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Hohn, Armuth und noch mehr der Höllenhunde
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Der Andre war ein arger, grimm'ger Teufel.
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Sieh' da dein Glück! Dann ward ein andrer Stab
Geschwungen – eine Gegenwirkung, die
Aus Täuschung Wahrheit zieht.
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Doch welche Hoffnung bleibt uns Kindern der
Verzweiflung, die am Rand der Hölle stehen?
Entschluß, Entschluß? –
Thomson.
Man hat bemerkt, daß in civilisirten Ländern in gewissen Jahren irgend ein besonderes Verbrechen häufiger wird. Es dauert seine Zeit und ist dann vorüber. Zu einer Zeit ist besonders das Einbrechen in die Häuser an der Mode – dann der Selbstmord – dann werden Handelsleute mit Apfelkuchen vergiftet, dann erstechen kleine Knaben einander mit Federmessern – und dann erschießen die gemeinen Soldaten ihre Sergeanten. Fast jedes Jahr gibt es ein besonderes Verbrechen, gleich einer jährlichen Krankheit, die sich über das Land verbreitet und dann verschwindet. Unbezweifelt hat die Presse viel mit diesen epidemischen Krankheiten zu thun. Wenn die Zeitung uns einmal einen Bericht von einer einzelnen Grausamkeit gibt, welche den Reiz einer Neuheit hat, so hängen sich gewisse verworfene Gemüther wie Blutegel daran. Die Idee greift um sich, wird zu einem Wahnsinn, und plötzlich an hundert verschiedenen Orten geht die von den bleiernen Typen gesäete Saat wuchernd auf. Aber wenn das erste, ursprünglich berichtete Verbrechen ungestraft hingegangen ist, wie viel mehr wirkt es dann auf die nachahmende Fähigkeit! Uebel angewendete Gnade fällt nicht wie Thau, sondern wie Dung auf eine böse That.
Nun hatte man zu der Zeit, wovon ich schreibe, oder vielmehr ein wenig früher, in Paris einen berüchtigten Falschmünzer entdeckt und verurtheilt. Er hatte das Geschäft mit einer solchen Geschicklichkeit geführt, daß man selbst das Vergehen bewundern mußte, und überdieß hatte er vorher mit einiger Auszeichnung bei Austerlitz und Marengo gedient. Die Folge war, daß das Publikum für ihn anstatt gegen ihn gestimmt war, und so wurde sein Urtheil von der Regierung in dreijährige Gefangenschaft verwandelt. Denn alle Regierungen in freien Staaten streben mehr darnach, sich beliebt zu machen, als gerecht zu sein.
Nicht so bald war dieser Fall in Journalen berichtet worden – und selbst die größten derselben nahmen davon Notiz, was sonst bei den französischen Journalen nicht der Fall ist – nicht so bald machte dieser Fall Aufsehen, und der Verbrecher wurde berühmt, als sich der Erfolg in einer großen Masse von falschem Gelde zeigte.
Das Falschmünzen war in dem Jahre, wovon ich jetzt schreibe, das Verbrechen der Mode. Die Polizei wendete alle ihre Aufmerksamkeit an; es wurde ihr bekannt, daß eine gewisse Bande diese Kunst mit besonderem Erfolge treibe. Ihre Münzen waren in der That so gut und allen denen ihrer Nebenbuhler so sehr überlegen, daß sie oft unbewußt vom Publikum den ächten Münzen vorgezogen wurden. Zu gleicher Zeit trieben sie ihren Beruf mit solchem Geheimniß, daß sie aller Entdeckung trotzten.
Die Polizei bot eine ungeheure Belohnung, wer seine Mitschuldigen verrathen wolle, und Favart wurde an die Spitze einer Untersuchungskommission gestellt. Dieser Mann war selber ein Falschmünzer gewesen und hatte den berühmten Falschmünzer entdeckt, der das Verbrechen auf eine solche Höhe gebracht hatte. Favart war ein Mann von der scharfsichtigsten Wachsamkeit, von der unermüdlichsten Nachforschung und von einem Muthe, der vielleicht allgemeiner ist, als man glaubt. Es ist ein gewöhnlicher Irrthum, zu glauben, Muth müsse sich in allen Dingen zeigen. Aber ein Held am Bord eines Schiffes wird vor einem hohen Thore, über das er mit einem Pferde wegsetzen soll, blaß werden, wenn er nicht an's Reiten gewöhnt ist. Man stelle einen Fuchsjäger an eine von den Klüften in der Schweiz, über die der Alpenjäger wie ein Reh springt, und seine Kniee werden unter ihm schlottern. Die Menschen sind tapfer in Gefahren, an die sie sich entweder durch die Phantasie oder durch die Uebung gewöhnen.
Favart war ein Mann von der kühnsten Tapferkeit, wenn er Dieben oder Mördern gegenüber treten mußte. Er schreckte sie mit einem Blicke seines Auges: doch wußte man, daß seine Frau ihn die Treppe hinuntergeworfen, und als er mit der großen Armee ausmarschirt war, desertirte er am Abend vor seiner ersten Schlacht. »So groß ist die Unbeständigkeit des Menschen,« sagen die Moralisten.
Aber Favart hatte geschworen, die Falschmünzer aufzuspüren, und ihm war noch nie ein Unternehmen fehlgeschlagen, welches er unternommen. Eines Tages stellte er sich seinem Chef mit so freudigem Gesichte dar, daß dieser scharfsichtige Mann sogleich zu ihm sagte: »Sie haben von unsern Herren gehört?«
»Ja, das habe ich, und werde sie diesen Abend besuchen.«
»Bravo! Wie viele Leute wollen Sie mitnehmen?«
»Zwölf bis zwanzig, die ich draußen lassen werde. Aber ich muß allein eintreten. Dieß ist die Bedingung: ein Mitschuldiger, der seine eigene Kehle zu sehr fürchtet, um offen als Verräther aufzutreten, wird mich in's Haus, ja bis in's Zimmer führen. Seiner Beschreibung nach ist es nöthig, daß ich das Lokal genau kenne, um ihnen den Rückzug abzuschneiden; so werde ich also morgen Abend den Bienenstock umstellen und den Honig nehmen.«
»Diese Falschmünzer sind verzweifelte Kerle, und es ist besser, vorsichtig zu sein.«
»Sie vergessen, daß ich ihnen angehörte und daher ihre geheimen Zeichen kenne.«
Um dieselbe Zeit, wo diese Unterredung in dem Polizeibureau geführt wurde, saßen Morton und Gawtrey in einem andern Theile der Stadt allein. Es war einige Wochen nach ihrem Eintritt in Paris und der Frühling war in den Sommer übergegangen. Sie wohnten in dem vornehmen Stadtviertel der Vorstadt Saint Germain; die benachbarten Straßen waren ehrwürdig wegen der alten Gebäude des verfallenen Adels; doch ihre Wohnung befand sich in einer engen, düsteren Gasse, und das Gebäude selber schien bettelhaft und verfallen. Das Zimmer war eine Dachstube im sechsten Stock, und das Fenster, welches auf die Hinterseite der Straße hinausging, hatte die Aussicht auf eine andere Häuserreihe von etwas besserer Beschaffenheit, die mit einer der großen Straßen dieses Stadtviertels in Verbindung stand. Der Raum zwischen ihrer Wohnung und ihrem Nachbar gegenüber war so eng, daß die Sonne kaum durch den Zwischenraum dringen konnte. Im höchsten Sommer fand man hier einen beständigen Schatten.
Beide saßen am Fenster. Gawtrey, wohl gekleidet und rasirt, wie in der Blüthezeit seines Glückes; Morton in denselben Kleidern, womit er in Paris eingetreten war, vom Wetter verdorben und zerlumpt. Gawtrey blickte auf das gegenüber liegende Haus und murmelte: »Es soll mich wundern, wo Birnie bleiben mag, und warum er nicht zurückkehrt. Dieser Mann wird mir verdächtig!«
»Verdächtig, weßhalb?« fragte Morton. »Wegen seiner Ehrlichkeit? Sollte er Sie berauben?«
»Nicht berauben! – Hm – vielleicht! Aber Sie sehen, ich bin in Paris ungeachtet der Winke der Polizei; er könnte mich angeben.«
»Warum lassen Sie ihn denn anderswo wohnen?«
»Weil, wenn wir eine besondere Wohnung haben, immer zwei Auswege zur Flucht sind. Wenn man in einer dunklen Nacht eine Leiter von einem Fenster zum andern hinüberlegt, so ist er bei uns oder wir bei ihm.«
»Aber wozu solche Vorkehrungen? Sie blenden mir die Augen – Sie täuschen mich; was haben Sie gethan? – Welches ist Ihre Beschäftigung jetzt? – Sie sind stumm. – Hören Sie, Gawtrey! Ich habe mein Schicksal mit dem Ihrigen vereint, und jetzt ist mir selbst die Hoffnung entrissen. Zu Zeiten macht es mich fast wahnsinnig, zurückzublicken – und doch vertrauen Sie mir nicht. Seit Ihrer Rückkehr nach Paris sind Sie ganze Nächte – oft auch ganze Tage abwesend; Sie sind mißmuthig und gedankenvoll – welches auch Ihr Geschäft sein mag, es scheint sehr einträglich zu sein.«
»Sie denken das,« sagte Gawtrey milde und mit einer Art von Mitleid in seiner Stimme, »und doch weigern Sie sich, Geld von mir anzunehmen, um diese Lumpen abzulegen?«
»Weil ich nicht weiß, wie Sie das Geld erworben haben. Ach, Gawtrey, ich bin nicht zu stolz gegen Barmherzigkeit, wohl aber um« – er hielt inne und sprach nicht aus, was er sagen wollte. »Ja, Ihre Beschäftigung scheint guten Erfolg zu haben. Erst gestern gab mir Birnie fünfzig Napoleons, wogegen ich Silber einwechseln sollte.«
»That er das? Der Schur–, nun, und Sie wechselten dieselben?«
»Ich weigerte mich, ich weiß selber nicht, warum.«
»Das war Recht, Philipp. Thun Sie nichts, was der Mann Ihnen sagt.«
»Wollen Sie mir denn trauen? Sie haben sich auf irgend ein scheußliches Geschäft gelegt – vielleicht wird Blut vergossen! Ich bin kein Knabe mehr – ich habe selber meinen Willen – ich will mich nicht schweigend und blind in's Verderben ziehen lassen. Wenn ich mich in dasselbe stürze, so soll es mit meiner eigenen Einwilligung geschehen. Vertrauen Sie mir heute oder wir trennen uns morgen!«
»Lassen Sie sich rathen. Bei manchen Geheimnissen ist es besser, wenn man sie nicht weiß.«
»Es liegt nichts daran! Ich will zu meiner Entscheidung kommen und fordere die Ihre.«
Gawtrey schwieg einige Augenblicke in tiefem Nachdenken. Endlich erhob er seine Augen zu Philipp und erwiderte: »Nun, wenn es denn sein muß. Früher oder später hätte es doch heraus müssen, und ich bedarf eines Vertrauten. Sie sind kühn und werden nicht erbeben. Sie wünschen, meine Beschäftigung zu wissen – wollen Sie diese Nacht Zeuge davon sein?«
»Ich bin bereit!«
Hier hörte man einen Schritt auf der Treppe, es wurde an die Thür geklopft und Birnie trat ein. Er zog Gawtrey auf die Seite und sprach, wie gewöhnlich, einige Augenblicke leise mit ihm.
Gawtrey nickte mit dem Kopfe und sagte dann laut: »Morgen wollen wir ohne Rückhalt vor meinem jungen Freunde reden. Diese Nacht kommt er zu uns.«
»Diese Nacht! – Sehr gut!« sagte Birnie mit seinem kalten Lächeln. »Er muß den Eid ablegen, und Sie mit Ihrem Leben für seine Redlichkeit einstehen.«
»Ja, das ist die Regel.«
»So leben Sie wohl, bis wir uns wieder sehen,« sagte Birnie und entfernte sich.
»Es soll mich wundern,« sagte Gawtrey, nachdenkend und mit den Zähnen knirschend, »ob mir dieser Kerl nicht einmal zu Schuß kommt? Ho, ho!« Und sein Lachen erschütterte die Wände.
Morton sah Gawtrey aufmerksam an, als dieser jetzt auf seinen Stuhl niedersank und mit leerem, fast geistlosem Ausdruck auf die gegenüberstehende Wand blickte. Der sorglose, heitere und biedere Ausdruck, der gewöhnlich die Züge dieses Mannes bezeichnet hatte, war seit einigen Wochen einem ruhelosen, ängstlichen und zuweilen wilden Aussehen gewichen, gleich dem Hirsche, der Anfangs Vergnügen an der Jagd findet, so lange die Hunde noch fern sind, der aber verzweifelt vor Wuth und Furcht, wenn der Tag sich seinem Ende nähert und die Hunde dicht hinter ihm her schnaufen. In dem Augenblick schienen die Züge mit ihren festen und eisernen Muskeln jedes Zeichen der Leidenschaft und des Willens verloren zu haben, und in fester und dumpfer Ruhe zu verweilen. Endlich blickte er zu Morton auf und sagte mit einem Lächeln, gleich dem eines kindischen alten Mannes:
»Ich denke, mein Leben ist ein einziger, großer Irrthum gewesen! Ich hatte Talente – Sie werden es nicht glauben – aber einst war ich weder ein Thor, noch ein Schurke! Ist es nicht seltsam? Reichen Sie mir den Branntwein.«
Aber Morton wendete sich mit leichtem Schauder um und verließ das Zimmer.
Er ging mechanisch weiter und erreichte den prächtigen Quai, der die Seine begrenzt; dort wurden die Fußgänger zahlreicher, schöne Equipagen rollten an ihm vorüber; die weißen und hohen Häuser sahen schön und stattlich aus, bei dem klaren, blauen Himmel des frühen Sommers; neben ihm floß der helle Fluß dahin, von den bemalten Badehäusern belebt, die auf seiner Oberfläche schwammen. Die Erde war fröhlich und der Himmel heiter, sein Herz aber bei alledem dunkel; Nacht drinnen – lieblicher Morgen draußen! Endlich blieb er bei der Brücke stehen, auf welcher die Statuen derjenigen prangen, welchen die Laune der Zeit einen Namen verleiht; denn, wenn gleich Zeus und seine Götter gestürzt sind, so wird doch die Verehrung der Gestorbenen dauern, so lange die Erde steht – bei der Brücke, über die man geht, wenn man von den königlichen Tuilerien kommt, oder von den prächtigen Straßen jenseits der Rue de Rivoli zu dem Senate des emancipirten Volkes und der düsteren und verlassenen Größe der Vorstadt St. Germain geht, wo sich noch die verarmten Abkömmlinge der alten aristokratischen Tyrannen versammeln, die Geister der abgeschiedenen Mächte, stolz auf die Schatten großer Namen. Als der englische Ausgestoßene in der Mitte der Brücke stehen blieb, zum erstenmal seinen Kopf erhob und sich umsah, da fiel ihm plötzlich jener schreckliche und unheilvolle Abend ein, wo er hoffnungslos, freundlos und verzweifelnd seines Oheims Bedienten angebettelt, mit allen den Gefühlen, die wir in seiner kurzen Erzählung nur leicht angedeutet, die aber in seiner Brust gewüthet und ihn zu dem Entschluß getrieben, sich der verhängnißvollen Freundschaft des Mannes hinzugeben, dessen Leitung ihm selbst damals schon verdächtig war. Die beiden Stellen hatten eine gewisse Aehnlichkeit mit einander; an der ersten hatte sich seine Verzweiflung an dem menschlichen Geschick erfüllt – er hatte gewagt, die Vorsehung Gottes zu vergessen – er hatte sich sein Schicksal selber angemaßt; auf der ersteren Brücke hatte er seinen Entschluß gefaßt; auf der zweiten erbebte er bei dem Erfolge! – Er stand nicht weniger arm – nicht weniger niedergeschlagen – eben so zerlumpt und schmutzig da, und trug den Kopf nicht mehr so hoch, sein Auge war nicht mehr so furchtlos, denn sein Gewissen war nicht mehr so frei und seine Ehre nicht mehr so unbefleckt! Diese steinernen Bogen – diese Flüsse, die zwischen ihnen durchströmten, schienen eine mystischere Bedeutung anzunehmen, als der äußeren Welt angehört – sie waren die Brücken der Flüsse des Lebens. Während er in so verwirrte Gedanken versenkt war, daß er kaum in dem Chaos den einzigen Lichtstreifen unterscheiden konnte, der vielleicht auf Wiederherstellung oder Wiedergeburt der Elemente seiner Seele deutete – standen zwei Vorübergehende an seiner Seite still.
»Sie werden zu spät zu der Verhandlung kommen,« sagte der Eine zu dem Andern. »Warum stehen Sie still?«
»Mein Freund,« sagte der Andere, »ich gehe nie an dieser Stelle vorüber, ohne mich der Zeit zu erinnern, wo ich hier ohne einen Sous in der Tasche stand, auch keine Hoffnung hatte, einen zu erwerben, und auf gottlose Weise an Selbstvernichtung dachte.«
»Sie! – Jetzt so reich – so glücklich in Ihrem Ruf und Ihrem Stande! – Ist es möglich? Wie kam es? Durch einen glücklichen Zufall? – Durch ein unerwartetes Vermächtniß?«
»Nein; durch Zeit, Glauben und Energie – diese drei Freunde, die Gott den Armen gegeben hat!«
Die Männer gingen weiter, aber Morton, der sein Gesicht zu ihnen gewendet hatte, glaubte zu bemerken, daß der Erstere von Beiden sein helles und heiteres Auge mit bedeutungsvollem Blicke auf ihn richtete; und als der Mann fort war, wiederholte er sich diese Worte und begrüßte sie in seinem innersten Herzen als einen Wink von oben.
Schnell und wie durch einen Zauber schien die frühere Verwirrung seines Geistes die bestimmten Gestalten des Muthes und Entschlusses anzunehmen. »Ja,« sagte er bei sich selber, »ich will diese Nacht zu ihnen gehen – ich will das Geheimniß dieser Menschen kennen lernen. In meiner Unerfahrenheit und Verlassenheit habe ich mich zur Theilnahme, wenn auch nicht des Lasters und Verbrechens, doch wenigstens der Täuschung und des Betruges verleiten lassen. Ich erwache aus meinem unbesonnenen Knabentraum – aus der unwürdigen Verschwendung meines besseren Wesens. Wenn Gawtrey ist, was ich fürchte – wenn er sich mit jenem verhaßten Menschen zu irgend einem verbrecherischen Gewerbe verbunden hat, so will ich –«. Er schwieg, denn sein Herz flüsterte ihm zu: »doch der schuldige Mann kleidete und nährte dich! – Ich will,« dachte er weiter, als Antwort auf den Einwurf seines Herzens – »ich will ihn auf meinen Knieen anflehen, zu entfliehen, so lange es noch Zeit ist – und arbeiten – betteln – verhungern – lieber umkommen, als das Recht verlieren, einem Manne in's Gesicht zu sehen, ohne zu erröthen und vor Gott ohne Reue niederzuknieen!«
Und als er so zu sich selber sprach, war es ihm plötzlich, als sei ihm die Freude an der Natur und der Welt um ihn her wieder gegeben; die Nacht war aus seiner Seele verschwunden – er athmete die balsamische, frische Luft – er fühlte das Entzücken, welches der üppige Junius über die Erde verbreitete – er blickte nach Oben und seine Augen waren mit Vergnügen übergossen bei dem Lächeln des sanften, blauen Himmels. Der Morgen wurde gleichsam ein Theil seines eigenen Wesens, und er fühlte, daß die Welt, ungeachtet der Ungewitter, schön, und Gott, ungeachtet des Uebels, gut sei. Er ging weiter – er überschritt die Brücke, aber sein Schritt war nicht mehr derselbe – er vergaß seine Lumpen. Warum sollte er sich schämen? Und so kam er in seiner neuen und seltsamen Aufregung und Elasticität des Geistes unversehens auf eine Gruppe von Männern zu, die sich vor dem Eingange eines der ersten Hotels in jener glänzenden Rue de Rivoli umhertrieben, wo der Reichthum und die Engländer ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Ein Diener zu Pferde führte noch ein anderes Pferd am Zügel die Straße auf und nieder, und die jungen Männer machten ihre Bemerkungen der Billigung über beide Pferde, besonders über das letztere, welches in der That von ungewöhnlicher Schönheit und großem Werthe war. Selbst Morton, in dem noch die knabenhafte Leidenschaft seines früheren Lebens existirte, stand still, um seine erfahrenen und bewundernden Blicke auf die stattliche Gestalt und den zierlichen Schritt des edlen Thieres zu richten; und als er dieß that, wurde ein Name genannt, dessen er sich nur zu wohl erinnerte.
»Gewiß, Arthur Beaufort ist der beneidenswertheste junge Mann in ganz Europa!«
»Nun ja,« sagte ein anderer von den jungen Männern, »er hat viel Geld – hat ein gutes Aussehen, ist verteufelt gutmüthig, geistreich und freigebig wie ein Prinz.«
»Er hat die besten Pferde!«
»Und am meisten Glück im Roulette!«
»Die schönsten Mädchen sind in ihn verliebt!«
»Und Keiner genießt das Leben, wie er. Ah, da ist er!«
Die Gruppe trennte sich, als eine schlanke und anmuthige Gestalt aus dem Laden eines Juweliers in der Nähe des Hotels hervorkam und unter den jungen Müßiggängern stille stand. Mortons erster Gedanke war, von der Stelle fortzueilen, bei dem zweiten blieb er stehen, und aus geringer Entfernung, halb verborgen unter einem von den Bogen der Colonnade, welche die Straße schmückt, blickte der Ausgestoßene den Erben an. Hinsichtlich der natürlichen, persönlichen Vortheile der beiden jungen Männer konnte kein Vergleich stattfinden; denn Philipp Morton war ungeachtet aller Mühseligkeiten seiner rauhen Laufbahn zu einer seltenen Vollkommenheit der Gestalt und der Gesichtszüge herangereift. Seine breite Brust, seine gerade Haltung, seine geschmeidigen und symmetrischen Glieder vereinten sehr glücklich die Attribute der Thätigkeit und Stärke; und wenn sich gleich keine zarte, jugendliche Blüthe auf seiner dunkeln Wange zeigte, und Linien, die erst später hätten kommen sollen, die Glätte derselben zerstörten, und Sorgen und Nachdenken zeigten, so diente doch ein verständiger und kühner Ausdruck, der gleichfalls über seine Jahre war und das Zeugniß von abgehärteter, enthaltsamer und kräftiger Gesundheit ablegte, nur dazu, den Umriß edler, regelmäßiger und strenger Züge auf's Vortheilhafteste darzustellen, die der Künstler zu seinem Ideale eines jungen Spartaners, der sich zu seiner ersten Schlacht rüstet, hätte wählen können. Arthur, der schlank bis zur Schwäche, und dessen klare und zarte Gesichtsfarbe, theils wegen seiner schwachen Constitution, theils in Folge seiner Ausschweifungen, bleich war, hatte viel weniger symmetrische und ausdrucksvolle Züge, als sein Vetter. Doch Alles, was elegante Kleidung, Verfeinerung der luxuriösen Gewohnheiten, die namenlose Anmuth, die sich von einem gebildeten Geiste und Benehmen – das erstere durch literarische Kultur, das andere durch geselligen Umgang gebildet – herschreibt, bekleidete die Person des Erben mit einem Zauber, den die rohe Natur allein niemals verleiht. Und er hatte eine Heiterkeit, eine Lebhaftigkeit des Geistes, eine Atmosphäre der Genußsucht, die einen Jüngling bezeichnete, der in das Leben verliebt ist.
»Ei, das trifft sich glücklich! Es ist mir so lieb, euch Alle zu sehen!« sagte Arthur Beaufort mit jener silberhellen Stimme und jenem bezaubernden Lachen, die für den glücklichen Frühling des Menschen das sind, was Musik und Sonnenschein für die Erde. – »Ihr müßt mit mir bei Verey zu Mittag speisen. Ich bedarf heute Etwas, um mich aufzuregen, denn ich kam erst diesen Morgen um vier Uhr aus dem Salon«. Zu jener Zeit das berühmteste Spielhaus in Paris, ehe die Spielhäuser durch die kräftigen Bemühungen der Regierung unterdrückt wurden.
»Aber du gewannst?«
»Ja, Marsden. Zum Henker! Ich gewinne immer, obgleich ich wohl den Verlust aushalten könnte. Ich schäme mich fast meines Glückes!«
»Es ist leicht, das wieder auszugeben, was man gewinnt,« sagte Marsden scharfsinnig; »und ich sehe, du bist im Laden des Juweliers gewesen! Ein Geschenk für Cäcilie? Nun, erröthe nicht, mein lieber Junge. Was ist das Leben ohne Weiber?«
»Und Wein?« sagte ein Zweiter.
»Und Spiel?« sagte ein Dritter.
»Und Reichthum?« sagte ein Vierter.
»Und du genießest das Alles! Glücklicher Junge!« sagte ein Fünfter.
Der Ausgestoßene zog seinen Hut über die Stirn und ging fort. –
»Dieses liebe Paris!« sagte Beaufort, als sein Auge nachlässig und unbewußt der dunkeln Gestalt folgte, die unter den Bogen fortschritt – »dieses liebe Paris! Ich muß es genießen, so lange ich noch da bin! Ich war erst wenige Wochen hier und muß in der nächsten Woche schon wieder fort.«
»Pah! – Deine Gesundheit ist besser; du siehst ganz anders aus.«
»Meinst du das wirklich? Ich weiß doch nicht; die Aerzte sagen, ich muß entweder zu einem deutschen Brunnenorte gehen – die Saison hat begonnen – oder –«
»Oder was?«
»Weniger mit so angenehmen Gesellschaften umgehen, mein lieber Junge! Aber wie du sagst, was ist das Leben ohne –«
»Wein!«
»Spiel!«
»Reichthum!«
»Ha, ha! Gib die Arznei den Hunden, ich will nichts davon!«
Arthur schwang sich leicht in den Sattel, und als er fröhlich weiter ritt und die Lieblingsarie aus der letzten Oper vor sich hin summte, bespritzte sein Pferd einen Fußgänger mit Koth, der an der Straßenecke stand. Morton unterdrückte den zornigen Ausruf, der ihm auf der Zunge war: und als er der glänzenden Gestalt nachsah, die zu den elyseischen Feldern eilte, erblickte er die Statuen auf der Brücke, und die Stimme eines tröstenden Engels flüsterte wieder seinem Herzen zu: » Zeit, Glauben, Energie!«
Der Ausdruck seines Gesichts wurde sogleich ruhig, und er setzte seinen Spaziergang mit einem Geiste fort, der die Bürde der Vergangenheit abwarf und heiter und fest den Hindernissen und Mühseligkeiten der Zukunft entgegensah. Wir haben gesehen, daß eine Bedenklichkeit des Gewissens oder des Stolzes, die nicht ohne Adel war, ihn bewogen hatte, die Zudringlichkeit Gawtrey's zurückzuweisen, sich bessere Kleidung anzuschaffen; vermöge desselben Gefühls vermied er es, die luxuriösen Speisen zu theilen, womit Gawtrey ihn sonst zu bewirthen pflegte. Denn dieser seltsame Mann, dessen wunderbar glückliches Temperament ihn für die materiellen Genüsse des Lebens empfänglich machte, ging, so bald der Abend einbrach, aus seiner elenden Wohnung, begab sich in eine der besseren Restaurationen und vertrieb durch Speisen und Getränke für den Augenblick seine Sorgen. Wilhelm Gawtrey hätte sich nicht viel um den Fluch des Damocles gekümmert. Das Schwert über seinem Haupte hätte seinen Appetit nicht gestört. In der letzten Zeit hatte er sich auch gewöhnt, mehr zu trinken, als sonst – der klare Verstand dieses Mannes wurde umwölkt; und dieß war ein Schauspiel, welches Morton nicht ertragen konnte. Doch Gawtrey's Constitution war ungewöhnlich stark; nachdem er Wein und starke Getränke zu sich genommen, die für eine ganze Gesellschaft von Fuchsjägern würden hingereicht haben, und nachdem er zuweilen durch stürmische Fröhlichkeit, zuweilen durch trunkene Klagen und Selbstvorwürfe gezeigt, daß auch er nicht ganz unverwundbar für den Thyrsusstab des Gottes war: so pflegte er, wenn seine Energie erfordert wurde, und besonders, wenn er sich zu den geheimnisvollen Expeditionen auf den Weg machte, die ihn halbe, oft ganze Nächte fern hielten, seinen Kopf in kaltes Wasser zu tauchen, so viel von der Flüssigkeit zu trinken, als ein Stallknecht seinem Pferde nicht würde vorgesetzt haben, seine Augen zu schließen, eine halbe Stunde zu schlummern, und kühl, nüchtern und besonnen zu erwachen, als hätte er nach den Vorschriften des Sokrates oder Cornaro gelebt.
Aber wir müssen zu Morton zurückkehren. Es war seine Gewohnheit, so viel als möglich zu vermeiden, die guten Speisen und Getränke seines Gefährten zu theilen, und als er jetzt in die elyseischen Felder trat, sah er eine kleine Familie, die aus einem jungen Handwerker, dessen Frau und zwei Kindern bestand, die, mit der Liebe zu harmloser Erholung, wie sie den Franzosen eigen ist, einen Feiertag benutzten, um ihr einfaches Mahl unter dem Schatten der Bäume einzunehmen. Morton blieb aus Hunger oder aus Neid stehen und betrachtete die glückliche Gruppe. Auf dem Wege dahin rollten die Equipagen und stampften die Pferde derjenigen, deren ganzes Leben ein Feiertag ist. Dort war Vergnügen – und unter diesen Bäumen war das Glück.
Eines von den Kindern, ein Knabe von etwa sechs Jahren, bemerkte die Stellung und den Blick des stillstehenden Wanderers, lief zu ihm hin, reichte ein Stück von dem groben Kuchen, der ihre Speise war, zu ihm hinauf und sagte freundlich: »Nimm nur – ich habe genug gehabt!« Das Kind erinnerte Morton an seinen Bruder – das Herz schmolz ihm – er erhob den jungen Samaritaner in seinen Arm und weinte, während er ihn küßte.
Die Mutter bemerkte es und stand auch auf. Sie berührte seine Hand und sagte: »Armer Junge, warum weinen Sie? – Kann ich etwas für Sie thun?«
Der helle Strahl der menschlichen Natur fuhr plötzlich durch die dunklen Erinnerungen seines vergangenen Lebens; es war Morton, als komme diese Stimme vom Himmel, um seinen Versuch, sich mit seinem Schicksal auszusöhnen, zu billigen und zu segnen.
»Ich danke Ihnen,« sagte er, indem er das Kind auf den Boden setzte und mit der Hand über die Augen fuhr – ich danke Ihnen – ja! Lassen Sie mich zu Ihnen niedersitzen.« Und er setzte sich zu dem Kinde und theilte ihre frugale Speise und war fröhlich mit ihnen – der stolze Philipp! – Hatte er nicht begonnen, das kostbare Juwel in dem garstigen und giftigen Mißgeschick zu entdecken?
Der Handwerker, obgleich im Ganzen ein munterer Kerl, war nicht ohne die Unzufriedenheit mit seinem Stande, die seiner Klasse eigen ist; er drückte dieselbe indeß nicht durch Murren, sondern durch Scherze aus. Er sprach sich satyrisch über die Wagen und Reiter aus, die vorüber eilten, wälzte sich im Grase und machte sich nach Gefallen über die Vornehmeren lustig.
»Still!« sagte die Frau plötzlich, »hier kommt Madame de Merville.« Während sie sprach, stand sie auf und machte eine respektvolle Verbeugung gegen einen offenen Wagen, der sehr langsam vorüber fuhr.
»Madame de Merville!« wiederholte der Mann, auch aufstehend und seine Mütze abnehmend. »Ah, gegen die habe ich nichts zu sagen!«
Morton blickte instinktmäßig zu dem Wagen hin, und sah ein schönes Gesicht, welches sich anmuthig umwendete, um die schweigenden Grüße der Handwerksleute zu erwidern – ein Gesicht, welches ihn lange in seinen Träumen verfolgt, obgleich es in der letzten Zeit rauheren Gedanken gewichen war – das Gesicht der Fremden, die er in Gawtrey's Bureau gesehen, als dieser würdige Mann noch einen lieblicheren Namen geführt. Er sprang auf und veränderte die Farbe; die Dame selber schien ihn jetzt plötzlich zu erkennen, denn als ihre Blicke einander begegneten, beugte sie sich lebhaft vor. Sie zog den Zügel an – der Wagen stand still – sie winkte der Frau des Handwerkers, die zu ihr an die Seite des Weges kam.
»Ich arbeitete einst für jene Dame,« sagte der Mann in gefühlvollem Tone, »und als meine Frau im letzten Winter krank wurde, bezahlte sie die Aerzte. Ah, sie ist ein Engel der Milde und Freundlichkeit.«
Morton hörte kaum diese Lobsprüche, denn er bemerkte einen lebhaften und fragenden Ausdruck in Madame de Merville's Gesichte, und nach der Art, wie sich die Frau des Handwerkers plötzlich zu der Stelle wendete, wo er stand, erkannte er, daß er der Gegenstand ihrer Unterredung sei. Wieder bemerkte er plötzlich seine zerlumpte Kleidung, und mit natürlicher Scham und Furcht, daß sich ihre Milde auch auf ihn erstrecken möge, sagte er dem Handwerker rasch Lebewohl und ging fort, ohne einen Blick auf den Wagen zu werfen.
Als er einige Schritte gegangen war, kam die Frau athemlos hinter ihm her. »Madame Merville wünscht mit Ihnen zu reden, Herr,« sagte sie mit mehr Respekt, als sie bisher gegen ihn gezeigt. Philipp stand einen Augenblick still und schritt dann weiter.
»Es muß ein Irrthum sein,« sagte er rasch; »ich habe kein Recht, eine solche Ehre zu erwarten.«
Er ging quer über den Weg zur entgegengesetzten Seite und war Madame de Merville's Augen entschwunden, ehe die Frau wieder an den Wagen kam. Aber noch immer stand ihm jenes ruhige, bleiche und etwas schwermüthige Gesicht vor Augen, und als er wieder durch die Stadt ging, drängten sich liebliche und glänzende Bilder in sein Herz. An jenem sanften Sommertage, der durch so viele stille und mächtige Ereignisse in jenem inneren Leben bezeichnet war, welches die Katastrophen des äußeren vorbereitet – wie in einer Region, wovon Virgil gesungen, die Bilder der Menschen, die später geboren werden sollen, ruhen und schweben – an jenem sanften Sommertage fühlte er, daß er das Alter erreicht habe, wo die Jugend ihr erstes unbestimmtes Ideal des Wunsches und der Liebe in eine menschliche Gestalt zu kleiden beginnt.
In solchen Gedanken wanderte er umher, bis der Abend dämmerte und er sich in einer von den Gassen befand, welche jenen schimmernden Mikrokosmos der Laster, der Frivolität, des hohlen Scheines und der wirklichen Armuth der heiteren Stadt – die Gärten und Gallerien des Palais-Royal umgeben. Ueberrascht von der späten Stunde, es war auf den Schlag sieben, war er im Begriff, nach Hause zurückzukehren, als er hinter sich Gawtrey's laute Stimme hörte, der ihm auf den Rücken schlug und sagte:
»Holla, mein junger Freund, gut, daß ich Sie treffe! Dieß wird eine Nacht der Prüfung für Sie sein. Ein leerer Magen macht schwache Nerven. Kommen Sie mit! Sie müssen mit mir zu Mittag speisen. Ein gutes Mittagessen und eine Flasche Wein – kommen Sie! Unsinn, sage ich, Sie sollen kommen! Es lebe die Freude!«
Während er sprach, faßte er Mortons Arm und zog ihn ungeachtet seines Widerstrebens einige Schritte mit sich fort; doch kaum hatte er die Worte: »es lebe die Freude«, ausgesprochen, so stand er still und stumm da, als hätte der Blitz zu seinen Füßen eingeschlagen, und Morton fühlte, daß sein schwerer Arm wie Espenlaub bebte. Er blickte auf und sah gerade im Eingange jenes Theiles des Palais-Royal, wo sich die Restaurationen von Verey und Vefour befinden, wenige Schritte vor sich zwei Männer stehen, die Gawtrey und ihn fest anblickten.
»Es ist mein böser Dämon,« murmelte Gawtrey, mit den Zähnen knirschend.
»Und der meine auch!« sagte Morton.
Der jüngere von den beiden Männern ging einen Schritt auf Morton zu, als sein Begleiter ihn zurückzog und ihm zuflüsterte: »Was hast du vor? – Kennst du diesen jungen Mann?«
»Es ist mein Vetter, Philipp Beauforts natürlicher Sohn!«
»Ist er das, so trenne dich auf immer von ihm. Er hat den gefährlichsten Schurken in ganz Europa bei sich!«
Als Lord Lilburne – denn er war es – dieß seinem Neffen zuflüsterte, schritt Gawtrey auf ihn zu, starrte ihm voll in's Gesicht und sagte in tiefem und hohlem Tone: »Es gibt eine Hölle, Mylord – ich gehe, um auf unser fröhliches Wiedersehen zu trinken!« Bei diesen Worten nahm er mit spöttischer Höflichkeit den Hut ab und ging in Vefours Restauration.
»Eine Hölle!« sagte Lilburne mit kaltem Lächeln. »Der Schurke faselt von Spielhäusern!«
»Und ich habe Philipp wieder entwischen lassen,« sagte Arthur vorwurfsvoll, denn während Gawtrey Lord Lilburne angeredet hatte, war Morton in dem Labyrinth der Gänge verschwunden. »Wie habe ich meinen Eid gehalten?«
»Komm, deine Gäste müssen schon da sein. Was jenen elenden jungen Menschen anbetrifft, so kannst du dich überzeugt halten, daß er an Leib und Seele verdorben ist.«
»Aber er ist mein eigener Vetter.«
»Pah! Man ist nicht mit natürlichen Kindern verwandt; überdieß wird er dich bald genug aufsuchen. Zerlumpte Angehörige sind nicht lange zu stolz, um zu betteln.«
»Reden Sie im Ernst?« sagte Arthur unentschlossen.
»Ja, verlasse dich auf meine Welterfahrung. Komm!«
Und in einem Kabinet desselben Restaurateurs, welches an das stieß, wo Gawtrey allein saß und sein Gewissen zu beschwichtigen suchte, schwelgten Lilburne und Arthur mit ihren heiteren Freunden, vergaßen bald Alles, außer den Rosen des Augenblicks, und badeten ihre lustigen Geister in dem Thau des Weines. O Gegensätze des Lebens! – O Nacht! O Morgen!