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Viertes Kapitel.
Ein Held und sein Sänger

Während die Menschen, von Sonnenaufgang und -untergang vordringend, Besitz nahmen von den Eilanden des Stillen Ozeans, und selbst die einsame Isla de Pascua, die Osterinsel, eine uralte Kulturstätte wurde, blieben Masatierra und Masafuera unberührte Paradiese, die keines Menschen Fuß entweihte. Sogar noch weit über die Entdeckung Amerikas hinaus; denn die ersten, welche es betraten und in seine dunklen Myrten- und Farnwälder eindrangen, in denen damals der Sandelbaum noch reichlich wuchs, waren weder Malaien noch Indianer, sondern Weiße, Spanier.

Der kühne, aber falsche Francisco Pizarro hatte das Sonnenreich, die Herrschaft der Inkas, die von den heißen Anden Ekuadors bis in die kalten Niederungen Südchiles reichte, zerstört. Vergebens versuchte Atahualpa, der letzte, jugendliche Fürst Perus, die spanische Unersättlichkeit mit Wagenlasten goldener Geräte zu stillen und seine Freiheit zu erkaufen. Er starb den Martertod.

Aber das Gold von Cuzco und Lima und der zahllosen Tempel des ausgedehnten Indianerstaates genügte den Konquistadoren nicht, und bereits drei Jahre nach ihrer Ankunft in Peru befand sich ein Häuflein auf dem Wege nach Chile. Es scharte sich um den Hauptmann Diego de Almagro und suchte seinen Weg durch die Puna, an jenen endlosen, trockenen Salzseen entlang, wo der sengenden, dürren Tagesglut schneidende Nachtkälte folgt; denn nur hier, im Angesichte der schneebedeckten, 5000–6000 m hohen Kordillerenhäupter, obgleich in Höhen, welche mit den Gipfeln der Alpen wetteifern, durfte man Leben erwarten: hin und wieder niedrige Grasteppiche, welche Vicuñas abweideten, und Bäche mit Schneewasser, an denen gelbe Ranunkeln und Gauklerblumen, violette Bärenschoten und blaue Enziane blühten und rotbrüstige Flamingos einherstelzten. Zwischen Puna und Küste erstrecken sich die Salpeterwüsten.

Auch Ansiedelungen gab es. In ihnen fingen sich die unbarmherzigen Fremdlinge neue Menschen als Lasttiere. Wie Ochsen wurden sie gekoppelt. Ein Dutzend nebeneinander, die Hälse zwischen Stricke eingezwängt. Brach einer ein Bein oder übermannte ihn Schwäche, daß er schwindelnd zusammensank: man nahm sich nicht erst die Mühe, die Kette zu lösen, ein Hieb mit dem mächtigen Machete (dem gewaltigen Messer) trennte Kopf und Rumpf; die übrigen hatten für einen mehr zu ziehen. Leichen über Leichen kennzeichneten den Pfad, den eine lebende Wolke beschattete: Hunderte von Kondoren, Aasgeier; die Totengräber.

Über sechs Monate dauerte die Reise am Saume von Wüste und Schneegebirge, und erst nach dreiviertel Jahren gelangten sie in ein wirklich fruchtbares Tal, in das des Aconcaguaflusses, in dem sich Haine der massiven, chilenischen Palme erhoben, wo die Lúcuma ihre süßen Früchte reifte und die Indianer Kartoffeln bauten. Da war es ihnen, als ob sie in ein Paradies getreten wären, und sie nannten diese Stätten enthusiastisch val de paraiso, Paradiesestal. Der Name ist auf den größten chilenischen Hafen übergegangen.

Chile war zu keinen Zeiten ein Dorado, und enttäuscht wandte sich Don Diego de Almagro auf dem Wege, den er gekommen, nach Peru zurück und fand mit dem Rest seiner Karawane kaum Worte, die Armut und das Elend jenes Erdenwinkels zu beschreiben.

Aber es gab auch unter den Spaniern Männer, welchen die Lust an Abenteuern, der Durst nach Kriegsruhm über Gold und Silber ging. Ein solcher war Pedro de Valdivia, der ein Lustrum später wiederum den unendlich mühseligen Landweg nach den antarktischen Fernen einschlug. Abermals Qualen über Qualen; indessen sein eiserner Wille siegte, auch er erreichte das Paradiesestal und drang siegreich bis in die Urwälder des Südens vor, Städte und Festungen gründend. Den kühnen Eroberer ereilte das Schicksal Atahualpas. Er fiel 1554 nach der unglücklichen Schlacht von Tucapel in die Hände der Indianer, welche ihn ihrer Rache opferten, so grausam, so bestialisch, wie sie es von den Spaniern gelernt hatten. Nun stritten Valdivias Hauptleute um die Führung der jungen Herrschaft, deren Mittelpunkt Santiago war. Aber der Vizekönig von Peru ernannte seinen jugendlichen Sohn, Don Garcia, er zählte kaum 21 Jahre, zum obersten Kriegsherrn der neu eroberten Breiten, und dieser Jüngling, an der Spitze von 150 Soldaten, begleitet von dem kaum älteren Krieger und Sänger Alonso Ercilla, suchte zum ersten Male die Gestade Chiles auf dem Seewege zu erreichen. Freilich eine harte Geduldsprobe für die tatenlustigen Jünglinge, die für Schwert und Leier gleiche Lorbeeren erhofften. Der Wind bläst hier den größten Teil des Jahres fast unausgesetzt von Süden nach Norden, und eine andere Gewalt, die man nicht fühlt, bekämpft gleichwohl hartnäckig den südwärts steuernden Schiffer: die Strömung, welche kraftvoll vom Eismeer zum Äquator an der Westküste des Festlandes sich unsichtbar entlangwälzt.

Die Schiffe klebten an der Küste; Kap um Kap wurde mühselig umsegelt mit Hilfe der Landwinde, die aber oftmals auch rückwärts trieben. Die Nächte verbrachte man vor Anker oder an Bäume und Felsen angekettet. Dennoch kam den jugendlichen Abenteurern die Jahreszeit entgegen. Sie verließen den peruanischen Hafen Callao, welcher noch heute als derjenige der Hauptstadt Lima blüht, im Februar, und dann beginnen schon hin und wieder die Norder einzusetzen, welche winters den steifen Südwind oft wochenlang verdrängen. Drei Monate später landeten sie in der stillen Bucht von Coquimbo an dem heiteren Strande von La Serena. Granitene Hügel, überwuchert vom riesigen Säulenkaktus, grüßten sie im jungen Kleide der Pflanzendecke – gelb und rot getupft von Sauerklee und Amaryllis – welche die ersten Regenschauer erweckt hatte. Drei Monate, wo man heute kaum doppelt so viel Tage benötigt! Drei Monate erbitterter Kampf mit den Elementen oder tödliche Langeweile, Hunger und Durst! Aber glücklich allen Mühsalen entronnen, machten sie es nun genau wie die homerischen Helden: sie vergaßen bei üppigen Gelagen, welche unsern Kriegern die neue Stadt La Serena veranstaltete. Einen ganzen Monat hindurch wurde geschlemmt und getrunken. Getrunken? Wein, feuriger, schwerer Wein, wie ihn der Norden Chiles erzeugt, wo die Spanier mit dem Rebstock eingezogen waren. Gestärkt, vertrauten sie sich wiederum ihren Schiffen an, und erst ein weiteres Vierteljahr später erreichten sie die Halbinsel Quiriquina und damit die nördlichste Grenze des noch unbesiegten Indianerreiches, welches sich in den Araukarien- und Buchenwäldern Südchiles mit seinen undurchdringlichen Bambusdickichten bis über die große Insel Chiloë hinaus und nach Argentinien hinüber ausdehnte.

Don Garcia war das Waffenglück hold und Don Alonso bekam Stoff genug für seine Leier, so viel, daß er ein großes Epos schmieden konnte, in dem spanischer und indianischer Heldenmut sich gegenseitig als Folie dienen.

Noch manches Schiff folgte der reich mit Fahnen und Wimpeln geschmückten Armada des vizeköniglichen Sohnes nach. Keines machte die Fahrt schneller, und nicht wenige brauchten nur von Lima bis Valparaiso gar acht Monate. Da versetzte die chilenisch-spanische Bevölkerung eines Tages – man weiß nicht, war es Anfang der sechziger oder siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts – die Kunde in begreifliche Erregung: ein Schiffer, Juan Fernandez mit Namen, habe die Reise von Callao nach Valparaiso in dreißig Tagen gemacht und neue Länder auf seiner erstaunlichen Fahrt entdeckt! Die neuen Länder schrumpften freilich zu den Inselchen Masafuera und Masatierra zusammen, die schnelle Fahrt aber war kein Zufall, sondern eine nautische Entdeckung; sie wurde fortan die Regel.

Höhle.
Der englische Hafen mit der sogenannten Robinsonhöhle.
Hans Scheid phot.


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