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Achtes Kapitel.

Auswendig wußten sie den ganzen Dienst;
Und Ein'ge sangen laut, als ob sie klagten,
Und Andre stellten etwas Andres dar.

Chaucer.

Noch einmal, liebliches Winandermere, kehren wir an die Ufer deines glücklichen See's zurück! – Der sanfteste Strahl der sanften und klaren Sonne eines frühen Herbstes bebte auf den frischen Wassern und blickte durch die Blätter der Linden und Weiden, die sich auf der klaren Oberfläche spiegelten. Man hörte in den Büschen die jungen Drosseln ihre ersten Lieder singen und die zierliche Drachenfliege, deren Flügel in dem glänzenden Sonnenschein schimmerten, fuhr über das Rohr hin und her, welches hie und da in kleinen Buchten stand, die den ebenen Rand des grasbewachsenen Ufers unterbrachen.

Und an diesem grünen Ufer und unter diesen schattigen Linden saßen die jungen Liebenden. Es war dieselbe Stelle, wo der junge Spencer Camilla zuerst gesehen. Und jetzt waren sie gekommen, um einander Lebewohl zu sagen.

»O, Camilla!« sagte er mit großer Bewegung, indem seine Augen in Thränen schwammen, »sei fest – sei treu. Du weißt, wie mein ganzes Leben in deiner Liebe athmet. Du gehst zu Scenen, wo dich Alles in Versuchung führen wird, mich zu vergessen. Ich bleibe in dieser Umgebung zurück, die durch die Erinnerung an dich geweiht ist, und die jede Stunde von dir zu mir reden wird. Camilla, da du mich liebst – nicht wahr, du liebst mich? – Da du es bekannt hast – da deine Eltern in deine Liebe gewilligt haben, vorausgesetzt, daß deine Liebe – denn an der meinen ist nicht zu zweifeln – ein Jahr – ein ganzes, schreckliches Jahr ausdauert – soll ich dir nicht vertrauen, wie der Wahrheit selbst? Und doch, wie finster ist zu Zeiten meine Verzweiflung!«

Camilla faßte unschuldig die Hände, die er zusammengefaltet, flehend zu ihr erhob, und drückte sie zärtlich in den ihrigen.

»Zweifle nicht an mir – zweifle nicht an meiner Neigung. Hat nicht mein Vater eingewilligt? Bedenke, es ist nur der Aufschub eines Jahres!«

»Ein Jahr! Kannst du so von einem Jahre reden – von einem ganzen Jahre? Dich nicht zu sehen – dich nicht zu hören, ein ganzes Jahr lang, außer in meinen Träumen! Und wenn am Ende deine Eltern dennoch bedenklich sind? Dein Vater – ich hege noch immer Mißtrauen gegen ihn – wenn dieser Aufschub nur dazu dienen soll, dich von mir zu entwöhnen – wenn am Ende neue Entschuldigungen gefunden werden – wenn sie dann aus irgend einem Grunde, der jetzt nicht vorauszusehen ist, dennoch ihre Einwilligung verweigern? – Darf ich dennoch immer auf dich bauen?«

Camilla seufzte tief, wendete ihr sanftes Gesicht zu ihrem Geliebten und sagte schüchtern: »Denke nicht, daß eine so kurze Zeit mich untreu machen kann, noch, daß mein Vater sein Wort brechen wird.«

»Aber wenn er es thut, willst du dennoch die Meine werden?«

»Ach, Charles, wie könntest du mich als Weib achten, wenn ich dir sagte, ich könnte vergessen, daß ich seine Tochter bin?«

Dieß wurde so rührend und so frei von aller Affektation gesprochen, das ihr Geliebter nur dadurch antworten konnte, daß er ihre Hand mit seinen Küssen bedeckte. Und erst nach einer Pause fuhr er leidenschaftlich fort: »Du zeigst mir nur, wie viel inniger meine Liebe ist, als die deine, du kannst nicht träumen, wie sehr ich dich liebe. Aber ich will nicht fordern, daß du mich eben so sehr lieben sollst – es wäre unmöglich. Von meiner frühesten Kindheit an habe ich mein Leben in dieser Einsamkeit zugebracht. Ein glückliches Leben war es, obgleich still und einförmig, bis du mir erschienst. Du warst für mich die lebendige Gestalt der Poesie, die ich verehrte – so glänzend, so himmlisch. Ich liebte dich vom ersten Augenblicke an, wo ich dich sah. Ich habe keinen Beruf – keine Beschäftigung – nichts, was meine Gedanken von dir abzieht. Und ich liebe dich so rein – so innig. Ich habe nie auch nur eine vorübergehende Neigung für eine andere empfunden. Du bist das erste – das einzige Weib, welches mir je zu lieben möglich schien. Du bist meine Eva – deine Gegenwart mein Paradies! Denke, wie traurig ich sein werde, wenn du fort bist – wie ich jede Stelle besuchen werde, die dein Fußtritt geheiligt hat – wie ich jeden Augenblick zählen werde, bis das Jahr vorüber ist!«

Während er so sprach, stand er mit der ruhelosen Bewegung auf, die der mächtigen Aufregung eigen ist. Camilla stand auch auf und sagte, indem sie mit zärtlicher und bescheidener Unbefangenheit ihre Hand auf seine Schulter legte: »Und werde ich nicht auch an dich denken? Ich werde traurig sein, zu fühlen, daß du so ganz allein bist – ohne Schwester – ohne Bruder!«

»Traure nicht deßhalb. Das Andenken an dich wird mir theurer sein, als der Trost von irgend einer andern Person. Und du wirst mir treu sein?«

Camilla antwortete nicht durch Worte, aber ihre Augen und ihre Farbe sprachen. Und in dem Augenblicke, während sie einander ewige Treue gelobten, vergaßen sie, daß sie im Begriffe waren, sich zu trennen!

Inzwischen saßen Robert Beaufort und Spencer in einem Zimmer des Hauses, welches von der Stelle aus, wo die Liebenden standen, vom Laubwerk geschützt, nur teilweise sichtbar war.

»Ich versichere Ihnen, mein Herr,« sagte der Erstere, »daß ich die Verdienste Ihres Neffen und Ihre hübschen Vorschläge sehr wohl erkenne, dennoch kann ich nicht einwilligen, die bestimmte Zeit abzukürzen. Beide sind noch sehr jung, und was ist ein Jahr!«

»Es ist eine lange Zeit, wenn es ein Jahr der Erwartung ist,« sagte der Einsiedler kopfschüttelnd.

»Es ist eine noch längere Zeit, wenn es ein Jahr der häuslichen Uneinigkeit und Reue ist. Und es ist ein sehr wahres Sprüchwort: ›Wer in der Hast heirathet, darf in Muße bereuen.‹ Nein! Wenn nach Verlauf eines Jahres die jungen Leute noch desselben Sinnes sind und keine unvorhergesehenen Umstände eintreten –«

»Keine unvorhergesehene Umstände, Herr Beaufort? – Das ist eine neue Bedingung und ein sehr unbestimmter Ausdruck.«

»Mein lieber Herr, es ist schwer, Ihnen gefällig zu sein. Unvorhergesehene Umstände,« sagte der vorsichtige Vater mit weisem Blicke, »sind Umstände, die man gegenwärtig nicht vorhersieht. Ich versichere Ihnen, daß ich nicht die Absicht habe, mit Ihnen zu scherzen, und daß eine so achtbare Verbindung mich sehr glücklich machen wird.«

»Die jungen Leute dürfen doch einander schreiben?«

»Nun, ich will mich mit Mrs. Beaufort darüber besprechen. Auf jeden Fall muß es nicht zu oft geschehen, und Camilla ist wohl erzogen und wird alle Briefe ihrer Mutter zeigen. Ich liebe eine Correspondenz der Art nicht sehr. Sie hat oft unangenehme Folgen, wenn z. B. –«

»Was?«

»Nun, wenn die jungen Leute ihren Sinn änderten und meine Tochter einen Andern heirathen wollte. Es ist nicht klug, mein lieber Herr, in Geschäftssachen etwas zu Papier zu bringen, was man vermeiden kann.«

Spencer riß die Augen auf. »Geschäftssachen, Herr Beaufort!«

»Nun, ist nicht eine Heirath eine Geschäftssache, und zwar eine sehr ernste? Worüber kommen mehr Prozesse vor, als über Eheversprechen und dergleichen? – Aber um von etwas Anderem zu reden – Sie haben nie etwas Weiteres von diesen jungen Männern gehört?«

»Nein,« sagte Spencer fast unhörbar, indem er die Augen niederschlug.

»Und ist es Ihre feste Ueberzeugung, daß der ältere Sohn, Philipp, todt ist?«

»Ich bezweifle es nicht.«

»Es war ein sehr ärgerlicher und unbesonnener Prozeß, den ihre Mutter gegen mich anfing. Wissen Sie, daß ein elender Betrüger, ein Verbrecher, der vor der bestimmten Zeit entflohen ist, mich von Neuem mit einem Prozeß für einen dieser jungen Männer bedroht hat? Sie hörten nie etwas davon, he?«

»Nie, bei meiner Ehre!«

»Und natürlich würden Sie ein so schurkisches Unternehmen nicht begünstigen?«

»Gewiß nicht.«

»Das würde auch unsern Contrakt sogleich aufheben. Aber dazu sind Sie zu sehr Mann von Ehre. Verzeihen Sie eine so unschickliche Frage. Gegen den jüngeren Morton hatte ich nichts einzuwenden. Aber der ältere! – O, das ist ein ganz verworfener Mensch! Ein sehr wilder Charakter! Ich konnte nichts mit irgend einem Mitgliede der Familie zu thun haben, so lange der ältere lebte, es hätte mich nur jeder Art der Beleidigung und des Betruges ausgesetzt. Und nun, denke ich, haben wir unsere jungen Freunde lange genug allein gelassen. Aber halt, um künftige Mißverständnisse zu vermeiden, wird es gut sein, die Punkte zu lesen, die Sie mir vorschlagen. Sie willigen ein, Ihr Vermögen, welches sich auf dreiundzwanzigtausend Pfund beläuft, nebst Ihrem Hause und fünfundzwanzig Morgen, eine Ruthe und drei Fuß bei Ihrem Tode Ihrem Neffen und meiner Tochter als Heirathsgut für sie und ihre Kinder zu vermachen und ihnen jährlich wahrend Ihres Lebens fünfhundert Pfund auszusetzen. In weltlicher Hinsicht, nehmen Sie mir nicht übel, hätte freilich meine Tochter eine bessere Parthie machen können; doch Sie sind ein so respektabler Mann, daß ich den Punkt nicht weiter berühren kann, und ich muß gestehen, obgleich Beaufort-Court dem Namen nach eine große Summe einbringt, so sind doch viele Lasten dabei, und es würde mir unbequem sein, baares Geld auszugeben. Der arme, arme Arthur – ein sehr hübscher junger Mensch, Herr – ist, wie ich ihnen bereits im Vertrauen mitgetheilt, ein wenig unbesonnen und verschwenderisch; kurz, Ihr Anerbieten, auf eine Mitgift zu verzichten, ist außerordentlich liberal und beweist, daß Ihr Neffe keinen pekuniären Vortheil sucht; ein solches Benehmen nimmt mich für Sie und ihn ein.«

Spencer verbeugte sich, der große Mann stand auf, faßte mit steifer Affektation und gütiger Herablassung den Arm des Oheims und ging mit ihm über den Rasenplatz zu den Liebenden. So ist es im Leben – Liebe auf dem grünen Rasenplatze und Ehecontrakte im Bibliothekzimmer!

Der Liebende bemerkte zuerst die Annäherung der älteren Personen, und es ging eine Veränderung in seinem Gesichte vor, als er das trockene Aussehen und den leisen Schritt seines künftigen Schwiegervaters bemerkte, dann erinnerte er sich seiner aus früher Kindheit, wo er an jenem glücklichen Abend diese ernste und unheilvolle Gestalt zuerst mit seinem heiteren Vater gesehen. Dann fiel ihm das traurige Begräbniß ein, der Trauerflor bei dem Leichenbegängniß, der Wagen vor der Thür, und wie er sich selbst an seinen kalten Oheim gehängt und ihn gebeten, der Mutter ein Wort des Trostes zu sagen, die jetzt in weiter Ferne schlummerte.

»Nun, mein junger Freund,« sagte Beaufort im Tone eines Beschützers. »Ihr guter Oheim und ich sind völlig einverstanden – ein wenig Zeit zum Nachdenken, das ist Alles. O, ich denke nicht schlimmer von Ihnen, weil Sie wünschen, dieselbe abzukürzen. Aber Väter müssen wie Väter handeln.«

Der gesetzte Mann hatte so wenig Scherzhaftes an sich, daß dieser Versuch, heitere Laune zu zeigen, rauh und widerwärtig wurde.

»Kommen Sie, seien Sie nicht muthlos, Herr Charles. Ein muthloses Herz – Sie kennen das Sprüchwort. Sie müssen da bleiben und mit uns zu Mittag speisen. Wir kehren morgen in die Stadt zurück. Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich diesen Morgen einen Brief von meinem Sohne Arthur erhalten habe, worin er mir seine Rückkehr von Baden-Baden meldet, daher müssen wir ihn willkommen heißen, und ein freudiges Wiedersehen wird es sein; wir haben ihn seit drei Jahren nicht gesehen. Der arme Junge! Er sagt, er ist sehr krank gewesen, und der Brunnen hat auch keine Wirkung gehabt. Aber ein wenig Ruhe und die Luft zu Beaufort-Court werden hoffentlich Alles wieder gut machen.«

Dann sprach er weiter von seinem Sohne, von seiner Jagd, von Beaufort-Court und dem Glanz desselben – vom Parlament und seinen Mühen – von der letzten französischen Revolution – von der letzten englischen Wahl – von Mrs. Beaufort und ihren guten Eigenschaften und ihrem schlimmen Gesundheitszustande – kurz, von Allem, was ihn selber oder das öffentliche Leben betraf, aber nichts von den Personen, an die seine Rede gerichtet war. So brachte Robert Beaufort eine halbe Stunde zu, dann nahmen die Spencers Abschied und versprachen, zum Mittagessen zurückzukehren.

»Charles,« sagte Spencer, als das Boot, welches der junge Mann ruderte, sie zu ihrer stillen Heimath führte, »Charles, mir gefallen diese Beauforts nicht!«

»Auch nicht die Tochter?«

»Nun, die ist freilich schön und scheint auch gut zu sein; nicht so schön, wie deine arme Mutter; aber wer war auch je so schön? –« hier seufzte Spencer und recitirte einige Verse von Shenstone.

»Glauben Sie, daß Herr Beaufort im Geringsten argwöhnt, wer ich bin?«

»Ja, ich weiß nicht; es scheint fast so.«

»Und das ist die Ursache des Aufschubes? Ich wußte es.«

»Nein, im Gegentheil, ich bin geneigt, zu glauben, daß er freundlich gegen dich gesinnt ist, wenn gleich nicht gegen deinen Bruder, und daß es dieses Gefühl war, welches ihn bestimmte, seine Einwilligung zu der Verbindung zu geben. Er fragte mich sehr genau aus, ob ich nichts von dem jungen Morton wüßte – bemerkte, daß du sehr schön seiest, und daß er Anfangs geglaubt, er habe dich schon früher gesehen.«

»Wirklich?«

»Ja, und er sah mich sehr scharf an, während er sprach, und sagte mehr als einmal bedeutungsvoll: ›So, also sein Name ist Charles?‹ Er sprach von einem Versuche, einen Prozeß anzufangen, doch das hatte er offenbar nur erfunden, um mich über deinen Bruder auszuforschen – von dem er natürlich sehr übel sprach und mir drei- oder viermal wiederholte, daß er von keinem aus der Familie etwas wissen wollte, so lange Philipp lebe.«

»Und Sie sagten ihm,« versetzte der junge Mann zaudernd, indem sein Gesicht vor Scham roth ward, »daß Sie überzeugt wären – das heißt, daß Sie glaubten, Philipp sei – sei –«

»Todt? Ja – und ohne Verlegenheit. Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr halte ich mich überzeugt, daß er todt sein muß. Auf jeden Fall kannst du gewiß sein, daß er für uns todt ist, und daß wir nie wieder von ihm hören werden.«

»Der arme Philipp!«

»Deine Gefühle sind natürlich und deines vortrefflichen Herzens würdig; aber bedenke, was aus dir würde geworden sein, wenn du bei ihm geblieben wärest!«

»Ja,« sagte der Bruder mit leichtem Schauder – »eine Laufbahn des Leidens, des Verbrechens hatte ich vor mir, die am Galgen hätte enden können! O, was verdanke ich nicht Ihnen!«

Die Mittagsgesellschaft bei Beaufort war förmlich und gezwungen, obgleich der Wirth in ungewöhnlich guter Laune war und sich angenehm zu machen suchte. Mrs. Beaufort, die kränklich war und an Kopfweh litt, sprach wenig, und die beiden Spencers noch weniger. Aber der jüngere saß neben seiner Geliebten, und die beiden Herzen waren voll: und am Abend gelang es ihnen, sich allein in die Vertiefung eines Fensters zu schleichen, durch welches der Sternenhimmel freundlich auf sie niedersah. Sie sprachen leise und in langen Pausen; Camilla's Thränen flossen still ihre Wangen herunter, dann folgte ein erzwungenes Lächeln, welches ihren Geliebten erheitern sollte. Die Zeit floh nicht dahin, sondern schlich athemlos und schwer fort. Da kam der letzte Abschied – förmlich, kalt – vor Zeugen. Aber der Liebende konnte seine Bewegung nicht zurückhalten, und der harte Vater hörte sein unterdrücktes Schluchzen, als er die Thür zumachte.

Es wird jetzt an der Zeit sein, die Ursache der guten Laune des Herrn Beaufort zu erklären, so wie die Beweggründe seiner Handlungsweise in Betreff des Geliebten seiner Tochter.

Dieß wird vielleicht am besten geschehen, wenn wir dem Leser folgende Briefe vorlegen, die zwischen Beaufort und Lord Lilburne gewechselt wurden.

»Lieber Beaufort!

»Ich denke, ich habe deine Sache mit deinem unwillkommenen Gaste ziemlich befriedigend abgemacht. Das Erste, was ich für nöthig hielt, war, genau zu erfahren, wer und was er eigentlich sei und mit welchen Parteien er in Verbindung stehe. Ich ließ den Polizeidiener Sharp kommen und stellte ihn im Vorsaale auf, um unsern neuen Freund zu beobachten und ihm später nachzuspüren. So bald er eintrat, sah ich sogleich an seinem Wesen und seiner Kleidung, daß er ein Betrüger war, und hielt es für unzweckmäßig, dich durch eine Geldverhandlung in seine Macht zu geben. Während ich mit ihm sprach, schickte Sharp ein Billet herein, worin er mir meldete, daß er in unserem Herrn einen deportirten Verbrecher erkenne.

»Ich handelte darnach, sah bald an dem Benehmen des Menschen, daß er vor der Zeit zurückgekehrt sei, und schickte ihn mit dem Versprechen fort, welches er gewiß glauben wird, daß, wenn er uns noch weiter belästige, er in die Kolonie zurückkehren, und wenn es zu einem Rechtsstreit komme, sein Zeuge wegen Meineid bestraft werden solle. Darüber kannst du dich also beruhigen. Uebrigens gestehe ich, daß ich das, was er sagt, für wahrscheinlich genug halte; aber mein Zweck, indem ich ihm von Sharp nachspüren lasse, ist, zu erfahren, wer noch sonst dabei betheiligt ist. Und wenn wirklich etwas Gefährliches in seinen Beweisen oder Zeugnissen liegt, so rathe ich dir, mit diesen andern Personen zu unterhandeln. Verhandle nie ein Geschäft mit dem Zwischenträger, wenn du es mit der Hauptperson abmachen kannst. Bedenke, daß du es am Ende nur mit den beiden jungen Männern zu thun hast. Sie müssen arm sein, und daher ist es leicht, mit ihnen auszukommen. Denn wenn sie arm sind, werden sie einen Vogel in der Hand zweien in dem Busche eines Rechtsstreites vorziehen.

»Wenn du durch Herrn Spencer etwas von einem der jungen Männer erfahren kannst, so bemühe dich darum, und versuche einen Kanal zu eröffnen, durch den du mit ihnen unterhandeln kannst, wenn es nöthig ist. Vielleicht, wenn du ihre frühere Geschichte erfährst, erhältst du dadurch das Mittel, sie in deine Gewalt zu bekommen.

»Ich habe diesen Morgen einen Anfall von der Gicht gehabt und fürchte, ich werde wohl auf einige Wochen das Haus hüten müssen.

»Der Deinige.

» Lilburne

» Nachschrift. Sharp ist eben hier gewesen. Er folgte dem Manne, der sich Kapitän Smith nennt, zu einem Hause in Lambeth, wo er wohnt, und von wo er sich erst um Mitternacht entfernte, als Sharp schon seine Wache eingestellt hatte. Als er diesen Morgen wieder dorthin zurückkehrte, erfuhr er, daß der Kapitän fort sei, wohin, konnte Sharp nicht entdecken.

»Verbrenne diesen Brief sogleich.«

»Lieber Lilburne!

»Meinen wärmsten Dank für deine Güte; du hast die Sache bewundernswürdig beseitigt, und ich glaube nicht, daß ich weiter etwas zu fürchten habe. Ich vermuthe, daß es nichts weiter als die Erfindung dieses Mannes war, und deine Festigkeit hat seine boshaften Absichten vereitelt. Denke nur, ich glaube mit Bestimmtheit, einen von diesen Morton entdeckt zu haben: er ist der Jüngere, aber wahrscheinlich der einzige, den der Kerl auffinden konnte. Du erinnerst dich, daß der junge Sidney so geheimnißvoll verschwand – du erinnerst dich auch, wie sehr Herr Spencer dabei interessirt war, eben diesen Sidney aufzufinden. Dieser Herr an den Seen ist, wie wir vermutheten, derselbe Herr Spencer und sein angeblicher Neffe, Camilla's Liebhaber, gewiß kein Anderer, als der verlorne Sidney. Im Augenblicke, als ich den jungen Mann sah erkannte ich ihn, denn er hat sich sehr wenig verändert und sieht über dieß seiner Mutter sehr ähnlich. Indem ich meinen Verdacht verbarg, suchte ich Herrn Spencer auszuforschen, der eine sehr schwache Seele ist, und sein Benehmen war so verlegen, daß ich keinen Zweifel über die Sache hegen konnte: doch als ich ihn nach den jungen Männern fragte, erfuhr ich zu meiner Beruhigung, daß der ältere Bruder aller Wahrscheinlichkeit nach todt ist: davon scheint Herr Spencer überzeugt zu sein. Ich versicherte mich auch, daß weder Spencer, noch der junge Mann die entfernteste Verbindung mit unserm Kapitän Smith haben, noch auch irgend etwas von einem Rechtsstreit wissen. Dieß ist sehr beruhigend, wirst du zugestehen. Und nun hoffe ich, wirst du billigen, was ich gethan habe. Ich finde, daß der junge Morton, oder Spencer, verzweifelt in Camilla verliebt ist. Er scheint ein sanfter, wohlerzogener, liebenswürdiger junger Mann zu sein und macht Gedichte – kurz er ist eher von schwachem als starkem Charakter. Ich forderte den Aufschub eines Jahres zu beiderseitiger Prüfung und Bedenken. Dieß gibt mir Veranlassung zu beständiger Mittheilung, wozu du mir räthst, und ich werde Gelegenheit haben, zu erfahren, ob der Betrüger ihnen Mittheilungen oder ob man von dem Bruder irgend etwas erfährt. Wenn durch irgend eine Chikane – denn ich glaube nicht, daß je eine Trauung stattgefunden – ein Rechtsstreit entstehen sollte, der bedenklich oder gefährlich werden könnte, so kann ich mit Sidney, vermöge seiner Liebe zu meiner Tochter, solche Bedingungen machen, die mich auf immer von aller weiteren Unruhe und allen Machinationen in Betreff meines Vermögens befreien werden. Und wenn wir uns während des Jahres überzeugen, daß sie nichts haben, worauf sie einen Rechtsstreit gründen können, so kann ich mich immer noch von andern Verhältnissen leiten lassen, ob ich seine Bewerbung annehmen will oder nicht. Es wird davon abhängen, ob wir andere Absichten mit Camilla haben, und ich werde darauf hindeuten, daß diese Verabredung nicht bekannt werden darf. Im schlimmsten Falle ist er als Herrn Spencers Erbe, da auf alle Mitgift verzichtet wird, keine üble Partie – ein Beweis, wie leicht sie zu leiten sind. Ich habe Herrn Spencer nicht zu erkennen gegeben, daß ich sein Geheimniß entdeckt habe, ich kann es später nach Umständen thun oder lassen. Auch habe ich Mrs. Beaufort und Camilla nichts von meiner Entdeckung gesagt. Für jetzt ist es am besten, so wenig als möglich davon zu reden. Ich habe heute Nachricht von Arthur. Er ist auf seinem Heimwege, und wir eilen früher, als wir erwarteten, nach London, um ihn zu treffen. Er klagt noch immer über seinen Gesundheitszustand. Wir werden alle nach Beaufort gehen. Ich schreibe dieß bei Nacht. Der Oheim und der angebliche Neffe sind so eben fort. Obgleich wir morgen aufbrechen, wirst du diesen Brief doch einen oder zwei Tage vor unserer Ankunft erhalten, denn Mrs. Beaufort's Gesundheitszustand macht kurze Tagereisen nothwendig. Ich hoffe, daß Arthur nicht auch leidend sein wird, der arme Junge. Eine leidende Person in der Familie ist vollkommen genug, und ich finde Mrs. Beaufort's Schwäche zu unbequem, besonders wenn man reisen muß und seine Verbindung in der Grafschaft aufrecht erhalten will. Eines jungen Mannes Gesundheit ist indeß bald wieder hergestellt. Es thut mir sehr leid, von deinem Gichtanfall zu hören, doch beseitigt er alle andere Klagen. Ich bin sehr wohl, dem Himmel sei Dank – in der That hat sich meine Gesundheit in den letzten Jahren sehr gebessert. Die Luft in Beaufort-Court bekommt mir sehr gut! Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erstaune ich über die ungeheure und boshafte Unverschämtheit jenes Kerls – einen Mann um sein Vermögen bringen zu wollen! Du hast ganz recht, gewiß ist es eine verabredete Sache.

»Der Deinige
»Robert Beaufort.«

» Nachschrift. Ich werde diese Spencers stets im Auge behalten. Verbrenne diesen Brief augenblicklich.«

Nachdem Beaufort diesen Brief geschrieben und versiegelt hatte, ging er zu Bette und schlief fest und gesund. Am nächsten Tage war der Ort verlassen, und ein Brett auf dem Rasenplatze besagte, daß das Haus wieder zu vermiethen sei. Aber täglich, im Regen oder Sonnenschein, kam ein einsamer Liebender dorthin, gleich dem Vogel, der seine Jungen in dem verlassenen Neste sucht. Immer wieder besuchte er den Ort, wo er mit der Verlorenen gewandelt, und immer wieder murmelte er seine leidenschaftlichen Gelübde unter den jetzt blätterlosen Linden. Sollten diese Gelübde erfüllt oder aufgehoben werden? Wird der Anwesende vergessen oder der Zurückbleibende getröstet werden? Sind die Charaktere jener jungen romantischen Gefühle leicht eingeprägt in die Phantasie, und werden sie bald verwischt sein? Oder sind sie tief eingegraben auf jenen Tagen, wo die Schrift, auch wenn sie unsichtbar ist, dennoch vorhanden bleibt und wieder zum Vorschein komm, ein lieblicher Buchstabe nach dem andern, wenn das Licht und die Wärme der glänzenden Gegenwart auf die getreue Schrift fällt? Es gibt nur eine Zaubrerin, die dieß Geheimniß, so wie alle andern enträthseln kann – die alle Gräber gräbt auf dem großen Kirchhofe der Erde – deren Geschäft es ist, Begräbnisse zu finden für die Leidenschaften, welche unsterblich schienen – die Asche der längst modernden Erinnerung aufzugraben – das dunkle Beet einer eben untergegangenen Hoffnung auszuhöhlen, sie, die alle Dinge endet und keine prophezeiht – denn ihre Orakel sind unverständlich ehe das Urtheil besiegelt ist – sie, die in der Blüthe der zartesten Neigung den Wurm entdeckt, der sie verzehrt, und während die Hochzeitshymme vom Altar ertönt, mit freudelosem Auge das Grab des Trauungsgelübdes bezeichnet. – Wo das Grab ist, da ist dein Tempel, o schwermüthige Zeit!


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