nicht ausgehen – er ist Fanny's Großvater und Camilla's Oheim!«
Und als der Oheim Camilla für die Nacht entlassen hatte, setzte sie sich gedankenvoll in ihrem Zimmer nieder. Vaudemonts dunkle Augen schienen ihr noch zu leuchten; seine Stimme klang noch in ihrem Ohr; die wilden Erzählungen von Kühnheit und Gefahr, mit welchen Liancourt seinen Namen in Verbindung gesetzt, schwebten noch vor ihrer aufgeregten Phantasie – sie fuhr auf, über ihre eigenen Gedanken erschrocken. Sie nahm aus ihrem Busen einige Zeilen, die Sidney an sie gerichtet, und als sie dieselben las und wieder las, wurde ihr Geist wieder ruhig und nahm seine gewohnte getreue Melancholie wieder an. Vaudemont war vergessen und Spencers Name schwebte noch auf ihren Lippen, als der Schlaf kam, das Bild des Abwesenden wieder aufzufrischen und ihr im Traume das Feenland einer glücklichen Zukunft vor die Augen ihres Geistes zu stellen.