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Juan Fernandez ist auf dem Wege ein volkreiches Eiland zu werden. Die Bahia Cumberland umrahmt heute schon ein Kranz von Häuschen mit blitzenden Zinkdächern, und auf der Plattform des alten Kastells thronen Kirche und Schule. Dem Strande nahe stöhnt die Dampfmaschine einer Konservenfabrik, welche Langusten und Bacaláos einmacht. So hielt auch bereits die Industrie ihren Einzug auf die entrückte Insel.
Die Juan Fernandezianer stammen aus aller Welt. Chilenen, Spanier, Portugiesen, Franzosen, Italiener, Engländer, Deutsche, ja, selbst Norweger und Dänen fanden sich auf Masatierra ein. Manche leben wie Robinson abgesondert hier und dort auf einer versteckten Höhe und gehen einsam dem Fischfang und der Ziegenjagd nach; Abenteurer, die mit der Welt und sich zerfallen sind, und denen die Insel die Klosterzelle ersetzt. Die meisten aber schließen sich gruppenweis zusammen und liegen in gemeinsamen Booten dem Hummerfang ob, der wichtigsten Einnahmequelle. Freilich vereinigt sie nicht kameradschaftliche Zuneigung, sondern Opportunismus, denn Haß und Hader beherrscht die Gemüter – der Fluch abgeschlossener Gemeinwesen.
Der Tempel des Heiligen Antonius erstand wieder, aber noch fehlt der Priester. Nur alle paar Jahre, wenn einmal ein chilenisches Kriegsschiff die Insel besucht, landen einige Mönche, um eine »Mission« abzuhalten, d. h. den inzwischen geschlossenen Ehen den Segen der Religion zu erteilen, die zahlreichen Kinder im Haufen zu taufen und unter Dach und freiem Himmel zu predigen. Drei Tage pflegt eine solche Feier zu dauern, fast ohne Pause von Sonnenaufgang bis -untergang. Ein Kreuz bewahrt ihr Andenken.
Der Wald weicht wieder zurück. Der Mensch bedrängt ihn, aber mehr noch ein anderer Feind, ein Pilz, welcher wie die Pest wütet. Er befällt und vernichtet die herrlichsten Bäume: Naranjillo, Luma, Canelo, Manzano, Murtillo und Juan Bueno. Und widerstandsfähigere Eindringlinge machen den eingeborenen Edelingen den Krieg, vor allem der unschöne, geile Maqui. Die Fluren bewuchert die häßliche Zarzaparilla, deren Früchte sich wie Kletten an die Fersen heften.
Jene Zerstörer waren dem Reiche Robinsons fremd. Aber seit den Tagen des schottischen Eremiten legte die Insel auch noch mannigfaltigen Schmuck an: die Gemäuer und Felsen bekränzten sich mit der feurigen Blütenpracht verwilderter Kapuzinerkresse und die Bäche säumten die weißen Kelche der Kalla.
Doch eins blieb sich gleich: die sonnigen Tage mit dem tiefblauen Himmel, an dem helle Wolken wie zur Unterhaltung der Insulaner – die auch heute die Arbeit noch nicht drückt – sich formen und zerfließen, und das azurne Meer, welches die Insel mit dem breiten, weißen Gischtbande umgürtet. –
Eine Mission.
Blick in die Bahia Cumberland, in der ein chilenisches Kriegsschiff ankert.
Hans Scheid phot.
Ein Spätsommermittag. Der »Juan Fernandez« war bereit zur Fahrt nach der Küste. Wir befanden uns an Bord. Ein kräftiger Südwest blähte sein großes, rechteckiges Segel und zielbewußt glitt er aus der Cumberlandbai hinaus, ostwärts dem Festland entgegen. Die Insel entfaltete noch einmal ihren ganzen Zauber. In blauviolette Gaze gekleidet, floß ihr das duftige Gewand in wunderbaren Linien ins Meer hernieder, und wie kostbare Borte verbrämte ihre reiche Silhouette gold-silberner Schimmer. Sie änderte die Farben, sie erglühte in warmen, leuchtenden Tönen – aber unser Schifflein steuerte unbeirrt seinen Kurs. Da erlosch das lockende Spiel und blauschwarz und schließlich in tiefstes Dunkel gehüllt entschwand sie unserem Horizonte.
Fünf Tage Fahrt, dann erstrahlte das Leuchtfeuer von Curaumilla und bald auch das Lichtmeer von Valparaiso. Die Nacht fand uns im Hafen.